Die meisten Romane
sind, wenn sie überhaupt Erfolg haben,
insofern originell, als sie über die
Existenz eines Gesellschaftsbereichs oder
eines Personentyps berichten, der bis
dahin noch nicht ins allgemeine
literarische Bewusstsein gedrungen
war. Ihre Worte, Mrs. Lessing
Nun, hier hat uns Wilbur Smith einen
Personentyp ins Bewusstsein gerückt, der
zwei ihm bis dahin unbekannte Dinge
kennenlernt, die in seinem
Gesellschaftsbereich Tod und Verderben
bringen: die Eisenbahn und das
Maxim-Maschinengewehr
An Bord unseres garantiert nicht
lebensgefährlichen Eisenbahnzuges
begrüssen wir jetzt:
Sir Hiram Stevens Maxim wir ahnen
schon, wie Sie zu dem Adelstitel kamen
vermutlich nicht dadurch, daß Sie
auch ein paar Patente auf Glühlampen
hielten? ...
Mr. Rockefeller, hier ist noch jemand,
der der Welt das Licht brachte, diesmal
aus der Steckdose.
Sie hatten als
Kutschen- und Instrumentenbauer im
nordamerikanischen Bundesstaat Maine
begonnen und wechselte dann zur Werkstatt
eines Verwandten, der eine Gaslampe
erfunden hatte. Später wurden Sie
Chefingenieur der First Electric Lighting
Company. In dieser Zeit erhielten Sie die
Patente für elektrische Glühlampen.
Warum sind Sie nicht bei den Glühlampen
geblieben, Sir Hiram?
Nun, ich habe auch ein
Haarwellen-Eisen erfunden, eine
Mausefalle, rauchfreies Schiesspulver und
den Schalldämpfer, zunächst für
Waffen, später wurde er für Automobile
angepasst.
Wenn ich dazu kurz eine Anmerkung
machen darf ... ?
Bitte, Mrs. Lessing
Ich habe mal gelesen, daß
alles, was der Mensch erfindet, nur eine
Projektion seiner eigenen Organe ist
...
1877, Ernst Kapp in seinen
Grundlinien einer Philosophie der
Technik. Er behauptete, daß die
technische Entwicklung als Motor der
kulturellen Entwicklung dabei stets nur
das herausstellt, was im Menschen schon
organisch wie geistig angelegt ist. Wenn
es schliesslich materiell als Erfindung
existiert, dann wird diese Erfindung vom
selben Moment an wiederum die geistige
Entwicklung herausfordern und
vorantreiben, und das geht bis zum
Staatswesen als Abbild des menschlichen
Organismus.
Nun, mich hat dabei vor allem
interessiert, daß auch die Entwicklung
des Buches einer zunehmenden Komplexität
der technischen Apparaturen folgte ... in
Südamerika als Knoten von Hand
geknüpft, in Asien gefaltet in
Bambusblattstreifen, in Europa mit Tinte
und Feder auf Pergament geschrieben und
als Foliant gebunden, schliesslich
gedruckt mit beweglichen Lettern.
Was Sie hier veranstalten, die
Verwandlung eines Eisenbahnzuges in eine
rollende Bühne, dann in ein
elektronisches Buch, diese Kombination
aus mobiler Materie und gesprochenem
Wort, aus dem Angebot nachvollziehbarer
Internet-Recherche und aus Formaten von
Fernseh-Talk-Shows, diese Vernetzung
erinnert mich an das Flimmern eines
Nervensystems, das uns reale Freude,
realen Schmerz fühlen lässt, aber in
Träumen auch eine virtuelle Welt
vorgaukelt ...
So würde Ernst Kapp es sehen,
ja ... Er hat auch erkannt, daß ein
Werkzeug das andere erzeugt. So wurde aus
Sir Hirams Schalldämpfer für
Waffen ein Schalldämpfer für das
Abgasrohr von Autos. Heute würde man zum
Beispiel sagen können, das Fernsehen
entstand aus einer Kombination von Funk
und Film. Und so war die Filmkamera eine
Kombination von Fotoapparat und
Maschinengewehr.
Gut beobachtet: der Film wird in
der Kamera durch eine Mechanik
transportiert, die meinem Maschinengewehr
ähnelt, bei dem ja Patronen auf einem
Gurt transportiert werden. Genau wie für
die Belichtung eines Filmbildes muss der
Gurt bei seinem Durchlauf für einen
kurzen Moment zur Zündung der Patrone
angehalten werden. Es war ein schlauer
Einfall, diese Mechanik für die Aufnahme
beweglicher Bilder zu nutzen, leider bin
nicht ich darauf gekommen.
