DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
TEIL III
"Mit den Maschinen in schwarzer Hand
muß der schwarze Kopf den Umgang mit dem rechten Winkel
erlernen..."
"CAMBRIDGE" IN ZIMBABWE
Leserbrief aus dem HERALD, Harare, Zimbabwe, 9. Februar
1988:
"Sir Ich habe mir sehr genau die ZTV-Schulquiz-Programme
angesehen, die sonntagnachmittags ausgestrahlt werden.
Obwohl ich anerkenne, daß diese Show dem Austausch von
Schülerwissen dienen und auch unterhaltsam sein soll,
finde ich doch einige der Fragen entmutigend. In den
Bereichen Geschichte und Geographie beschäftigen sich
die meisten Fragen mit Europa und Amerika vom 16. bis zum
19. Jahrhundert. Ich würden gern den Quizmaster, Eric
Bloch, einmal Fragen über die Geschichte oder die
Geographie Afrikas desselben Jahrhunderts stellen hören.
Man kann doch sicherlich davon ausgehen, daß
zimbabwesche Schüler im Unterricht etwas erfahren über
afrikanische Führer, afrikanische Kultur, afrikanische
Bauwerke etc.
Diese Anomalie hat zur Folge, daß weiße Schüler (die
offenkundig mehr wissen über europäische Kultur) bei
weitem besser abschneiden als ihre schwarzen Mitstreiter.
Schlimmer noch, es scheint, daß seit es keine
allein von Weißen besuchten Schulen mehr gibt
kaum noch Wissen über zimbabwesche Führer vermittelt
wird. Stellen Sie sich meinen Schrecken vor, als das Team
vom Dominikanischen Konvent nicht wußte, wer der
Minister für Arbeit und Soziales ist... Als das Team von
St. Ignatius gefragt wurde, wer der Bildungsminister sei,
stellten sich alle tot.
Wenn ich daran denke, daß dies acht Jahre nach unserer
Unabhängigkeit passiert, schaudert es mich.
"Zuerst Afrika, Harare" (Unterschrift)
"Harare is definitely Africa!"
Lektion Nummer eins für unsere fünfzehnjährige Tochter
am Beginn ihrer Zimbabwe-Erfahrung. Beim ersten Englisch-Essay-Test
hatte sie ihrer Phantasie freien Lauf gelassen und aus
der Enttäuschung keinen Hehl gemacht, in einer
gepflegten Gartenstadt angekommen zu sein, die so gar
nichts zu tun hat mit ihrer Vorstellung vom schwarzen
Kontinent.
Das gipfelte in der zaghaft geäußerten Hoffnung, Afrika
bald außerhalb Harares kennenzulernen. Den pikierten
Kommentar notierte die Prüferin an der public school
eine alte Rhodesierin, daneben Lektion Nummer zwei:
"Writing shockingly untidy!" Schönen Gruß an
den Bremer Lehrkörper!
Conny lernte also Schönschrift, was i h r e r Phantasie
durchaus nicht schadete und auch nicht i h r e r Aufmüpfigkeit,
trotz der nun zu tragenden Schuluniform dank des
Bremer Schulsystems, das zwar nicht für ordentliche
Schrift, aber für ordentliches Denken sorgte.
Conny lernt Shakespeare und europäische Geschichte
so wie Millionen Kinder von Belize bis Brunei, büffelt,
paukt, schreibt sich die Finger wund, dem Lehrplan von
Cambridge folgend, der auch im Commonwealth-Land Zimbabwe
in den wie Pilzen aus dem Boden schießenden
Mittelschulen unverändert schwarze Kinderköpfe
kolonialisiert. Das zaghafte zimbabwesche Modell "Education
with Production", also Theorie mit praktischer
Arbeitserfahrung zu verbinden, scheitert oft an
Phantasiemangel: Gartenarbeit als Strafvollzug
oder schlimmer: Eine Stunde lang einen Haufen Sand von
einer Ecke des Schulhofes in die andere schaufeln.
"Bildung ist ein Menschenrecht, das wir
verwirklichen müssen," sagte mir ein Beamter der
zimbabweschen Botschaft in Bonn auf die Frage, was denn
die vielen hunderttausend Abgänger mit
Mittelschulabschluß anschließend tun werden, vor allem
jene, die das Ziel nicht erreichen.
