DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



"MABUHAY!"



Manila war die Stadt, wo ich vieles zum ersten Mal erlebte, was in Südost-Asien anders ist als bei uns. In unserem Hotelzimmer zum Beispiel gab es eine Art elektrischen Ofen. Der kühlte drinnen und blies die heiße Luft nach draußen, und er machte dabei ziemlich viel Krach. Solche Apparate heißen "Air Condition" — das ist englisch und man spricht es "Ähr Kondischen".

Am Anfang konnte ich überhaupt kein englisch. Das war schlimm, weil ich doch auch mit keinem Kind reden konnte. Neben unserer Hotel-Wohnung lebte eine Familie mit einem Mädchen. Das war ein Jahr jünger als ich. Es sah genauso aus wie Kinder auf Bildern aus Asien, die ich zu Hause gesehen hatte: Glattes schwarzes Haar mit einem Ponyschnitt und ganz dunklen Augen. Wie, soll ich die Form dieser Augen beschreiben?
Ihr bekommt einen Eindruck davon, wenn ihr vor dem Spiegel eure Augenwinkel mit den Fingern leicht nach außen zieht. Die Erwachsenen sagen dazu "Mandel-Augen". Das Mandelaugen-Mädchen wurde meine erste Freundin in Südost-Asien. Sie war auch fremd in Manila. Ihre Eltern kamen aus Korea — das ist ein Land weiter nördlich in Asien, gegenüber von Japan. Wir konnten zuerst kein Wort miteinander reden. Also nahmen wir uns bei der Hand, und dann fuhren wir mit dem Hotel-Fahrstuhl immer rauf und runter. Dabei lernten wir unsere ersten englischen Wörter, denn alle Leute, die den Fahrstuhl benutzten, fragten uns: "What's your name?"
Klar, sie wollten unsere Namen wissen. Ich sagte: "Constanze Schmidt!" Meine Freundin sagte: "Kwang Bae Kim!" Und weil das keiner richtig verstand, sagte ich später nur noch "Conny", und meine koreanische Freundin sagte "Kim".
Schließlich fragten die Leute: "How old are you?" Klar, das hieß: "Wie alt seid ihr?" Das fragt ja zu Hause auch jeder Fremde zuerst. So fingen wir an, englisch zu reden: "Six," sagte ich. "Five", sagte Kim.
"Aber wieso wird hier englisch gesprochen," wollte ich am Abend von Klaus wissen, "und nicht philippinisch?"
"Oh, es gibt hier mehr als einhundert verschiedene Sprachen und Dialekte." Klaus schlug ein Buch auf. "Das habe ich mir heute besorgt, darin steht fast alles, was du über Land und Leute wissen willst. Weißt du, wieviele philippinische Inseln es gibt?
Siebentausendeinhundertundsieben! Und da werden Sprachen gesprochen, die heißen zum Beispiel 'Cebuano', 'Bikol', 'Pampango' oder 'Ilocano'. Am häufigsten aber wird 'Tagalog' gesprochen, das ist die philippinische Nationalsprache seit 1946."
"Tagalog klingt lustig. Habe ich aber noch nie gehört, immer bloß englisch!" "Doch," behauptete Klaus, "bei der Parade die National-Hymne — das ist das, was bei uns 'Deutschland-Lied' heißt. Hier ist sie übrigens abgedruckt."

Englisch: "Land of the morning
Child of the sun returning
With fervour burning
Thee do our souls adore."

Tagalog: "Bayang magiliw
Perlas ng Silanganan
Alab ng puso
Sa dibdio mo'y buhay."

Deutsch: "Land des Morgens
Kind der wiederkehrenden Sonne
Mit brennender Glut
lieben unsere Seelen Dich."

"Aber," beharrte ich, "die meisten Einheimischen reden doch englisch hier in Manila und nicht Tagalog!"
Klaus lachte: "Ja, wenn sie mit Ausländern reden."
"Aber warum dann nicht deutsch?"
"Also, um genau zu sein, sie sprechen auch nicht englisch, sondern amerikanisch. Sie haben es nämlich von den Amerikanern gelernt, die ungefähr fünfzig Jahre lang bestimmten, was die Filippinos zu tun und zu lassen hatten!"
"Was hatten denn die Amerikaner hier zu suchen?"
"Die hatten sich Ende des vergangenen Jahrhunderts mit den Spaniern um die Insel Kuba gezankt. Die liegt zwar auf der anderen Seite der Erde, aber Kolonialisten kannten keine Grenzen für ihr Machtstreben. Am 1. Mai 1898 versenkte eine amerikanische Flotte hier in der Bucht von Manila die spanische Flotte, und aus war es mit der spanischen Herrschaft über die Philippinen. Die hatte 350 Jahre gedauert. Heute wird die spanische Sprache hier kaum mehr benutzt. Ein paar Begriffe sind geblieben, zum Beispiel der Landesname: Philippinen — nach dem spanischen König Philipp II. Na ja, und noch 'was ist geblieben: Die Filippinos sind die einzige katholische Nation in ganz Asien! Die spanischen Priester waren sehr erfolgreich. Allerdings haben sie öfter durch Soldaten nachhelfen lassen, denn es gab immer wieder Befreiungsversuche und Aufstände. Die Amerikaner schließlich haben damit angefangen, hier das Lesen und Schreiben einzuführen — auf englisch natürlich."
"Und dabei hat Conny Glück, daß sie jetzt bloß englisch und nicht etwa japanisch lernen muß," warf Elsa ein.
"Wieso denn das?"
"Weil im Zweiten Weltkrieg die Amerikaner von den philippinischen Inseln durch die Japaner vertrieben wurden. Das hat Klaus noch nicht erzählt."
"Richtig. Japan schlug sich auf die Seite der Faschisten und überfiel am 7. Dezember 1941 den amerikanischen Marine-Stützpunkt Pearl Harbour. Einen Tag später bombardierten japanische Flugzeuge Manila. Die Philippinen waren drei Jahre lang von den Japanern besetzt. Wir werden einmal zum Fort Bonifacio hinausfahren, das hieß früher Fort McKinley. Dort sind über 17.000 amerikanische Soldaten beerdigt, die bei diesen Kämpfen ums Leben kamen. 1944 siegten die Amerikaner über die Japaner — sie warfen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. 1946 wurden die Philippinen unabhängig. 1947 schließlich erhielten die USA einen Vertrag, der es ihnen erlaubte, für 99 Jahre Militärstützpunkte hier zu unterhalten. Und von diesen Stützpunkten aus flogen dann amerikanische Bomber nach Vietnam!"
Klaus schlug noch einmal das Buch auf. "Wißt ihr, wie die zweite Strophe der philippinischen Nationalhymne heißt?"

Englisch: "Land dear and holy
Cradle of noble heroes
Ne'er shall invaders
Trample thy sacred shores."

Tagalog: "Lupang hinirang
Duyan ka ng magiting
Sa manlulupig
Di ka pasisiil."

Deutsch: "Land, geliebt und heilig
Wiege edler Helden
Niemehr sollen Eindringlinge
Deine geheiligten Küsten verwüsten."

"Aber du hast recht, Conny," sagte Klaus. "Es wird viel zu viel englisch und kaum Tagalog gesprochen — vielleicht gibt es noch zu viele Ausländer hier! Weißt du was? Morgen früh sagen wir nicht 'Good Morning', sondern 'Mabuhay'!"

 
 
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