Einen Tag später, am
18. Juli 1918 ... wurde ein neuer
Königssohn geboren ... am anderen Ende
der Welt ...
...
Wer hat Sie denn eingeladen?
Keine Sorge, sehen Sie mich als
Teil einer jüdischen
Verschwörung in einem
revolutionären Prozess, die Herren
Trotzki und Witte kennen sich da aus ...
Doch spreche ich nicht vom Heiland, nicht
von Kreuzigung!
Nur von einem der Welt verborgen
gebliebenen Auferstehungswunder: Einen
Tag nach der Ermordung der Zaren-Familie
in Russland, am 18. Juli 1908, wurde in
einem Dorf nahe Umtata, der Hauptstadt
der Transkei in Südafrika einer zum
Könighaus Thembu gehörenden Familie ein
Sohn geboren: Rolihlahla Dalibhunga
Mandela ...
Den britischen Namen Nelson erhielt er
zur Einschulung. Als junger Mann
entschied er sich gegen eine Karriere am
Hof und studierte Jura. Während des
Studiums trat er dem African National
Congress bei, baute die
Jugendorganisation auf ...
Und da kam ich ins Spiel ...
Als
einer seiner Jünger?
War der Genosse Trotzki Lenins
Jünger? Nein, ich war wie er
ein Techniker der Revolution!
Ich bin Denis Goldberg,
1933 in Kapstadt geboren, von Beruf
Diplom-Ingenieur. Meine Eltern machten
mir schon früh bewusst, wie ungerecht
das Apartheid-Regimes war. Ich begann,
mich für schwarze Arbeiter zu
engagieren. In den fünfziger Jahren
entstand in Südafrika die
Kongreßbewegung als ein vom ANC
geführtes Bündnis von Organisationen
verschiedener Hautfarben gegen die
Apartheid. Ich wurde einer ihrer
Aktivisten.
Die Kongreßbewegung verabschiedete auf
ihrem ersten und einzigen Volkskongreß
1955 im Soweto-Stadtbezirk Kliptown die
bekannte Freiheitscharta. Als Pretoria
1960 wegen des wachsenden Widerstandes,
der alle südafrikanischen Ethnien
umfaßte, den Notstand über das Land
verhängte, wurde ich verhaftet und vier
Monate lang ohne Gerichtsurteil
eingesperrt.
Mit der Gründung des von Mandela
geleiteten bewaffneten Flügels des ANC,
Umkhonto we Sizwe, übersetzt: Speer der
Nation, im Jahre 1961 wurde ich dessen
Techniker. Ich gehörte dem Oberkommando
an, als ich im Juli 1963 in Rivonia,
einem Vorort von Johannesburg, der
Sicherheitspolizei in die Hände fiel.
Im Prozeß gegen dieses Oberkommando, der
als der Rivonia-Prozeß in die Geschichte
Südafrikas einging, wurde ich 1964 als
Angeklagter Nummer Drei nach Nelson
Mandela und Walter Sisulu zu lebenslanger
Haft verurteilt. Für die Gefangenen, zu
denen auch Govan Mbeki, Ahmed Kathrada,
Raymond Mhlaba, Elias Motsoaledi und
Andrew Mlangeni gehörten, war die
Todesstrafe beantragt worden ...
Als
aufgrund weltweiter Proteste dann doch
nur lebenslänglich
ausgesprochen wurde, rief einer der
Angeklagten: Leben! Zu leben ist
wundervoll! War das Mandela?
Nein, ich rief es meiner Mutter zu,
die die Urteilsverkündung im
Gerichtssaal verfolgte.
Nelson Mandela war sehr, sehr würdevoll,
und er hat als Anwalt unsere
Verteidigungsstrategie mitbestimmt. Er
war sich seiner Führungsrolle sehr
bewusst, betrachtete sich als Anführer
und akzeptierte seine besondere
Verantwortung. Auf die Frage des
Richters: Bekennen Sie sich
schuldig oder nicht schuldig?
antwortete er mit fester Stimme:
Nicht schuldig. Die Regierung
sollte hier vor Gericht stehen. Als
er dann zum Ende seiner berühmten Rede
kam, war seine und unsere Belastung und
Anspannung in seiner Stimme zu hören. Er
sagte, er hätte das Ideal von Menschen,
die in Harmonie zusammen leben und er
hoffe, daß er die Verwirklichung dieses
Ideals erleben werde. Wenn es aber nötig
sei, sei er auch bereit, für dieses
Ideal zu sterben. Würdevoll war er auch
am Ende des Prozesses. Obwohl er klar
gemacht hatte, daß er bei einem
Todesurteil nicht in Berufung gehen
werde, lachte er schließlich, als der
Richter uns alle zu lebenslänglich
verurteilte.
Als einziger Weißer wurde ich zur
Verbüßung der Strafe ins
Zentralgefängnis von Pretoria verbracht,
damals der einzige Hochsicherheitstrakt
für weiße politische Gefangene in
Südafrika. Meine Kameraden wurden auf
die berüchtigte Gefängnisinsel Robben
Island im Atlantik vor Kapstadt
ausgeflogen ...
1982 streckte Pretoria erstmals seine
Fühler zur Sondierung für geheime
Gespräche mit Nelson Mandela aus. Die
Rivonia-Gefangenen wurden von Robben
Island ins Kapstädter
Pollsmore-Gefängnis verlegt.