Es ist natürlich nicht nur ein Denkfehler, das
Schulsystem, das in diesem Land nahezu ausschließlich für
die Kinder der Weißen und der schwarzen Elite zugänglich
war, weiterzuführen. Es müßten völlig neue Lehrpläne
ausgearbeitet, die Lehrkräfte umgeschult, Millionen neue
Schulbücher entworfen und gedruckt werden. Woher das
Geld nehmen und die Erfahrung?
Sie nehmen die Lehrer aus Australien, Neuseeland, Kanada,
Großbritannien, Mauritius und aus der Bundesrepublik
Deutschland. Einhundert sind von dort gerade eingeflogen,
als wir in Zimbabwe eintreffen. Bei näherem Hinsehen
stellt sich heraus, daß es sich bei dem dafür
geschlossenen Abkommen zwischen den Regierungen in Bonn
und Harare eher um Entwicklungshilfe für den
bundesrepublikanischen Arbeitslosenmarkt handelt: Die
jungen Leute sind in ihrer Mehrheit Opfer verfehlter
Bildungsbedarfsplanung westdeutscher Kultusminister und
verfügen kaum über längere Berufserfahrung. Die
bezahlt ihnen die zimbabwesche Regierung mit einem
monatlichen Scheck, dessen Betrag zwar nicht höher ist,
als das minimale Gehalt ihrer schwarzen Kollegen, aber
Bonn zahlt ein "topping up", den Ausgleich zum
fälligen deutschen Gehalt aus
Entwicklungshilfemitteln!
Für die meisten ist es die erste Auslandserfahrung. Sie
erleben Afrika pur draußen auf dem Land, in der
Regel an kleinen Missionsschulen, wo sie mit ihren
Familien das Leben ihrer schwarzen Kollegen teilen
oft ohne Elektrizität und ohne Wasseranschluß.
"Als ich am ersten Morgen eine Schülerin aufrief,
trat sie vor mich, gebückt, und fiel auf die Knie,"
erzählt mir ein deutscher Lehrer.
"Zuerst dachte ich, sie hätte sich verletzt, aber
dann merkte ich bald, daß es die übliche Ehrbezeugung
ist vor dem Lehrer knien."
Die jungen Lehrer aus der Bundesrepublik müssen sich
nicht nur in einem fremden Lehrsystem zurechtfinden, das
total geprägt ist von britischer Tradition aus den Fünfziger
Jahren, sie leben zugleich in überkommenen afrikanischen
Strukturen mit undurchschaubaren und erst mühsam zu
erlernenden Wertordnungen und Abhängigkeitsverhältnissen.
Vier Jahre später habe ich Gelegenheit, gründlicher die
Resultate von dann insgesamt fünf Jahren Einsatz
deutscher Lehrer im zimbabweschen Bildungssystem zu
studieren. Ich traf Bettina Jansen, 27 Jahre alt und aus
Lübeck. Sie hat ihr Studium der Grund- und Hauptschule
in Göttingen absolviert und dann ein Referendariat von
eineinhalb Jahren abgeschlossen danach erhielt sie
auf ihre Bewerbungen nur Absagen. Eine Freundin machte
sie im Mai 1988 auf eine Zeitungsanzeige aufmerksam.
Ein knappes Jahr nach ihrer Reaktion auf diese Anzeige,
im Frühjahr 1989 nimmt Bettina Jansen zusammen mit 43
Kollegen und Kolleginnen aus der Bundesrepublik an dem
letzten der Seminare teil, das sie auf Leben und Arbeit
im gerade seit neun Jahren unabhängigen Zimbabwe
vorbereitet, diesmal in einem Hotel der Hauptstadt Harare.
Die meisten Container mit Teilen von Wohnungseinrichtung,
mit Büchern, Fahrrädern, Autos sind schon eingetroffen.
Die 44 Lehrer bereiten sich auf den Einsatz an ländlichen
Schulen weitab von der Hauptstadt vor wie rund 100
vor ihnen, die seit Anfang 1985 im Land zwischen Sambesi
und Limpopo die Arbeit fanden, die ihnen daheim in
Deutschland zumeist versagt blieb.
