DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
ZIMBABWE FAKTEN - DAS DOSSIER
ARBEITSMARKT & GEWERKSCHAFTEN
Shona-Parole aus dem Unabhängigkeitskampf:
Pamberi nevashandi! Pasi nevapambepfumi, pasi
nevadzvanyiriri!
Übersetzung:
Vorwärts mit den Arbeitern! Nieder mit den Kapitalisten
und den Ausbeutern!
Lohnpolitik
Zimbabwe übernahm von Rhodesien als Erbe einen
Arbeitsmarkt, in dem die meisten Beschäftigten Löhne
weit unterhalb ihrer Minimum-Bedürfnisse verdienten.
Sofort nach der Unabhängigkeit führte die neue
Regierung Mindestlohn-Bestimmungen für alle Beschäftigten
in einem festen Arbeitsverhältnis ein. Doch nach den
ersten beiden Jahren stagnierte die Regierungsbemühung.
Seit 1982 verdienen die rund 1,1 Mio. Lohnabhängigen in
ihrer großen Mehrheit - angesichts des Geldwertverlustes
- weniger als vor 1980. Zugleich ist mit 1,5 Mio.
Arbeitslosen die Unbeschäftigten-Quote von 1974 erreicht.
Da es keine Arbeitslosenversicherung gibt, basiert diese
Schätzung auf veröffentlichten Diskussionsbeiträgen
von Handel, Industrie und Gewerkschaften. Kosten für die
Schaffung eines Arbeitsplatzes werden zur Zeit mit ca. 87.000
Z-$ angegeben.
Die neue Regierung hat bei Planung und Durchsetzung ihrer
Politik auch in diesem Bereich den dirigistischen Ansatz
der weißen Kolonial-Regierung übernommen: Sobald
bestimmte Entwicklungen im Industriesektor die
Formulierung einer Arbeits- und Lohngesetzgebung
erforderlich machten, stellte die weiße Regierung ihre
absolute Kontrolle sicher (daneben benutzte sie zur
Unterdrückung von Streikaktionen Polizeigewalt). Auf
diese Weise konnte sich zwischen den Fünfziger Jahren
bis zum Ende der weißen Vorherrschaft in der schwarzen
Gewerkschaftsbewegung keine Erfahrung, etwa für
Lohnverhandlungen, entwickeln. Stattdessen war sie eher
Basis für radikale, politische Mobilisierung.
Nach der Unabhängigkeit sah sich die neue Regierung mit
der Tatsache konfrontiert, über keinen Anhalt für eine
gerechtere Einkommenspolitik zu verfügen. Die gesamte Ökonomie
basierte auf der Verfügbarkeit eines abrufbaren
Arbeiterpotentials mit monatlichen Niedrigsteinkommen von
30 Z-$ und niedriger. Eine Kommission unter Roger Riddell
empfahl der Regierung, als Minimum-Einkommen den Wert
eines für die Existenz einer Familie benötigten
monatlichen "Warenkorbs" festzusetzen, der
periodisch dem Geldwertverlust anzupassen sei. Als Wert
eines solchen "Warenkorbes" - also des
Mindestlohnes - errechnete die Riddell-Commission für
Dezember 1980 128 Z-$ . Das hätte eine Anhebung des
Mindestlohns von 30 Z-$ um 380 % bedeutet. Der
wirtschaftliche Aufschwung in den ersten beiden Jahren
der Unabhängigkeit - u.a. als Folge der aufgehobenen
Sanktionen - hätte möglicherweise eine solche,
grundlegende Strukturänderung erlaubt. Mit ihrer
Entscheidung gegen diesen Vorschlag beschritt die neue
Regierung jedoch einen bis heute eingehaltenen Kurs des
Staats-Dirigismus, der in erster Linie eine
Sicherstellung des wirtschaftlichen Wachstums im Auge
hat, um - schon damals absehbare - Ausgaben für
auszuweitende soziale Dienste und Schaffung neuer
Arbeitsplätze sicherzustellen. Abgesehen von
schrittweisen Anhebungen während der folgenden Jahre,
die bis 1990 in weiten Bereichen der Wirtschaft weit
unter den empfohlenen Richtmarken der Riddell-Commission
blieben, sah keiner der beiden bis 1990 vorgelegten
Entwicklungspläne der Regierung markante Lohn- und
Gehaltsanhebungen vor.
