DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
EINE VILLA IN MANILA
ODER:
DIE ARBEIT UND IHR WERT
Ein anderes Mal waren wir bei einem jungen deutschen
Ehepaar eingeladen, das hatte auch ein kleines Kind.
Der Mann sagte: "Wir haben diese Villa hier gemietet.
Das könnten wir uns zu Hause gar nicht leisten. Die Möbel
haben wir uns nach unseren Wünschen für einen
Spottpreis handarbeiten lassen!"
Die Frau sagte: "Ich möchte nicht wieder zurück
nach Deutschland. Wenn der Arbeitsvertrag für meinen
Mann hier zu Ende ist, wird er eine neue Stellung in
einem anderen asiatischen Land suchen, oder vielleicht in
Südamerika!"
Klaus meinte hinterher: "Der Mann verdient nicht
mehr als ein Hochschullehrer in Deutschland, aber das
Geld reicht aus, um so zu leben wie zu Hause ein
Fabrikbesitzer."
Ich erfuhr, daß nicht alle Weiße, die hier wie Reiche
leben, wirklich reich sind. Sie müßten es sein, um zu
Hause so leben zu können. Für ihre Villa in Manila
zahlte diese Familie im Monat 2.000 Pesos Miete. Das sind
in deutschem Geld ungefähr 670 Mark (1 DM = 3 Pesos).
"Für so ein Haus wäre in Deutschland die Miete
doppelt so teuer, und die Frau müßte wohl mitarbeiten,"
meinte Elsa, "und Hauspersonal, wie es hier die
meisten weißen Familien haben, wäre sowieso gar nicht
zu bezahlen!"
"Aber wie kann man denn leben wie reiche Leute, ohne
dafür genug Geld zu haben?" wollte ich wissen.
"Fragen wir den Taxi-Fahrer, was er verdient,"
schlug Klaus vor.
Es war eine ziemlich klapprige Karre, die uns zurück ins
Hotel fuhr und rostig dazu.
"Ich bin nicht der Besitzer ," entschuldigte
sich der Fahrer. "Ich habe den Wagen von einem Mann
geliehen, der hat fünf solcher Taxis. Mit diesem Auto
hier fahre ich täglich soviele Stunden wie ich kann.
Geht das Geschäft gut, verdiene ich bis zu 150 Pesos (50
Mark) am Tag. Aber davon gehen ungefähr 35 Pesos (12
Mark) für Benzin und noch einmal 45 Pesos (15 Mark) ab,
die ich dem Autobesitzer jeden Tag bezahlen muß."
"Laßt uns mal rechnen," sagte Elsa: "Wenn
wir alles aufrunden und den günstigsten Fall annehmen
daß er nämlich jeden Tag 50 Mark einnimmt
dann sind das bei allen Abzügen bloß 23 Mark
Tagesverdienst und bei 30 Tagen im Monat ganze 690 Mark."
"Oder," fügte Klaus hinzu, "wenn er, was
vermutlich öfter passiert, nur ein paar Tage weniger
fahren kann, gerade soviel wie unsere deutschen Gastgeber
allein an Miete für ihre Villa ausgeben!"
"Man kann aber noch eine andere Rechnung aufmachen,"
sagte Elsa. "An jedem Tag bekommt der Besitzer der fünf
Taxis von jedem Pächter 15 Mark. Das sind täglich 75
Mark und im Monat 2.250 Mark, unabhängig davon, ob das
Geschäft gut oder schlecht geht. Und er muß nicht einen
Handschlag dafür tun!" "Was man an diesem
Schrott-Auto sehen kann," setzte Klaus hinzu.
Das Taxi fuhr am Eingang unseres Hotels vor, und Klaus
sagte beim Bezahlen: "Das ist natürlich auch ein
Spottpreis. In Deutschland hätten wir für dieselbe
Strecke das Zehnfache bezahlen müssen, und da wären wir
wahrscheinlich lieber mit der Straßenbahn gefahren."
"Wir sind hier also auch reicher als zu Hause?"
"Wir kommen aus einem Land," antwortete mir
Klaus, "wo jeder Arbeiter einen besseren Wagen fährt
als dieser Rostschlitten hier. Habt ihr mal darauf
geachtet, wieviele Leute in diesem Hotel arbeiten? Die
beiden boys hier, die uns die Tür aufhalten und ein Taxi
herbeipfeifen, wenn wir wegwollen, Tag und Nacht zwei,
drei Leute an der Anmeldung, am swimming pool jemand, der
morgens die Liegestühle hin- und abends wieder wegräumt,
jemand anders, der die Getränke serviert, auf jedem Flur
eine Kolonne, die täglich alle Zimmer säubert. In so
einem Hotel könnten wir in Deutschland zum selben Preis,
den wir hier für sechs Wochen zahlen, vielleicht gerade
eine halbe Woche lang wohnen. Wir sind hier reicher, weil
hier etwas bestimmtes viel billiger ist als daheim."
"Hat das was mit dem Taxi-Fahrer zu tun?"
"Mit dem Taxi-Fahrer, mit den Leuten, die in diesem
Hotel arbeiten überhaupt mit Arbeit und ihrem
Wert.!"
