Wir
haben jemanden gefunden, der sich aus
Gründen, die wir gleich noch
kennenlernen werden, für den Menschen
und Politiker Joschka Fischer besonders
interessiert hat. Leider ist uns zurzeit
nur sein Künstlername bekannt: Olenin
Terek.
Olenin ist der Held in
Tolstois Kosaken und Terek
heißt der Fluß im Kaukasus, an dem sich
Russlands asiatische Interessen seit der
Zarenzeit festmachen
Also, Olenin Terek, Sie sind der Erste,
der bei uns unter seinem Pseudonym
auftreten darf. Was treibt Sie an?
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Europa ist zu kurz gedacht. Was als
wirtschaftliche und politische Union
entsteht, ist nur ein grösserer Westen.
Der Osten des Grosskontinents Eurasia
wird weiter ferngehalten. Dies entspricht
derzeit amerikanischen Interessen, läuft
aber denen der eurasischen Völker und
Staaten völlig zuwider. Dagegen setzt
die Bewegung der Eurasier ihre Vision
eines grossen Reiches, befreit von
amerikanischer Hegemonie, das sich von
Wladiwostok an der Pazifikküste bis zur
portugiesischen Estremadura erstreckt ...
Die Thesen der Eurasier bewegen ... die
Gemüter. Sie sind das heisseste
politische Thema des beginnenden 21.
Jahrhunderts.
Politische
Fiktion, so steht es über dem
Titel Ihres ersten Romans. Danach
begannen Sie, für eine zweite Fiktion
über den realen Joschka Fischer zu
recherchieren
Joschka Fischer,
eigentlich Joseph Martin Fischer, geboren
am 12. April 1948 als drittes Kind eines
Metzgers. Die Eltern hatten als
Ungarndeutsche 1946 ihren Wohnort
Budakeszi, eine im Jahr 2000 zur Stadt
erhobene Gemeinde nahe Budapest verlassen
müssen. Die Familie siedelte nach
Langenburg im Hohenlohischen über. Der
geführte Vorname leitet sich von Jóska
ab, einer Verniedlichungsform des
ungarischen Vornamens József.
In der frühen Jugendzeit ist er
Ministrant in der katholischen
Heimatgemeinde. Noch vor Beendigung der
Untersekunda, also der 10. Klasse,
verlässt Joschka 1965 das
Gottlieb-Daimler-Gymnasium in
Stuttgart-Bad Cannstatt ohne Abschluss
und beginnt in Fellbach eine Lehre als
Fotograf, die er 1966 abbricht. Danach
arbeitet er vorübergehend als
Spielwarenverkäufer.
Ab 1967 engagiert er sich in der
Studentenbewegung und in der
Außerparlamentarischen Opposition (APO).
Er lebt ab 1968 in Frankfurt am Main.
Später jobbt er im SDS-Verlag Neue
Kritik und im größten linken
Buchladen am Ort, dem
Libresso am Opernplatz.
Gleichzeitig beginnt er die für die
revolutionären Studenten obligatorischen
Universitätsveranstaltungen als
Gasthörer zu besuchen: Vorlesungen von
Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und
Oskar Negt, die bis zu 2000 Zuhörer
haben. Hier setzt er sich auch mit den
Schriften von Karl Marx, Mao Zedong und
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
auseinander.
Bis 1975 ist er Mitglied der
linksradikalen und militanten Gruppe
Revolutionärer Kampf. Als
führendes Mitglied einer sogenannten
Putzgruppe beteiligt er sich
an mehreren Straßenschlachten mit der
Polizei, in denen Dutzende von Polizisten
zum Teil schwer verletzt werden. Als
Außenminister gesteht er seine damalige
Gewalttätigkeit ein, will sich aber
gleichzeitig nicht von ihr distanzieren.
Er beteuert zudem, niemals
Molotowcocktails geworfen zu haben.
Aus der Frankfurter Zeit stammt auch
seine Freundschaft mit dem
deutsch-französischen Studentenführer
Daniel Cohn-Bendit, mit dem er zeitweilig
in einer Wohngemeinschaft wohnt.
1969 nimmt Joschka in Algier an einer
Konferenz der Palästinensischen
Befreiungsorganisation / PLO teil.
