DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
"EINSALZEN", WAS HEMMT!
Ich ordne mich in den Linksverkehr ein, Momente später
taucht hinter mir aus der Kurve mit aufgeblendeten
Scheinwerfern und rotierendem Blaulicht ein Polizeiwagen
auf. Wie ich es in Europa gelernt habe, fahre ich an den
Rand, lasse den Wagen passieren und nehme die Fahrt
wieder auf. Der Polizist auf dem Beifahrersitz des nun
vor mir fahrenden Autos gestikuliert wild aus dem
Seitenfenster, im Rückspiegel sehe ich einen zweiten
Polizeiwagen herandonnern diesmal auf der
Gegenfahrbahn, ich gerate in Panik: Erneut an den Rand,
Vollbremsung Warten auf den unweigerlichen
Zusammenstoß des Polizeifahrzeugs mit dem Gegenverkehr.
Als ich die Augen wieder öffne, registriere ich verblüfft,
daß alle entgegenkommenden Autos längst die Fahrbahn
frei gemacht haben, brav an ihrem Straßenrand warten.
Aus der Kurve rast nun ein ganzer Konvoi heran
Robert Mugabe auf dem Weg zu einem zweifellos wichtigen
Termin.
Mehrmals am Tag ich gewöhne mich bald daran
erträgt Harare dieses mit Sirenengeheul
begleitete Spektakel, die Demonstration von Staatsmacht.
Weiße, ebenso wie Schwarze, fügen sich dem Zeremoniell,
die Weißen eher schmunzelnd einer verweist bei
Gelegenheit beiläufig auf die Praxis des Mugabe-Vorgängers
Ian Smith: Selbst auf dem Höhepunkt des Krieges in
Rhodesien sei der in der Regel zu Fuß zum Parlament
gekommen. Es ist nicht zum Schmunzeln die auf
offenem Pritschenwagen hinter der schwarzen Limousine
herrasenden Soldaten haben scharf geladen und die Gewehre
im Anschlag. Es wird zuerst geschossen, dann
vielleicht gefragt. Nur die unabhängige FINANCIAL
GAZETTE berichtet über den Vorfall Ende 1987: Unweit vom
State House gerät eine junge weiße Frau mit ihrem Wagen
versehentlich in den Konvoi, ein Soldat schießt, trifft
die Fahrerseite, die Frau wird von Metallsplittern
verletzt und statt ins Krankenhaus zum Verhör
gebracht. Ein patriotischer Leser schreibt dem HERALD: Daß
die Kugel nicht die Fahrerin traf, sondern nur den Wagen,
beweise das hervorragende Training der Soldaten. Das
State House dementiert den ganzen Vorfall.
Jeden Tag passiere ich zweimal das Straßenstück, das
von abends sechs bis morgens sechs für jeden Verkehr
gesperrt ist in den frühen Achtzigern war nachts
einmal eine Granate über die Mauer des Regierungssitzes
geworfen worden. Zwei schwarze Gardisten stehen tagsüber
in ihren Schilderhäuschen links und rechts der Ausfahrt,
europäischen Vorbildern folgend sollen sie Zinnsoldaten
spielen. Jeden Morgen, jeden Abend haben sie meine volle
Sympathie bei dem im Vorbeifahren beobachteten Versuch,
es sich bequem zu machen: Mal halten sie einen kleinen
Schwatz von Schilderhäuschen zu Schilderhäuschen, mal
forscht einer gedankenverloren in seiner Nase, und einmal
fiel einem gerade das Gewehr aus der Hand, als er gemütlich
an die Rückwand gelehnt eingeschlafen war.
Das entschädigt mich für den täglichen Zwang, es
meinen schwarzen Partnern gleichtun zu müssen, und eine
Krawatte zu tragen sie ist der sichtbare europäische
Ballast am Hals des Afrikaners!
Gelegentlich versucht ein selbstbewußtes Mitglied des
mittlerweile von Schwarzen dominierten Parlaments, den
Krawattenzwang zu durchbrechen. Keine Chance in der von
britischem Formalismus geprägten parlamentarischen
Umgebung, der bei feierlichen Anlässen mit Perücke
geschmückte "Speaker" des Hauses läßt die
europäischen Sitten nicht verkommen. Die Stenographen
geben auf, wenn ein Hinterbänkler seinen Beitrag in
einer der nationalen Sprachen hält, in Shona oder
Sindebele.
Die zentrale Nachrichtenredaktion der Zimbabwe
Broadcasting Corporation hat nie das von den Weißen
benutzte System geändert, ihre Reporter anzuhalten,
Meldungen auf englisch durchzutelefonieren. Das wird
problematisch, wenn Robert Mugabe in bestem Shona eine
Rede hält, deren Inhalt eher schlecht als recht vom
Reporter auf englisch resümiert wird. Grotesk wird dann
der Versuch, dieses Ergebnis für die nationalen
Sprachendienste zurückzuübersetzen.