Aber Sie wollten wissen, weshalb ich
nicht bei meinen Glühlampen blieb.
Nun, 1881
besuchte ich eine
Ausstellung zum Thema Elektrizität in
Paris. Dort gab mir jemand den Rat, wenn
man richtig Geld verdienen wolle, müsse
man etwas erfinden, mit dem sich die
Europäer gegenseitig einfacher umbringen
könnten.
Das war rund einhundert Jahre nach der
Idee dieses französischen Arztes, bei
zum Tode Verurteilten den Kopf nicht mehr
mit einem Handbeil vom Rumpf trennen zu
lassen, sondern mit einer Maschine. Wenn
Sie so wollen, sorgte seine Gouillotine
während der Französischen
Revolution für einen ersten Hauch
industrieller Produktionsweise. Aber mein
Ratgeber dachte natürlich nicht an ein
simples Hinrichtungsgerät, sondern an
die maschinelle Massentötung im
Kriegsfall.
Um diese Zeit sah es so aus, als würde
vor allem das britische Kolonial-Amt für
eine solche Erfindung zu begeistern sein,
und ausserdem war da die gemeinsame
englische Sprache. Also zog ich nach
London. Dort, in meiner Werkstatt in
Hatton Garden, präsentierte ich 1885 das
erste Maschinengewehr, bei dem der
Rückstoß eines Schusses genutzt wurde,
um die nächste Patrone zu laden. Mein
Maschinengewehr konnte in der ersten
Version rund fünfhundert Schuss pro
Minute abfeuern und hatte die Feuerkraft
von einhundert normalen Gewehren.
Wenn das Erobern der Welt auf
wirtschaftliche Weise erfolgen sollte,
hatten Sie zusammengebracht, was
zusammengehörte, Sir Hiram: Mit der
Installation des Maschinengewehrs auf der
Eisenbahn wurde diese selber zu einer
Massenvernichtungswaffe.
Übrigens war Ihr Maschinengewehr vor
seinem Einsatz im Sudan nur etwa
neunhundert Eisenbahn-Kilometer von hier
entfernt schon erfolgreich getestet
worden, 1893 durch britische
Kolonialtruppen bei der durch Cecil
Rhodes betriebenen Eroberung des
Matabele-Landes.
Ihr Tipp-Geber in Paris hatte eine gute
Nase. In den nächsten beiden Jahrzehnten
haben Sie ganz schön Kohle gemacht. Für
die Produktion gründeten Sie die Maxim
Gun Company, die sich 1888 mit dem
schwedischen Konkurrenten Nordenfelt
zusammenschloss. Mehr als zwanzig
Nationen rüsteten ihre Streitkräfte mit
Ihren Maschinengewehren aus.
Waren die nicht auch auf Ihrem
gepanzerten Zug montiert, Genosse
Trotzki? Wir meinen, sie auf alten Fotos
erkannt zu haben
Ein paar vielleicht, die wir von
der Weissen Armee erobern konnten, und
die hatten sie wahrscheinlich als
Hilfslieferung direkt von den Amerikanern
oder von den Engländern erhalten.
Für unsere Rote Armee, im Ersten und im
Zweiten Weltkrieg, kam zu spät, was
einer unserer findigsten Köpfe im Jahr
1947 entwickelte, den AK-47. Mit
allen Nachfolgermodellen wurde er die
meist produzierte Waffe weltweit!
Bei uns kommt es jetzt zu einem
Gipfeltreffen der drei erfolgreichsten
Waffenerfinder aller Zeiten ...
Ah, oui! Mein Stichwort:
OHNE SPONSOR KEIN GIPFELTREFFEN
...
Und ohne erfolgreiche Waffenhändler
keine erfolgreichen
Waffenerfinder! Darf ich mitspielen?
... Aber das ist ja mein Afrikaner, n'est-ce
pas? Aus dem portugiesischen Café
in Harare? Hat die ganze Zeit da oben
neben den leeren Bierflaschen unter der
Decke geschlafen oder zumindest so
getan ...
Wir bitten um Aufklärung!
Nun, wenn Sie hier die drei
erfolgreichsten Waffenerfinder aller
Zeiten vorstellen wollen, dann so
meine ich geht das nicht ohne
zumindest einen der erfolgreichsten
Waffenhändler aller Zeiten.
