tazara tazara tazara ...
Bin ich der da?
Wer da?
Der da!
Oder die da? ...
tazara tazara tazara ...
... plötzlich kein eintöniges Dröhnen
mehr ... stattdessen:
tazara tazara tazara ...
... wie beim Rollen über eine Brücke!
Auf Brücken scheppert es immer, da haben
wir ja nicht geschweisst, Brücken
gehörten nie zum Programm ...
... Doch keine Brücke ist so lang! ...
Ergo: wir sind über den Punkt hinweg,
bis zu dem das Geld gereicht hat
keine rüttelfreien Schweissnähte mehr,
die Schienen weiter Stück für Stück
scheppernd auf Betonschwellen, wie vor
dreissig Jahren, jede einzelne versehen
mit einem chinesischen Schriftzug,
verlegt von fünfundwanzigtausend
chinesischen und fünfzigtausend
afrikanischen Arbeitern, durch Täler und
Tunnel, über Flüsse und Schluchten
Ostafrikas ... dreihundertzehntausend
Tonnen stählerne Schienen,
dreihundertzwanzig Brücken,
dreiundzwanzig Tunnel,
einhundertsiebenunvierzig
Eisenbahnstationen ...
The Great Uhuru Railway
Die Grosse
Freiheitsbahn ...
tazara tazara tazara ...
... eintausendachthundertundsechzig
Kilometer, zwei Nächte und fast drei
Tage wenn der Fahrplan eingehalten
wird ...
tazara tazara tazara ...
... das heisst, wir sind der Grenze um
mindestens sechshundert Kilometer näher
... auch der Antwort? Oder entferne ich
mich von ihr?
Bin ich der da?
Wer da?
Der da!
Oder die da? ...
Das muss geklärt werden, das ist doch
immer geklärt, wenn einer zu erzählen
beginnt, oder eine sonst muss man
gar nicht erst anfangen. Wer erzählt
das? Das will der doch wissen, oder die
da ...
tazara tazara tazara ...
Aber wenn es nicht einmal der oder die
weiss, der oder die was erzählen
will? Und ich weiss doch nicht, wer von
allen hier ich bin ... hat von denen
schon jemand begonnen, das hier zu
erzählen? Oder bin ich es? ...
Bin ich die, die ich bisher nur gehört
habe, aber noch nicht gesehen, die im
anderen Abteil.
... Stimmt nicht, ihre Hände habe ich
gesehen und ihre Arme, als sie einen Sack
voll mit Mangos hereinhob vom Kopf der
Frau unten am Ende des Bahnsteigs, als
der Zug schon langsam losrollte, und ihre
herabreichende, manikürte Hand in die
hochgestreckte, rissige Hand ein
Röllchen Geldscheine schob.
Aber vor allem ihre Stimme habe ich
gehört, und die Stimmen der anderen
Frauen im Nachbarabteil ... in einem
Abteil nur für Frauen ...
Wer hat das eigentlich eingeführt
Geschlechtertrennung im Zug ... die
Chinesen vielleicht? Wie diesen
Heisswasserhahn am Ende von jedem Waggon
der Ersten Klasse wofür
eigentlich? Für ihre Thermoskannen
wahrscheinlich für frischen Tee
Selbstbedienung!
Ganz anders als unsere Männer, damals
wie heute! Haben sich schon immer lieber
bedienen lassen, von Frauen, am liebsten
wenn diese vor ihnen auf Knien rutschen.
FRAUEN TRAGEN DIE HÄLFTE DES HIMMELS
Ha, Mao, alter Schlawiner ... soweit geht
die Freundschaft nicht!
... Wenn ich aber der wäre, der da neben
der Schiebetür zum Gang, der aussieht
wie einer nicht von hier eher gelb
ist der, kein Afrikaner! Hat der damals
mitgeschufet? Zu jung dafür! Höchstens
vierzig, schätze ich! Da wär er
zehn gewesen, vor dreissig Jahren ...
eher Resultat von Völkerverständigung
links und rechts des grossen
Streckenbaus, der da an der Schiebetür
... vielleicht ist er doch von hier? ...
