DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
"DER RASSENKAMPF FINDET NICHT STATT"
Es sind keine "Spitting Images", die da im
fahlen Licht der Neonlampen sitzen.
Die Fernsehscheinwerfer im riesigen Internationalen
Konferenzzentrum von Harare sind ausgeschaltet, das
Publikum ist ausgesperrt, die Führer von rund einhundert
Staaten der Blockfreienbewegung wollen an diesem
Nachmittag im September 1986 unter sich sein. Auch die
Mikrofone des Radio 4-Übertragungswagens von ZBC,
geparkt im Kellergeschoß, sind abgestellt. Mit meinem
Spezialausweis habe ich mich auf die leere Pressetribüne
gesetzt und genieße das Privileg, in dieser Stunde als
einziger Zaungast dieser größten Versammlung der Welt
außerhalb der Generalversammlung der UNO zuzuschauen
ich tue es mit Muße.
Das Licht läßt die Akteure wie Wachsfiguren erscheinen
es täuscht: Die meisten sind durch Stahlbäder
gegangen. Dort unten sitzen die Führer von Revolutionen,
von Umstürzen und von Intrigen, Veteranen der
antikolonialen Befreiungskämpfe in der ersten Hälfte
dieses Jahrhunderts, Sieger gegen neokoloniale Supermächte,
Überlebende von Palastrevolten und Kontrahenten
in andauernden Grenz- und Religionskriegen auf Testplätzen
internationaler Waffenproduzenten. Zwei von ihnen werden
das Ende des Jahres nicht mehr erleben der eine
erschossen in einem Putsch, der andere Opfer eines
mysteriösen Flugzeugabsturzes. Ein dritter wird zwei
Jahre später ebenfalls im Feuerball einer explodierenden
Militärmaschine sterben, andere sind bei Putschversuchen
gerade noch einmal knapp davongekommen und wieder andere
wurden auch das kommt vor schlicht abgewählt.
Für drei Jahre rückt Zimbabwe in den Mittelpunkt dieser
101 Länder starken Völkergemeinschaft, die fast die
gesamte sogenannte Dritte Welt repräsentiert und sich
blockfrei nennt. Der zimbabwesche Premierminister Robert
Mugabe, seit 1987 Exekutivpräsident, übernimmt während
dieser Gipfelkonferenz für drei Jahre den Vorsitz der
Blockfreienbewegung.
Was heißt "blockfrei"? Da unten sitzen
Vertreter von Ländern beisammen, die seit Jahren Krieg
gegeneinander führen, wie der Iran und der Irak, oder
die Grenzkonflikte ungelöst vor sich her schieben, wie
Indien und Pakistan. Der bärtige Fidel Castro hat Kubas
Abhängigkeit von Moskau durch die schlimmsten Zeiten der
Breschnew-Ära nie gelockert erst später werden
"Glasnost" und "Perestroika"
Gorbatschows ihn in seinem Ideologie-Bunker isolieren.
Die Männer mit dem Emaille-Kopf Kim Il-sungs am Revers
ihrer grauen Anzüge repräsentieren das Land mit dem
ausgeprägtesten Personenkult Nordkorea. Und
Libyens Gaddafi, der mit seiner fanatischen, aber hübschen
Leibgarde für das einzige weibliche Element in dieser Männergesellschaft
sorgt, läßt bei seinem Auftritt kein gutes Haar an
einigen Kollegen, denen er selbstsüchtige Motive
unterstellt.
Robert Mugabe, als Vermittler auf dem Stuhl des
Vorsitzenden dieser bunt gemischten Versammlung, dürfte
schon ein gutes halbes Jahr zuvor eine Ahnung davon
erhalten haben, daß nicht bloß die Verständigung
zwischen Schwarz und Weiß ihre Probleme hat.