Wie ich schon sagte: Erst die Erfolge von
Waffenhändlern machen Waffenerfinder
erfolgreich mache ich mich
verständlich?
Deren Erfolge oder Ihre Erfolge?
21 Oh, nicht doch.
Der wirkliche Merchant of
Death wird wenn das hier
alles gut geht erst in etwa einem
Jahr dingfest zu machen sein. Und dann
wird es in einem luxuriösen Hotel in
Thailand passieren, nicht in einem
afrikanischen Zug ...
Der TAZARA-Express, und da draussen die
Busse und die Lastwagen auf dem
TANZAM-Highway, sie sind für ihn so
etwas wie rollende Postfächer. Seine
Kunden nutzen sie zur Begleichung ihrer
Aussenstände Kunden, für die
Banküberweisungen nicht infrage kommen.
Und was sind Sie? Eine Art
Postfach-Verwalter?
tazara tazara tazara ...
Bin ich der da?
Wer da?
Der da!
Oder die da? ...
Die Gedanken sind frei ... Geisterstunde
... bis auf weiteres sind wir abgenabelt
vom Globalen Dorf!
tazara tazara tazara ...
Ich bin der, der jeden Vormittag in einem
portugiesischen Café in Harare sitzt ...
Ich lese meine Zeitung ...
Ich trinke meinen Espresso ...
Mais oui! Und manchmal lädt er
einen Vorübergehenden ein, sich zu ihm
zu setzen. Mich hat er zu einem Espresso
eingeladen ...
Ihn und später die junge Frau, die er
gar nicht kannte. Sehen die beiden nicht
aus wie ein Pärchen? Rucksack-Touristen?
So brauche ich sie, genau so ... als
unauffällige Pendler zwischen TAZARA und
TANZAM-Highway, in seinem Auftrag ...
Drogen? Diamanten? Womit dealen
Sie?
Mit Uhren!
Ah der LANGE & SÖHNE
DATOGRAPH am Arm dieses Franzosen mit dem
Pferdeschwanz, Handaufzug, in Platin mit
Faltschliesse! ... Dreissigtausend Dollar
mindestens, hatte ich geschätzt, oder
mehr ...
Uhren Vintage-Uhren
wurden zu meinem Hobby, als ich in
Simbabwe den Polizeidienst quittierte.
Ich war ein erfolgreicher Spezialfahnder,
doch der Apparat liess mich im Stich. Ihn
kann ich nicht reparieren, aber das
Federwerk alter Armbanduhren.
Ich erwerbe sie aus Nachlässen, oder bei
Streifzügen durch Ramschläden im
afrikanischen Hinterland. Oft sind sie
letztes Zeugnis einer weissen
Farmer-Geschichte, mitgebracht aus Europa
nach Afrika am Arm eines Vorfahren,
weitervererbt von Generation zu
Generation, zum Schluss verpfändet
oder durch Farmbesetzer
enteignet.
Nur Fachleute erkennen ihren oft enormen
Wert. Für einen durchschnittlichen
Zollbeamten sehen sie aus wie nun
wie ein vielleicht etwas unmoderner
Gebrauchsgegenstand.
Was ich nach fast vierzig Jahren
Polizeidienst erst unter der
weissen, dann unter der schwarzen
Regierung als Abfindung erhielt,
hätte ich auch gleich stapeln und
anzünden können, der Rauch aus den
Bündeln von Mickymaus-Geld hätte
wenigstens geholfen, Ungeziefer zu
vertreiben.
Mein Uhren-Hobby half mir, erst zu
überleben, dann erneut Ungeziefer zu
jagen jetzt als verdeckter Fahnder
mit internationalen Auftraggebern. Die
wollen anonym bleiben, weil ihnen das
Treiben des Merchant of Death
über viele Jahre durchaus gelegen kam
... Eine Verhaftung würde Schockwellen
auslösen in Regierungskreisen und in
Geschäftsetagen von Washington über
London und Ostend bis Kabul, Bagdad,
Kinshasa, Johannesburg.
Deshalb der Auftrag an mich, den Mann
ständig auf dem Bildschirm zu behalten.
Ein Zugriff wäre so wurde mir
bedeutet nur dann unausweichlich,
wenn es ihm einfallen sollte, vor der
Haustür der Amerikaner eine
Terroristenorganisation mit
Boden-Luft-Raketen zu beliefern. Das mag
ja bald der Fall sein ...
Wenn wir Sie kurz unterbrechen
dürfen, unser Herr Dunkler würde Ihre
Geschichte gern illustrieren ...
|