1971 beginnt er eine Tätigkeit bei der
Adam Opel AG in Rüsselsheim
mit dem Ziel, über die Gründung einer
Betriebsgruppe die Arbeiter zu
politisieren und letztlich für die
Revolution zu gewinnen. Diese
Form der Basisarbeit bringt
aber nicht den erhofften Erfolg; zudem
wird Joschka wegen seiner Aktivitäten
schon nach einem halben Jahr fristlos
entlassen.
Nach weiteren Gelegenheitsarbeiten
unter anderem als Übersetzer von Romanen
besteht Joschka 1976 die Prüfung
für den Personenbeförderungsschein. Er
arbeitet in Frankfurt noch bis 1981 als
Taxifahrer und bis 1982 als Aushilfe in
einem Buchladen. Schauspielerische
Kurzeinsätze hat er zudem 1983 in dem
Fernsehfilm Der Fliegende
Robert und 1986 in dem Film
Va Banque, in dem er einen
Frankfurter Taxifahrer namens
Phudy spielt.
Am 14. Mai 1976 wird Joschka nach einer
Demonstration anlässlich des Todes von
Ulrike Meinhof im Zusammenhang mit einem
Angriff auf Polizisten mit
Molotowcocktails, bei dem zwei Polizisten
schwer verletzt werden, verhaftet. Er
bleibt allerdings nur zwei Tage in Haft.
Bei der Planung der Demo ist unter
Beteiligung Joschkas der Einsatz von
Molotowcocktails diskutiert worden.
Die Ereignisse im so genannten
Deutschen Herbst im Jahr 1977
Entführung und Ermordung des
Industriellen-Chefs Hanns Martin
Schleyer, Entführung der
Lufthansa-Maschine Landshut, Suizid der
RAF-Gründer leiten bei ihm, nach
eigenen Angaben, einen Erkenntnisprozess
ein, den er als Illusionsverlust
bezeichnet, und der schließlich zu
seiner Abkehr von radikalen und
gewalttätigen Politikvorstellungen
führte.
Am 11. Mai 1981 wird der hessische
Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry
mit einer Schusswaffe ermordet, die,
zusammen mit anderen aus einer
amerikanischen Kaserne gestohlenen
Waffen, im Jahre 1973 in Joschkas Auto
transportiert worden war. Joschka meint
dazu, er habe dem späteren Terroristen
Hans-Joachim Klein den Wagen lediglich
gegeben, um von ihm einen neuen Motor
einbauen zu lassen. Erst später habe er
erfahren, daß mit dem Auto gestohlene
Waffen transportiert worden seien.
Noch vor seinem Parteibeitritt im Jahr
1982 gründet Joschka 1981 mit Daniel
Cohn-Bendit und anderen den
Arbeitskreis Realpolitik in
Frankfurt, der für die Partei Die
Grünen real-politisch
genannte Positionen formuliert. Die
inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen
neuen Positionen führt im Kreisverband
Frankfurt zur Polarisierung in
Realos und Vertreter eines
öko-fundamentalistisch
genannten Standpunktes, den
Fundis.
Joschka kann sich 1982 für die
Bundestagswahl 1983 als Kandidat für
Die Grünen durchsetzen.
1983 wird er in den Deutschen Bundestag
gewählt und gehört damit der ersten
Bundestagsfraktion der
Grünen an, für die er als
Parlamentarischer Geschäftsführer
tätig ist.
Na, bestens ... und dankeschön
für die Begegnung im Zug! Das ist er
also, der Autor, der mich literarisch ins
Fadenkreuz nahm als Figur eines
Polit-Thriller.
Na klar, hab ich den gelesen, ich meine,
es war nicht gerade Lektüre, die ich zu
Elke Heidenreich ins Fernsehen
mitgenommen hätte ... Und bei Jürgen
Habermas, damals in Frankfurt, habe ich
gelernt, daß politisierende
Schriftsteller uns Politikern das Leben
sowieso schwer machen ...
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Da sind zunächst die Unpolitischen unter
den Schriftstellern und die Mandarine
unter den Gelehrten. Für Hermann Hesse
oder den frühen Thomas Mann, für Ernst
Robert Curtius oder Karl Jaspers sind die
Sphären des Geistes und der Macht derart
voneinander geschieden, daß ihnen eine
Politisierung des Geistes als
Verrat an der Berufung der
schöpferischen und der gebildeten
Persönlichkeit erscheinen musste.
