DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



EIN "KNÜLLA" IN MANILA



Zwei Wochen lang hatten wir meistens Reisgerichte gegessen, "native food", das Essen der Einheimischen. Am ersten Tag nach unserer Rückkehr nach Manila hatten wir alle wieder Appetit auf 'was Europäisches, und Klaus hatte von einem italienischen Restaurant gehört — "Die Grotte", das war bei den Europäern, die wir kennengelernt hatten, sehr beliebt.
Und nicht nur bei den Europäern, wie wir rasch merkten: An den weißgedeckten Tischen saßen bei Kerzen-Schummer-Licht auch viele Einheimische. Die Männer trugen Anzüge nach dem letzten modischen Schrei, und ihre Frauen glänzten in ähnlicher Weise.
"Die sind betucht," meinte Klaus, und er meinte damit weniger ihre Kleidung, sondern mehr ihren Geldbeutel.
Wir schlemmten: Pizza mit allem drum und dran, Elsa und Klaus leisteten sich sogar eine Flasche italienischen Rotwein. Und dann kam die Rechnung: 260 Pesos! Das sind knapp 87 Mark.
"Na, da hätten wir in Bremen doch bestimmt — na vielleicht 100 Mark bezahlt," beruhigte Klaus sein Gewissen, "oder?"
Elsa stellte den Mocca mit dem Weinbrand beiseite und — holte den Rechner heraus. Sie tippte eine Weile darauf herum, während Klaus sich eine Pfeife ansteckte und ich genüßlich mein Vanille-Eis mit heißer Himbeer-Soße zu Ende löffelte.
"Gehen wir mal davon aus, daß in Deutschland der monatliche Niedrigstlohn, sagen wir von einem Kumpel bei 1.500 Mark netto liegt — richtig?"
"Eher höher," sagte Klaus.
"Gut. Ein Arbeiter in der Goldgrube von Baguio verdient im Monat — wenn wir die Sonntage abziehen und den Tagesmindestlohn von 9 Pesos nehmen: 243 Pesos."
Klaus nahm seine Pfeife erschrocken aus den Zähnen.
"Dann haben wir gerade mehr als den gesamten Monatslohn eines Goldminen-Arbeiters ver...!"
"Die Rechnung stimmt natürlich nicht, wenn wir immer mit dem Geld rechnen, das uns zur Verfügung steht," gab Elsa zu bedenken. "Du hast ja recht, zu Hause hätten wir für dieses Essen in so einem Restaurant wahrscheinlich viel mehr bezahlen müssen. Aber interessant ist es doch, daß unsere Mit-Esser hier, die Damen und Herren aus Manila, für ihre Speise-Rechnungen keine D-Mark oder US-Dollar zum Umtauschen haben! Bei ihren Einkünften handelt es sich ja um dieselbe Währung, die der Arbeiter in der Goldmine erhält!"
"Sie verdienen mit ihren Geschäften bloß ein paar Pesos mehr!"
Klaus begann wieder seine Pfeife zu paffen.
"Wieviel mehr? Zum Vergleich nehme ich noch mal den Kumpel im deutschen Steinkohle-Bergbau mit seinem 1.500 Mark Monats-Mindestlohn. Drei Filippinos, die hier eine Rechnung über 260 Pesos zu bezahlen haben, hätten jeder den dritten Teil des Monatslohns eines philippinischen Grubenarbeiters verspeist — klar?"
"Klar!"
"Das wären — auf deutsche Verhältnisse übertragen — also: Fünfhundert Mark, die jeder von uns dreien hier und heute verjubelt hat — zusammen 1.500 Mark!"
Jetzt ging Klaus die Pfeife aus.

