Mr. Colt wollten wir nicht auch
noch einladen. Stattdessen betritt unsere
rollende Bühne ein ja wie sollen
wir sagen? ein Typ wie aus einem
Western Saloon, massig, nie zu
übersehen, das Holzfällerhemd hängt
ihm aus der Hose, auf dem Kopf eine
Baseballkappe, im Gesicht ein Gestrüpp.
Wir begrüssen den Mann, der sich vor
laufender Kamera in einer
nordamerikanischen Kleinstadt zur
Eröffnung eines Bankkontos als Zugabe
ein Gewehr schenken liess.
Michael Moore, mit dieser Szene beginnt
Ihr Dokumentarfilm, der Ihnen einen Oscar
und zahlreiche andere Auszeichnungen
einbrachte.
Ich wollte zeigen, wie einfach es
bei mir zu Hause ist, an eine Waffe zu
kommen. Ich selber hatte ja schon als
Junge von meinem Vater einen
Mitgliedsausweis der National Rifle
Association bekommen.
Die
National Rifle Association ist eine
U.S.-amerikanische Organisation, die sich
dem Sportschießen, dem Training zum
sicheren und geschickten Umgang mit
Schusswaffen sowie besonders dem
Eintreten für Waffenbesitz und für die
Rechte der Schusswaffenbesitzer
verschrieben hat.
Die NRA wurde kurz nach dem
Amerikanischen Bürgerkrieg von
Offizieren der Union gegründet, die
entsetzt darüber waren, wie schlecht die
Soldaten der Union während des Krieges
geschossen hatten. Vorbild war die 1859
gegründete britische Rifle
Association. Die Organisation
bezeichnet sich selbst als die
älteste Bürgerrechtsorganisation der
Vereinigten Staaten. Nach eigenen
Angaben sind vierkommazwei Millionen
Personen und zehntausendsiebenhundert
Vereinigungen Mitglieder der NRA.
Was ist gegen einen Verein für
Sportschützen einzuwenden, Mr. Moore? In
Deutschland marschieren doch auch jedes
Jahr lokale Schützenvereine durch
Dörfer und Städte ...
... mit
Holzgewehren, soweit ich
weiss! Ausserdem gelten in Deutschland
auch für diese Schützenvereine sehr
restriktive Bestimmungen des
Waffengesetzes und der Waffenverordnung
sowie die Bestimmungen des
Kriegswaffenkontrollgesetzes und des
Sprengstoffgesetzes, ausserdem die
gesetzlichen Jugendschutzbestimmungen. Da
kriegen Sie kein Gewehr zur
Kontoeröffnung bei einer Bank.
Bei uns in den U.S.A. hatten im Jahr 1999
zwei Schüler an der Columbine High
School in Littleton zwölf Mitschüler,
einen Lehrer und sich selbst erschossen.
Vor dem Hintergrund dieses Schulmassakers
wollte ich herausfinden, weshalb in den
Vereinigten Staaten von Amerika die Rate
von Gewaltverbrechen insbesondere
mit Schusswaffen höher ist als in
anderen demokratischen Staaten wie zum
Beispiel in Deutschland, in Frankreich,
in Japan, Großbritannien, Australien und
insbesondere in Kanada.
Wie ist denn der Titel Ihres
Films zu erklären, Bowling for
Columbine?
Nun, es störte mich, daß man das
Columbine-Massaker fast ausschließlich
dadurch erklärte, daß die beiden Täter
die Musik von Marilyn Manson gehört
hatten. In Anlehnung daran, daß sie vor
der Tat bowlen waren, stelle ich im Film
die Frage, ob es nicht genauso sinnlos
sei, das Bowlen für die Tat
verantwortlich zu machen.
Inzwischen ist bekannt, daß die
Täter den Bowling-Kurs geschwänzt
hatten schade um den Titel ...
Irgendwie ist uns aber auch nicht klar
geworden, zu welchem Schluss Sie in Ihrem
Film eigentlich kommen.
Sie argumentieren, daß die höhere,
schusswaffenbedingte Mordrate in den
U.S.A. nicht mit der Zahl der Waffen
zusammenhänge, da es in Kanada ebenfalls
viele Waffen gebe.