Beim Staatsbesuch des iranischen Präsidenten Khamanei im
Januar 1986 entwickelten sich die interkulturellen
Widersprüche zum unvermeidlichen Eklat. Das begann beim
traditionellen Ausflug zu den Victoria Fällen an Bord
der "Air Zimbabwe"-Maschine: Die iranische
Delegation weigerte sich, die Bedienung durch
Stewardessen zu akzeptieren, bei der Ankunft in Victoria
Falls wandte sie sich ab, als sie von einer
traditionellen Tanzgruppe mit weiblichen Mitgliedern begrüßt
wurde. Der Konflikt erreichte das Ende der Geduldsgrenze
auf Seiten der Gastgeber beim Staatsbanket zum Abschluß
des Besuchs peinlich berührt nahm Khamenei's
Delegation die anwesende Begleitung Mugabes zur Kenntnis,
darunter eine Ministerin, Staatssekretärinnen und
Sally, die Frau Mugabes! Konfrontiert mit dem Wunsch der
Gäste, Männer und Frauen müßten getrennt speisen,
verließ Mugabe das Banket. Das zimbabwesche Fernsehen
erhielt die Erlaubnis, den Vorfall in den
Hauptabendnachrichten des nächsten Tages zu
dokumentieren mit der Erklärung eines
Regierungssprechers, Frauen hätten bei der Befreiung des
Landes eine bedeutende Rolle gespielt, sie hätten in
Zimbabwe Anspruch auf einen Ehrenplatz.
Einige Wochen später zahlte der iranische Botschafter in
Harare 2.000 Dollar für eine Zeitungsanzeige. Darin
wurde einerseits die Schuld an dem Eklat auf das
zimbabwesche Außenministerium abgeladen, das rechtzeitig
auf iranische Gepflogenheiten aufmerksam gemacht worden
sei, und andererseits der Versuch unternommen, diese
Gepflogenheiten zu erläutern. Andrew Saxon, Kolumnist
der Harare-"Sunday Mail", gab seinem Kommmentar
zu diesem Erläuterungsversuch die Überschrift: "Iranische
Botschaft schießt sich selber in den Fuß":
"... Die 2.000-Dollar-Anzeige machte auch ein paar
interessante Anmerkungen über Frauen. Es wurde erklärt,
daß nach islamischem Recht Moslems unterschiedlichen
Geschlechts niemals physischen Kontakt außerhalb der Ehe
oder der unmittelbaren Familie haben dürfen. Diese Form
'körperlicher Begegnung' zeige moslemischen Respekt für
Frauen und könne nicht geändert werden. In der
Geschichte, so heißt es weiter in der Anzeige, seien
Frauen als Handelsware behandelt worden da gibt es
wohl wenige, die das bestreiten. Nach altem indischem
Brauch seien Frauen schlimmer als 'Hölle, Vipern und
Feuer' betrachtet worden. Sogar in Australien wären
Frauen von Einwanderern nicht besser als Tiere behandelt
und 'in Zeiten von Hunger und Dürre geschlachtet und
aufgegessen' worden. Der Islam hat den Iranern
zufolge diesen wilden und unmenschlichen Aktivitäten
ein Ende gesetzt und sie ersetzt durch ein Konzept der
Gleichheit von Mann und Frau. Hier aber liegt der Haken:
Zimbabwer können keine Gleichheit erkennen in einem
System, das 'Mischen' der Geschlechter verbietet und die
bedeutenden weiblichen Mitglieder unseres Kabinetts in
eine dunkle Ecke des Banket-Saals verbannt. Und nebenbei:
Ich habe noch nie einen australischen Kannibalen
getroffen oder darüber gelesen."("Sunday Mail",
"PUBLIC EYE" 16.02.1986)
Im Mai 1985 hatte die "Sunday Mail" über einen
weithin unbekannten Aspekt gesellschaftlicher Veränderung
berichtet, unter der Überschrift: "Zimbabwer wenden
sich dem Islam zu".
Auf 60 - 70.000 wird heute ihre Zahl geschätzt, mit
knapp 70 Moscheen in verschiedenen Teilen des Landes und
dem Zentrum der Islamischen Mission in Zimbabwes größter
Moschee, in Kwe Kwe. Schon vor Beginn des 16.