Auf der anderen Seite stehen
realpolitisch gesonnene Theoretiker wie
Max Weber und der junge Theodor Heuss.
Sie hegen den Argwohn, daß im Zuge einer
Politisierung von Schriftstellern und
Philosophen ein unernstes, inkompetentes,
schwankendes Element in einen Bereich
eindringen würde, der der fachlichen
Rationalität des Berufspolitikers
vorbehalten bleiben müsse. Beide Seiten
fürchten vom Intellektuellen eine
Vermischung der Kategorien, die besser
getrennt bleiben sollten sei es,
weil sonst der arbeitsteilige politische
Betrieb den esoterischen Geist ins
Alltäglich-Opportunistische herabzieht
und verunreinigt oder weil umgekehrt das
normale Funktionieren des Betriebes durch
gesinnungsethische Schwarmgeisterei
ruiniert würde.
Hab ich eine zeitlang auf
einem Zettel mit mir rumgetragen,
das Habermas-Zitat. Für einen
Schulabbrecher, der zwischen
Schauspielerei und politischer Rauferei
pendelte, eine interessante Lektion.
Aber ich will gerne zuammenfassen, worum
es in dem Thriller Der Mann aus
Grosny geht, um danach sorry
to say, lieber Autor das
ganze Handlungsmotiv zusammenkrachen
lassen ... ganz ohne Molotow-Cocktail,
ich versprechs.
Es ist schon der zweite Roman von Olenin
Terek, den er wiederum um ein noch vages
Eurasien-Konzept kreisen lässt. Das soll
dem globalen Allmachtanspruch Amerikas
Paroli bieten.
Die Idee mit dem Attentat auf den
deutschen Aussenminister soll ihm ein
Artikel des russischen Politikers und
ehemaligen Gesandten in der DDR, Igor
Maximytschew, vermittelt haben. In diesem
Artikel, tatsächlich veröffentlicht in
der Nesawissimaja Gaseta,
wurde ich als Lakai der U.S.A.
dargestellt und als Totengräber
der deutsch-russischen Beziehungen
attackiert. Soweit die Fakten.
Der Roman setzt damit ein, daß der
Student Igor Rassow, glühender
Verfechter einer engen Verbindung
zwischen Moskau und Berlin, diesen
Artikel liest. Er sieht in mir das Symbol
für all die politischen Marionetten, die
den Machtanspruch der U.S.A. über den
eurasischen Kontinent fördern, und er
plant, mich deshalb umzulegen. Rassow ist
tonangebender Feuerkopf einer eurasischen
Untergrundbewegung, der
Organisation Tauroggen
...
Halt!
Tauroggen das hatten
wir schon einmal! Herr Dunkler, können
wir das bitte noch einmal hören?
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In der Poscherun-Mühle bei
Tauroggen schlossen der russische General
Diebitsch und der preussische General
York am Ende des Jahres 1812 die
Konvention von Tauroggen,
durch die das preussische Hilfskorps
(für Napoleon) im russischen Feldzug
für neutral erklärt wurde. Militärisch
einleuchtend: Das preussische Hilfskorps
war von den Russen eingeschlossen.
Emil Belzner, unser Schwarzfahrer!
Aus seinem Buch Die Fahrt in die
Revolution. Es handelt sich um ein
fiktives Lenin-Zitat zu einem realen
historischen Ereignis. Bei Tauroggen kam
es zu einer interessanten, aus der Not
geborenen Übereinkunft zwischen
zaristischen Russen und preussischen
Deutschen, geduldet von napoleonischen
Franzosen.
Bitte
weiter im Text, Joschka.
Im Zentralkomitee dieser
Tauroggen-Organisation argumentiert
Rassow, ich sei Feind eines mächtigen,
politisch geeinten Eurasiens und müsse
daher beseitigt werden.
Rassow trägt den Geruch des Todes mit
sich. Er hat die Spezialausbildung der
russischen Omon-Truppen
absolviert, in Tschetschenien gekämpft
und schon einige Sprengstoffattentate auf
Russen verübt, die sich von
Westside kaufen ließen,
einem getarnten Netzwerk
U.S.-amerikanischer Einflußnahme.
Zuletzt diente Rassow in der
berühmt-berüchtigten
Alpha-Truppe, die direkt dem
Präsidenten im Kreml unterstellt ist.
