... wie viele
seiner Zeitgenossen war
Schweitzer nach wie vor von der
kulturellen Höherentwicklung
Europas überzeugt. Er hatte ein
zwiespältiges Verhältnis zum
Kolonialismus, an dem er
einerseits die inhumane
Vorgehensweise kritisierte, von
der er sich mit dem Begriff der
Brüderlichkeit
abgrenzte, detimediassen
Ideologie er aber andererseits so
stark verinnerlicht hatte, daß
er Schwarze als primitive
Menschenkinder betrachtete, die
nicht ausgerottet oder kolonial,
sondern ordentlich nach
christlichen Grundsätzen
geführt und angeleitet werden
sollten. Die primitiven
Lebensbedingungen in Lambaréné
entsprachen diesem Bild von
Primitiven, das wegen der
Verehrung Schweitzers durch die
europäische und amerikanische
Öffentlichkeit verstärkt wurde,
die seine bevormundende Güte mit
Spenden honorierte, auf die er ja
angewiesen war. Er musste seine
Aktivitäten den Erwartungen
anpassen, und je mehr sie diesen
Erwartungen entsprachen, desto
höher waren die Spenden, die zu
einem großen Teil in den Ausbau
des village de
lumiere zur Entsprechung
der Vorstellungen gesteckt
wurden, auf denen die konkreten
Erwartungen der teilnehmenden
Öffentlichkeit gründeten.
|
ORIGINALE
SCHWEITZER-ZITATE:
11
Für den
Primitiven hat die Solidarität
enggezogene Grenzen. Sie beschränkt sich
auf seine Blutsverwandten im engeren
Sinne, das heißt, auf die Mitglieder
seines Stammes, die für ihn die Familie
im Großen repräsentieren. Ich spreche
aus Erfahrung. In meinem Spital habe ich
solche Primitiven. Wenn ich einem nicht
bettlägrigen Patienten aus dieser Gruppe
kleine Dienste für einen Kranken
auftrage, der das Bett hüten muss, wird
er es nur dann tun, wenn dieser des
gleichen Stammes ist wie er. Ist dies
nicht der Fall, wird er mir treuherzig
antworten: Dieser ist nicht Bruder
von mir. Weder durch Belohnung noch
durch Drohung wird er sich bewogen
fühlen, diesem Fremden einen Dienst zu
leisten.
12 Der Schwarze arbeitet
unter Umständen sehr gut, aber er
arbeitet nur so viel, wie es die
Umstände von ihm verlangen. Er ist immer
nur Gelegenheitsarbeiter.
SCHÜLER 3:
Wir wollen nicht mehr übersehen, daß im
Kern der eigentlichen Tätigkeit von
Albert Schweitzer, seiner Arbeit im
Urwaldhospital Lambaréné, von dem
französischen Tropenmediziner André
Audoynaud im Jahr 2005 ernstzunehmende,
professionelle Kritik geübt wurde.
Audoynaud war von 196366
ärztlicher Direktor des benachbarten
französischen Hôpital administratif:
Schweitzer
habe seine
Aufbauleistung übertrieben, denn
Lambaréné sei keinesfalls
weltabgelegen und unzivilisiert
gewesen, sondern sogar ans
Telefonnetz angeschlossen
gewesen. Eine medizinische
Versorgung habe es schon vor
seiner Ankunft gegeben, 1928
wurde sogar ein französisches
Krankenhaus eröffnet und 1953
erweitert.
Ausserdem soll er sein Spital
selbstherrlich geführt haben;
Audoynaud behauptet sogar, der
damals fast 90 Jahre alte
Schweitzer habe Farbige aus einer
rassistischen Gesinnung heraus
selbst körperlich drangsaliert.
Ärztliche Behandlungen mussten
mit Geld oder mit der
Arbeitskraft von Verwandten
bezahlt werden, die als Farbige
nur für niedere Arbeiten und
nicht für gehobenere
pflegerische Dienste eingesetzt
und durch die Verzögerung von
Patientenentlassungen
ungebührlich lange ausgenutzt
wurden.
Trotz hoher Geldspenden liess
Schweitzer sein Krankenhaus weder
mit Elektrizität, Kanalisation,
Duschen noch WCs ausstatten. Das
einzige WC war Weißen
vorbehalten, Küchen- und andere
Abwässer flossen offen durchs
Lager, stehendes Gewässer,
Brutstätte für
Krankheitserreger, soll er auf
seinem Gelände toleriert, sich
für das Leben von Flughunden,
die Tollwut übertragen,
eingesetzt und Holzschutzmittel
für die Baracken trotz
Termitenbefall untersagt haben.
