Er liess die Insel, unterhalb des
ersten Nil-Katarakts und gegenüber von
Assuan, in einen tropischen Garten voller
exotischer Pflanzen verwandeln?
Der Menschenhasser als
Gartenfreund?
Das muss ich notieren ... hier, wo es
nach Russ und nach Altöl riecht.
Das ist für meine Nase.
Für meine Augen hat beides tranigen Film
entwickelt ...
auf verbliebenem Glas im rostigen
Dachsieb ...
hoch über der zugigen Halle ...
in jeder Scherbe schillernde Erinnerung
...
1
1897 hatten wir das Diamanten-Jubiläum
von Königin Viktoria hinter uns
gebracht, mit einem grossen Umzug durch
die Strassen von Johannesburg. Mr. Harry
Clayton hatte auf seinem von Mulis
gezogenen Wagen das Glanzstück der
Parade montiert: das erste Fahrrad mit
pneumatischen Reifen.
Noch mit Hartgummireifen radelte in der
Kindersektion der Parade unser
achtjähriger Sohn. Jemand warf bunte
Papierschlangen über ihn. Sie verfingen
sich in den Rädern, und Harry Filmer
Junior landete auf der Nase. Er war
überzeugt, mit pneumatischen Reifen
wäre das nicht passiert.
Für eine Weile tanzte die goldene Stadt,
trank auf das Wohl der fernen Königin.
Aber hinter dem Horizont zog die Wolke
herauf, grau wie der Staub über den
Minen-Halden eine Wolke,
ausgespuckt vom alten Feind, in Pretoria
auf der Türschwelle hockend, brütend
und rauchend.
Um diese Zeit bildeten wir Uitlanders
dreiundsiebzig Prozent der Bevölkerung
Transvaals, die Buren, auf deren Land wir
sassen, waren zur Minorität geschrumpft.
Hass und Ablehnung zwischen Briten und
Buren machten die Herzen schwer. Es wurde
getuschelt, das Erträgliche habe seine
Grenzen erreicht, der Sturm werde bald
losbrechen.
Meine Frau und ich überlegten, ob wir
unseren Sohn im folgenden Jahr ins
Internat nach Pietermaritzburg schicken
sollten. Doch daheim war von der Unruhe
nichts zu spüren. Das Oval war weit weg
vom Wanderers Club, wo ich Kricket
zu spielen pflegte. Ich hatte mit Tennis
begonnen, nahezu jedes Haus in unserer
Nachbarschaft hatte neuerdings seinen
eigenen Court.
Dann kam der Dezember 1998.
Am Sonntag vor Weihnachten fährt ein
Blitz durch die äussere Ruhe in die
innere, bis dahin gezügelte
Leidenschaft. Der Blitz kommt aus einem
Revolver, abgeschossen von einem
Buren-Polizisten. Er fährt in den
Körper eines britischen Bürgers namens
Tom Jackson Edgar. Man kennt ihn hier,
aber bald wird sein Name auf der
historischen Liste jener erscheinen,
deren Ermordung Nationen gegeneinander
hetzten, denen tausende ins Grab folgten.
Tom Jackson Edgar, ein starker,
furchtloser Mann, war gegen Mitternacht
auf dem Weg nach Hause gewesen.
Ein Betrunkener hatte ihn angeknurrt,
hatte ihn beschimpft. Edgar schlug ihn
nieder. Während er nach Hause ging,
zeigten ihn die beiden Begleiter des
Betrunkenen an. Vier Polizisten donnerten
bald darauf an seine Tür, brachen sie
auf, ohne auf Antwort zu warten. Als
Edgar, der mit seiner Frau gesprochen
hatte, im Gang erschien, erschoss ihn ein
Buren-Polizist namens Jones. Kurz nach
dessen Festnahme am folgenden Tag wurde
er gegen eine Kaution von zweihundert
Pfund auf freien Fuss gesetzt.
Fast fünftausend Uitlanders kamen zum
Market Square, um den Text einer Petition
zu hören, mit der Königin Viktoria um
Schutz gebeten werden sollte. Zwölf
Jahre zuvor hatte ich geholfen, an diesem
Platz die Goldgräber zu organisieren,
damit sie sich auf ordentliche Weise
Gehör verschaffen könnten bei jener
Buren-Regierung, gegen die sich nun die
Petition richtete. Zwölf Jahre nur, in
denen aus dem Staub eines Zeltlagers eine
Stadt im Glitzer ihres Goldes gewachsen
war, Heim von vielen tausend reich
gewordener Menschen. Würde das alles
untergehen im gnadenlosen Wirbelsturm des
Hasses, den zwei Nationen zwischen sich
entfachten?
Nach Verlesung der Petition marschierte
die Menge zum Amtsgebäude des Britischen
Vizekonsuls. Der hörte die Petition und
akzeptierte sie, die Würfel waren
gefallen.
Doch die Britische Krone wies die
Petition zurück. Diese hätte vor der
Präsentation nicht veröffentlicht
werden dürfen, hiess es. Die Etikette
war nicht eingehalten worden, das
diplomatische Spiel war verloren.
