Weisst
du, was ein BLOG ist, Dag?
Gab es noch nicht zu deiner Zeit ...
Ein BLOG besteht aus vielen Worten, die
jeder, der es will, jeden Tag jedem, der
es will, mitteilt digitale
Chiffren auf flickernden Bildschirmen,
ein individuelles Tagebuch, zugänglich
im WWW, im WeltWeitenWeb, ein Logbuch
für private Gedanken über öffentliche
Ereignisse, oft bizarr, manchmal
propagandistisch
2
Du fragst, ob diese Aufzeichnungen nicht
letztlich ein Betrug an dem Lebensweg
sind, den du dir vorgeschrieben? Diese
Aufzeichnungen ? ...
Ach
ja, Dag, dein Tagebuch, handgeschrieben,
wie wir vermuten, als Teil deines Erbes
einem Freund überlassen ...
2
Als der es
unter dem Titel Vägmärken
in Stockholm erscheinen liess, erlebte
das Buch einen sensationellen Erfolg,
obwohl es eigentlich alle Erwartungen
hätte enttäuschen müssen. Nichts darin
von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft,
jener Welt, in der du als Abkömmling
einer alten Adelsfamilie des Landes, zu
Hause warst.
Für viele war es veblüffend, in dem
kühlen, verschlossenen Politiker einem
religiösen Denker, einem Mann der
Meditation und des Gebets, einem
christlichen Staatsmann,
einem Dichter zu begegnen
2
... Sie waren Wegzeichen, aufgerichtet,
als du an einen Punkt kamst, wo du sie
brauchtest, einen festen Punkt, der nicht
verlorengehen durfte. Und das sind sie
geblieben. Aber dein Leben hat sich
verändert, und du rechnest nun mit
möglichen Lesern. Vielleicht wünschst
du sie dir sogar! Für manchen könnte es
doch von Bedeutung sein, einen
Schicksalsweg zu verfolgen, über den der
Lebende nicht sprechen mochte. Ja, aber
nur wenn deine Worte aufrichtig sind,
jenseits von Eitelkeit und
Selbstbespiegelung.
Nun,
die BLOGS des
Internet-Zeitalters sind eher
geschwätzig auf jeden Fall
unzensiert. Insofern bilden sie
gelegentlich doch ein Korrektiv zu
digitalen Manipulationen spezialisierter
Handlanger altersloser Nutzniesser von
Konflikten in der wirklichen Welt ...
Ein solches weBLOG haben wir
jetzt auf dem Bildschirm.
Zum Thema SUDAN waren bei uns bislang
eigentlich nur männliche Schreiberlinge
zu Wort gekommen: Karl May etwa, und
Wilbur Smith. Deshalb freuen wir uns,
jetzt eine Frau begrüssen zu können:
Martina Kausch aus Neunkirchen in
Deutschland
Betreiberin der Web-Debattierecke von
Kausch & Friends.
Daß die Grenzen des
Sudan künstlich
gezogen wurden und nicht aus
Eroberungszügen stammen,
sieht jeder sofort, wenn er oder sie
einen Blick auf die Karte wirft: sie sind
mit einem Lineal gezogen und haben rechte
Winkel. Solche geraden Grenzen sind ein
erster Hinweis dafür, daß fremde Herren
sich mehr oder weniger friedlich mit den
Kolonialherren der Nachbarländer auf
deren Verlauf geeinigt haben. Ein
weiterer Hinweis bietet ein Blick in
jedes Geschichtsbuch, das es wagt, auch
die Geschichte Afrikas näher zu
beleuchten ...
The Scramble for
Africa! Das sagt Ihnen
doch was, Miss, oder? Die
Balgerei um Afrika? Das
Rennen um die saftigsten Scheiben vom
afrikanischen Braten, scharf abgetrennt
mit dem Tranchiermesser. Das war meine
Zeit!
Wenn man eine Linie zieht von Kapstadt
nach Kairo, wie ich es tat, und eine
andere von Dakar in Westafrika ans
Horn von Afrika im Osten, wie es die
Franzosen gerne wollten, dann kreuzen
sich die beiden Linien im östlichen
Sudan, nahe Fashoda.
Eine französische Streitmacht unter
Jean-Baptiste Marchand erreichte das
strategisch wichtige Fort bei Fashoda
kurz vor einer britischen unter Lord
Kitchener. Und so kam es, 1898, zum
berüchtigten Fashoda-Zwischenfall, der
beinahe zum Krieg zwischen Britannien und
Frankreich geführt hätte.
Kitcheners bessere Nerven halfen
grandmamma, aus dem Unentschieden einen
historischen Sieg hinzudrehen, die
Franzosen zogen sich zurück. Im März
1899 einigten sich beide Seiten, die
Nil-Quellen und den Kongo-Fluss als
Grenzen ihrer jeweiligen Einflußsphären
anzuerkennen ...
Grandmamma?