Rassows engster Jugendfreund ist
Politiker geworden und hat im Kreml
Karriere gemacht, es bis zum Präsidenten
der Russischen Republik gebracht. Wir
reden hier von Wladimir Putin, der im
Roman Posstanowschtschik
heisst, zu deutsch Regisseur.
Dieser Bezeichnung macht er alle Ehre,
und die Putin-Figur spielt in dem
Thriller eigentlich die Hauptrolle.
Er und Rassow werden schließlich zu
Gegenspielern, denn der Präsident muß
das Attentat unter allen Umständen
verhindern. Das gelingt schließlich,
nach 350 Seiten, im letzten Moment. Aber
ohne, daß die Organisation
Tauroggen Schaden nähme.
Sankt Petersburg, Moskau, Berlin und Bonn
sind die Stationen, zwischen denen sich
die Handlungsstränge entwickeln. Ob eine
Bibliothek in Petersburg, ein
Versicherungsgebäude in Bonn oder die
Spezialmunition einer Heckler &
Koch na ja, oder eben meine
Person der Autor hat seine Milieus
und sein Personal bis ins Detail
recherchiert, bei mir leider zu
oberflächlich ... netter Ansatz, aber
falsche Ausgangslage!
Weil
du selber zum Thema Eurasia
verdeckt ermittelt hast? Und weil wir
jetzt von dir einen ganz anderen Thriller
zu hören bekommen?
Mit dem Unterschied: Alles ist
belegt! Fangen wir an mit Wladimir Putin
und der Frage, warum er das fiktive
Attentat auf mich unbedingt
verhindern wollte ...
Wir
hofften, es würde jetzt weniger fiktiv!
Und wir dachten, dein Pate
George Kennan hätte dich mit einem
konkreten Auftrag in diesen Zug
geschickt?
Dafür wären wir gerne bereit, dich
ebenfalls durch unsere Geschichtstunnel
hin- und herrollen zu lassen
George war ein überzeugter
Antikommunist, seine Analyse, damals
1946, beruhte aber auf einer brillanten
Kenntnis der Geschichte und der Kultur
Russlands wie auch der Lebensrealitäten
in der UdSSR. Die Ideologen der neuen
Konfrontation, die wir gerade erleben,
zeichnen sich dagegen keinesfalls durch
ein nuanciertes Kennen der Situation aus.
Mich ärgert,
daß die Mehrheit der bei uns
massgeblichen Analytiker und
Analytikerinnen sowie unsere Medien bis
hinein in das sich als links und
progressiv verstehende Lager bei der
Wahrnehmung der russischen Entwicklung
bisher nicht über die Stadien-Theorie
von Marx und Engels hinauskommt
Russland wird nur unter dem Gesichtspunkt
des Nachholens, der
Einordnung, des
Noch-nicht-Erreichten
begriffen und nach diesem, dem eigenen
westlichen Maßstab, beurteilt und
mit wachsendem neuen russischen
Selbstbewusstsein zunehmend auch
verurteilt.
So wird zwar richtig konstatiert, es gebe
noch keine Zivilgesellschaft
in Russland, aber es wird nicht bedacht,
daß die nachsowjetisch-russische
Gesellschaft vielleicht von anderen
Werten ausgeht, die zwar mit dem
westlichen Individualismus auf gute Weise
zu verbinden, dabei aber zu erhalten, zu
entwickeln und sogar wiederherzustellen
sind, zum Beispiel die russischen
Gemeinschaftstraditionen, insonderheit
die Strukturen der gemeinschaftlichen
Eigen- und Selbstversorgung.
Auch das ist ein sehr komplizierter
Prozess, der andere Formen der
Selbstbestimmung und Demokratie
hervorbringen mag als eine
Formaldemokratie nach westlichen
Vorgaben.
Ich habe mich dafür schlau gemacht bei
Kai Ehlers, dessen Artikel ich in einer
Datenbank zur Neue
Weltordnung fand, bei der sehr
empfehlenswerten
Arbeitsgemeinschaft Frieden
an der Kasseler Universität.
Interessante Lektüre ... kein Wunder,
ich hab ja das handelnde Personal
inzwischen weitgehend selber
kennengelernt ... und seit ich meine
Freiheit wiedergewonnen habe, sucht mir
keine Pressestelle mehr aus, was ich zu
lesen habe.
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