25
Es wird Ihnen gut tun, Fanon zu lesen ...
Wie bitte?
... Diese ununterdrückbare Gewalt
ist, wie er genau nachweist, kein
absurdes Unwetter, auch nicht das
Wiederdurchbrechen wilder Instinkte, ja
nicht einmal die Wirkung eines
Ressentiments: sie ist nichts weiter als
der sich neu erschaffende Mensch ...
...
wir zitierten aus dem Vorwort zu Frantz
Fanons Die Verdammten dieser
Erde, aufgeschrieben im September
1961 von Jean-Paul Sartre ...
1952 - 56 Mitglied der
französischen KP
1956 Kritik an der Intervention
der UdSSR in Ungarn
1968 Kritik an der Intervention
der Warschauer Pakt-Staaten in der
Tschechoslowakei ...
REGIE!
... Haben wir wenigstens ein Bild von
diesem französischen Philosophen, der
hinter seiner Hornbrille immer zur selben
Zeit in zwei unterschiedliche Richtungen
blickte ... blicken konnte ... blicken
durfte?
Pardon, ich dachte, Sie würden
sich für mich interessieren, und nicht
für meinen Vorwort-Schreiber ...
Ah,
willkommen auf unserer rollenden Bühne,
Monsieur Fanon! Verfasser des
Manifests des
Antikolonialismus! Geboren 1925 in
der französischen Inselkolonie
Martinique, ausgesetzt dem Konflikt
zwischen Schwarzer Haut und weissen
Masken
Da haben Sie den Titel meines
ersten Buches sehr schön untergebracht
... Auf Martinique wohnen ja überwiegend
schwarze Menschen. Wir waren in der
Schule und im kulturellen Leben immer
wieder mit der Tatsache konfrontiert,
daß die weisse europäische Kultur als
erstrebenswert galt, während unser
afrikanisches Erbe als primitiv
abqualifiziert wurde nicht nur von
den Weissen! Auch von uns, den Schwarzen!
Mein Buch
Schwarze Haut, weiße Masken
nannte ich eine Soziodiagnose
der Entfremdung unserer Menschen auf den
Antillen. Daß Psychiatrie zum
Schwerpunkt meines Studiums wurde, hing
damit zusammen. 1953 nahm ich in der
französischen Kolonie Algerien eine
Stelle als Chef der psychiatrischen
Klinik in Blida-Joinville an, das war in
der Nähe von Algier.
Im Dezember 1954 begann der
Algerienkrieg. Die französische Armee
versuchte mit extremer Brutalität die
Unabhängigkeitsbestrebungen der
algerischen Bevölkerung zu
unterdrücken. Bis zur Proklamation der
Unabhängigkeit am 3. Juli 1962 wurden
ungefähr eine Million Menschen auf
algerischer Seite und auf französischer
Seite um die siebenundzwanzigtausend
Menschen getötet.
Ich sah mich unmittelbar mit den
Kriegsauswirkungen konfrontiert. Als
Psychiater behandelte ich Folteropfer.
Ich schloss mich der algerischen
Befreiungsbewegung FLN an und versteckte
gefolterte FLN-Kämpfer vor der
französischen Armee.
Angesichts des immer weiter eskalierenden
Krieges kündigte ich 1956 aus Protest
meine Stelle. Ich ging nach Tunis, wo ich
neben meiner Tätigkeit als Arzt auch als
Redakteur der FLN-Zeitung El Moudjahid
arbeitete.
Weil ich die FLN auf internationalen
Tagungen ziemlich erfolgreich vertrat,
versuchte der Gegner mehrfach, mich aus
dem Weg räumen, einigen Mordversuchen
entging ich nur knapp.
Sie möchten, daß wir Ihre Geschichte ab
hier aufnehmen?
Nun, der Tod kam nicht von Mörderhand,
er kam von innen, und rasch. Ende 1960
wurde Leukämie diagnostiziert. Im Sommer
1961 begannen Sie wie ein Besessener, an
diesem Buch zu schreiben. Das Manuskript
zu Die Verdammten dieser Erde"
war innerhalb von zwei Monaten
fertiggestellt. Am 3. Dezember konnten
Sie noch die ersten Druckexemplare
begutachten, ob auch das von Sartre
geschriebene Vorwort, bleibt unklar. Drei
Tage später erlagen Sie Ihrer Krankheit.
Während Sie Ihre früheren Schriften
auch für ein europäisches Publikum
verfasst hatten, Monsieur Fanon, ist Ihr
letztes Werk einzig an die
Verdammten dieser Erde
gerichtet,
Daß ich den Titel der ersten
Strophe der Internationale entnahm, ist
Ihnen klar?
Ja,
aber Sie wendeten sich endgültig ab von
der europäischen Arbeiterklasse und von
den westlichen linken Intellektuellen.
Für Sie waren es nicht mehr Verbündete
bei der Anstrengung kolonisierter
Länder, sich zu befreien. Sie setzte
Ihre Hoffnungen auf den gewaltsamen
Aufstand der afrikanischen Massen.
Wenn wir Sartre richtig verstanden haben,
waren den Verdammten dieser
Erde in ihrer Angst und in ihrer
Wut nur noch Tunnelblicke möglich?
Es wird Zeit, daß ich mich vom
Vorwort meines Freundes Jean-Paul Sartre
distanziere. Er hat meine Thesen rigoros
zugespitzt und zu einer platten Lesart
meines Buches verleitet.
25
Einen Europäer erschlagen, heißt zwei
Fliegen auf einmal treffen ... Was
übrigbleibt, ist ein toter Mensch und
ein freier Mensch.
Nicht ich habe diesen Satz
geschrieben, sondern Sartre in seinem
langen Vorwort. Aber damit war die
Interpretationslinie für die zukünftige
Rezeption meines Werkes vorgegeben. Viele
Leser begnügten sich mit der Lektüre
des Vorwortes und konsultierten
allenfalls noch das erste Station
Von der Gewalt, und somit
schien die Botschaft klar: Fanon liefert
eine Apologie der Gewalt, Fanon liefert
eine Gebrauchsanweisung für den
bewaffneten Befreiungskampf.
Wenn Sartre Trotzki empfohlen hat, mein
Buch zu lesen, dann muss ich darauf
bestehen, es in meinem, nicht in Sartres
Sinne zu lesen.
Ich habe die therapeutische Funktion von
Gewalt hervorgehoben. Dabei habe ich mich
ausdrücklich auf die herausgeforderte
Gegengewalt der Kolonialisierten bezogen.
Gewalt an sich ist von mir nie bejaht
worden. Sie ist nur legitim in einer
bestimmten historisch-konkreten
Situation.
Wenn ich das
algerische Beispiel
gewählt habe, so nicht, um unser Volk zu
glorifizieren, sondern um die Bedeutung
zu zeigen, die der Kampf, den es geführt
hat, für seinen Bewusstseinsprozess
hatte. Es ist klar, daß andere Völker
auf anderen Wegen zu dem gleichen
Ergebnis gekommen sind. In Algerien war,
wie man heute weiß, die Kraftprobe
unvermeidlich, aber andere Gebiete kamen
durch ihren politischen Kampf und die
Aufklärungsarbeit der Partei ihrer
Völker zu den gleichen Ergebnissen.
tazara tazara tazara ...
|