Für Leute, die es sich leisten konnten, solche Preise zu bezahlen, war offenbar auch das Spektakel gedacht, das Zeitungen und Fernsehen seit Wochen angekündigt hatten: "A Thrilla in Manila".
"Thriller ist so etwas wie ein Knüller," erklärte Klaus und reimte den deutschen Titel "Ein Knülla in Manila".
Die Zeitungen schrieben: "Dies wird die zweite große Schlacht auf den Philippinen seit der Belagerung und Zerstörung Manilas im Zweiten Weltkrieg!"
Es war von einem Boxkampf die Rede, vom Kampf um die Weltmeisterschaft zwischen Mohammed Ali und seinem Herausforderer Joe Frazier.
Bevor wir Manila in Richtung Norden verlassen hatten, waren wir den beiden zum ersten Mal begegnet. Klaus hatte mich zu einer Presse-Konferenz mitgenommen. Auf der ging es zu wie in einem Zirkus.
Joe Frazier sang ein Lied. Darin beschrieb er, wie schnell er seinen Gegner k.o. schlagen wollte. Abends telefonierte Klaus mit seiner Redaktion in Deutschland, um einen Bericht durchzugeben.
"Die große Klappe gehört zum Geschäft," schrie er ins Telefon, denn die Verbindung war über diese Strecke mal wieder miserabel.
"Die größte hat nach wie vor Mohammed Ali. Ich bin zu schnell für Joe Frazier, sagt er. Ich bin so schnell, das muß ich euch erzählen: Gestern abend habe ich in meinem Hotelzimmer das Licht ausgeschaltet, dann bin ich ins Bett gesprungen, und dort war ich, bevor es im Zimmer dunkel wurde!"

Nun ist Klaus ja kein Sportreporter, er war noch kein einziges Mal beim Boxen, und deshalb berichtete er über etwas, das am nächsten Tag in keiner Zeitung stand.
"Ein Reporter hat gefragt, weshalb Mohammed Ali seinen Glauben gewechselt hat, vom Christentum zum Islam. Und da macht der Weltmeister, der von seinem alten Namen Cassius Clay nichts mehr wissen will, klar, daß er noch etwas anderes im Kopf hat als bloß Boxen und das Schaugeschäft. Mohammed Ali spricht vor der versammelten Presse aus aller Welt plötzlich von den sozialen Mißständen in den USA, von der Mißachtung seiner Rasse! Er spricht davon, daß die Schwarzen in seinem Land das Christentum nur als eine Religion der Reichen kennengelernt haben. Die Schwarzen hatten keinen eigenen Namen; sie trugen den Namen ihres weißen Besitzers. Schwarz — so sagt Mohammed Ali — das war immer das Schlechte. Weiß, das war der Jesus der Weißen, weiß, das waren seine Apostel! Euer Jesus in Manila — auch er ist weiß. Warum gibt es keine philippinischen Engel, warum keine japanischen, keine afrikanischen? Das Christentum ist eine gute Religion, wenn die Menschen wirklich so leben, wie sie es sagen; es ist eine gute Religion, wenn sie das tun, was sie predigen!"

Die teuersten Plätze im Colosseum der Hauptstadt kosteten am Abend des Weltmeister-Kampfes pro Sitz umgerechnet 875 Mark. Der Verkauf der Eintrittskarten allein brachte fünf Millionen Mark.
Wir waren rechtzeitig zum Kampf aus dem Norden wieder nach Manila zurückgekehrt. Das Fernsehen übertrug die Schau direkt in 68 Länder der Welt.
Wir guckten im Hotel auf die Mattscheibe. Da sah ich vierzehn Runden lang die beiden aufeinander eindreschen, und in den dreizehn Pausen dazwischen rollten schnittige Autos über den Bildschirm — eine japanische Autofirma hatte vom philippinischen Fernsehen die gesamte Sendezeit der Box-Übertragung gekauft. Auf diese Weise bekamen wir zum Schluß leider nicht mit, wie Ali zum Sieger erklärt wurde — die Auto-Werbung war zu spät ausgeblendet worden!
In den Zeitungen stand hinterher, 700 Millionen Menschen hätten bei der weltweiten Fernseh-Übertragung zugeschaut.
"Haben die auch die Auto-Werbung gesehen?" wollte ich wissen.
"Die war nur im philippinischen Fernsehen," wußte Klaus. Er hatte noch einmal mit Deutschland telefoniert, wo man den Kampf in der Nacht auch direkt hatte verfolgen können.
"Aber vorher gab es einen Film über die Philippinen. Der war überall in der Welt zu sehen, und das war's, was mit der Schau erreicht werden sollte: Eine weltweite Werbung für ein Land, in dem Ruhe und Ordnung herrscht, in dem genügsame, aber arbeitsame Menschen leben, das dem Unternehmergeist Tür und Tore öffnet — mit anderen Worten: in dem man noch ordentlich was verdienen kann! Beim 'Knülla in Manila' war das Boxen eigentlich Nebensache."

 
 
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