Statt wie die französischen
Mediziner Krankheiten durch
Präventionsmaßnahmen wie
Impfungen, Ernährungsberatung
und Trockenlegung stehender
Gewässer vorzubeugen, hätte
Schweitzer blind ein
europäisches Modell der
Krankenversorgung auf die
Verhältnisse Afrikas übertragen
und nur Symptomkuriererei
betrieben. Eine Zusammenarbeit
mit Einrichtungen vor Ort hätte
der sehr zurückgezogen lebende
und an Land und Leuten
desinteressierte Schweitzer
abgelehnt, obwohl die meisten,
der Weltöffentlichkeit in seinem
fotogenen village de
lumiere vorgeführten
Leprapatienten gesund gewesen
seien, weil sie zur Hälfte im
Hôpital
administratif geheilt
worden waren.
Kurzum: Schweitzer sei dem 19.
Jahrhundert verhaftet gewesen, im
Grunde nie richtig in Afrika
angekommen, habe trotz hoher
Geldspenden und weisser
Fachkräfte ein kümmerliches
Ergebnis erzielt und sich
überdies sehr medienwirksam mit
fremden Federn geschmückt. |
SCHÜLER 1:
Albert Schweitzer laut
SchulwebNamensgeber für
inzwischen weit mehr als fünfzig Schulen
im deutschsprachigen Raum ...
Wir in Nienburg an der Weser waren die
ersten, die seinen Namen trugen, und wir
sind auch die ersten bei dem Versuch,
herauszufinden, wie sich das Bewusstsein
unseres Namenspatrons entwickelte, und
aus welcher Materie heraus das
Ich von Albert Schweitzer
entstand ...
Halt mal! In dieser Materie kenne
ich mich aus!
Wer sind Sie, und mit was
für einem Buch wedeln Sie da herum?
45
Die Persönlichkeitsstruktur
auch des Schwarzafrikaners wird
wesentlich durch seine kulturellen und
sozialen Lebensbedingungen geformt. Daher
unterscheidet sie sich von der des
Europäers oder Nordamerikaners. Sie
entspricht zugleich nicht ausreichend den
Bedingungen, die zur erfolgreichen
Handhabung der europäisch-technischen
Zivilisation erfüllt sein müssen. Die
aber wünscht der Schwarzafrikaner
unbedingt zu übernehmen. So entstehen
erhebliche Inkongruenzen bei der
Zusammenarbeit mit Schwarzafrikanern,
etwa in Projekten der Entwicklungshilfe.
Wie es zur anders gearteten
Persönlichkeitsstruktur des Afrianers
kommt, welche Merkmale dabei besonders
hervorzuheben und zu beachten sind und
wie mit den daraus resultierenden
Schwierigkeiten umgegangen werden kann,
beschreibt dieses Buch.
Sie haben das
geschrieben?
45
Ich
bin Dr. med. Christoph Staewen, Internist
und Nervenarzt. Zunächst vorwiegend im
psychiatrischen und psychotherapeutischen
Bereich tätig. 1963 bis 64 Bereisung
West- und Zentralafrikas. 1964 bis 65
wissenschaftliche Untersuchung über
Aspekte des Kulturwandels bei den Yoruba
in Südwest-Nigeria. Mehr als sechs Jahre
als Allgemeinarzt in Afrika in den
Republiken Niger, Congo und Tschad.
Verschiedene Publikationen über die
Psychologie der Schwarzafrikaner zum
Beispiel als Folge früher
Kindheitserziehung in der Sippe.
Dabei hat sich bestätigt, daß die Sippe
für ihre Mitglieder nicht nur eine
Institution der Sozialversicherung und
des Schutzes nach außen ist, sondern
zugleich eine Art große, kraftvolle,
bergende zweite Seele für jeden
einzelnen nur daß es Einzelne
eigentlich gar nicht gibt, sondern nur
Teile eines ganzen Organismus, der Sippe
heißt. Diese ZWEITE SEELE FÜR ALLE
vermittelt jedem ihrer Teile den Sinn
seines Lebens, seine gesamte
Lebensfreude, seinen Halt und die
Orientierung auf seinem Lebensweg.
