TUNNEL-UMKEHR!
Und, Mr. Rhodes? Im südafrikanischen
Grahamstown heisst eine bedeutende
Bildungsinstitution unverändert Rhodes
University. Wer durch den Haupteingang
kommt, muss vorbei an einer
Rhodes-Büste!
Sie winken ab?
Wissen Sie
eigentlich, daß im Februar
2002 aus Anlass des hundertjährigen
Jubiläums meines Rhodes Trusts in
Partnerschaft mit der Nelson Mandela
Foundation für zunächst zehn Jahre die
Mandela Rhodes Stiftung
gegründet wurde?
So macht man das!
Und Mandela war höchstselbst dabei, und
Bill Clinton als ehemaliger
Rhodes-Stipendiat kam, und Tony Blair
ich glaube, der war da als
Vertreter des Commonwealth. Und im Geiste
natürlich auch ich, im Geiste des von
mir verkörperten Unternehmertums und der
Erziehung.
Ein Jahr darauf nahm die Stiftung die
Arbeit auf, in meinem Geiste und
natürlich auch im Geiste der
Führerschaft und der Versöhnung wie sie
Mandela verkörpert. Das gemeinsame Ziel:
In Afrika sollen fähige
Führungspersönlichkeiten herangebildet
werden.
Also, mir ist das alles viel zu
einseitig. Bei Ihnen kommen Bankiers und
Industrielle nur als Menschen ohne Moral
vor.
36
Ist Ihnen bekannt, daß Londoner Banken
eine Eisenbahnlinie einzig zu dem Zweck
finanzierten, um den Sklavenhandel in
Afrika zu bekämpfen? Als 1892 der Bau
der Bahnlinie vom Indischen Ozean
Richtung Uganda begann, sollten britische
Truppen damit ein schnelles und
zuverlässiges Transportmittel bei ihrem
Kampf gegen den innerafrikanischen
Sklavenhandel erhalten.
kisumu kisumu kisumu ...
Schon
wieder erweisen Sie sich als
zuverlässiger Stichwortgeber, Mr. Rhodes
...
Schienenwechsel!
Wir rollen vom Indischen Ozean Richtung
Uganda, an Bord keine britischen Truppen,
sondern:
Ein Amerikaner in Afrika
kisumu kisumu kisumu ...
32
Am späten Nachmittag um halb sechs
rumpelte unser Zug nach Kisumu aus dem
alten Bahnhof von Nairobi. Jane hatte
beschlossen, zu Hause zu bleiben, aber
alle anderen waren mitgekommen
Kezia, Zeituni und Auma in einem Abteil,
Roy, Bernard und ich im nächsten.
Während die anderen noch dabei waren,
ihr Gepäck zu verstauen, öffnete ich
das Fenster und schaute hinaus, sah die
weite Kurve, in die sich der Zug legte,
und dachte daran, daß die Eisenbahn die
Kolonisierung Kenias entscheidend
vorangetrieben hatte.
Diese Bahnlinie tausend Kilometer,
von Mombasa am Indischen Ozean bis hinauf
zum Ostufer des Victoria-Sees war
seinerzeit das bedeutendste technische
Projekt in der Geschichte des Empires.
Fünf Jahre dauerte der Bau, und mehrere
hundert indische Arbeiter kamen dabei ums
Leben. Als die Strecke fertig war,
stellten die Briten fest, daß es keine
Passagiere gab, auf die sie die Kosten
ihres Unternehmens hätten abwälzen
können. Also gab man das Land zur
Besiedlung frei, holte Europäer ins
Land, Kaffee und Tee wurden angebaut. Und
natürlich brauchte es einen
Verwaltungsapparat, der bis in das Herz
eines fremden Kontinents reichte, und
Missionen und Kirchen, um die Furcht zu
bannen, die ein unbekanntes Land
auslöste.
Mir kam es wie eine uralte Geschichte
vor. Ich wusste aber, daß das Jahr 1895,
in dem die ersten Gleise verlegt wurden,
auch das Geburtsjahr meines Großvaters
Hussein Onyango war. Und sein Land war
nun unser Reiseziel. Bei diesem Gedanken
wurde die Geschichte der kenianischen
Eisenbahn, die Geschichte dieses Zuges,
für mich wieder lebendig.
Ich versuchte mir vorzustellen, was ein
namenloser britischer Offizier bei der
Jungfernfahrt dieses Zuges empfunden
haben mochte, in seinem Abteil mit
Gasbeleuchtung, beim Blick über die
weite Savanne. Hatte er so etwas wie
Triumph dabei empfunden, daß das
strahlende Licht der europäischen
Zivilisation endlich auch das
afrikanische Dunkel erfasste? Oder hatte
er eine leise Ahnung, daß das ganze
Unternehmen töricht war, daß das Land
und seine Bewohner am Ende gewinnen und
die imperialen Träume verblassen
würden?
Ich versuchte, mir den Afrikaner
vorzustellen, der dieses stählerne,
qualmende Ungetüm beobachtete, das zum
ersten Mal sein Dorf passierte. Hatte er
den Zug mit neidischem Blick verfolgt,
sich vorgestellt, eines Tages in dem
Abteil zu sitzen, in dem der Engländer
saß, endlich erlöst von der Bürde
seines Daseins? Oder schauderte ihn bei
dem Gedanken an Krieg und Zerstörung?
Meine Phantasie gab mir keine Antwort.
Meine Vorstellungskraft versagte. Und so
kehrte ich zurück in die Realität, sah
nun statt der Savanne die endlosen
Dächer von Mathare. Wir kamen an einem
offenen Markt vorbei, wo uns ein paar
Kinder zuwinkten. Ich winkte zurück. Im
selben Moment sagte Kezia hinter mir
etwas auf Luo, und Bernard zupfte an
meinem Hemd. Sie sagt, du sollst
nicht den Kopf zum Fenster hinaushalten.