Harald Bögl, Direktor des in Zimbabwe von der Otto
Benecke Stiftung betreuten Lehrer-Programms, verweist
darauf, daß der Lehrer-Einsatz vor Ort Fortsetzung eines
Berufsausbildungsprogramms für Zimbabwer in der
Bundesrepublik während der späten Siebziger Jahre ist,
und er räumt ein, daß die Ausreise deutscher Lehrer zunächst
hauptsächlich von arbeitslosen Pädagogen wahrgenommen
wurde. Das habe sich in den letzten Jahren geändert,
mehr und mehr Lehrer ließen sich nun für Zimbabwe aus
dem Staatsdienst daheim beurlauben. Ein Programm also,
das sich in den vergangenen fünf Jahren wegbewegt hat
von Entwicklungshilfe für den westdeutschen
Arbeitslosenmarkt hin zu einer genuinen Hilfe für ein
Entwicklungsland, das mit seinem ehrgeizigen Anspruch auf
Bildung für alle seine Kinder unter Lehrermangel leidet.
Das "Zentrum für internationale Migration" /
ZiM organisiert in Frankfurt aus Mitteln des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit /
BMZ die Anzeigenkampagne, die Vorauswahl und die ersten
Interviews mit Bewerbern.
In Zimbabwe gab es vor der Unabhängigkeit im Jahr 1980 2.000
Grundschulen, jetzt sind es 4.400. Vor der Unabhängigkeit
standen 177 Sekundarschulen zur Verfügung, heute sind es
1.484. Der Sekundarschulbereich, genauer die
Vorbereitungsphase zur Auswahl geeigneter Kandidaten für
den Universitätszugang ist der Arbeitsbereich der
deutschen Lehrer. Sie haben dabei mit Klassen von
mindestens 40 Schülern zu tun und mit einem Unterricht,
der sich formal und inhaltlich nach wie vor am britischen
Cambridge-System orientiert. 1980 hatte Zimbabwe 27.000
Lehrer, heute sind es 84.000, von denen allerdings 33.000
nur unzureichend ausgebildet sind, ganze 3.500 haben
einen Universitätsabschluß. So ist auch die
Gehaltsstruktur für Lehrer in Zimbabwe gestaffelt.
Qualifizierte Lehrer erhalten ein durchschnittliches
Jahresgehalt von umgerechnet rund 13.000 D-Mark. Dagegen
müssen sich die in der Regel sofort nach ihrem
Sekundarabschluß eingesetzten, bisher 33.000 Hilfslehrer
mit einem Jahresgehalt von umgerechnet etwa 4.500 D-Mark
zufrieden geben. 150 solcher Hilfslehrer in der Masvingo-Provinz
haben darüberhinaus Anfang 1989 monatelang überhaupt
kein Gehalt bekommen. Erziehungsministerin Fay Chung, die
den deutschen Neuankömmlingen zu einem Gespräch zur
Verfügung stand, hält mit diesem Grundproblem nicht
hinter dem Berg:
"Das bedeutet, daß qualifizierte Lehrer zweieinhalb
mal mehr erhalten als Hilfslehrer. Und das bedeutet, daß
wir die weniger qualifizierten Lehrer ausbeuten, nur weil
sie einen Job tun, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben,
das nötige Training zu erhalten. Wären wir jedoch in
der Lage, durch einen Federstrich diese 33.000
Hilfslehrer durch qualifiziertes Personal zu ersetzen,
dann könnten wir sie gar nicht bezahlen. Das ist die
Wahrheit."
So sind von 1981 bis 1985 in Zimbabwe jährlich 5.000
Lehrer ausgebildet worden, von 1986 bis 1988 aber nur 3.500
pro Jahr eine reale Abnahme der Lehrerausbildung,
weil die Finanzen Zimbabwes die Beschäftigung von mehr
Lehrern nicht erlauben. Und die Situation wird sich mit
der von Präsident Mugabe zum 9. Unabhängigkeitstag
angekündigten ökonomischen Kehrtwendung hin zu mehr
Investitionen im Produktionsbereich eher verschlechtern.
Der einflußreiche Superminister für Finanzen,
wirtschaftliche Planung und Entwicklung, Bernard
Chidzero, hat Ende April die Kurskorrektur drastisch
beschrieben: Nach einer Studie des Internationalen Weltwährungsfonds
habe Zimbabwe bisher 10 Prozent seines
Bruttosozialprodukts für Bildungsaufgaben ausgegeben,
dem höchsten Anteil in der Welt gefolgt von Dänemark
mit 8,5 Prozent. Chidzero wörtlich:
"Ressourcen müssen in den Produktionsbereich
umgelenkt werden, um ein anhaltendes Wirtschaftswachstum
zu stimulieren. Schwierige Entscheidungen sind zu treffen."