Was heisst denn hier? Das
hier rollt doch! Von hier
nach dort von dort nach hier! Für
einen, der erzählen wollte es war
einmal ein Zug, mag er sogar nur
von dort nach
dort rollen, irgendein Zug
voller Geschichten nach nirgendwo ...
... Und wenn ich alles loslasse und
hochspringe, rollt es dann unter mir weg,
das hier? Ohne mich? Für
einen Moment wenigstens?
Er sieht immer her, wenn er glaubt, ich
merk es nicht, der da am Fenster
weisser Dünkel. Das Auto, das ihn
brachte, war von irgendwoher bis auf den
Bahnsteig gerollt, direkt zum Einstieg.
Hat nicht im überfüllten Bahnhofssaal
warten müssen, hat gewusst, wann es
wirklich losgeht um sechs Stunden
verspätet.
Und der andere, der sich oben
eingerichtet hat, die Decke überm
Kinn, Pantoffeln an den Füssen, die
Lackschuhe neben der Plastiktüte. Die
hat geklirrt, als er sie oben neben
seinem Koffer deponierte, Bierflaschen.
Der kennt sich aus, fährt nicht zum
ersten Mal mit der weiss, daß sie
das Bier im Speisewagen mit Eisblöcken
kühlen, die schon bei der Abfahrt in
einem Metallkasten schmelzen, nach
hundert Kilometern ist das Bier warm
wenns überhaupt noch
welches gibt! Der hat sich versorgt, aber
kalt kann ers alleine nicht alle
kriegen ... ich trinke kein Bier, nie!
Woher soll er das aber wissen? Angeboten
hat er keins!
Was suchen die beiden Touristen hier?
Platzreservierungen werden doch
kontrolliert ... Ach der
Pferdeschwanz gehört ja einem Mann!
Platz für ein Pärchen? Das können die
vergessen! Hier kommen nur Frauen rein!
Schade eigentlich ...
Nachmittag sollte es sein, Nacht ist es
geworden, sechs Stunden Verspätung!
Dar-es-Salaam hat uns wegschleichen
lassen, aus seinem Verkehrssumpf, aus
seiner brütenden Hitze, aus dem
stickigen Kuppelbau seiner chinesischen
Festhalle, ohne Strom, nur ein paar
Notfunzeln unter der hohen Decke, an den
Wänden die prächtigen
Kristall-Kandelaber aus China
lichtlos ...
Erzählt nun der da?
Wer da?
Der da!
Oder die da? ...
arazat arazat arazat ...
Wenn wir in umgekehrte Richtung führen,
von West nach Ost?
arazat arazat arazat ...
Also in die Morgenröte?
arazat arazat arazat ...
In die Richtung, in der die Chinesen die
Schienen legten ...
arazat arazat arazat ...
aus Solidarität mit Afrika?
arazat arazat arazat ...
... fänden wir nachts am Bahnhof von
Kapiri Mposhi ausreichend starke Lampen,
die Schatten vertreiben und Männern mit
Helmen helfen sollen, über den Schatz
aus Afrikas Boden zu wachen: Schwere,
gefaltete Bleche aus Kupfer,
herangeschafft aus Sambias Gruben und
Schmelzen, gestapelt und bewacht für den
Export von Dar-es-Salaam über das grosse
Meer nach Fernost.
Dafür hatten die Chinesen ihr erstes
grosses Entwicklungsprojekt in Afrika
geplant und gebaut, für jährlich
zweieinhalb Millionen Tonnen Ladung
in beide Richtungen ...
Bloss, daß kurz nach Fertigstellung der
Strecke weltweit die Kupferpreise
verfielen und der Hafen von Dar-es-Salaam
sowieso nie ausgebaut wurde, mehr als
achthunderfünfundsechzigtausend Tonnen
pro Jahr kamen nie auf die Schiene.
Und über das grosse Meer aus Fernost
kommt auf diese Schiene?