Wie sehr das Vorhandensein der Sippe dem
einzelnen Afrikaner das Leben erleichtert
oder überhaupt erst ermöglicht, ist
besonders eindringlich in medizinischen
Projekten zu beobachten. ... Diese Fakten
habe ich neben manchem anderen bei Albert
Schweitzer in seinem Urwald-Hospital in
Lamabaréné gelernt. Mir ist es
unbegreiflich, wie dieser trotz seiner
schier übermenschlichen Leistung gerade
bei der jüngeren Generation als
angeblich unbelehrbarer Patriarch und
Befürworter von Kolonialallüren in
Verruf geraten ist. In Wirklichkeit hat
er dies vermittelten mir
Gespräche mit ihm lange vor uns
mehr über Afrikaner gewußt als alle
seine Kritiker. Er war demütig genug,
seine afrikanischen Patienten nach den
Gegebenheiten zu behandeln, die ihnen
wichtig waren, um bestmöglich gesund
werden zu können. Wenn die Einheimischen
mit ihren Einbäumen und Kranken den
Ogowe-Fluß herunter oder
heraufkamen, hatten sie sogar einige
Hühner und ihre Ziege bei sich, damit
sie daheim im Wald nicht vom Leoparden
geholt würden. Albert Schweitzer ließ
sie mitsamt ihrem Getier ihr
Familienleben um den Kranken herum
fortsetzen. Der Schmutz, der dabei
entstand, wurde entfernt. Jede Familie
bekochte ihren Kranken selbst. Das Spital
lieferte die Lebensmittel für alle, auch
für die Gesunden, kostenlos. Dafür
erwartete Albert Schweitzer von den
gesunden und starken Angehörigen
Hilfeleistungen: Die Frauen wuschen
Kranken- und Spitalwäsche, die Männer
halfen beim Bau von immer neuen
Krankengebäuden aus Holz, aber auf
Stelzen wegen gelegentlichen Hochwassers
und als Schutz vor Schlangen.
Es mußte immer weiter gebaut werden, bis
zum Tode Albert Schweitzers und darüber
hinaus, da der Zustrom der Kranken von
Jahr zu Jahr zunahm, obgleich
mittlerweile auf der anderen Seite des
Flusses, im Städtchen Lamabaréné, ein
hübsches, modernes, europäisches Spital
entstanden war, mit festen und begrenzten
Besuchszeiten. Aufgesucht wurde es
deshalb fast nur von Bewohnern aus dem
Ort. Alle Gabonesen, die aus den Weiten
des Urwaldes kamen, zogen mit ihren
Familien das Spitaldorf Albert
Schweitzers vor. Wenn in seinem Spital
die Angehörigen bei den Arbeiten halfen,
so war das gewiß keine Fronarbeit,
sondern eine bescheidene Gegenleistung
für Gratisbehandlung und freie
Ernährung und im Laufe der Zeit
eine unermeßliche Hilfe für viele
tausend Afrikaner. Und so sahen es auch
die Afrikaner selbst.
SCHÜLER 1:
Das haben wir jetzt
verstanden, Herr Staewen, vielen Dank!
Wirklich verstanden? Oder
ist das nur so eine Reaktion wie bei
Erwachsenen, die mit Afrikanern zu tun
bekommen, zum Beispiel in der
Entwicklungsarbeit? Bevor ich wieder
verschwinde, möchte ich euch erzählen,
was ich über Kinder in Afrika lernte.
45
1963, mitten in
den Mandarabergen Nordkameruns, hatte ich
gegen Abend in der Sohle eines Tales,
dessen Hänge von großen Geröllhalden
gebildet wurden, Halt gemacht und unser
Zelt aufgebaut. In der Ferne, über den
Rand des Tales hiauslugend, sahen wir die
Spitzen von Hüttendächern eines
Kiri-Dorfes gegen den noch hellen Himmel.
Bei den Kirdi handelt es sich um eine
Gruppe ringsum verachteter Stämme von
Nacktgehern, angeblich ganz
unzivilisierten Primitiven, deren man
sich höchstens bedient, zum Beispiel in
Oudjidji, um einem nicht endenden Strom
von in Autobussen gepferchten Touristen
die wippenden Brüste einer Schar
ausgesuchter, halbnckter junger Mädchen
bei einem lustlosen, täglich x-mal
wiederholten Tanz vorzuführen. Wir waren
damals aber in einem anderen Bereich, und
es kamen auch nur ein paar fröhliche
Jungen die Geröllhalde herabgeturnt und
setzten sich sehr höflich im Abstand von
mehr als fünf Metern nieder, um all' die
für sie fabelhaften Geräte zu
bestaunen, die wir aus dem Landrover
holten. Unter ihnen waren zwei oder drei
Jungen mit kleinen tropischen Geschwüren
an den Beinen, die wir behandelten und
verbanden. Als die Nacht sich senkte,
verzogen sich die Kinder rasch nach
Hause. Nachts ist kein Afrikaner gerne
unterwegs, denn da geistern, nach seinem
Glauben, zu viele unsichtbare, womöglich
