ratatata ratatata ratatata
...
Klingt gar nicht vertraut!
Haben wir schon wieder die Strecke
gewechselt?
ratatata ratatata ratatata
...
Sie haben es bemerkt, meine
Damen und Herren, der Umbau ist beendet.
Und wir rollen wieder durch Afrika
allerdings nicht auf der originalen
TAZARA-Strecke.
Auf unserer Zeitschiene ist es das Jahr
1891
Schauen Sie dort auf dem
Hügel! Zweirädrige Pferdekutschen sind
gerade dabei, sich auf den Gipfel zu
quälen
13 ... als wir
auf der Kuppe eines kleinen Hügels
ankamen, hielten wir an und warteten auf
Mr. Rhodes und Dr. Jameson. Ich war so
überwältigt von der Schönheit der
Landschaft, daß ich beschloss, das Land
am Fusse dieses Hügels für die Farmen
zu wählen, die Mr. Venter und ich in
Mashonaland aufbauen wollten. Mr. Rhodes
erriet meinen Gedanken, denn als er neben
uns hielt, sagte er, noch bevor ich ein
Wort gesprochen hatte:
Schweigen Sie, De Waal, ich werde
Ihnen sagen, warum Sie angehalten und auf
mich gewartet haben!
Nun warum? fragte ich.
Weil Sie mir mitteilen wollen, daß
Venter und Sie die geeignete Gegend für
Ihre Farm gefunden haben.
So ist es, erwiderte ich,
Sie haben richtig geraten.
Nun, sagte er, ich
sprach mit meinen Freunden im Wagen
gerade über die Grossartigkeit der
Landschaft und sagte zu ihnen, ich sei
sicher, daß Sie hier nicht durchziehen
würden, ohne sich ein Stück davon zu
wünschen.
Mr. Rhodes bat daraufhin Mr. Duncan, den
Verwalter von Mashonaland, der sich bei
uns befand, das Gebiet für zwei Farmen
abzustecken, eine für Mr. Venter und
eine für mich.
Ich zweifle nicht daran, daß der
Grundbesitz in diesem Teil des Landes
sehr wertvoll werden wird, insbesondere
wenn die Eisenbahn zwischen Beira und
Salisbury fährt, was bald der Fall sein
wird.
Will vielleicht jemand wissen,
was die Herren De Waal und Venter für
Herrn Rhodes hatten tun (oder
unterlassen) müssen, um so grosszügig
bedacht zu werden?
20 Nun, die Herren
sassen im Kap-Parlament als für
Premierminister Rhodes nützliche
Vertreter der Bond-Bewegung der
Afrikaaner (Buren).
Herr De Waal, hat natürlich recht
behalten, die Wertsteigerung seiner Farm
fand statt. Er wusste vom geplanten
Beira-Korridor durch Portugiesisch
Ostafrika, von der Verbindung Rhodesiens
zum Meer
auf der wir jetzt
übrigens in umgekehrter Richtung rollen.
Soeben haben wir das Städtchen Rusape
passiert und rollen weiter in Richtung
Harare, wie Salisbury seit der
Unabhängigkeit heisst. Unser
TAZARA-Express fährt anstelle des
täglichen Nachtzuges von Mutare an der
Ostgrenze zu Mosambik (bis zur
Unabhängigkeit hiess die Stadt Umtali)
in die Hauptstadt.
Und mit jedem Kilometer kommt unser Zug
auch auf der Zeitschiene voran.
Achten Sie auf ein kleines ländliches
Hotel, das bald auf der linken Seite zu
sehen sein wird, zwischen ihm und der
Bahnlinie verläuft eine Strasse,
begrenzt von einem Hain alter Gummibäume
Wenn sie auftauchen, haben wir
eine Nacht irgendwann zwischen 1943 und
1944 erreicht und am Hotel von
Mashopi / Macheke wartet unser nächster
VIP.
14 Wir gingen
auf die Veranda hinaus. Auf der anderen
Seite der Strasse standen Gummibäume,
deren Blätter im Mondlicht glänzten.
Ein Zug stand auf den Gleisen und liess
zischend Dampf und Wasser ab. Ted sagte
leise und leidenschaftlich:
Paul, du bist der beste Beweis
dafür, daß man die ganze Oberschicht
abknallen muss, um euch Scheisskerle
loszuwerden.
Ich stimmte ihm auf der Stelle zu ...
Keine Sorge, meine Damen und
Herren, Sie bekommen es nicht mit einer
Terroristin zu tun, sondern mit einer
Frau, deren Werk zunächst mit der
politischen Linken der fünfziger Jahre
verknüpft wurde, dann mit der zweiten
Welle der feministischen Bewegung ab den
Sechzigern, vor allem aber mit
Reflektionen über ihre alte Heimat,
über Afrika.
