DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
FEUER UND WASSER
ODER:
KEINE VILLA IN MANILA
Vom Dach unseres Hotels konnte man hinaus auf das Meer
schauen. Dort lagen große Schiffe, die darauf warteten,
in den Hafen hineingelassen zu werden.
Klaus hatte erfahren, daß westdeutsche Fachleute den
Auftrag hatten, einen neuen Hafen zu bauen. Doch da waren
Schwierigkeiten aufgetaucht: Die Bautrupps konnten nicht
anfangen, das Gebiet war besetzt von Leuten, die sich
dort einfach Buden aus Pappe, Holz und Blech hingebaut
hatten.
Die konnte man vom Hoteldach aus nicht sehen. Aber eines
Tages entdeckte ich in der anderen Richtung eine riesige
Rauchwolke über der Stadt. Ich zeigte sie Klaus und der
sagte: "Da brennt's!" und dann rief er Georg,
der sich seine Fotoapparate umhängte. Zusammen fuhren
wir mit einem Taxi immer in die Richtung der Rauchwolke,
die wie ein schwarzer Pilz immer höher in den Himmel
wuchs.
Wir durften an den Polizeisperren vorbeifahren, weil
Klaus und Georg ihre Presseausweise zeigten, aber wir mußten
immer wieder an den Straßenrand: Rote Feuerwehrwagen
rasten mit jaulenden Sirenen an uns vorüber. Schließlich
mußten wir den Wagen verlassen und zu Fuß weiter.
Und dann sahen wir, was da brannte oder eigentlich
rochen wir es zuerst: Ranziges Öl! Eine Fabrik war in
Brand geraten, in der aus getrocknetem Kokosnuß-Mark Öl
ausgepreßt wird. Das gab ein Feuerchen!
Auf deutschen Jahrmärkten wird Kokosnuß-Mark, das ist
das weiße Schalen-Innere oft stückchenweise verkauft.
Hier auf den Philippinen sind die größten Kokos-Palmen-Plantagen
der Welt, und Westdeutschland ist eines der wichtigsten
Abnehmerländer der Fette und Öle, die aus der "Kopra"
gewonnen werden so heißt das getrocknete Fleisch
der Kokosnuß. Diese Fette und Öle werden in Mengen für
Margarine und für Creme zur Schönheitspflege gebraucht.
Jetzt aber stank es entsetzlich, die Flammenwand war nur
manchmal hinter dem schwarzen Qualm zu entdecken.
Wir stolperten über die dicken Wasserschläuche der
Feuerwehr, pralle, die schon Wasser hinauf zu den
Feuerwehrleuten auf den Leitern schickten, und schlaffe,
die andere gerade kreuz und quer neu verlegten.
Georg turnte mit seinen Fotoapparaten schon auf der Mauer
der Fabrik herum, Klaus hatte sein Tonbandgerät
eingeschaltet. Er hatte den Mann gefunden, der für
dieses Stadtviertel die Verantwortung trug, den gewählten
"Barangay"-Führer.
"Es ist das vierte Mal, daß es in dieser Fabrik
brennt," berichtete der, und er hatte nicht viel
Zeit für ein Interview. Da mußten in aller Eile die Hütten
geräumt werden, die sich von außen an die Fabrikmauern
lehnten.
Das waren solche Buden aus Holz, die Dächer mit
Wellblech gedeckt. Männer, Frauen, Kinder sie
alle waren in großer Hast damit beschäftigt, ihre paar
Habseligkeiten zusammenzuraffen. Nur weg von der
brennenden Fabrik!
Die Feuerwehrleute verschwendeten keinen Tropfen Wasser
darauf, diese armseligen Behausungen einzusprühen, um
sie vor der Hitze zu sichern. Aber da hatte sich hinter
dem schwarzen Qualm unbemerkt ein Unwetter
zusammengebraut, und wenige Augenblicke später rauschte
ein Sturzregen herunter, der zwar nicht das Feuer löschte,
aber doch die Hütten der Anwohner so stark durchnäßte,
daß für sie wohl keine Gefahr mehr bestand.
Es war einer der Regengüsse, die ab September täglich
und fast immer zur selben Zeit die Straßen innerhalb von
Minuten vollschütten.
Das ist der "Winter" in Südostasien. Hier heißt
das "Monsun-Zeit". Für Schnee ist es natürlich
viel zu heiß, und so gießt es stattdessen in Strömen.
Meistens dauert so ein Guß nur eine Viertelstunde, aber
das reicht aus, um alle Wege aufzuweichen, und die
Bretterbuden sind hinterher von innen meistens genauso naß
wie von außen.
"Zurück bleibt ein faulender Sumpf, in dem die
Stechmücken millionenfach ihre Larven ausbrüten,"
erklärte Klaus, "und diese Moskitos sind es, die
gefährliche Krankheiten verbreiten!"
Wir wateten durch den Schlick, auf den jetzt wieder die
Sonne knallte, und ich wußte nicht, was mehr stank
die aus den Straßengräben aufgespülten Abwässer,
oder der Brandgeruch von der Kokosöl-Fabrik.
Kein guter Platz zum Leben, dachte ich aber es
lebten ja soviele Menschen hier in Hütten, die
aussahen wie die Bretterverschläge für Kaninchen zu
Hause bei Oma im Garten doch nicht wie Wohnungen für
Familien! Wände aus Kistenbrettern, die Ritzen
zugenagelt mit Blech von Konservendosen. Vor den Türöffnungen
Lappen, wo das Holz schon faulte, Ausbesserungen mit
Pappe.
Doch mir fiel auf, wie einige Familien als Erstes
seltsame Fensterrahmen retteten, die viele kleine Holzfächer
hatten mit winzigen weißen, fast durchsichtigen Blättern
darin.
"Das sind fein geschliffene Schalen der Perlmutt-Muscheln,"
erklärte Klaus, "der Stolz selbst von ärmsten
Familien, eine eigentlich nur auf den Philippinen geübte
Kunst."
Später habe ich zu Hause in Kaufhäusern öfter
Lampenschirme aus solchen Perlmutt-Schalen gesehen,
importiert von den Philippinen!
"Woher kommen alle diese Menschen? Haben sie schon
immer so gewohnt?"
Georg und Klaus suchten nach einem Taxi.
"Wir werden dorthin fahren, wo viele von ihnen früher
lebten," sagte Klaus, "schon morgen oder übermorgen.
Wir wollen herausfinden, weshalb sie fortgingen."
Als wir später nach Manila zurückkehrten, hörten wir,
daß es fast zwei Wochen gedauert hatte, bis die
Rauchwolke über der Stadt verschwunden war und mit ihr
der Geruch nach verbranntem Öl.
Die täglichen Regengüsse hatten die Glut nicht löschen
können.
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