"Ich bin dafür, das Hotel und seinen Wert zu
nutzen," unterbrach Elsa, als wir mit dem Lift nach
oben fuhren. "Am swimming pool rechnet es sich nämlich
auch viel besser!"
"Und ich habe ja was dafür geleistet," sagte
ich, "ich habe hier ja schwimmen gelernt!"
Ich traf meine Feundin Kwang Bae Kim nicht am
Schwimmbecken, also tauchte ich bloß ein paarmal
das hatte ich auch gleich in den ersten Wochen in Manila
gelernt. Klaus warf einen Stein an die tiefste Stelle,
den konnte ich herausholen. Manchmal verlor er beim
Schwimmen seine Brille, dann tauchte ich danach und er
spendierte mir eine Cola.
Jetzt saßen wir am Beckenrand und kühlten uns auch von
innen ab wir hatten uns was Kühles zum Trinken
bestellt.
"Hier in Manila hat vor einem Jahr eine deutsche
Firma eine Fabrik gebaut. Die hat rund zwölf Millionen
Mark gekostet. Die Firma wollte hier Büstenhalter nähen
lassen.."
"Aha," sagte Elsa, "und die hast du dir
angeguckt!"
"Ja," fuhr Klaus fort, "die Fabrik! Die
Bundesregierung lieh dem Unternehmer für diesen
Fabrikbau 7,5 Millionen Mark; er brauchte also bloß noch
4,5 Millionen selber zu bezahlen."
"Bekommt denn jeder Fabrikbesitzer von unserer
Regierung Geld geliehen, wenn er eine neue Fabrik baut?"
fragte ich.
"Immer dann, wenn er damit Arbeitsplätze schafft.
Und wenn er das in einem sogenannten unterentwickelten
Land tut, dann heißt das 'Entwicklungshilfe'! Hier in
Manila sollten eintausend Arbeitsplätze geschaffen
werden, jetzt nach einem Jahr sind es schon dreihundert.
300 Frauen sitzen in einer grossen Halle und nähen den
ganzen Tag aus Stoff, der aus dem Ausland kommt, Büstenhalter,
die wieder ins Ausland gehen. Das Geschäft macht der
deutsche Unternehmer, denn ihm allein gehört die neue
Fabrik."
"Was verdienen die Näherinnen?"
"Ich habe mir alles aufgeschrieben," antwortete
Klaus und suchte in seinem Notizbuch, "aber du mußt
mir beim Rechnen helfen, Elsa!"
Elsa kann nämlich von uns dreien am Schnellsten rechnen.
"Also, jede der 300 Näherinnen bekommt für einen
ganzen Arbeitstag ungefähr 3 Mark 50. Das müßte der
deutsche Fabrikant zu Hause einer deutschen Näherin für
eine halbe Stunde zahlen, also bei einem Acht-Stunden-Tag
wenigstens...?"
"Sechsunfünfzig Mark!"
"Mit seiner neuen Fabrik in Manila spart er also pro
Näherin 52 Mark 50!" "Dann laß uns doch mal
weiterrechnen!" schlug Elsa vor. "Für 300
deutsche Näherinnen müßte dieser Unternehmer in der
Bundesrepublik jeden Tag dreihundertmal 52,50 Mark
das sind 15.750 Mark mehr ausgeben. Bei 30 Tagen
im Monat sind das: 472.500 Mark das ist beinahe
eine halbe Million! Der Bursche spart allein an
Lohngeldern jeden Monat eine halbe Million Mark! Das sind
in einem Jahr, also mal zwölf: 5.670.000 Mark!
Das ist ja nicht zu fassen! Und in zwei Jahren hat er mit
den eingesparten Lohngeldern beinahe die ganzen zwölf
Millionen Mark wieder in der Kasse, die ihn die neue
Fabrik gekostet hat!"
"Früher, viel früher," warf Klaus ein, "in
wenigen Monaten wird er ja nicht mehr bloß 300, sondern
1.000 Näherinnen beschäftigen!"
"Und das Ganze nennt man 'Entwicklungshilfe'? Wer
entwickelt denn da wen? In erster Linie dieser
Unternehmer wohl seinen Gewinn!" schimpfte Elsa.
"Viel bleibt hier nicht hängen, denn Steuern
braucht die deutsche Firma hier auch nicht zu bezahlen.
Dabei arbeiten die Frauen gern bei den Deutschen, so
haben sie es mir jedenfalls gesagt. Die Fabrikhalle hat
eine Klima-Anlage, die sie vor der Hitze schützt, und
sie verdienen immer noch mehr als zum Beispiel bei einer
einheimischen Firma."
Klaus nahm einen letzten Schluck aus seiner Bierflasche,
dann stellte er sie leer zurück.
"Jetzt hast du fast den ganzen Tageslohn einer Näherin
vertrunken," sagte Elsa.
"Was?"
"Dieses Bier aus Europa kostet umgerechnet mehr als
drei Mark!"
"Na ja, Bier aus Europa muß es ja nicht gerade sein.
Aber auf dem Markt kosten fünf Tomaten 70 Pfennig
das ist ein Fünftel des Tageslohns!"
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