Erziehungsministerin Fay Chung erläutert den deutschen
Lehrern die Konsequenzen:
"Wir haben eine ziemlich hohe Arbeitslosigkeit. Wir
glauben deshalb, daß wir nicht nur im Regierungs- und
Privatbereich und durch ausländische Investitionen im
Industrie- und Produktionssektor Beschäftigung erreichen
müssen, sondern daß auch im Bildungsbereich die
Herausforderung angenommen werden muß, daß unsere
jungen Menschen vor allem im Sekundarbereich, aber auch
im höheren Bildungsbereich ein Training erhalten, das es
ihnen ermöglicht, alle Gelegenheiten in einer wachsenden
Wirtschaftsstruktur wahrzunehmen."
Ein Erfordernis, das mit der Einführung einfacher
Berufsausbildung in der Sekundärstufe schon erkannt
wurde. An 300 Sekundärschulen wird bereits der Umgang
mit simplen Werkzeugen geübt, an weiteren 100 Schulen
ist das Training an komplizierterem Gerät eingeführt. Während
sich aber Zimbabwe mit einer Öffnung zum Weltmark
konfrontiert sieht und dafür den raschen Anschluß an
industrielle Bildungsinhalte dringend benötigt, ist die
koloniale Vergangenheit noch längst nicht überwunden.
"Wir haben ein koloniales Bildungssystem geerbt,"
sagt Ministerin Fay Chung, "in dem Schwarze als
Diener erzogen wurden. Das war eine feine Sache in der
Kolonialzeit, aber heute mag es sein, daß es keine Bosse
gibt, die befehlen können. Wir erziehen Leute, die
Entscheidungen für sich selber treffen sollen, die
bestimmen sollen, wie sie ihre eigenen Gemeinschaften
entwickeln können, wie sie Programme für die
Produktion, für den Gesundheitssektor, für den Ernährungs-
oder den Bildungsbereich initiieren können. Wir brauchen
eine neue Art von Bildung, die mit der Idee Schluß
macht, Schwarze seien Diener. Wir brauchen eine
Erziehung, die Schwarzen Eigenständigkeit vermittelt,
ihnen hilft, ihr eigenes Land zu entwickeln
beginnend in ihrem eigenen Dorf, ihrer eigenen
Gemeinschaft beginnend exakt dort, wo wir uns
jetzt befinden."
Aber Fay Chung war selber lange genug Lehrerin, um die
Stolpersteine auf diesem Weg genau zu kennen, die
Versuchung junger Menschen nämlich, nach Abschluß der
Schulausbildung ihrem Dorf den Rücken zu kehren. Und so
gibt sie den deutschen Lehrern einen wichtigen Rat mit
auf den Weg: Es sei wichtig, daß die Schule integriert
werde in die Gemeinschaft, sagt die Ministerin.
"Die Schule muß sich an dörflichen
Entwicklungsprogrammen beteiligen, damit die Schüler während
ihres Bildungsprozesses ihre Verantwortung verstehen und
es akzeptierten, an der Veränderung ihrer Gesellschaft
mitzuwirken weg von der feudalen und kolonialen
Vergangenheit, hin zum modernen Zeitalter."
Nun werden aber die deutschen Lehrer an ihren Schulen
konfrontiert sein mit veralteten Gesellschaftsnormen in
einer fremden Kultur. Hannelore Bossmann war unter den
ersten Lehrern, die 1985 nach Zimbabwe kamen. Sie betreut
jetzt in Harare die Neuankömmlinge, und sie erinnert
sich an zwei Grundprobleme: Die in den Schulen noch
legalisierte Prügelstrafe, die oft mangelnde berufliche
Autorität ersetze, und die noch immer untergeordnete
Rolle der Frau. Unter den 44 Neuen sind einige Ehepaare
mit insgesamt sieben Kindern. Wie wird Sabine Gertner aus
Bonn mit ihrem Sohn in der fremden Situation umgehen? Das
Ehepaar Gertner hat beschlossen, den Fünfjährigen in
die am Ort vorhandene Grundschule zu geben, "aber
nur," betont Sabine Gertner, "wenn zuvor der
Schulleiter verspricht, daß unser Sohn nicht geschlagen
wird! Im Zweifelsfall sollten dafür wohl die
Eltern zuständig sein."
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