Jahrhunderts kamen persische und arabische Moslems von
der ostafrikanischen Küste in die Gegend des heutigen
Zimbabwe. Moslems waren am Hof Monhumumatapas etabliert,
als Portugiesen im 16. Jahrhundert in das Karanga-Reich
einfielen. Doch gegen Ende jenes Jahrhunderts waren die
meisten durch Monhumutapas Krieger und durch die
Portugiesen massakriert so berichtet die 1987 in
Harare publizierte "ZIMBABWE ENZYKLOPÄDIE",
die für die nächsten zwei Jahrhunderte kaum Hinweise
auf die Existenz von Moslems fand. Sie kamen erst wieder
Mitte des 18. Jahrhunderts, als moslemische
Gemeinschaften aus Mozambique nach Malawi, Zimbabwe und Südafrika
emigrierten. Die Tatsache, daß heute allein weit über
50.000 der in Zimbabwe lebenden Moslems malawischer
Abstammung sind, hängt mit der durch weiße Siedler Ende
des vergangenen Jahrhunderts begonnenen Ausbeutung von
Rohstoffen in Bergwerken zusammen, zu der weder die viehzüchtenden
Ndebele, noch die ackerbautreibenden Shona gezwungen
werden konnten. An der bislang einzigen Universität
Zimbabwes in Harare werden islamische Studien betrieben,
ohne großes Aufsehen fließen Gelder unter anderem aus
Saudi Arabien und aus Kuwait für den Bau von Moscheen
und Gemeinschaftseinrichtungen.
Im April 1989 nahm die ZIMBABWE WRITER'S UNION "mit
größtem Alarm und Horror" Meldungen über die
Beschlagnahme von Salman Rushdie's Buch "Satanische
Verse" durch den Zoll am Flughafen von Harare zur
Kenntnis. Der Schriftsteller-Verband argumentierte, es
sei das Recht von Zimbabwern, für sich selbst zu
entscheiden, ob sie das Werk beleidigend fänden. Außenminister
Shamuyarira erklärte gegenüber der Presse:
"Wir haben keine spezifizierte Haltung gegenüber
diesem umstrittenen Buch, denn es gibt hier nur wenige
Moslems, und ich habe noch keinen Vorbehalt von ihnen gehört."
Vier Tage später kam es in Harare während der 4.
Generalversammlung der "Union Moslemischer Räte aus
Ost-, Zentral- und Südafrika" zu einer von auswärtigen
Moslem-Vertretern geführten Kontroverse. Der Direktor
der Zimbabweschen Islamischen Mission, Sheik Adam Makda,
meldete jedoch in einer Presseverlautbarung seine
Oppostion gegen das durch Ayatolla Khomeinei verfügte
Todesurteil für Salman Rushdie an:
"Rushdie's Verbrechen ist die Aufgabe des Glaubens ('apostasy')
und verdient den Tod. Aber nach islamischer
Rechtssprechung kann ein Todesurteil nur durch ein
anerkanntes Gericht gefällt werden, wenn der
Beschuldigte sein Verbrechen vor den Richtern gestanden
hat."
Zimbabwe ist selber konfrontiert mit dem schwierigen
Auftrag, Heimat zu sein für Menschen unterschiedlicher
kultureller Sozialisation. Drei Jahre im Mittelpunkt
einer heterogenen Völkergemeinschaft, wie der
Blockfreienbewegung, dürfte zumindest für seine
politische Führung und insbesondere für Robert Mugabe
einen Lernprozeß angestoßen haben, der schlichte "Schwarz
/ Weiß"-Denkmuster aus den Zeiten des
Befreiungskampfes überholt.
Das ultramoderne Nationalstadion in Harare haben die
Chinesen gebaut, die monumentale Heldengedenkstätte schräg
gegenüber die Nordkoreaner. Anfang Juli 1989 durfte
Zimbabwes Präsident Robert Mugabe in Nordkoreas
Hauptstadt Pjöngjang die Weltjugendspiele eröffnen. Mit
Nordkorea und mit China verbindet Zimbabwes Führung ein
tiefes Freundschaftsband, das in der Zeit des
Befreiungskampfes im früheren Rhodesien geknüpft wurde.
In einer BBC-Dokumentation über das "Ende des
britischen Imperiums" erinnerte sich Robert Mugabe:
"In den verschiedenen Camps in Tansania lehrten
chinesische Instruktoren Maos Gedanke vom Fisch im Wasser.