Wir begrüssen die grosse Dame der
britischen Literatur, Doris Lessing, die
mit ihrem Goldenen Notizbuch
dieses kleine Hotel da draussen
weltberühmt gemacht hat.
Na, na ich habe mich nicht
auf die Beschwernisse einer weiteren Rückkehr
nach Afrika eingelassen, um von
Ihnen Süssholz geraspelt zu bekommen.
Wissen Sie, was da draussen heute
nachmittag passiert ist? Ich hätte das
Hotelchen beinahe nicht wieder erkannt!
Und als jemand in meiner Begleitung dem
jetzigen Besitzer, einem nicht besonders
interessierten schwarzen Krauter,
weismachen wollte, seine Bruchbude sei in
Wirklichkeit der Originalschauplatz eines
Weltbestsellers wissen Sie, was
dem da als erstes einfiel?
Er wollte, daß wir für die schon
geknipsten Fotos zahlten!
13 Wegen des
Zweiten Weltkriegs habe ich so lebhafte
Erinnerungen an Macheke. Heute glaube
ich, daß wir damals verrückt waren,
überall auf der Welt, gleichgültig, ob
wir an den Kämpfen teilnahmen oder
nicht. Vielleicht kann die Welt keine
solche Schlächterei inszenieren, ohne
dabei verrückt zu werden? Ist das ein
tröstlicher Gedanke? Stimmt er? Ist
gegenseitiges Abschlachten ein für die
Menschheit normaler Zustand?
Damals war dieser schreckliche Krieg für
uns selbstverständlich und zweifellos
der Krieg, der alle weiteren Kriege
unmöglich machen würde, eben weil er so
schrecklich war. (Das hatten meine Eltern
vom Ersten Weltkrieg gedacht). Wir
glaubten bedingungslos an eine friedliche
Zukunft der Welt ...
Ich war Mitte zwanzig und Mitglied einer
Gruppe. Damals mussten
Gruppen politisch sein. Per definitionem
hatten wir in allem recht, waren dazu
bestimmt, die Welt und die Menschen zu
verändern, und unsere Gegner waren
entweder fehlgeleitet oder bösartig.
Wir waren alle gerade verliebt oder nicht
verliebt oder wünschten uns, es zu sein;
oder wünschten, sie oder er wäre in uns
verliebt, oder wir waren unglücklich
verliebt gewesen, was zu einer
bedauernswerten Heirat geführt hatte
(aber zum Glück waren Scheidungen ja so
einfach), und weil viele Mitglieder der
Gruppe Piloten in der Ausbildung waren,
wurden sie in weit entfernte,
gefährliche Gebiete geschickt, wo sie
getötet werden konnten, und viele auch
tatsächlich getötet wurden.
Trennungen waren an der Tagesordnung und
schmerzhaft, wir ertrugen sie, weil wir
ständig gehobener Stimmung waren und
zuviel tranken. Alkohol, Sex und Politik:
Endemische Rauschzustände hatten von uns
Besitz ergriffen. Erschöpft vom Leben in
Salisbury, der grossen Stadt, fuhren wir
an den Wochenenden nach Macheke, nicht
jedes Wochenende, aber oft, ganze Gruppen
von uns, im eigenen oder geliehenen Wagen
...
Ich erinnere mich an vieles, was ich in
Macheke empfunden habe. Warum sind die
Eindrücke aus jener Zeit so stark?
Schliesslich dauerte der Krieg viele
Jahre, und ich lebte an verschiedenen
Orten mit unterschiedlichen Menschen. Ich
selbst war ein anderer Mensch. Zwischen
der effizienten Hausfrau während meiner
ersten Ehe und der vergnügungssüchtigen
Revolutionärin von 1943,
44 und 45 scheint kaum eine
Verbindung zu bestehen. Noch weniger
jedoch zwischen diesen beiden und der
jungen Frau noch immer ständig
von einer Menge wechselnder Menschen aus
aller Welt umgeben , die die
Gewohnheit entwickelte, allein zu sein,
wann immer möglich zu schreiben, die
zunehmend eigene Gedanken dachte,
zunehmend selbstkritisch wurde. Und doch
wissen wir, worin die Verbindung besteht:
Es ist die Empfindung des eigenen Selbst,
die immer gleich bleibt was
tröstlich ist und Kraft gibt, egal, ob
man zweieinhalb, zwanzig oder
neunundsechzig ist. Diese Empfindung ist
die gleiche im Körper eines kleinen
Kindes, eines jungen Mädchens und einer
alten Frau ...
Mrs. Lessing, Sie wissen, daß
auf dieser rollenden Bühne jedes
gesprochene Wort aufgezeichnet wird.