Nun, das war immer mein Name für
die alte Heimat, für Britannien. Manche
dachten, ich meinte damit Queen Viktoria,
die ja auch die Grossmutter
Europas genannt wurde. Durch ihre
neun Kinder war sie mit fast allen
europäischen Fürstenhöfen verwandt,
der deutsche Kaiser war ihr Enkel!
Aber für mich war es eher Britannia
who rules the world.
Ich lebte in einer Glanzepoche mit
höchster politischer Machtentfaltung,
mit wirtschaftlicher Prosperität, mit
imperialistischer Expansion, mit Indien
als Kaisertum! ...
und mit kultureller Verflachung und
viktorianischer Prüderie, Mr. Rhodes,
was wie wir noch sehen werden
sich auf Ihr Erbe auswirken
sollte!
Frau Kausch, machen Sie doch bitte
weiter.
Warum werfe ich jetzt
mein Augenmerk auf den Sudan?
Im Westen des Sudans befindet sich die
Region Darfur, die vor einigen Jahren
(2003) in den Mittelpunkt der medialen
und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit
geriet. Sicherlich erinnern sich jetzt
noch alle an die Bilder, oder etwa nicht?
Im Sudan gibt es eigentlich nicht viel,
außer vielleicht viel Sand und ERDÖL!
Und hier möchte ich nun einfach einen
kleinen Hinweis geben, wie Wirtschaft und
Regierungen miteinander Tasche in Tasche,
Hand in Hand wirken.
(Und wenn Ihr mich im Web besucht, findet
Ihr dort für alle verwendeten Texte die
Quellen-Angaben.)
1977 stieß der texanische Konzern
Chevron (Texaco-Gruppe) bei
Probebohrungen südlich der Nuba-Berge
auf reichhaltige Ölquellen. Daraufhin
legte die sudanesische Regierung die
Grenzen der Bundesstaaten neu fest, die
Ölgebiete sollten unter die Kontrolle
des Nordens gebracht werden. Und die
Regierung begann, Menschen aus den
Ölgebieten zu vertreiben, da sie an
zügiger Förderung interessiert war, um
ihren Devisenbestand zu vergrößern.
Wegen der anhaltenden Kämpfe in diesem
Gebiet verkaufte Chevron 1983
seine Konzessionen an die kanadische
Arakis Oil Corporation, die
seitdem ein Viertel des Konsortiums
hält. Desweiteren sind chinesische
Firmen mit 40 Prozent, malaysische mit 30
Prozent, und sudanesische, regierungsnahe
Firmen an dem Projekt beteiligt.
Außerdem erhielten französische,
österreichische und U.S.-Firmen
Konzessionen für die Öl-Förderung.
Für die im Bau befindliche Pipeline
zwischen den Öl-Gebieten und Port Sudan
hatte auch das deutsche
Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit
(BMZ) 1983 zwei Kredite beigesteuert.
Unter massivem Militärschutz begann 1999
die Produktion durch chinesische,
malaysische, kanadische und schwedische
Firmen. Im Jahr 2000 wurden acht
Millionen Tonnen gefördert. Die
Netto-Einnahmen der Regierung wurden in
diesem Jahr auf dreihundert Millionen
Dollar geschätzt.
Hier unterbreche ich nochmal den
zitierten Text für einen persönlichen
Einwurf: Ihr erinnert Euch noch an die
Bilder aus dem Sudan, die vor wenigen
Jahren über den Äther ausgestrahlt
wurden. Erinnert Ihr Euch noch daran, wie
wohlgenährt und bestens gekleidet die
Kinder aus ihren großen Augen in die
Kameras sahen? Erinnert Ihr Euch noch an
die hervorragend gebauten Häuser und
Zelte, in denen die Bewohner des Landes
lebten? Nein? Ihr erinnert Euch nur an
Hunger und Elend? Nun überlegt, was mit
den ca. dreihundert Millionen U.S.-Dollar
wohl geschehen sein mag ...
Welche Folgen die forcierte
Öl-Förderung für Umwelt und
Zivilbevölkerung haben, ließ die
kanadische Regierung 1999 untersuchen.
Ihre Ergebnisse waren erschreckend:
Intensivierung der Kämpfe im
Fördergebiet, Flucht und Vertreibung der
Zivilbevölkerung, Verschärfung
sklavereiähnlicher Zustände,
Umweltschäden wie zum Beispiel
verbrannte Felder ...
Klar, alle obigen Zitate sind entstellt
und aus dem Zusammenhang gerissen, also
bemühe ich mich einfach mal darum,
herauszufinden, was unsere
Bundesregierung, besser das Auswärtige
Amt, als Grund für die Not in Darfur
angeben.