Um diese Politik - Ökonomieausbau zur Finanzierung von
sozialen Diensten und Arbeitsplatzschaffung versus
unmittelbaren Lohngewinnen - durchzusetzen, mußten die
Gewerkschaften einer strikten staatlichen Kontrolle
unterworfen werden. Wilde Streiks hatten schon zwei
Wochen nach den ersten Wahlen im Jahr 1980 der Enttäuschung
über ausbleibende Lohnverbesserung Luft gemacht. Die
Regierung ließ in den Betrieben Arbeiter-Komitees
einrichten, die zeitweise gewerkschaftliche Aufgaben übernahmen.
"Die Erfordernisse der Übergangsphase und die
Klasseninteressen des afrikanischen Kleinbürgertums
unterminierten schrittweise die politische
Massenmobilisierung... Tatsächlich wurde es als ein Überlebensakt
des neuen Staates zunehmend erforderlich, seiner
Massenbasis Zügel anzulegen.
Ibbo Mandaza in: "The State and Politics in the Post-White
Settler Colonial Situation" in: I. Mandaza (Hsg.):
"Zimbabwe / The Political Economy of Transition 1980
- 1986" / Dakar / 1986
Am 15. Dezember 1985 (nach dreijähriger wirtschaftlicher
Depression) trat in Zimbabwe ein neues Arbeitsgesetz (Labour
Relations Act) in Kraft, das zuvor im Parlament heftig
umstritten war und das dem Arbeitsminister
ausserordentliche Befugnisse einräumte. Per Verordnung
kann er praktisch alle Aspekte des Arbeitslebens
beeinflussen, ohne daß eine arbeitsrechtliche Überprüfung
- mit Ausnahme einer Änderung von Kollektivverträgen -
vorgesehen wäre. Im Grundsatz haben damit die
Verordnungen des Ministers Vorrang vor allen zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern geschlossenen Verträgen
und allen anderen Rechtsverordnungen, die das
Arbeitsleben berühren. Seit einer Verschärfung des
Notstandsrechts (nach Streiks bei Eisenbahn und Post im
Jahr 1989) kann jeder Wirtschaftsbereich, in dem ein
Arbeitskampf droht oder begonnen hat, vom Arbeitsminister
oder dem Präsidenten zu einem essential service erklärt
werden, womit Arbeitsniederlegungen illegal werden und
Streikende ernsten Konsequenzen ausgesetzt sind.
"Ihre eine grundlegende kritische Funktion - für
einen fairen Lohn für die Arbeiter zu kämpfen - ist
ihrem Griff entwunden und als ein Recht für den Minister
beansprucht worden. Den Organisationen, welche die
Arbeiterschaft vertreten, sind die Krümel, die
Randbereiche des Umfelds der Arbeiter geblieben."
"MOTO" / Harare / Juli 1985
"Streiks werden formell behindert, denn die gegenwärtige
Regierung - wie die frühere, von Weißen dominierte -
betrachtet generelles wirtschaftliches Wachstum als ein
wichtigeres Ziel denn die Herstellung von Bedingungen, in
denen Arbeiter um höhere Entlohnung kämpfen können."
Jeffrey Herbst in: "STATE POLITICS IN ZIMBABWE"
University of Zimbabwe Publications / Harare / 1990
Gewerkschaftsorganisation
1981 wurden die für nahezu alle beruflichen Sparten
bestehenden Einzelgewerkschaften unter dem Dachverband
Zimbabwe Congress of Trade Unions / ZCTU zusammengeführt.