Dafür werden alle möglichen Quellen
ausgeschöpft, die Zitate fliegen uns nur
so um die Ohren. Jemand scheint zum
Beispiel sehr gründlich Ihre Bücher
analysiert zu haben ...
... Im Internet fanden wir sogar
eine umfangreiche Arbeit von Huihua Li,
einer Dozentin am Institut für
ausländische Sprachen im chinesischen
Zhejiang, mit dem Titel The
Function of Dreams and Film Sequences in
Doris Lessings The Golden
Notebook
14 Ich sage
diesen Studenten, die ein, zwei Jahre
damit zugebracht haben, Abschlussarbeiten
über ein einziges Buch zu schreiben:
Es gibt nur eine Art, Bücher zu
lesen, nämlich die, in Bibliotheken und
Buchhandlungen zu stöbern, Bücher
mitzunehmen, die einen interessieren, und
nur die zu lesen und sie wegzulegen, wenn
sie einen langweilen, oder die Längen zu
überspringen und niemals, niemals
etwas zu lesen, weil man glaubt, man
müsste, oder weil es zu einer Richtung
oder zu einer Bewegung gehört ...
Denk daran, daß auf alle Bücher, die
uns im Druck vorliegen, ebenso viele
kommen, die niemals in den Druck gekommen
sind, niemals geschrieben wurden
selbst jetzt, in diesem Zeitalter der
zwanghaften Berufung auf das geschriebene
Wort, werden Geschichte und sogar
Sozialkunde mit Hilfe von Erzählungen
gelehrt, und die Leute, die darauf
abgerichtet sind, nur in den Kategorien
dessen zu denken, was geschrieben ist
und leider können fast sämtliche
Produkte unseres Erziehungssystems nichts
weiter als das , sehen das nicht,
was vor ihren Augen liegt.
Die wirkliche Geschichte Afrikas zum
Beispiel befindet sich noch in der Obhut
schwarzer Märchenerzähler und Zauberer,
schwarzer Historiker und Medizinmänner:
Es ist eine verbale Geschichte, die noch
in sicherem Gewahrsam vor dem weissen
Mann und seinen Plünderungen gehalten
wird.
Wenn du deinen Geist offenhältst, wirst
du überall die Wahrheit in Wörtern
finden, die nicht niedergeschrieben sind.
Also lass niemals die gedruckte Seite
Herr über dich werden.
Sie bringen unseren Spielleiter
in Verlegenheit, Mrs. Lessing, er hält
sehr viel vom aufgeschriebenen Wort. Und
manchmal haben wir den Eindruck, er will
selber ein Buch schreiben, weiss aber
noch nicht, ob es ein Roman oder ein
Sachbuch werden wird.
14 Wir lesen,
um herauszufinden, was los ist. Unter
fünfhundert oder tausend Romanen ist
höchstens einer, der die Qualität hat,
durch die ein Roman erst zum Roman wird
die Qualität der Philosophie. Ich
merkte, daß ich mit derselben Art von
Neugierde, mit der ich die meisten Romane
las, einen Reportageband las.
Die meisten Romane sind, wenn sie
überhaupt Erfolg haben, insofern
originell, als sie über die Existenz
eines Gesellschaftsbereichs oder eines
Personentyps berichten, der bis dahin
noch nicht ins allgemeine literarische
Bewusstsein gedrungen war. Der Roman ist
eine Funktion der zersplitterten
Gesellschaft, des zersplitterten
Bewusstseins geworden. Die Menschen sind
so gespalten, sie werden immer
gespaltener, und innerhalb ihrer selbst
nochmal aufgespalten, ein Spiegelbild der
Welt, daß sie, ohne es zu wissen,
verzweifelt nach Informationen über
andere Gruppen innerhalb ihres eigenen
Lebens greifen, von den Gruppen in
anderen Ländern erst gar nicht zu reden.
Es ist ein blindes Herauslangen nach der
eigenen Ganzheit, und der Tatsachenroman
fungiert als ein Hilfsmittel dabei.
Mrs. Lessing, gleich erreicht
unser Zug die kleine Stadt Marondera und
auf der Zeitschiene das Jahr 1982. In
diesem Jahr kehrten sie zum ersten Mal in
ihre alte Heimat zurück, in der das
Städtchen Marondellas hiess
Sie trafen hier ihren Bruder
13 Seit dem
letzten Treffen 1956 hatten wir uns ...
fast dreissig Jahre nicht mehr gesehen,
hielten aber Kontakt, indem wir in
grossen Abständen Briefe schrieben, die
hauptsächlich Fakten mitteilten.