Ich war der erste, der 1985 nach
zweiundzwanzig Jahren aus der Haft
entlassen und zu meiner Familie ins
Londoner Exil abgeschoben wurde. Nach und
nach kamen auch die anderen
Rivonia-Häftlinge frei. Nelson Mandela
wurde 1990 als letzter entlassen,
vorbereitet auf die Übernahme der
Präsidentschaft in einem neuen
demokratischen Südafrika! ...
Er war ein bemerkenswerter Präsident.
Diese Rolle hatte für ihn bereits mit
seiner Freilassung oder vielleicht sogar
früher begonnen. In seiner Autobiografie
schreibt er, daß er mit der Zeit
begriffen habe, daß in einem neuen,
nichtrassistischen Südafrika auch der
Unterdrücker befreit werden müsse,
...
...
Auch der Unterdrücker befreit werden
müsse?
... ja, auch der Unterdrücker
befreit werden müsse, genauso wie die
Unterdrückten ihre Freiheit begreifen
müssten. Er fasste seine Philosophie
zusammen mit den Worten: Frei zu
sein reicht nicht, um die Ketten
abzuwerfen. Man muss so leben, daß man
die Freiheit der anderen fördert und
verbessert. Er lebte diese
Philosophie ganz bewusst. Damals musste
er ja auch versuchen, eine
Konterrevolution der verbliebenen
Militärs des Apartheidstaates zu
verhindern, die alle ihre Jobs behalten
hatten.
Wie
ging er mit denen um?
Nelson Mandela sprach auf seine Art
mit ihnen, überzeugte noch die
härtesten alten Rassisten, daß sie
einer sicheren Zukunft im neuen
Südafrika entgegen gingen. Er behandelte
diejenigen mit Toleranz, die meinten, er
sei zu nachsichtig mit den alten
Wächtern und Gläubigen der
Apartheid. Mein Respekt war umso größer
als er sich entschied, nur eine Amtszeit,
also fünf Jahre, Präsident zu bleiben.
Er etablierte das Prinzip der steten
Erneuerung, um unsere Demokratie zu
festigen, demokratiefähig zu bleiben.
Ich habe auch nie gehört, daß er sein
Amt eingefordert hätte, das er als Sohn
eines Häuptlings ererbt hatte, eine
traditionelle Autorität also. Seine
Autorität gründet sich auf seine
ureigenen Qualitäten als Führer in
kollektiven Führungsgremien des ANC. Ich
bewunderte auch seinen Respekt gegenüber
dem Verfassungsgericht, als dieses seine
Absicht zurückwies, das Prozedere bei
den nächsten Wahlen etwas zu verändern.
Er wollte die fragilen Institutionen
unseres neuen demokratischen Systems
stützen statt mit seiner
parlamentarischen Mehrheit eine
Entscheidung zu erzwingen.
Seine Präsidentschaft war eine
Übergangsphase, und solche Zeiten sind
immer voller Gefahren. Er hat das Land
erfolgreich zusammengehalten, und das war
die Grundlage für seine Nachfolger beim
weiteren Wiederaufbau unseres
Landes.
Nelson
Mandela ist weltweit einer der
berühmtesten Politiker. Er mag nun zu
gebrechlich sein, um leibhaftig hier zu
erscheinen
aber manchmal erscheint
er geradezu als Heiliger. Kennen Sie den
Menschen dahinter?
Ja, ich kenne den Menschen. Er hat
all die potentiellen Schwächen eines
menschlichen Wesens, vor allem einen Sinn
für seine eigene Unfehlbarkeit. Aber er
war immer willens, der Vernunft und vor
allem der Weisheit Walter Sisulus Gehör
zu schenken, und falls nötig
gnädig nachzugeben. Aber nicht,
was seine Grundprinzipien betraf. Er hat
eine leise Selbstironie und er kann
andere geradezu entzücken: Denken Sie an
einen Staatspräsidenten, der seinen
eigenen kleinen Tanz aufführt; denken
Sie an seine informelle Kleidung. Seine
Bereitschaft zur Vergebung wurde manchmal
von seinen eigenen Anhängern kritisiert;
aber das ist wohl kaum ein größere
Schwäche. Irgendwie hat er es auch
vermieden, zu kritisch gegenüber seinen
Kampfgenossen und ihren Anhängern zu
sein, weil er sich da auf Erzbischof Tutu
als moralisches Gewissen unserer
Gesellschaft verlassen kann.
Vielleicht, aber nur vielleicht, sollte
Nelson Mandela seine moralische
Autorität ein bisschen stärker zur
Geltung bringen. Vielleicht kann man
sagen, daß er sich vor allem dadurch
auszeichnet, daß er anscheinend all der
Lobhudelei widerstanden und nicht erlaubt
hat, daß sie ihn nachteilig
beeinflusst.
Bevor
wir im Geschichtstunnel umkehren und auf
der Zeitschiene aus dem Jahr 2008 wieder
zurückrollen in das Jahr 2007, Herr
Goldberg, möchten sie Nelson Mandela zum
Neunzigsten gratulieren?
Herzlichen Glückwunsch, dear
comrade. Ich hatte das Privileg mit
vielen anderen einige Schritte mit dir
auf dem langen Weg zur Freiheit zu gehen.
Als du noch im Gefängnis warst, sangen
die Leute in London: Rolihlahla
Mandela, show us the way to freedom,
freedom is in your hands, show us the way
to freedom, freedom is in your hands.
Du hast uns gezeigt, wie man
prinzipientreu, entschlossen und vor
allem frei von Vorurteilen und Bitterkeit
und so wirklich frei sein kann.
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