DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
ICH LERNE, WAS 'EXOTISCH' HEISST
In jedem Land auf unserer Reise wohnten wir zuerst ein
oder zwei Wochen lang in der Hauptstadt. Klaus und Georg,
der Fotograf, bereiteten die Verabredungen für ihre
Arbeit vor. Daraus entstand der Plan, nach dem wir später
durch's Land reisten. Elsa und mir blieb dabei viel Zeit,
um auf eigene Faust loszuziehen.
In Manila hatte ich am Anfang nicht viel Spaß daran,
denn bei jedem Spaziergang passierte dasselbe: Alle Welt
starrte mich an, dauernd zeigte irgendjemand mit dem
Finger auf mich. Ich merkte, wie die Erwachsenen über
mich tuschelten, die Kinder liefen mir nach, und am
Schlimmsten war es, wenn sie mich anfaßten: Sie strichen
mir über den Kopf, sie stupsten mich an der Nase, sie
kniffen mich in die Wange und manchmal zogen sie sogar an
meinen Haaren und das tat ziemlich weh!
Ich glaube, ich bin nicht sehr freundlich zu all diesen
aufdringlichen Leuten gewesen.
Das merkte schließlich auch Elsa, und sie sagte: "Erinnerst
du dich daran, was zu Hause passiert, wenn auf der Straße
ein farbiges Kind spazieren geht ein kleiner Junge
aus Afrika zum Beispiel? Oder stell dir vor, deine
Freundin Kim würde mit ihrer Mutter über den Marktplatz
in Bremen laufen! Würdest du dich nicht auch nach ihr
umdrehen?"
Ich linste hinter meinem Sonnenschirm hervor, den ich zum
Schutz vor den neugierigen Blicken aufgespannt hatte.
Tatsächlich die Menschen um mich herum hatten
eigentlich ganz freundliche Gesichter.
"Kinder mit blondem Haar und mit so heller Haut
laufen nicht so oft hier herum," erklärte Elsa.
Wir standen vor einem Geschäft mit einer Spiegelscheibe,
aus der guckte mir ein knallrotes Gesicht entgegen. Was
Elsa blondes Haar nannte, klebte ziemlich dunkel
weil schweißnass auf diesem Tomatengesicht.
Aber bitte, wenn das 'was besonderes ist wie sagen
die Erwachsenen?
"Exotisch!"
Von da an hatte ich nichts mehr dagegen, wenn sich 'mal
im Park jemand mit mir fotografieren lassen wollte. Wenn
wir uns auch nicht verstehen konnten, zusammen hatten wir
dann meistens 'was zum Kichern.
Es fiel mir aber auf, daß wir kaum anderen weißen
Kindern begegneten, wo doch Klaus und Georg so viel mit
weißen Leuten zu bereden hatten, mit Angestellten von
der Botschaft zum Beispiel.
Botschaft heißt in jeder fremden Hauptstadt das Haus,
auf dem die schwarzrot-goldene Fahne weht. Andere Länder
haben dort auch Botschaften, aber natürlich mit ihrer
eigenen Fahne.
Der Chef einer Botschaft heißt Botschafter. Er ist so
eine Art Briefträger und übermittelt Botschaften
zwischen seiner und der fremden Regierung. Außerdem fährt
er in einem großen schwarzen Auto mit Chauffeur und
einer kleinen Fahne vorn am Kühler. Die zeigt jedem
Polizisten an, daß er schleunigst die Straßenkreuzung für
den Botschafter-Wagen freizumachen hat.
Wenn der Botschafter 'mal gerade keine Botschaft zu überbringen
hat, dann muß er zu großen Festen, zu Empfängen oder
zu einem Abendessen.
Die Leute von der Botschaft sind also sehr beschäftigt,
dachte ich mir, und deshalb haben sie keine Zeit für
Kinder. Und ähnlich wird es wohl auch den vielen
Kaufleuten ergehen, den Fachleuten von Organisationen aus
Europa und Amerika, den Entwicklungshelfern, mit denen
sich Klaus und Georg trafen.
Das dachte ich bis zu dem Abend, an dem wir unsere erste
Einladung in das Haus einer weißen Familie bekamen. Als
wir im Dunkeln zu ihrem Wohnviertel fuhren, mußte unser
Taxi plötzlich mitten auf der Straße anhalten. Ein
grosses Gittertor versperrte uns den Weg. Es befand sich
in einem Drahtzaun. Der ging links und rechts von der
Straße ab. Lampen hingen in regelmäßigen Abständen über
dem Stacheldraht. Rechts vom Tor stand ein kleines
Steinhaus. Von dort kam ein Mann in Uniform zu uns herüber.
An seinem Gürtel baumelte ein Colt wie ihn die Film-Cowboys
tragen.
"Der hat da keine Platzpatronen drin," murmelte
Georg, und ich bekam auf einmal Angst.
Aber der Mann wollte bloß wissen, welche Adresse wir dem
Taxifahrer angegeben hatten. Dann notierte er sich das
Kennzeichen unseres Autos. Wir mußten nicht aussteigen.
"Das wird nur von farbigen Besuchern verlangt,"
erklärte unser Taxifahrer. "Wenn man hier reinwill,
ist die weiße Haut der beste Ausweis!"
Wir fuhren durch das Tor im Stacheldrahtzaun und kamen in
eine Siedlung, in der alle Häuser noch einmal von hohen
Mauern mit großen eisernen Toren umgeben waren.
Als dann aber eines dieser Tore für uns zur Seite
rollte, war das, als hätte Ali Baba "Sesam öffne
Dich!" gerufen, um die Schätze der vierzig Räuber
zu entdecken.
Das Prachtstück war ein beleuchtetes Schwimmbecken unter
Palmen und Bananenstauden. Aber ich durfte nicht ins
Wasser, weil wir doch zum Abendessen eingeladen waren,
und das war schon auf der Terrasse angerichtet mit
sehr viel Mühe zubereitet, wofür es viel Lob für die
Gastgeberin gab.
Später bei der Suche nach einer vollen
Limonadenflasche entdeckte ich zwei philippinische
Küchenmädchen; die waren gerade dabei, für Nachschub
zu sorgen. Es sah so aus, als hätten sie die ganze
Arbeit gemacht.
Schließlich traf ich in diesem Haus auch mal wieder zwei
weiße Kinder. Aber die wurden bald von ihrem
philippinischen Kindermädchen zu Bett gebracht, weil sie
am nächsten Morgen wieder vom philippinischen Chauffeur
ihrer Eltern zur internationalen Schule von Manila
gefahren werden sollten. Dort bekommen fast alle Ausländer-Kinder
ihren Unterricht.
(Nicht anders ist das in allen anderen Ländern, die wir
besuchten. In Bangkok, der Hauptstadt von Thailand, zum
Beispiel, bin ich später mal acht Wochen lang in einen
solchen Kindergarten gegangen.)
Morgens also mit dem Wagen hin mittags zurück in
die bewachte Weißen-Siedlung, wo außer ihnen nur noch
ein paar schwerreiche Einheimische wohnen.
Auf der Fahrt bleiben die Scheiben geschlossen, weil
Europäer und Amerikaner zum Schutz gegen die Hitze teure
Autos mit eingebauter Klima-Anlage benutzen. So sehen die
meisten weißen Kinder die Welt da draußen immer nur
durch die polierten Auto-Scheiben, und die einheimischen
Kinder sehen die weißen fast nie!
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