(Ich lese:)
Traditionell konkurrieren in Darfur
sesshafte afrikanische Stämme, wie zum
Beispiel Fur, Zaghawa und Massalit, mit
arabischstämmigen Nomaden um knappe
Ressourcen. Diese Spannungen konnten
lange Zeit durch tradierte
Konfliktlösungsmechanismen unter
Kontrolle gehalten werden. Durch eine
weitere Verknappung von Weideland und
Wasser (fortschreitende Versteppung und
Trockenperioden) wurde der Konflikt seit
den achtziger Jahren verschärft. Dazu
kommen Arabisierungsbestrebungen der
sudanesischen Regierung. Sie nutzte das
bestehende Konfliktpotential, um eigene
Interessen zu verfolgen.
Die Janjaweed-Milizen begingen unter der
Verantwortung und teilweise in enger
Kooperation mit der sudanesischen
Regierung ungestraft schwerste
Menschenrechtsverletzungen und
Gräueltaten an der Zivilbevölkerung.
Eine durch den Generalsekretär der
Vereinten Nationen eingesetzte
Untersuchungskommission berichtet von
Massenexekutionen,
Massenvergewaltigungen, Vertreibungen
sowie Verhinderung der Rückkehr der
Flüchtlinge durch Abbrennen und
Zerstörung der Dörfer. Die sudanesische
Regierung hat zudem über viele Monate
hinweg humanitäre Hilfslieferungen nach
Darfur massiv behindert oder ganz
unmöglich gemacht.
Der Bericht der Untersuchungskommission
vom Januar 2005 macht deutlich, daß es
bei den Militäraktionen der
sudanesischen Armee weniger um Angriffe
auf Rebellenziele ging, sondern vor allem
um die Terrorisierung der
Zivilbevölkerung.
Doch auch die Rebellenorganisationen
haben sich schwerer
Menschenrechtsverletzungen und
Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Im
Zuge des Darfur-Konflikts sind nach
internationalen Schätzungen mehr als
200.000 Menschen ums Leben gekommen.
(Das alles erfahre ich vom Auswärtigen
Amt im Internet.)
Lest Ihr da irgendwas von Erdöl? Ich
nicht ... ich finde nur Hinweise auf
ethnische Konflikte und Streitigkeiten um
Trinkwasser, böse Rebellen und eine noch
bösere Regierung. Kein Wort dazu weshalb
die Volksstämme tatsächlich vertrieben
wurden, nämlich um in Ruhe endlich an
das Erdöl zu kommen ...
Jetzt bin ich gespannt, wen ich wieder
enttäuscht haben mag nur weil ich
davor warne, sofort jeder
Solidaritätsbekundung zuzustimmen.
Wir müssen unser System, unsere
Ansprüche und unser Leben grundlegend
überdenken! Höchstwahrscheinlich sind
wir noch nicht soweit, uns das selbst
einzugestehen.
Mit jedem Anschlag auf diese Tastatur,
mit jeder CD, die ich brenne, mit jedem
Kilometer, den ich mit dem Auto fahre,
mit jeder Verpackung, die ich aufreiße,
unterstütze ich solche Aktivitäten, wie
oben beschrieben: Zur Herstellung von
Plastik wird nun mal Erdöl benötigt, um
die Zutaten für die Produktion von CDs
zu bekommen, wird nun mal Erdöl
benötigt ...
Ahnt Ihr, worauf ich hinaus will?
Und der angedachte Gedankengang mag Euch
wohl nicht schmecken, gelle?
Danke,
Frau Kausch! Und wir ahnen, wem das alles
bestimmt nicht schmecken mag
gelle, Mr. Rockefeller? Stichwort
Chevron!
1911 war der
Standard Oil Konzern
nach einem Anti-Trust Verfahren vom
Obersten Gerichtshof der U.S.A. in
fünfunddreissig Einzelgesellschaften
zerschlagen worden. Durch überkreuzende
Direktorenposten und Beteiligungen von
Familienmitgliedern sowie befreundeter
Manager und Unternehmer konnten die
Rockefellers ihren Einfluß auf viele
Nachfolgegesellschaften aufrechterhalten,
so auf die Standard Oil of
California (Socal).
SOCAL fusionierte 1926 mit Pacific Oil
und engagierte sich schon Anfang der
dreissiger Jahre im Nahen Osten. Als
erster Konzern fand SOCAL Öl in
Saudi-Arabien. Bis heute hat der Konzern
eine starke Stellung im Nahen Osten.
1961 kaufte SOCAL die Standard Oil
of Kentucky und 1984 schließlich
den großen Konkurrenten GULF OIL.
Gleichzeitig wurde der Firmenname in
CHEVRON geändert. Die
Konsolidierungswelle in der Ölindustrie
fand dann 2001 einen Höhepunkt in der
Fusion von CHEVRON mit TEXACO.
Und
was passierte im Sudan?
1977 bei den Nuba-Bergen Erdöl gefunden?
1983 die Konzession an Kanadier verkauft?
Wegen anhaltender Kämpfe in diesem
Gebiet?
Zwanzig Jahre später sitzen mehrheitlich
Chinesen an Sudans Ölquellen?
Schon wieder ein Management-Fehler von
Room 5600, den es auszubügeln gilt?
|