Die Welle des Hasses begann
überzuschwappen. Polizist Jones, wegen
Mordes angeklagt, wurde freigesprochen.
Die Organisatoren der Veranstaltung, bei
der die Petition an Königin Viktoria
verlesen worden war, wurden festgenommen.
Jeder hatte tausend Pfund zu zahlen, um
wieder frei zu kommen.
Buren-Präsident Paulus Ohm
Kruger und Britanniens Hochkommissar Sir
Alfred Milner befassten sich mit den
Klagen der Uitlanders bei einem Treffen
in Bloemfontein. Ihr halbherziger
Versuch, Lösungen zu finden, scheiterte.
Unseren Sohn hatten wir schon ins
Internat ins sichere Natal geschickt. Die
meisten unserer Verwandten und Freunde
entschieden, im Land zu bleiben. Ihre
Kinder waren noch klein, warum sollten
die Buren ihnen etwas antun?
Doch Britannien wollte
nicht bloss einen Anteil am Gold. Es
fürchtete, die mit den Uitlanders reich
gewordenen Buren könnten zusammen mit
ihren potentiellen deutschen Alliierten
andere britische Territorien im
südlichen Afrika bedrohen.
Im Oktober 1899 kam es zum Krieg.
1
Hunderte begannen, aus Johannesburg zu
fliehen. Mir wurde die Entscheidung
abgenommen. Im Stadtrat hatte man mich
wissen lassen: Mr. Filmer, Sie
haben zwei Tage, danach müssen Sie mit
Ihrer Gefangennahme rechnen.
Agnes, pack die Sachen, sagte
ich an jenem Nachmittag zu meiner Frau.
Ich hab das Büro abgeschlossen.
Wir müssen uns beeilen, die Züge sind
überfüllt.
Aber was sollen wir mitnehmen? Was
passiert mit dem Haus?
Das muss auf sich selber aufpassen.
Wir verriegeln es, den Rest überlassen
wir der Vorsehung.
Mit unseren beiden jüngeren Kindern
schafften wir es an die Küste. Die
Eisenbahn brachte uns in jene Stadt am
Meer, von der sie mich einst abgeholt
hatte damals als blutjungen
Emigranten aus Europa, jetzt als
Kriegsflüchtling in Afrika.
Durban hatte sich in einen Kriegshafen
gewandelt, mit Truppen, die aus den
regelmässig vor Anker gehenden
britischen Schiffen an Land strömten,
sich in Zeltreihen am Strand
organisierten, gelegentlich durch die
Strassen paradierten mit flatternden
Standarten und Dschingdarassabumm, um
Zulus und burischen Spähern zu
imponieren.
Es war nicht einfach, die Familie
unterzubringen, ein eigenes Büro zu
finden, von dem aus ich als Anwalt hätte
arbeiten können. Die kleine
goldfield-community, die es bis Durban
geschafft hatte, half sich gegenseitig.
Freunde brachten das eine oder andere
Möbelstück, als ich mir in der
Acutts Arcade einen winzigen
Büroraum gesichert hatte.
Das erste Geld verdiente ich mit der
Klärung rechtlicher Fragen für jene,
die sich den britischen Streitkräften
als Freiwillige anschlossen. Dann lief
mir das Glück in Gestalt eines Mannes
über den Weg, der seinerzeit in Durban
durch sein Eintreten für die Rechte
indischer Einwanderer schon aufgefallen
war. Die Briten würden ihn später
besser kennenlernen. Anders als die Buren
würde er ihnen nicht mit Gewalt
begegnen, sondern mit civil disobedience,
mit gewaltlosem Widerstand, und so ihre
Macht im Juwel britischer Kronkolonien,
in Indien, beenden.
Als ich ihm begegnete, war er mein
professioneller Kontrahent vor dem
Höchsten Gericht in Durban. Ich
verteidigte einen indischen Klienten,
Mahatma Gandhi vertrat die Gegenseite.
Ich gewann.
Meine Familie konnte endlich das billige
Hotel in der Lower West Street verlassen
und in ein komfortables Haus am Ende der
Point Road einziehen, nicht weit vom
modernen Addington Hospital.
Die Zelte eines benachbarten
Militärlazaretts füllten sich während
der folgenden drei Jahre mit Männern in
Khaki. Soldaten Kitcheners wurden mit der
Eisenbahn gebracht, als Verwundete, als
Opfer von Ruhr oder von Tropenfieber.
Einer, gerade genesen, besuchte uns, ein
junger Mann namens Ellis. Ich hatte ihn
in meinem Johannesburger Büro
beschäftigt.
Er unterhielt meine Familie mit
Kriegsgeschichten ...
Hier in meiner Halle nutze ich den
elektrischen Strom für einen Computer,
der mir die Akte Kitchener
auf den Bildschirm bringt.