Manchmal schrieb er in seinem
väterlichen Stil allerdings auch
Polemiken wie folgende:
Wenn Kommunisten wie du und McCleod
(ein Tory-Minister!) glauben, daß sie
ungeschoren davonkommen, dann muss ich
dir leider sagen, das unsere Affs
vernünftige Leute sind und wissen, auf
welcher Seite ihr Brot gebuttert
ist.
Das war nur zwei Monate vor Ende des
Bürgerkrieges und der Wahl Robert
Mugabes.
Von seinem Standpunkt aus war meine
schiere Existenz schon eine Peinlichkeit,
und es muss ihn ziemliche Überwindung
gekostet haben, mir überhaupt zu
schreiben. Schliesslich hatten die
Kreise, denen er angehörte, nicht viel
Gutes über mich zu sagen (um es milde
auszudrücken). Und auch mir fiel es
schwer, ihm zu schreiben.
Dann tauchten Leute bei ihm auf, die den
Bruder der Schriftstellerin interviewen
wollten, und so erfuhr er, daß es
Menschen gab, die mich schätzten ...
Meine Eltern hatten sich für moderne,
aufgeschlossene Menschen gehalten und
sich stets über neue Ideen und
Schriftsteller informiert. Die Bücher
auf der Farm alles Klassiker
spiegelten nur einen Teil davon
wider. Meine Mutter hatte
fortschrittliche Ideen in
Erziehungsfragen und bewunderte Ruskin
und Montessori. Es war durchaus möglich,
daß mein Vater, wenn es einmal zum
Streit kam, Shaw und Wells zitierte. Die
Schläge, die sie auf der Farm
einzustecken hatten, schürften diese
Schicht Kultur jedoch ab. In den
dreissiger Jahren kamen nur noch
Zeitungen aus England sowie Stephen King
Halls Newsletter. Die Politik
nahm jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit in
Anspruch. Der erste Weltkrieg und seine
Folgen quälten sie und machten sie
wütend, weil in England nichts mehr
funktionierte und sie alles, woran sie
glaubten, verraten sahen. Die Bücher in
den Regalen las niemand mehr ausser mir.
In den Buchclubs, in denen sie Mitglied
waren, bestellten sie nur noch Memoiren
und Bücher über den Krieg.
Als Kind hat mein Bruder nicht gelesen,
und später hat er sein Leben unter
Menschen verbracht, die ebenfalls nicht
lasen. Was zum Teil daran lag, daß in
manchen Büchern neue Ideen entwickelt
wurden, und für die meisten Weissen im
südrhodesischen Lager war es
unvorstellbar, Gedanken in Betracht zu
ziehen, die ihr Selbstbild als edle, aber
missverstandene Verteidiger der
Zivilisation hätten in Frage stellen
können. Später ging mein Bruder dann
dazu über, die Gewalt verherrlichenden,
halbpornographischen Bücher zu lesen,
die man in Flughäfen kaufen kann. Er
erzählte mir, daß er überrascht
gewesen sei, dort so viele Bücher
vorzufinden. Er mochte Harold Robbins und
besonders Wilbur Smith. Weil ich
Schwierigkeiten hatte, ihn diesbezüglich
in der Nachfolge meiner Eltern zu sehen,
fragte ich ihn, als er mich später in
London besuchte: Harry, warum liest
du nicht mal ein gutes Buch? Aber
er blickte nur verwirrt zu mir auf
wirklich verwirrt , denn er hatte
die Frage nicht verstanden. Ein
gutes Buch? Was meinst du damit?
...
Sie bringen unseren Spielleiter
schon wieder in Verlegenheit, Mrs.
Lessing, er hatte von Ihnen ausgerechnet
auf Wilbur Smith überleiten wollen
Oh, ich verstehe durchaus! Was
glauben Sie denn, woher ich weiss, daß
das, was der schreibt, öfter Gewalt
verherrlichend und halbpornographisch
ist? Denken Sie, ich kaufe mir am
Flughafen meine eigenen Bücher?
Hätten wir das gewusst, wir
hätten Ihnen eine Begegnung mit Ihrem
Schriftsteller-Kollegen auf unserer
rollenden Bühne nicht vorenthalten
Wohl ist er kein Anwärter auf den
Nobel-Preis, aber Mangel an Popularität
kann nicht der Grund sein, und auch nicht
Mangel an akribischer Recherche ...
1933 in Zentralafrika geboren, Absolvent
der Rhodes Universität in Grahamstown,
seit 1964 Viel- und Vollzeitschreiber,
übersetzt in sechsundzwanzig Sprachen
Am fleissigen Wilbur Smith kommt
niemand vorbei, der durch Afrika reist
... Und weil ich ja hier offenbar unter
Eisenbahn-Fans bin, ahne ich, an welche
seiner über dreissig Novellen Ihr
Spielleiter gedacht haben mag.
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