Innerhalb des Volkes müßten die Kader arbeiten, ohne
das Volk seien sie wie ein Fisch ohne Wasser."
Verständlich also, daß die brutale Niederschlagung der
Studentenproteste in China Anfang Juni 1989 bei
Intellektuellen in Zimbabwe zu Interpretationszwängen führte.
Die regierungsnahe Presse übernahm zunächst
kommentarlos Meldungen westlicher Nachrichten-Agenturen.
Dann mit einwöchiger Verspätung erschien
in der "Sunday Mail" der erste
Grundsatzkommentar des Chefredakteurs, der den Standpunkt
der afrikanischen Frontlinienstaaten deutlich machte.
Unter Verweis auf die Reaktionen führender westlicher
Regierungen hieß es:
"Wir bedauern den Verlust an Menschenleben, aber wir
weigern uns, in Verdammungsurteile und Anklagen
bestimmter Weltpolitiker einzustimmen. Wir wissen nicht,
was ihre Motive sind, da sie sich doch ganz wohl fühlen
in der Gesellschaft jener, die schwarze Menschen in Südafrika
und in Namibia gewaltsam unterdrücken. Wir haben nicht
dasselbe Ziel, deshalb weigern wir uns, denselben Zug zu
besteigen."
Und an anderer Stelle hieß es:
"Wenn nur Washington, London, Paris, Bonn und Brüssel
mit demselben Eifer und derselben Leidenschaft kämpfen würden
für Demokratie und Freiheit in Südafrika, Namibia und
Palästina, mit der sie für 'Freiheit' und für
'Demokratie' in Beijing, Warschau und Moskau kämpfen
was für eine wunderbare Welt wäre das."
Am Ende des Kommentars schrieb der "Sunday Mail"-Chefredakteur:
"Man mag versucht sein, zu fragen: Wohin China? Doch
das wäre oberflächlich. Dies ist eine Angelegenheit,
die das gesamte sozialistische Lager und die
fortschrittliche Welt angeht, die eine sehr schwierige
Zeit durchmachen. Die richtige Frage sollte lauten: Wohin
Welt-Sozialismus?"
Eine Woche nach diesem Kommentar kam es zu einem
spektakulären Gegenruf in der Leserbriefspalte der
"Sunday Mail". Der über achtzigjährige Sir
Garfield Todd, Premierminster Südrhodesiens von 1953 bis
1958, meldete sich empört zu Wort und eröffnete damit
eine Leser-Diskussion über Demokratieverständnis.
Garfield Todd war in den Fünfziger Jahren mit ersten
Reformversuchen zu Gunsten von mehr Bildung und Rechten für
die schwarze, rhodesische Bevölkerung am Widerstand
seiner eigenen weißen Parteiführung gescheitert. In den
Sechziger und Siebziger Jahren lebte er unter Hausarrest
auf seiner Farm, 1972 wurde er vorübergehend verhaftet.
Garfield Todds wesentlicher Einwand bezog sich auf die
wie er schrieb "konfuse"
Interpretation "'bourgeoiser' Konzepte von
Pressefreiheit, Wahlen, Pluralismus, Parlament und
Demokratie", so als ob diese Werte je nach
Brauchbarkeit für verschiedene politische Philosophien
ausgelegt werden könnten.
Fett gedruckt und direkt im Anschluß an seinen
Leserbrief antwortete der Chefredakteur:
"Natürlich sind solche Werte wie 'Pressefreiheit',
'Wahlen', 'Pluralismus', 'Parlament' und 'Demokratie'
immer unterschiedlich ausgelegt worden, um sie den
jeweiligen politischen Philosophien anzupassen. Das war
so in der gesamten Geschichte. Darum hatten die Besitzer
der Sklaven von Griechenland und Rom Demokratie für sich
unter Ausschluß der Sklaven. Darum waren in der
Französischen Revolution unter dem Banner von Freiheit,
Brüderlichkeit und Gleichheit die Sklaven von Haiti und
der übrigen französischen Kolonien nicht eingeschlossen...