Nach einem Jahr
als Gouverneur des Sudan wird Kitchener
im Dezember 1899 Generalstabschef von
Lord Roberts, dem Oberbefehlshaber der
Briten im Buren-Krieg. Bis Januar 1900
verloren die Briten vier Schlachten gegen
die Buren. Ladysmith, Kimberley, Mafeking
werden belagert.
Mit Kitcheners Eingreifen wendet sich das
Blatt.
Die Buren geben nicht auf, sie gehen zu
einem erfolgreichen Guerillakrieg über.
Kitchener antwortet mit einer Taktik der
verbrannten Erde. Die Farmen
in den Guerillagebieten werden zerstört,
die Ernten vernichtet. Die Bewohner der
Farmen, vor allem Frauen und Kinder,
werden in Lagern interniert. Zugleich
schränkt Kitchener die Bewegungsfreiheit
der Buren durch ein Blockhaussystem ein.
Dazu lässt er zunächst eine Kette von
Blockhäusern zum Schutz der Bahnlinien
anlegen. Von dort aus dehnt er das System
immer weiter aus. Am Ende bedeckt ein
Netz solcher Blockhäuser, mit kleinen
Garnisonen, das ganze Land.
1
In jener Zeit half ich in Durban Bischof
Jolivet, einen Traum zu erfüllen. Er
hatte gerade sein goldenes Jubiläum
hinter sich. Vor seinem Ruhestand wollte
er eine Kathedrale bauen. In der ganzen
Stadt wurde schon Geld für das Wohl der
Soldaten gesammelt. Um Spender für die
neue Kathedrale zu mobilisieren,
organisierte ich sonntägliche
Rathaus-Konzerte.
Da war keine Zeit, an etwas anderes zu
denken, ich kümmerte mich um das
Wohlergehen meiner Familie, um die
Kathedrale des Bischofs ...
Daß Kitchener fünfzig
Konzentrationslager hatte einrichten
lassen, in denen fast
siebenundzwanzigtausend Frauen und Kinder
starben, an Masern, an Typhus, an
Unterernährung, das lese ich jetzt in
dieser Akte.
Beim Besuch des
Lagers in
Bloemfontein im Januar 1901 war die
liberale britische Aktivistin Emily
Hobhouse entsetzt über die
Lebensbedingungen für nahezu zweitausend
Gefangene. In anderen Lagern südlich von
Bloemfontein, in Aliwal North, Kimberley,
Norvalspont, Springfontein, fand sie
hungrige Frauen und Kinder vor.
Im März 1901 Kitcheners Truppen
hatten gerade begonnen, zehntausende
Flüchtlinge in die Lager zu
bringen griffen im Londoner
Unterhaus die beiden liberalen
Abgeordneten C.P. Scott und John Ellis
die Vorwürfe gegen das Lagersystem auf,
zum ersten Mal wurde der Begriff
concentration camp
Konzentrationslager
gebraucht. Kriegssekretär Brodrick
erwiderte, der Lager-Aufenthalt sei
freiwillig. In manchen
Fällen stimmte das, aber nicht in allen.
Thomas Pakenham, Autor eines Buches über
den Buren-Krieg, beschreibt, was in
Südafrika passierte: Um die
Pattsituation zu überwinden, habe
Kitchener angeordnet, Guerillas in
einer Serie systematischer Angriffe zu
vernichten, organisiert wie bei einem
Sportschiessen, die Erfolge wöchentlich
notiert als die Strecke Erlegter,
Verwundeter, Gefangener. Das Land
sollte von allem leergefegt werden, was
den Guerillas Rückhalt geben könnte,
einschliesslich Frauen und Kinder ... Es
war die Beseitigung von Zivilisten
die Entwurzelung einer ganzen Nation. Das
beherrschte die letzte Phase des
Krieges.
Wenn ich den Computer abschalte, spiegelt
der dunkle Monitor mein eigenes Gesicht,
alterslos ... dann beuge ich mich wieder
über meinen Schreibblock und notiere ...
Nach dem Studium
der Akte besuchte ich Elria Wessels. Sie
ist Direktorin des Buren-Krieg-Museums in
Bloemfontein. Sie zeigte mir eine der
Stätten, an denen ein Lager existierte.
Sie beschrieb, wie es dort ausgesehen hat
...
Viele Briten, mich eingeschlossen,
wollten dieses Station unserer Geschichte
nicht wahrhaben. Die Buren erhoben es auf
das Niveau einer Volkssage.
Beide Wege entstellen Geschichte.
Die Menschenrechtskämpferin Emily
Hobhouse konnte damals in die britischen
Konzentrationslager reisen. Bei ihrer
Rückkehr war es ihr möglich, in der
Presse die erschreckenden Bedingungen und
die entsetzliche Anzahl von Toten
anzuklagen ohne Gefahr für ihre
persönliche Sicherheit oder Freiheit.
Das ist der Unterschied zu
Nazi-Deutschland, dort wäre es ihr nicht
möglich gewesen.
Dennoch:
Die Viehwaggons bleiben angehängt.
Auch Kitcheners Opfer brauchen eine
Stimme.
Es gilt das gesprochene Wort!
Klick!
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