Mitgliedsstärkste Einzelgewerkschaft ist die Associated
Mineworker's Union of Zimbabwe (Bergarbeitergewerkschaft)
mit rund 25.000 Mitgliedern (etwa die Hälfte der in
diesem Sektor Beschäftigten). Der Arbeitsminister
kontrolliert nach dem Labour Relations Act u.a. die
ordnungsgemäße Durchführung innergewerkschaftlicher
Wahlen und kann auf die Festsetzung und Verwendung von
Mitgliedsbeiträgen massiv Einfluß nehmen. Darüber
hinaus bedarf jede Vereinbarung der Gewerkschaften mit
den Arbeitgebern der Zustimmung des Arbeitsministeriums.
Eine gewerkschaftliche Autonomie in Lohnverhandlungen ist
- ohne detaillierte Handlungsanweisung - theoretisch seit
Einführung liberalisierterer Handelsbestimmungen und
Aufhebung von Preis- und Lohnkontrollen in 1989/90 möglich.
Die Schwäche der Gewerkschaftsbewegung ist zum Teil auch
selbstverschuldet: Über lange Jahre hat ZCTU keine
eigenen Positionen entwickelt und sich durch eine Häufung
von Korruptionsfällen in gewerkschaftlichen Führungskadern
vom Arbeitsministerium das Heft aus der Hand nehmen
lassen. Eine Rolle spielte dabei auch das ungeklärte
Verhältnis zur regierenden ZANU / PF, das vor allem dem
gegenwärtigen ZCTU-Generalsekretär Tsvangirai zu
schaffen macht. Er geriet nach einem BBC-Interview zur
Universitätsschließung im September 1989 in Polizeihaft.
Gerichtsanordnungen zur Freilassung wurden von der
Exekutive mehrfach ignoriert.
ZCTU-Generalsekretär Morgan Tsvangirai in eine Presse-Erklärung
zur Universitätsschließung am 5. Oktober 1989:
"Der Regierung muß mit allem Ernst geraten werden,
daß ihre Unterdrückungsversuche gegenüber der
wachsende Enttäuschung der Massen wegen steigender
Lebenskosten, Transportproblemen, Arbeitslosigkeit, Elend
und vieler anderer negativer sozio-ökonomischer
Entwicklungen mit Sicherheit die gesamte Gesellschaft
eher früher als später in Aufruhr versetzen wird. Sie
haben bereits zum brutalen Einsatz der Staatsmacht und
zur Unterdrückung individueller Rechte geführt. Wir
rufen deshalb alle Arbeiter Zimbabwes auf, einen Notstand
zu erklären und auf der Hut zu sein angesichts einer
endgültigen Bedrohung der Arbeiterrechte durch den Staat."
Dem besonnenen Arbeitsminister John Nkomo gelang es, für
Ruhe an der Arbeiterfront zu sorgen. Der ZCTU-Chef kam
schließlich ohne Anklage-Erhebung frei und übt sein Amt
weiter aus. Er tut dies ungebeugt, aber mit moderateren
Worten.
AUS: "PARADE" / HARARE / SPECIAL TENTH
ANNIVERSARY ISSUE / April 1990:
Morgan Tsvangirai, Generalsekretär des "Zimbabwe
Congress of Trade Unions":
"Es muß verstanden werden, daß die Arbeiterklasse
marginalisiert worden ist - politisch und ökonomisch -
vom Kapital und vom Staat. Noch bevor die Arbeiter ihre
Organisationen konsolidieren konnten, sind wir Zeugen
einer weiteren Öffnung der Wirtschaft für das
internationale Kapital... Die Reaktion der betroffenen
Organisationen auf die gegenwärtigen Gesetze wird Natur
und Art der kommenden Gesetzgebung bestimmen, da sich die
sozialen Widersprüche zwischen Arbeit, Kapital und Staat
verschärfen."