Diese Jungs werden mit Steinen nach dir
werfen.
Und welcher Amerikaner hätte sich
da fast eine blutige Nase geholt, wenn
ich fragen darf?
Einer,
der sich für eine angelsächsische
Konspiration, wie jener im Irak, keine
hätte holen wollen, glauben wir.
Der Mann heisst Barack Hussein Obama, und
seine Eisenbahnfahrt durch Kenia, das war
ROOTS.
Sie wissen nicht, was das heisst? Wir
erklären Ihnen das, Mr. Rhodes, und noch
ein bisschen mehr:
36
Die Bahnlinie vom
Indischen Ozean Richtung Uganda ist gegen
den Widerstand Londoner Banken finanziert
worden
was hätten sie beim Kampf
gegen den Sklavenhandel in Afrika
verdienen können?
Am Sklavenhandel hatten Briten ja solange
gerne mitverdient, bis ihre Ökonomie
eine Stufe erreicht hatte, auf der es
sich nicht mehr auszahlte, Sklaven und
deren Familien ein Leben lang zu
versorgen. Finanziell machte es mehr
Sinn, nur noch in tatsächliche
Arbeitskraft zu investieren, folgerichtig
wurden Sklaven ersetzt durch
Lohnarbeiter. Das war weniger eine Frage
der Moral, sondern das Ergebnis
buchhalterischer Kalkulation.
In den U.S.A., wohin die meisten Sklaven
aus Afrika verschleppt worden waren,
wurden im Zuge einer ähnlichen
ökonomischen Entwicklung aus schwarzen
Menschen zunächst ebenfalls
Lohnarbeiter, dann Angestellte, dann
Akademiker und schliesslich Politiker.
Viele sagten nun black is
beautiful, und sie nannten sich
Afroamerikaner.
Bei ROOTS handelt es sich um
den nächsten Schritt der Anpassung. Wie
Iren, Deutsche, Italiener oder Polen,
deren Vorfahren nach Amerika kamen, und
die ihre europäischen Stammbäume
ausgraben, wollen nun auch
afroamerikanische Aufsteiger
herausfinden, woher sie stammen. Kuta
Kinte und sein TV-tauglich verfilmtes
Schicksal machte den Anfang.
Und einige stellten fest, daß ihre
Vorfahren nicht als Sklaven nach Amerika
kamen.
Der kenianische Vater des Zugreisenden
Obama zum Beispiel kam als einer der
ersten Studenten aus Afrika an eine
amerikanische Universität ...
Übrigens, wann sponsorte Ihre Stiftung
den ersten schwarzen Studenten, Mr.
Rhodes?
Mr Rhodes? ...
Entschuldigung! Er benutzt wieder
seinen eigenen Zug, und er lässt
ausrichten, er fahre lieber wieder
zurück zu seiner letzten Koordinate:
20°25'?S, 28°28'?E
Worlds View, Matopos
Hills near Bulawayo, Rhodesia.
Da würden ihm Häuptlinge schwarzer
Stämme mit einem königlichen Salut die
wohlverdiente letzte Reverenz
erweisen.
Nachdem
sie sich den donnernden Salut aus weissen
Gewehren verbeten hatten, aus Respekt vor
ihren in den umliegenden Hügeln ruhenden
Vorfahren!
Das finde ich interessant ...
Wissen Sie, mit ihm habe ich nie über so
etwas reden können, über das, was in
schwarzen Köpfen vorgeht, meine ich, das
hat ihn nicht interessiert. Mich schon,
und ich habe natürlich wissen wollen,
was aus seinem Rhodesien unter Führung
schwarzer Köpfe geworden ist.
Inzwischen gab es den einen oder anderen
schwarzen Rhodes-Stipendiaten, ich meine,
die Verwalter seines Nachlasses mussten
natürlich mit der Zeit gehen, nicht
wahr?
Und mindestens einer der Auserwählten
wird sogar bald jener schwarzen Elite
angehören, die jetzt in Simbabwe an der
Macht ist.
Merken Sie sich den
Namen:
Arthur Oliver Mutambara! Professor!
Rhodes-Stipendiat!
Er wird bekannt werden ...
als einer, der nach zwanzig
Jahren profitablen akademischen Lebens im
Ausland einem politischen Ruf aus der
Heimat folgen wird,
als einer, der nach Hause
kommen wird, um dabei zu helfen, die
Opposition gegen Diktator Mugabe zu
spalten,
als einer, der bei der
entscheidenden Wahl als Kandidat für
einen Parlamentssitz selber hoffnungslos
unterliegen wird,
als einer, der es dennoch
schaffen wird, den Stuhl einer
Notregierung zu erklimmen.
Die auf den anderen Stühlen sitzen
werden, haben überwiegend ebenfalls eine
formale Bildung nach britischem Vorbild.
Es ist aber diese herrschende schwarze
Elite, welche die brutale Enteignung und
damit die Vernichtung des
hochtechnisierten
Agro-Industrie-Komplexes in ihrem Land
mit der überfälligen Korrektur
kolonialer Ungerechtigkeit begründet
hat.
In den U.S.A., ebenfalls einer ehemaligen
britischen Kolonie, käme kein schwarzer
Elitärer, nicht einmal ein schwarzer
Autowäscher, auf die Idee, den
technologischen Fortschritt etwa von
General Motors oder von Ford als Ergebnis
kolonialer Vergangenheit zu betrachten
oder gar rückgängig machen zu wollen
...
Wieso wirkt sich Bildungserfahrung
angelsächsischen Ursprungs in schwarzen
Köpfen so unterschiedlich aus?
Und
wer, bitte, sind Sie?
Klick!
|