Das war das Stichwort
für unsere VIP-Betreuung! ...
Wir begrüssen ... Gospodin Lew
Dawidowitsch Bronstein!
Genau neunzig Jahre ist es her seit Ihrem
letzten Auftritt per Eisenbahn
1917 in Petrograd!
Ja,
aber da nannte ich mich schon seit
fünfzehn Jahren Trotzki.
Geboren 1879 ... nur
fünf Jahre nach Ihnen Mr. Rockefeller
... in Janowka, einem Schtetl in der
Ukraine, fünftes Kind des jüdischen
Bauern David Bronstein ...
Trotzki für Bronstein? Weg mit dem
jüdischen Namen?
Ach nein, wissen
Sie,
Jude blieb ich Zeit meines Lebens, auch
wenn das nicht einfach war in Russland
vor und nach der Revolution.
Vom orthodoxen Judentum des Schtetls hab
ich mich bald verabschiedet. Die
Scheinfrömmigkeit meiner Eltern zu
erkennen, da half ein langer Aufenthalt
in der Hafenstadt Odessa; ich trat immer
für ein weltoffenes, assimiliertes
Judentum ein.
1898 wurde ich zum ersten Mal verhaftet,
aber nicht weil ich Jude war ...
Das
war so um die Zeit, als Ihr Vater, Mr.
Rockefeller, den seltsamsten Völkern in
den entferntesten Gegenden der Welt sein
Licht brachte.
... ein Tischler namens
Nesterenko verriet mich an die
zaristische Polizei. Die war gegen die
Art von Erleuchtung, die ich zu
verbreiten half die Ideen des
internationalen Sozialismus.
Im Moskauer Überführungsgefängnis
heiratete ich Alexandra Lwowna
Sokoloskaja ... Weil sie zu meinen
Überzeugungen stand, ging sie mit mir in
die Verbannung ins sibirische Irkutsk ...
zwei Töchter hatte ich mit ihr, und alle
drei liess ich zurück, als sich mir die
Gelegenheit zur Flucht bot mit
einem falschen Pass auf den Namen Trotzki
so hiess der Oberaufseher des
Gefängnisses in Odessa, wissen Sie
...
Wir
wussten nicht, daß Sie auch witzig sein
konnten
Als Trotzki habe ich in London
Wladimir Iljitsch Uljanow kennengelernt,
er hatte mich zur Mitarbeit eingeladen.
Erst seit kurzem nannte er sich Lenin.
Viele von uns wählten damals Decknamen.
Es hiess immer, Wladimir Iljitsch habe
den seinen vom sibirischen Fluss Lena
abgeleitet wissen Sie, nach
Sibirien verbannt zu werden, bedeutete
damals praktisch, daß man im
zaristischen Russland als anerkannter
Oppositioneller galt.
Aber es war wohl eher die Erinnerung an
sein Kindermädchen Lena, schon als
kleiner Junge soll er auf die Frage
wessen Junge er sei, geantwortet haben
Lenin auf russisch
heisst das Lenas ...
Kichern Sie nicht, Mr. Rockefeller, wir
haben alle unsere kleinen Geheimnisse,
nicht wahr?
Als Trotzki lernte ich Ihre Vereinigten
Staaten von Amerika kennen, und gleich zu
Beginn ein Eckchen des
schwarzen Problems in Ihrem
gelobten Land.
Seit 1903 hatte ich mit Natalija Sedowa
zusammengelebt, sie war Kunststudentin in
Paris wissen Sie, als
Revolutionär sind familiäre Bindungen
so unstet wie politische Allianzen ...
Aber Natalija Sedowa hatte ihre
Lebensreise mit der meinen verbunden,
durchlebte mit mir neue Verbannungen in
Russland, neue Flucht, das rastlose Irren
der Emigranten von Land zu Land ...
Ich war Kriegsberichterstatter auf dem
Balkan gewesen, ich war unter den
Akteuren in Konstantinopel, als es zur
Revolution gegen das Osmanische Reich
kam.
In der Schweiz unterzeichnete ich mit
Lenin das Internationale Sozialistische
Antikriegsmanifest.
Das Jahr 1916 sah uns dann im
gelobten Land in New
York!
Wir mieteten eine
Wohnung in einem
Arbeiterviertel und nahmen Möbel auf
Abzahlung. Die Wohnung für achtzehn
Dollar im Monat war mit einem für
europäische Begriffe unerhörten Komfort
ausgestattet: elektrisches Licht,
Gasofen, Badestube, Telephon,
automatischer Aufzug für Lebensmittel
und ein ebensolcher, um den Müllkasten
hinunterzubefördern. Das alles hatte
unsere Jungens sofort für New York
eingenommen. Der Mittelpunkt ihres Lebens
wurde für eine Weile das Telephon.