sehr gefährliche Wesen umher. Anders als
zum Beispiel in Italien konnte man in
Afrika, jedenfalls in den sechziger
Jahren, unbesorgt im Zelt schlafen, ohne
daß sich jemand heranschlich, mit einem
Rasiermesser den unteren Zeltrand
zerschnitt und das Gepäck stahl. Diesmal
aber wurden wir mitten in der Nacht von
merkwürdigen tapsenden Geräuschen
geweckt, die sich dem Zelt näherten. Das
hat man dann doch nicht so gern, also
sauste ich aus dem Zelt heraus ... und
tief in der Nacht stolperte im Lichtkegel
meiner Taschenlampe ein vielleicht
zehnjähriger Junge heran, der auf dem
Rücken ein etwa achtjähriges Mädchen,
seine Schwester wohl, über das Geröll
hinweg keuchend zu uns schleppte. Das
Mädchen hatte am Unterschenkel ein sehr
großes, tiefes tropisches Geschwür und
konnte nicht laufen. Wir konnten es in
aller Frühe ordnungsgemäß behandeln,
verbinden, das Kind zu sich nach Hause
bringen und noch Verbandsmaterial und
Sulfonamidpulver dalassen. Weshalb ich
die Geschichte hier erzähle: Da hatte
dieser kleine Junge, ein angeblich
Wilder, um die Weißen dort unten im Tal
nur ja noch zu erreichen, ehe sie
weiterfuhren, in tiefer Nacht mit seiner
Schwester auf dem Rücken die schwere
Klettertour über eine Geröllhalde
hinweg auf sich genommen, mitten durch
den Tanz böser Geister hindurch, an die
er glaubte. Wer von uns hätte es, im
gleichen Alter, diesem zehnjährigen Kind
gleichgetan? Das ist Afrika eben auch. So
sieht die Kraft aus, die die Sippe ihrem
einzelnen Mitglied geben kann: Um eines
anderen willen mitten durch eine Nacht
voller Ängste hindurchzugehen.
Ich bin mir sicher, ihr werdet das
verstehen lernen, so wie ich als ich
älter wurde ... obwohl, das war im
wirklichen Leben. Aber bitte, macht
weiter in diesem virtuellen.
SCHÜLER 2:
Herzlich
willkommen in der AG
Journalismus! Jeden Mittwoch in
der siebten und achten Stunde
treffen wir Schülerinnen und
Schüler der Stufen 10 bis 13 uns
in Raum 112 und haben nichts
anderes im Sinn als das Schreiben
...
Hier kann jeder mitmachen, der
gerne wissen und ausprobieren
möchte, was es auf sich hat mit
bestellten Texten, automatischem
Schreiben, Radio-, Riech-, Hör-
und Klopftexten, Problemfällen,
Zettellawinen, Phantasiereisen
... |
... für unsere Gäste
aus dem afrikanischen TAZARA-Express
haben wir uns gerne auf eine
Phantasiereise eingelassen, und als
ARBEITSGEMEINSCHAFT NOBLE
FRIEDENSPREISE haben wir unter
anderem herausgefunden, daß Albert
Schweitzer vierundvierzig Jahre alt war,
als seine nationale Zugehörigkeit in
einem Eisenbahnwaggon entschieden wurde
...
REGIE!
REPLAY bitte!
... Eine triste Waldlandschaft mit
laublosen Bäumen. Ein Schienenstrang
führt in die Mitte des Bildes. Weit im
Hintergrund treffen sich zwei Züge.
Vom linken sieht man das Ende, offenbar
geparkt in einer langen Linkskurve des
Gleises, vom rechten sehen wir den Kopf
mit einer Dampflokomotive; er muss kurz
vor einer Weiche gestoppt haben, die auf
das Hauptgleis führt ...
Was wir tatsächlich sehen, ist eine
Weichenstellung der Weltgeschichte ...
Wir sehen den Rahmen, in dem im Wald von
Compiègne am 11. November 1918 der
Waffenstillstand geschlossen wurde, der
den Ersten Weltkrieg beendete ...
SCHÜLER 1:
... Seine elsässische Heimat war 1918
als Folge des Ersten Weltkrieges vom
Deutschen Reich getrennt und von
Frankreich annektiert worden. Damit
erhielt er die französische
Staatsangehörigkeit. Er selbst
bezeichnete sich jedoch gern als
Elsässer und Weltbürger,
das Deutsche und das Französische
beherrschte er gleichermassen gut.
Die kritische Auseinandersetzung mit der
gerade in Frankreich populär gewordenen
Existenzphilosophie beschäftigte Albert
Schweitzer noch in seinen letzten
Lebensjahren, wohl auch, weil ihn mit
Frankreich Jean-Paul Sartre verband, der
war Sohn seiner Cousine Anne-Marie ...
Halt!
Den hatten wir doch schon mal! ...
Wo ist Genosse Trotzki? Etwa im Zug
geblieben?
Hatte er nicht von diesem französischen
Philosophen einen Rat erhalten?
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