Sie stellen andere Gründe vor und
verwerfen sie zugleich wieder: Die
gewalttätige Unterdrückung der Indianer
in der Vergangenheit scheide aus,
erklären Sie, da andere Nationen mit
gewalttätigem Hintergrund wie
Deutschland (Zeit des
Nationalsozialismus), Japan (Besetzung
Chinas im Zweiten Weltkrieg) oder
Frankreich (Algerienkrieg) heute
geringere Mordraten hätten. Auch
Militarismus, Rassismus und insbesondere
Angst der weißen
Bevölkerungsmehrheit vor der
schwarzen
Bevölkerungsminderheit, sowie das
Gesellschaftsmodell der U.S.A.
(Wettbewerb, Einkommensunterschiede,
Wohlfahrts- statt Sozialsystem) werden
von Ihnen aufgezählt.
Breiten Raum nimmt die Betrachtung der
U.S.-amerikanischen Medienlandschaft ein,
die mit ihrem Schwerpunkt auf Gewalt und
Kriminalität zu einem allgemeinen
Gefühl der Verunsicherung und Angst
beitrage.
Nun, vielleicht ist das die Antwort
meines Films: wir in den U.S.A. leben in
einer Kultur der Angst.
Da gefällt uns besser, was
einer Ihrer Kritiker nach Betrachten des
Films notierte
Einmal zuckt ein
Gesprächspartner mit der Schulter, Moore
zuckt mit: eines der Bilder dieses Films,
die man aus dem Strom herausreißen
möchte. Aber kaum hat es einen
beeindruckt, schon ists wieder halb
vergessen.
Mr. Moore, Sie haben es eilig,
der nächste Auftritt wartet. Worum geht
es diesmal?
Eine Veranstaltung im ehrwürdigen
Londoner Palladium-Theater. Ich werde den
Briten etwas zu meinem nächsten
Dokumentarfilm erzählen:
Fahrenheit 9/11.
Der Film
beleuchtet unter anderem
die Geschäftsverbindungen der Familie
von Präsident Bush zu arabischen
Geschäftsleuten, vor allem zu jenen, die
der Bin-Laden-Familie angehören. Dabei
schildere ich die Politik meiner
Regierung nach der Zerstörung des World
Trade Centers in New York, bekannt unter
der englischen Kurzbezeichnung für das
Datum der Terroranschläge am 11.
September 2001: nine-eleven
oder 9/11.
Und bevor Sie wieder fragen: Angelehnt
ist der Titel des Films an den Roman
Fahrenheit 451 von Ray
Bradbury und den gleichnamigen Film von
François Truffaut. Sie bezogen
Fahrenheit 451 auf die
Temperatur, bei der Papier zu brennen
beginnt, nun bei mir ist Fahrenheit
9/11 die Temperatur, bei der die
Freiheit brennt ...
Übrigens, meine Rechercheure stiessen
auf eine kleine Geschichte, die ich dann
im Film nicht verwendet habe. Aber
vielleicht interessiert sie ja Ihren
russischen Gast. Ich meine nicht Herrn
Trotzki, sondern den anderen ...
Zum sechzigsten Jahrestag Ihrer
Erfindung, Mr. Kalaschnikow, erschienen
mehrere Bücher, eines davon von Michael
Hodges, der darin unter anderem eine
Anekdote von Osama bin Ladens erstem
AK47 erzählt: Diese Waffe
wurde angeblich 1982 beim israelischen
Angriff auf Palästinenserstellungen im
Libanon erbeutet und ging dann via CIA,
also den amerikanischen Geheimdienst, an
Bin Laden als dieser mit den
Mudschaheddin in Afghanistan noch im
Auftrag Amerikas gegen die Russen
kämpfte. Es ist jener Karabiner, den er
der Welt nach 9/11 in seinem
ersten Video präsentierte.
Danke, Mr. Moore, und wir wollen
noch ein bisschen zum Thema böse
Waffen gute
Waffen beitragen.
In der
amerikanischen Zeitschrift Movies and
Methods wird das Gewehr im Film
Winchester 73 als
ähnlich einem göttlichen
Objekt beschrieben, welches in
einer sich verändernden Welt für etwas
Beständiges, Perfektes und
Schönes stehe und in der Art der
Waffen in der mittelalterliche
Romantik alleine durch die Präsenz
das wahre menschliche Verhalten zeige.
Das erinnert an die eher positive Rolle,
die Karl May in seiner Roman-Welt Ihrem
Stutzen zugeschrieben hat, Mr. Henry,
einer Waffe, die sich von
Bösen nicht bedienen lässt.
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