Hoffnung auf ein neues Morgenrot
im Osten? Das liegt hinter uns, wir
rollen ja nach Westen ...
tazara tazara tazara ...
... schon daran gewöhnt! Aber die da,
die habens gar nicht bemerkt, ist
ihnen egal, obs scheppert oder
dröhnt. Die vielen Millionen Schillinge
haben sowieso nicht gereicht, alles zu
verschweissen
Nein, nicht tansanische
österreichische Schillinge!
Zehn Jahre später, als die Verträge zur
Rehabilitierung der Schienen endlich
ausgehandelt ... und andere europäische
Partner längst ausgestiegen waren ... da
gab es auch in Österreich keine
Schillinge mehr, stattdessen Euro, und
die reichten mal gerade für ein
Drittel der Strecke ... Interessiert hier
keinen, mich auch nicht mehr ...
Eine Mütze Schlaf schnell noch, kann die
kalte Zugluft nicht ab, später, wenn es
hoch geht in die Berge. Pech, daß wieder
ein muzungu dabei ist
Frischluft-Fanatiker! Schiebt das Fenster
immer wieder hoch bis
Tunnelröhren verbrannten Dieselhauch
ins Abteil spucken.
Mangos im groben Jutesack!
Fingernagellack abgesplittert!
... Und was haben sie an der nächsten
Station? Ich glaube, getrockneten Fisch,
Fisch aus dem Bergsee. Der wird stinken
wenns wärmer wird, später,
wenns runter geht aus den Bergen
... vielleicht kann ich ihn im
Gepäckwagen lassen?
Zwiebeln hab ich schon, Kartoffeln
auch, Tomaten brauche ich noch ... Immer
ein schöner Zuverdienst wenn ich
es schnell loswerde, unterwegs und am
Ende der Reise!
... Kein Signal im cellphone! In Mpika,
beim Betriebswerk der Bahn wirds
vielleicht funktionieren, da hat es
meistens funktioniert, aber das ist erst
die vierte Station nach der Grenze; da
arbeiten ein paar tausend Leute für
Sambias TAZARA-Verwaltung. die warten
schon auf das frische Gemüse aus
Tansania ...
... Aber das Auto muss kommen, sonst
sitz ich mit dem ganzen Zeug da!
Hab ich das eigentlich noch nötig? ...
Krämerseele!
Noch fünf Stationen bis zur Grenzstation
Tunduma ...
... Was wollte der Pferdeschwanz? Geld
tauschen fürs Visum? Muss
meine Dollars zusammenhalten ... hier
Tanzania Shilling, dort Kwacha, und was
noch später? Plastiktüten mit
Mickymaus-Geld! ... Der amerikanische
Dollar ist Eintrittskarte geblieben! Das
Visum gibts nur für greenbacks
heute nacht! Mit Euro wirst du da noch
immer nix ...
... Und mit Pferdeschwanz und
Französisch schon gar nicht ...
... Ah, non! Hätt mich
nicht auf sie verlassen sollen,
hätt mich gar nicht erst mit ihr
einlassen sollen! Aber der wollte das so,
dieser Afrikaner da im portugiesischen
Café in Harare ... oder ob ich mich etwa
mit dem Lord of War anlegen
wolle, der zahle schliesslich seine und
meine Spesen.
Seigneur de Guerre, wollte
ich wissen mit einem
Hollywood-Gespenst anlegen? Und ich
dachte an Nicolas Cage im Kinofilm vor
zwei Jahren.
Nein, mit dem echten Merchant of
Death, sagte er, und bestellte noch
zwei Espresso.
Er will einen Mann im Zug, ne Frau
als Kurier ... und zum richtigen
Zeitpunkt will er selber mitspielen ...
Mitspielen?
Diese Damenuhr macht sich unauffälliger
an ihrem Arm, n'est-ce pas? ...
Aber hier brauchen wir argent
cash! verdammt noch mal!
Bringt die Uhr, aber keine Dollars!
Der hat ihn abblitzen lassen ... und mich
hat er gar nicht erst gefragt ...