Und deshalb gab es hier für Jahrzehnte eine 'Demokratie'
der Siedler und Kolonialisten, dank derer Sie (Sir
Garfield Todd) einst Premierminister wurden... Die
sozialistischen Länder haben jene materielle Hilfe gewährt,
die den Kampf um das Ende des Smith-Regimes möglich
machte, gegen das auch Sie gekämpft haben."
Die Solidarität mit den einstigen Helfern im
Befreiungskampf, die Zimbabwes regierungsnahe Presse
beschwor, verdeckt jedoch eine Entwicklung innerhalb der
sogenannten Dritten Welt, deren bedrohliche Tendenz den
allgemeinen Solidaritätsanspruch gefährdet: Rassismus
nach einer alten Farbenlehre, in der zwischen "Schwarz"
und "Weiß" noch eine Hackordnung für andere
Farben existiert.
In den Monaten vor den Studenten-Protesten gegen
Regierung und Partei Chinas waren Zimbabwes Zeitungen
voll von Berichten über rassistische Ausschreitungen an
chinesischen Hochschulen gegen afrikanische Gast-Studenten.
Diese von Europäern in ihrer Tragweite kaum
wahrgenommenen Tumulte waren ausgelöst worden
durch Kontakte afrikanischer Studenten mit chinesischen
Frauen, AIDS-Angst spielte dabei eine eher vorgeschobene
Rolle. In Leser-Reaktionen auf zimbabwesche Presse-Berichte
über das Vorgehen des Militärs gegen die chinesischen
Studenten wurde unverhohlene Genugtuung deutlich und ein
Zusammenhang mit deren rassistischen Handlungen gegen
Afrikaner hergestellt.
Als chinesische Fachleute über viele Jahre in Harare das
moderne Nationalstadion bauten, lebten sie isoliert in
Camps auf der Baustelle weit außerhalb des Stadtzentrums.
Andrew Saxon, der Mann mit der spitzen Feder, verkniff es
sich nicht, in seiner "Sunday Mail"-Kolumne
gelegentlich auf ihre Existenz mit ironischen Anmerkungen
hinzuweisen, etwa auf die Gewohnheit der Fremden, abends
im nahegelegenen Golf-Gelände Jagd auf Ochsenfrösche für
den Kochtopf zu machen, ein gefährliches Hobby
wie er schrieb , der Club-Vorstand habe jede
Verantwortung für Unfälle durch scharf geschlagene
Golfbälle abgelehnt.
Die asiatischen Gemeinschaften in der Hauptstadt leben
zurückgezogen, es gibt nicht wie in anderen
Metropolen ein indisches oder ein chinesisches
Viertel mit Garküchen und öffentlichen Kulturzentren.
Sehr vorsichtig erinnerte im achten Jahr der Unabhängigkeit
ein Leser des regierungsnahen "HERALD" daran,
daß auch die "Coloured", die afrikanischen
Mischlinge, ihren Anteil am Befreiungskampf hatten. Auch
sie leben weitgehend in abgeschlossenen Wohnvierteln,
ihre öffentlich wahrgenommenen, gesellschaftlichen
Aktivitäten beschränken sich auf den Fußballclub
"Arcadia", in Rhodesien ein erfolgreicher
Verein, in Zimbabwe um seine Existenz kämpfend.
Ich lebe und arbeite in einem Land, das vor neun Jahren
weiße Vorherrschaft überwand, in einem langen,
bewaffneten Kampf, der rückblickend von
den schwarzen Siegern nicht mehr als eine rassistische
Auseinandersetzung, sondern als ein Aufstand gegen eine
ausbeutende Klasse begriffen wird. In meinem schon erwähnten
Gespräch mit dem zimbabweschen Parlamentspräsidenten
Didymus Mutasa legte dieser Wert auf die Feststellung, in
seinem Land könne man nicht mehr nur von einer
multirassischen Gesellschaft sprechen, sondern von einer
Gesellschaft, in der die Hautfarbe überhaupt keine Rolle
mehr spiele.
Das scheint mir eine übertrieben optimistische
Darstellung, aber sie verweist auf einen Ursprung von
Rassismus: auf das Gefälle von Macht, das sich ausdrückt
in materiellem Besitz, der auf der einen Seite verteidigt
und auf der anderen Seite entweder individuell als
erstrebenswert empfunden oder gesellschaftlich als
ungerecht erkannt und bekämpft wird.