Arbeiterrechte
Das Arbeitsgesetz von 1985 brachte u.a. die Einführung
eines Mutterschaftsurlaubes und die Regelung, daß Veräußerung
eines Unternehmens bzw. der Tod des Arbeitgebers das
Arbeitsverhältnis unberührt lassen. Ist ein Unternehmer
von der Geschäftsaufgabe bedroht, so weist der
Arbeitsminister die Gewerkschaften an, sich aus eigenen
Mitteln um den Erwerb des Unternehmens zu bemühen. Auch
die Übernahme durch die Belegschaft ist möglich.
Erstmals wurden auch die Landarbeiter und
Hausangestellten erfaßt, deren rechtliche Situation
bislang nicht klar geregelt war, obwohl sie ca, 35 % der
Beschäftigten ausmachen. Je nach Wirtschaftssektor liegt
die wöchentliche Arbeitszeit bei 40 bzw. 44 Stunden.
Neben den gesetzlichen Feiertagen steht dem Arbeitnehmer
ein Jahresurlaub von drei Wochen zu. Kündigungen sind
bei Verletzung des Arbeitsvertrages möglich, bedürfen
jedoch der Zustimmung des Arbeitsministeriums. Bis zur
Erteilung dieser Zustimmung hat der Arbeitnehmer ein
Recht auf volle Lohnfortzahlung. Eine umfassende
gesetzliche Sozialversicherung existiert nicht. Nach dem
Workmen's Compensation Act muß der Arbeitgeber
allerdings für jeden Beschäftigten, der unter 650 Z-$
im Monat verdient, einen Betrag an den Staat abführen.
Bei vielen Unternehmen ist es üblich, den Arbeitnehmern
freiwillig zusätzliche Leistungen anzubieten. Eine
gesetzliche Krankenversicherung besteht ebenfalls noch
nicht. Für die Mitgliedschaft in non-profit medical aid
societies tragen üblicherweise Arbeitgeber und
Arbeitnehmer jeweils die Hälfte der Kosten. Arbeitnehmer
mit einem Monatsverdienst unter 150 Z-$ haben Anrecht auf
kostenlose Behandlung. Bei Krankheit muß der volle Lohn
bis zu 6 Arbeitstagen fortgezahlt werden. Bei längerfristiger
Arbeitsunfähigkeit wird bis zu höchstens 18 Monate
maximal 308 Z-$ pro Monat gezahlt. Die ein- bzw.
ausgezahlten Beträge der existierenden gesetzlichen
Rentenversicherung sind minimal. Für private
Rentenversicherungen zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
je die Hälfte des Beitrages, die wegen steuerlicher
Absetzbarkeit 12 % des Brutto-Einkommens nicht übersteigt.
AUS: "PARADE" / HARARE / SPECIAL TENTH
ANNIVERSARY ISSUE / April 1990:
Ein anonymer Ex-Combatant:
"Nach Angaben des Arbeitsministeriums sind 25.000
ehemalige Angehörige der Befreiungsstreitkräfte nach
zehn Jahren noch immer arbeitslos... Im Gegensatz dazu
erhalten Angehörige der ehemaligen rhodesischen Streitkräfte
Pensionen... Chris Pasipamire, Generalsekretär der 'War
Veterans Association', vor dem Zentralkomitee der ZANU/PF
im Dezember 1989: 'Wir sind als frühere Freiheitskämpfer
enttäuscht, daß einige Führer Besitz erworben haben
und Schwierigkeiten haben, für die Arbeiter und Bauern
einzutreten.'... Heute vor zehn Jahren war es anders, da
waren ZANLA un ZIPRA unersetzlich - Zimbabwe hing von
ihnen ab... Heute ist es normal, für sie Sympathie zu
zeigen aber nicht mehr zu offerieren als moralische
Unterstützung. Die Antwort auf die Frage, ob das richtig
oder falsch ist, ist klar: Der Kampf geht weiter!"
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