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Old Shatterhand wikipedia
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18 Karl May bot eine Ersatzwelt an, eine Gegenwelt zur Sturm-und-Drang-Periode der Technik, die bekanntlich weitgehende soziale und wirtschaftliche Umwälzungen nach sich zog. Der Fabrikarbeiter des modernen Industriestaates floh (und nicht nur er, sondern auch breite Schichten des Mittelstandes, die ihren Standpunkt in dem Maschinenzeitalter noch nicht klar eingrenzen konnten) nach des Tages Last, nach der Sklaverei- und Fronarbeit an dem Fetisch Maschine in schöne Illusionen. Mays Phantasiewelt bot sich da an. Sie war noch in Ordnung; in ihr gab es statt einengender Fabrikhallen die Weiten der Prärien und Wüsten; hier wurde keine Naturlandschaft in „Zivilisationsräume“ umgewandelt (dafür sorgten schon die Indianer, indem sie verhasste weisse Landvermesser an der Arbeit hinderten), und vor allen Dingen war hier jeder frei, nur sich oder — jedoch mit dieser Einschränkung — dem Anführer der Gruppe Rechtschaffenheit schuldig. Solche Ersatzwelt birgt natürlich immer die Gefahr in sich, die Handlungsfähigkeit der Leser in der realen, auf sie einwirkenden Welt zu lähmen, denn indem sie sich in dieses Reich der Harmonie und der Wunschvorstellungen flüchten, passen sie sich widerspruchslos der objektiven Realität an, finden sich mit ihr ab und resignieren, statt zur Veränderung, Verbesserung beizutragen. Karl May liefert seinen Kritikern Belege für deren Argumentation, wenn er in seiner autobiografischen Skizze „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ von jenen Männern berichtet, die ihm mitteilten ...
„seit wir Ihr Werk gelesen haben, sind wir keine Sozialdemokraten mehr ...“
Im Klartext schliesst das ja wohl auch mit ein: Fundamentierung unerquicklicher Verhältnisse, denn gerade Sozialdemokraten waren es, die sich für die Interessen der Proletarier einsetzten. Und an anderer Stelle derselben Erzählung schildert der Sachse May stolz den Besuch von vier Cartonnagearbeitern in der Villa „Shatterhand“, die ihm versichern ...
„Sie werd’n ... von der ganzen Fabrik gelesen, wenn ooch bloss nur aus der Leihbibliothek. Aber mer ham Sie alle liebgewonnen, und ooch die Grossen halten sich lieber Ihre Bücher als daß se ins Wirtshaus gehen.“
Aber eben in den Wirtshäusern fanden Versammlungen der Sozialdemokratischen Partei statt. Denn andere Örtlichkeiten, als die grossen Tanzsäle und engen Hinterstuben gab es kaum, wenn die Zusammenkünfte nicht im Freien abgehalten wurden. So kann man im übertragenen Sinne nicht nur einen Verzicht auf Alkohol herauslesen, sondern auch auf fast jegliche politische Betätigung, die zum herrschenden Obrigkeitsstaat in Opposition stand. Einen ganz anderen Sinn bekommen nun ebenfalls die Worte des Prinzipals jener Arbeiter, der in schöner Folgerichtigkeit bemerkt, Karl May sei ...
„een wahrer Segen für seine ganze Cartonnagen-Fabrik.“


Während wir Herrn May im Verlauf unserer Reise möglicherweise noch leibhaftig in unserem Show-Teil „Das war Ihr Leben“ begegnen werden, war es ganz unmöglich dafür einen anderen deutschsprachigen Schriftsteller aufzutreiben, dem man keineswegs den Vorwurf machen kann, mit seinen Novellen das Proletariat eingelullt zu haben. Seine Geschichten wurden in Deutschland von der „Büchergilde Gutenberg“ herausgegeben und hauptsächlich von Arbeitern gelesen.
Niemand weiss genau, wer er war — Geburtsdatum, Geburtsort sind unbekannt — doch er wurde ebenfalls ein Reiseschriftsteller von Weltruf, ein Vierteljahrhundert nach Karl May.

REGIE! Rolltext bitte!

Wer den Karabiner und Revolver hat, ist der Herr dessen, der keinen Karabiner und Revolver hat.
aus B. Travens Roman
„Ein General kommt aus dem Dschungel“

Literaturforscher scheinen sich einig zu sein, daß sich hinter dem Pseudonym B. Traven niemand anderes verbirgt als ein ehemaliger Schauspieler und Journalist, Regisseur und Revolutionär, der vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland aufgewachsen ist und während des Krieges zu schreiben anfing, der seit 1917 die in München erscheinende Zeitschrift „Der Ziegelbrenner“ herausgegeben und 1919 eine nicht unbedeutende Rolle in der von Kurt Eisner proklamierten Münchener Räterepublik gespielt hat, der 1923 erst ins englische, dann ins kanadische und schließlich ins (mittel-) amerikanische Exil geflohen ist, im südlichen Mexiko unter Indianern gelebt und dort auch sein Frühwerk geschrieben hat.

Genosse Trotzki, Sie hätten ihn in Mexiko treffen können, obwohl wir vermuten, daß er keinen grossen Wert auf eine Begegnung gelegt hätte — politische Programme kommen bei ihm nicht vor, professionelle Politiker, auch aufseiten der Linken, kommen mehr als schlecht weg — wenn sie überhaupt erwähnt werden, dann nur in allerlei Beschimpfungen.

Travens Werke lassen sich wohl am besten als „proletarische Abenteuerromane“ beschreiben. Sie handeln von Seeräubern, Indianern und Gesetzlosen und teilen daher viele Motive mit Autoren wie Karl May oder auch Jack London. Er schrieb seine Bücher vor allem konsequent aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Seine Figuren stehen am Rande der Gesellschaft, entstammen dem proletarischen und lumpenproletarischen Milieu, stets mehr Antihelden als Heroen, haben jedoch dennoch eine urtümliche Lebenskraft, die sie immer wieder zum Aufbegehren zwingt. Die „gerechte Ordnung“ oder die christliche Moral, die in vielen Abenteuerromanen durchscheint, gilt Traven und seinen Helden nichts.
Stattdessen steht stets das anarchische Element des Aufbegehrens im Mittelpunkt. Immer erfolgt es aus der unmittelbaren Ablehnung der entwürdigenden Lebensumstände der Helden, stets sind es die Entrechteten selbst, die ihre Befreiung oder aber zumindest eine rebellische Geste vollbringen. Obwohl er ein positives Programm verweigert, scheut er sich doch niemals die Ursache des Leidens seiner Protagonisten zu nennen. Dieser Quell von Qual, Entwürdigung, Elend und Tod ist für ihn ‚Cäsar Augustus Capitalismus‘, wie das Diktat des Kapitals in ‚Das Totenschiff‘ genannt wird.
Traven schaffte es, seine einzigartig subjektiv-mitreißende Kapitalismuskritik ohne belehrenden Zeigefinger zu liefern und durch die Anknüpfung an Western- und Seemannsmotive auch tatsächlich das proletarische Zielpublikum zu erreichen. Eine Leistung, die nicht viele linke Schriftsteller vollbringen konnten.


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