Das Rassismus-Konzept, das sich vor allem im Zusammenhang
mit der Kolonialismus-Kritik zum Beispiel in Gert von
Paczensky's vor zwanzig Jahren erschienenen Buch "DIE
WEISSEN KOMMEN" schon im Titel dokumentiert, hat
eher zur Verwirrung beigetragen. Die Vorstellung, "Weiß"
gegen "Schwarz" oder gegen "Gelb"
oder "Rot" also die Art der
Pigmentierung von Haut, verbunden mit kulturellem Dünkel,
sei für Vormachtansprüche in der Geschichte der
Menschheit verantwortlich, ist schon vor ebenfalls
zwanzig Jahren von Freimut Duve in seinem weniger voluminösen
Band "DER RASSEN-KAMPF FINDET NICHT STATT" mit
dem Hinweis widerlegt worden, auch der Konflikt im südlichen
Afrika sei eher als Klassenkampf zu werten.
Anfang 1989 für einige Wochen nach Hause zurückgekehrt
fand ich in einer deutschen Buchhandlung die
wie ich glaube verständnisvollste
Aufarbeitung des Rassisismusproblems, aufgeschrieben von
einer Frau, die sich dem Thema nicht journalistisch nähert,
sondern aus der zehnjährigen Praxis einer Ombudsfrau für
die Interessenvertretung von Einwanderern und Ausländern
in Amsterdam. Der Berliner Orlanda-Frauenverlag hat dem
"Handbuch" von Lida van den Broek den Titel
"AM ENDE DER WEISSHEIT" gegeben "Weißheit"
mit "ß" geschrieben, ein Wortspiel, das
verstanden werden kann als Hinweis auf den aktuellen
Druck von Fremdenhaß in europäischen Ländern, mit dem
Kommunen und Politiker am Ende iherer Weisheit
konfrontiert sind, aber auch als Hinweis auf die
Grundthese der Autorin, daß sich das Konzept, weißes Überlegenheitsgefühl
sei das Grundelement von Rassismus, nicht mehr
aufrechterhalten läßt:
"Rassismus ist ein struktureller Bestandteil unserer
Gesellschaftsordnung," schreibt Lida van den Broek,
und weiter: "Er ist eng verbunden mit dem
kapitalistischen System und seinen ökonomischen
Interessen."
"Schlechte ökonomische Verhältnisse," so führt
sie weiter aus, "und die Präsenz ausländischer
Arbeiter sind nicht Ursache des Rassismus, sondern nur
ein Umstand, der Rassismus besonders deutlich
hervortreten läßt..."
Was ist damit gemeint? Die Autorin nimmt den Leser mit
auf historische Exkurse und durch plastisch beschriebene
Lebenserfahrungen, die die Existenz unterschiedlicher
menschlicher Rassen als einen Mythos entlarven, der
erfunden wurde, um die Ausbeutung einer Klasse durch eine
andere zu kaschieren. In seinem Buch "Le Racism"
so erläutert Lida van den Broek habe
Albert Memmi den Nachweis geführt, daß der Begriff
"Rasse" aus der Viehzucht stammt und dort
eingeführt wurde, um höhere Nutzleistungen zu erzielen.
Ihre Schlußfolgerung:
"Die Behauptung, daß es unterschiedliche
menschliche Rassen gebe, erlaubt es, ein Wertesystem zu
errichten und eine Bevölkerungsgruppe zum Nutzen einer
anderen auszubeuten. Die Rassentheorie ist eine ungeheure
und unmenschliche Lüge, die der Sklaverei zugute kam. Es
gibt keine reinen Rassen und es gibt keine
unterschiedlichen Rassen. Wir können höchstens sagen,
daß es eine Rasse, nämlich die menschliche, gibt. Wenn
wir es jedoch ablehnen, Menschen weiterhin nach ihrem
Marktwert zu beurteilen, ist der ganze Begriff überflüssig
geworden."