Dieses kriegerische Instrument hatten wir
weder in Wien noch in Paris gehabt.
Der Portier unseres Hauses war ein Neger.
Meine Frau bezahlte ihm die Miete für
drei Monate im Voraus, bekam aber die
vorschriftsmässige Quittung nicht, da
der Hausbesitzer das Quittungsbuch am
Vorabend zur Nachprüfung mitgenommen
hatte. Als wir nach zwei Tagen in die
Wohnung einzogen, stellte sich heraus,
daß der Neger flüchtig geworden war
unter Mitnahme des Wohnungsgeldes von
einigen Mietern. Ausser dem Geld hatten
wir ihm auch unsere Sachen zur
Aufbewahrung gegeben.
Wir waren beunruhigt. Das war ein
schlechter Anfang. Aber es stellte sich
heraus, daß die Sachen vorhanden waren.
Und als wir die Holzkiste mit dem
Geschirr aufmachten, fanden wir darin zu
unserer grössten Verwunderung unsere
Dollars, die sorgfältig in ein
Papierchen eingewickelt waren.
Der Portier hatte nur das Geld jener
Mieter mitgenommen, die rechtmässige
Quittungen erhalten hatten. Der Neger
besass mit dem Hausbesitzer kein Mitleid,
wollte aber die Mieter nicht schädigen.
Wahrhaftig, das war ein herrlicher Mann.
Ich und meine Frau waren tief gerührt
von seiner Aufmerksamkeit und haben ihm
eine dankbare Erinnerung bewahrt.
tazara tazara tazara ...
Es
hat ja seinen besonderen Pfiff, Sie heute
gerade in Afrika begrüssen zu dürfen,
Genosse Trotzki wenn wir Sie so
nennen dürfen hier in Afrika gibt
es noch ein paar Veteranen von
Befreiungsbewegungen, die Wert auf eine
solche Anrede legen.
... Und Sie befinden sich auf dem
Great Uhuru Railway in
der Grossen Freiheitsbahn,
fertiggestellt vor dreissig Jahren als
Zeichen internationaler Solidarität
zwischen Nationen in Asien und in Afrika
...
tazara tazara tazara ...
Na ja, wie Sie schon sagten, vor
neunzig Jahren bin ich auch schon mit der
Eisenbahn gefahren im Mai 1917 zur
Oktober-Revolution nach Petrograd ...
Ich kam aus New York, ach ja, und da
auf dem Schiffsweg nach Russland
begegnete mir in Halifax, im
kanadischen Neuschottland, jemand, der
sich gerne an Afrika zu erinnern schien
...
Ich landete mit meiner Familie in einem
Internierungslager, wir hatten ja einen
Weltkrieg, von dem wir damals noch nicht
wussten, daß er später der
Erste genannt werden würde.
Lagerkommandant war ein Oberst Morris.
Der hatte seine Karriere in den
englischen Kolonien und im
südafrikanischen Buren-Krieg gemacht
...
Da ich mit ihm ohne die üblichen
Respektsbezeigungen sprach, brüllte er
hinter meinem Rücken: Der sollte
mir an der südafrikanischen Küste
begegnen ... Das war überhaupt
sein Lieblingssatz.
tazara tazara tazara ...
Vor
neunzig Jahren scheinen bei der
russischen Revolution Eisenbahnen eine
besondere Rolle gespielt zu haben,
Genosse Trotzki. Schon einen Monat vor
Ihnen war Lenin mit dem Zug in Petrograd
eingetroffen ...
Die April-Thesen hat er
tatsächlich von einer Lokomotive
herunter verkündet, die Möglichkeit und
Notwendigkeit, die russische Revolution
zur Machtergreifung der Arbeiter, Bauern
und Soldaten zuzuspitzen ...
tazara tazara tazara ...
Von
einer Lokomotive herunter was für
ein schönes Bild ...
... vielfach in Öl gemalt!
Aber,
das Bild der internationalen
Eisenbahn-Solidarität stellte sich
damals ein bisschen anders dar: Lenin,
Inès Armand, Karl Radek und weitere
prominente Kommunisten kehrten ja mit
Unterstützung der deutschen Obersten
Heeresleitung nach Russland zurück.
Sie fuhren aus der Schweiz über das
Gebiet des Kriegsgegners Deutschland,
Schwedens und Finnlands in einem
versiegelten Waggon, der zu
exterritorialem Gebiet erklärt worden
war ...
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