Ich organisiere ein Seminar über den Gebrauch nationaler
Sprachen im Rundfunk und erfahre dabei zum Beispiel, daß
schon die nahezu tägliche Übung, von der Niederlegung
eines Kranzes durch einen Staatsgast am Ehrenmal der
Gefallenen zu berichten, auf sprachliche
Umsetzungsprobleme stößt: Shona legen keinen Kranz,
keine Blumen am Grab ihrer Toten nieder, die Beschreibung
bleibt den Hörern auf dem Lande unverständlich. Und wie
übersetzt man die Erläuterung der Immunschwäche,
hervorgerufen durch AIDS, in die Verneculärsprachen,
oder den Begriff "short distance ballistic missiles",
gar nicht zu sprechen vom "Ozonloch" in der
"Stratosphäre", das unter anderem durch "Treibgase"
in "Spraydosen" verursacht wird und in
absehbarer Zeit sowieso alle Bemühungen zunichte machen
könnte, unsere irdischen Probleme noch rechtzeitig zu lösen.
Darüberhinaus schleppen Vernaculär-Begriffe unbewußt
koloniales Gedankengut in die nächste Generation. Der
Shona-Ausdruck für Weiße oder Europäer zum Beispiel
heißt "Murungu". "Murungu" nannten
die kolonialisierten Shona aber zuerst diejenigen, die
ihnen Arbeit auf den Großfarmen verschafften. Die
Verwendung dieses Ausdruckes läßt sich nicht trennen
von diesem Abhängigkeitsverhältnis und so
schreibt sich diese Interpretation fort in einer
Erlebniswelt, in der ja tatsächlich die Weißen in der
Regel noch immer die Arbeitgeber von Schwarzen sind.
Mit gemischten Gefühlen unterstütze ich also die
Empfehlung des Seminars, ein Handbuch über den Gebrauch
von Shona und Sindebele im Rundfunk zu produzieren. Im
Nachbarland Mozambique gibt es neunundzwanzig
verschiedene Sprachgruppen, in Zimbabwe sendet der
Bildungskanal Radio 4 zu unterschiedlichen
Anteilen schon in sieben nationalen Sprachen,
wobei die Nachrichten doch nur jene erreichen, die
englisch, Shona oder Sindebele verstehen. Wer
entscheidet, welche Bevölkerungsgruppe das Privileg erhält,
sich in ihrer Sprache mit der modernen Welt
auseinanderzusetzen? Ist das überhaupt in allen Sprachen
möglich und nützlich?
Ich denke an B. Traven und sein großartiges Buch "Land
des Frühlings", in dem er nach vielen Jahren
des Zusammenlebens die Partei der Indios im
mexikanischen Chiapas ergriff, ihre Solidargemeinschaften
beschrieb und die sozio-kulturellen Hintergründe für
seine Chiapas-Romane lieferte eine einzige Anklage
gegen die Unterdrückung der Indios durch weiße
Hacienderos und Mestizen-Händler. Und dennoch empfahl
Traven seinen Indio-Freunden, nicht in einem "Freilicht-Museum"
zu leben, vielmehr ihre Sprachen "einzusalzen"
sie keinesfalls zu vergessen, aber sich daneben
die Sprache der Großgrundbesitzer, Industriellen, Händler
und Behörden anzueignen.
Traven, der Realist, nannte als simples Beispiel das
Problem eines Indios, den spanischen Text eines Vertrages
zu verstehen, mit dem er sich zur Landarbeit
verpflichtete, auf dem selben Stück Land, das ihm mit
einem anderen Vertrag zuvor weggenommen worden war.
Fünfzig Jahre später fahre ich mit meiner Frau in einem
Bus Dritter Klasse durch das Hochland von Chiapas. Im
Gang liegt ein totes Reh mit zusammengebundenen Läufen,
Indiofrauen halten Käfige mit quicklebendigen Küken auf
dem Schoß. Auf meinem Schoß liegt, aufgeschlagen
Travens "Land des Frühlings". Zweifellos hat
großer Optimismus den Autor diesen Titel wählen lassen.
Es ist nicht Frühling in Chiapas! Die kümmerlichen
Triebe von Hoffnung, die Traven als Folge der
mexikanischen Revolution registrierte, wurden bald
abgehackt. Der hellsichtige Kämpfer gegen Militarismus,
Imperialismus, Bürgertum und Kirche starb 1969 in seiner
Wahlheimat Mexico, das unglücklicherweise wie
einer seiner Präsidenten konstatierte "so
weit von Gott und so nah den Vereinigten Staaten von
Amerika" liegt.
Aus Christobal de las Casas funkt ein von UNICEF unterstützter
Sender in den Sprachen der Indiostämme ins Bergland von
Chiapas. Touristen zieht es jährlich zum Karneval der
Chamulen. Eine zentrale Indio-Behörde müht sich um den
Schutz des Lebensraums im "Freilicht-Museum".
Dort wird den Indios von spanisch-sprechenden Geschäftemachern
nach wie vor das Land weggenommen sie können die
Verträge noch immer nicht lesen!
Zwei Präsidenten indianischer Herkunft hat Mexico
erlebt, Benito Juarez Garcia und Lazaro Cardenas, der
erste trennte die Kirche vom Staat, der zweite
verstaatlichte die in ausländischer Hand befindlichen
Erdöl-Gesellschaften und begann die Landverteilung an
die Bauern, bis 1952 waren es 36,5 Millionen Hektar.
Beide wären nie Präsidenten geworden, hätten sie nicht
"eingesalzt", was der Entwicklung im Wege stand.
In Zimbabwe hätte ein Robert Gabriel Mugabe nie als
erster Schwarzer die Regierung übernehmen können, ohne
diesen Zusammenhang begriffen zu haben. Verstehen das
aber auch alle seine Berater die fremden
eingeschlossen?
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