Weisse Dünkel, mit und ohne
Pferdeschwanz! ...
... Aber bevor er die Hand von der
Schiebetür nahm, hab ichs gesehen!
Das war ein LANGE & SÖHNE DATOGRAPH,
Handaufzug, in Platin mit Faltschliesse!!
Ganz ohne Zweifel! Schwarzes Zifferblatt
schwarzes Gesicht
sagen Sammler dazu, übergrosse
Datumsanzeige ... dreissigtausend Dollar
mindestens, oder mehr! Zuletzt wo
gesehen? ... Auf der Rennbahn! ... An
schwarzem Krokodilleder-Armband unter
weitem Seidenärmel! Wer sich für
dreissigtausend oder mehr ne
Armbanduhr leistet und einen Stall
voller Rennpferde, der braucht keinen
Schneider aus Hong Kong! ...
Ausser Spesen nichs gewesen! ... Na ja,
lag auf dem Weg ... Dubai ... werd
ich Mr. Moon erklären müssen ...
Aber, der da, mit dem Pferdeschwanz und
den ausgefransten Jeans?
tazara tazara tazara ...
Wer schneller als wir mit dem Zug in
Kapiri Mposhi sein will, hat in
Dar-es-Salaam einen Bus bestiegen.
Gelegentlich kreuzen die TAZARA-Schienen
den TANZAM-Highway, geteert,
zweitausendvierhundert Kilometer lang.
In Sambia heisst die Strasse Great North
Road. Ich weiss, sie ist Zentralachse des
Drogenschmuggels zwischen Ost- und
Südafrika und eine Avenue der
Straßenprostitution. Sambia gehört zu
den Ländern mit der höchsten
HIV-Infektionsrate.
Sie weiss das hoffentlich auch ... an der
ersten Station nach der Grenze soll sie
in einen Bus wechseln.
Und ich? ...
Soll im Zug aufpassen, ob es zu einem
Gipfeltreffen kommt? ... Und dann rufen:
OHNE SPONSOR KEIN
GIPFELTREFFEN?
Als Code für den Merchant of
Death?
Ist der da Viktor? Oder bloss sein
Handlanger?
Ich sollte mehr erfahren über ihn ...
Mr. Moon würde das interessieren ...
Oh nein, wir sind nicht die einzigen an
Bord, die Geschichten erzählen können
...
Ich, der weiss, wie Anzugstoffe und
Armbanduhren zusammenpassen
Ich, der heimliche Kurier
Ich, der mehr weiss über Eisenbahnbau
als jeder andere hier
Ich, der ewige Animateur
Ich, die es nicht nötig hätte, sich die
Maniküre verderben zu lassen
Ich, der Sponsor des ganzen Unternehmens
Oh nein, wir sind nicht die einzigen an
Bord, die Geschichten erzählen können
...
Geschichten huschend wie
Nachtschatten über verstummten Hütten,
flatternd wie Lichtbänder über dunklen
Feldern, an Berghängen hochkriechend,
entlang Schluchten taumelnd,
vorbeischleichend an rostenden Wracks von
Waggons, die aus der Kurve flogen
und an bleichen Schädeln von Elefanten,
Überbleibsel nächtlicher Begegnung auf
der noch warmen Schotterstrecke,
vorüberzuckelnd an Signalmasten aus
Zement, die von Anfang bis Ende den
Strang aus Eisen begleiten. Keiner ist
umgefallen in dreissig Jahren, doch die
Drähte dazwischen sind gekappt ... den
Dieben haben sie hoffentlich zu vollen
Bäuchen verholfen, elektrischen Signalen
stehen sie nicht mehr zur Verfügung!
Die Gedanken sind frei ... Geisterstunde
... bis auf weiteres sind wir abgenabelt
vom Globalen Dorf!
Geschichten ... rüttelnd und wankend wie
Brücken ...
tazara tazara tazara ...
Geschichten ... fauchend und stinkend wie
Tunnel ...
Klick!
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