So einfach in der Darstellung, so schwierig in der
Umsetzung. Lida van den Broek hat sich die Mühe gemacht,
in individuellen Erziehungsprozessen nach Mustern einer
rassistischen Konditionierung zu suchen und die
beschränken sich nicht nur auf früh vermittelte
Vorurteile gegenüber Menschen anderer Hautfarbe.
Stattdessen ist sie in der Lage, eine ganze Liste von
Merkmalen aufzustellen, auf der sich Menschengruppen
wiederfinden, die Rassismus, und damit Unterdrückung, in
anderen Formen erleben. Sie passen nicht in das Bild, das
sich die sie umgebende Mehrheit von sich selber macht,
oder sie werden als unnütz oder als Bedrohung empfunden.
Lida van den Broek unterscheidet "Unterdrückung,
die auf Produktivität beruht" und "Unterdrückung,
die auf Nicht-Produktivität beruht". Zum ersten
Schema gehören Klassenherrschaft, Rassismus und
Antisemitismus, zum zweiten Schema Bodyismus, also
Diskriminierung körperlich oder geistig Behinderter,
Sexismus, Heterosexismus, Altendiskriminierung und
Adultismus, also die Machtausübung Erwachsener gegenüber
Kindern.
Unvermutet werden wir konfrontiert mit gewöhnlichen
Unterdrückungsmechanismen in unserem Alltag; Rassismus
ist plötzlich nicht mehr nur ein Stichwort aus der
Tagesschau mit Bildern von Weißen, die Schwarze prügeln.
"Rassismus ist wie jede andere Form von Unterdrückung
eine institutionalisierte Ungleichheit innerhalb des
sozialen Machtgefüges," stellt Lida van den Broek
fest und nutzt nun ihre Erfahrung als Ombudsfrau im
Amsterdamer Schmelztiegel von Menschen unterschiedlicher
Herkunft, um ein Modell für den individuellen Widerstand
gegen falsche Konditionierung anzubieten. Dabei streift
sie zunächst die vielen Versuche von Gruppen und
Organisationen in diversen Anti-Rassismus-Kampagnen und
entdeckt dabei, wie viel zu oft ein Stereotyp lediglich
gegen ein anderes ersetzt wird.
"Wenn eine Krabbe aus einem vollen Krabbenkorb
kriechen will, wird sie von den anderen wieder nach unten
gezogen. Das Leiden an der eigenen Unterdrückung läßt
nicht zu, daß sich ein anderer befreit. Die
verinnerlichte Unterdrückung kennt Mittel und Wege, sich
gegenseitig mit Erfolg unten zu halten."
Mit diesem Bild kennzeichnet Lida van den Broek eine der
Ursachen für die Erfolglosigkeit des Anti-Rassismus-Kampfes.
Doch ihre erstaunlichste Erkenntnis ist der Vorschlag,
Rassisten also die jeweiligen Unterdrücker
selber als Opfer von Unterdrückung zu begreifen, als
Opfer ihrer Erziehung und als Opfer der Hierarchie, in
der sie leben.
Ein Schlüsselsatz in diesem Handbuch lautet:
"Um dem Ziel einer Befreiung vom Rassismus näherzukommen,
ist es wichtig, nicht von der Schuld, sondern von der
Verantwortlichkeit des Einzelnen zu sprechen."
Diese Feststellung geht auf die Erfahrung zurück,
schreibt Lida van den Broek, daß der Kampf gegen
Rassismus aus einem Schuldgefühl heraus sich als wenig
effektiv erwiesen habe, nicht zuletzt, weil nur ganz
bestimmte Gruppen bereit gewesen seien, einen solchen
Ausgangspunkt zu akzeptieren. Konsequent plädiert die
Autorin also für eine breite Bündnis-Strategie, die
letzten Endes sogar aktive Rassisten durch Aufklärung über
ihre eigenen Abhängigkeiten einbeziehen könne.
"AM ENDE DER WEISSHEIT" von Lida van den Broek
könnte der Anfang von Weisheit im Umgang mit unseren Ängsten
gegenüber Fremden sein, die für Schwarze in Afrika
wie wir gesehen haben oft nicht nur weiß
aussehen und für Weiße in Europa bekanntlich nicht nur
schwarz.
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