DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
DIE MORO-REBELLEN
Wir kamen noch einmal auf Mohammed Ali zu sprechen, als
wir in den Süden flogen zu den Moslems auf
Mindanao.
"Das ist nicht bloß ein Tick von diesem Boxer,"
sagte Klaus. "Er ist tatsächlich so etwas wie ein
Botschafter seiner Religion, und er ist ein sehr überzeugter
Moslem. Er hat es abgelehnt, im Krieg der Amerikaner
gegen das vietnamesische Volk zu kämpfen er hat
den Wehrdienst verweigert, trotz Gefängnisdrohung und
Aberkennung seines Weltmeister-Titels. Es wundert mich,
daß er hier gar nichts zum Schicksal seiner Glaubensbrüder
auf Mindanao gesagt hat."
"Die Spanier waren hier," begann ich aufzuzählen,
"die Amerikaner und die Japaner. Wo kommen denn
jetzt auch noch die Moslems her? Sind das denn nicht
Araber?"
"Das ist frühe Kolonialgeschichte. Die beginnt noch
vor den spanischen Eroberungszügen rund um die Welt."
Klaus nahm ein rotes Kärtchen vom Tablett, das gerade
die Stewardess vor ihm absetzte. Auf der einen Seite war
das Bild eines Schweines durchgekreuzt. Auf der anderen
Seite war in fünf Sprachen aufgedruckt:
"Dieses Gericht enthält kein Schweinefleisch."
"Solche Hinweise werden uns in Südost-Asien noch häufiger
begegnen," sagte Klaus und steckte das Kärtchen in
seine Brieftasche, "und auch arabische
Schriftzeichen, obwohl die Moslems, die heute in vielen Ländern
Südost-Asiens großen Einfluß haben, längst keine
Araber mehr sind. Es ist die Schrift des Koran
wenn du so willst, die Bibel der Moslems, oder der
Mohammedaner, oder der Moros wie sie in der Gegend
heißen, in die wir jetzt fliegen."
"Moros?" Elsa kramte in ihren spanischen
Sprachkenntnissen. "In der Nähe der spanischen
Stadt Granada gibt es in den Bergen einen Felsvorsprung,
der heißt 'El Ultimo Sospiro del Moro', das bedeutet
'Der letzte Seufzer des Mauren'. Und die Mauren
das waren Araber aus Nordafrika, und der da geseufzt
hatte, das war der letzte maurische Fürst, der Ende des
Fünfzehnten Jahrhunderts Granada an die spanischen
Herrscher zurückgeben mußte, womit fast 800 Jahre
arabische Herrschaft über einen Teil Spaniens zu Ende
ging."
Klaus fuhr fort: "Das war genau die Zeit, als
arabische Händler hierher nach Südost-Asien kamen und
den östlichsten Vorposten des Islam bildeten. Und nun müßt
ihr euch die Überraschung der Spanier vorstellen, als
sie nach einer Reise um die halbe Welt und ein halbes
Jahrhundert später im Süden dieser Inselgruppe wieder
auf Moros trafen, die ihnen ihre Eroberung streitig
machten! Der Kampf zwischen Christen und Moslems
entbrannte erneut, aber wie wir in der zweiten Hälfte
des Zwanzigsten Jahrhunderts sehen: Die Spanier haben
alle Eingeborenen kleingekriegt und sie zu ihrem Glauben
bekehrt bloß die Moros nicht! Die kämpfen noch
heute!"
Klaus langte die Mappe aus seiner Tasche, in der er
Zeitungsausschnitte sammelte.
"Fast täglich stehen sogar in den Zeitungen von
Manila Berichte über Aktionen der 'Moro National
Liberation Front' das ist die
Befreiungsorganisation der Moros. Von Zeit zu Zeit dürfen
Fremde gar nicht nach Mindanao dann wird dort
geschossen, oder die Rebellen haben gerade wieder einmal
einen Ausländer gefangen genommen, um die Regierung in
Manila unter Druck zu setzen."
Na, das waren ja schöne Aussichten!
Das erste, was wir nach unserer Ankunft im Süden der
Insel Mindanao hörten, das waren dann aber doch nicht
Schüsse, sondern die langgezogenen Gebetsrufe eines
Muezzin.
Der ersetzt bei den Moslems die Kirchenglocken. Jedesmal,
wenn ihre Stunde des Gebetes naht und das ist fünfmal
am Tag ruft die Stimme vom Minarett, dem schmalen
Turm. Und dann eilen die Gläubigen zur Moschee, ihrer
Kirche. Die hat meistens eine halbrunde Kuppel, auf der
ganz oben die Form einer Mondsichel steckt. Innen ist es
angenehm kühl, aber hinein darf man nur barfuß oder auf
Socken, die Schuhe bleiben draußen. So war das
jedenfalls in den meisten Moscheen, die wir später
besuchten.
Als wir aber diesen ersten Muezzin-Rufen folgten, war
alles ganz anders. In einem Prospekt für Touristen
hatten Elsa und Klaus den Namen einer Moslem-Siedlung in
der Nähe von Davao, unserer ersten Station auf Mindanao,
gefunden: Die Moslem-Siedlung des Dorfes Ilang.
"Wir müssen unbedingt heute noch hin," hatte
Klaus schon kurz nach unserer Ankunft gedrängt. "Heute
ist 'HARI-RAYA', ein hohes Moslem-Fest: Der erste Tag
nach dem Fastenmonat 'Ramadan' heute können alle
Moslems zum ersten Mal wieder nach vierwöchigem Fasten
zulangen und essen, soviel sie wollen."
"Auch Schweinefleisch?" Ich erinnerte mich an
das Kärtchen mit dem durchgestrichenen Schwein im
Flugzeug.
"Nie! Das hat ihnen ihr Prophet Mohammed verboten
genau wie den Alkohol."
"Aber warum denn?"
"Für die meisten Mohammedaner ist das wohl ein
Verbot, das gehört eben zur Religion, und darüber wird
nicht diskutiert: Mohammed hat es so gesagt!"
antwortete Klaus. "Aber vielleicht war der Prophet
nicht bloß religiös, sondern auch praktisch veranlagt.
Da gibt es zum Beispiel eine schwere Krankheit, die durch
Würmer im Schweinefleisch entstehen kann. Diese winzigen
Schmarotzer sind mit bloßen Augen kaum zu erkennen. Sie
heißen Trichinen, und wenn man sie mit dem
Schweinefleisch abbekommt, dann kann das den Tod bedeuten!
Durchfall, Fieber, die Muskeln werden starr, man kann
nicht mehr atmen Schluß!"
"Aber wir essen doch dauernd Schweinefleisch!"
Der Schreck fuhr mir durch die Glieder, denn im Flugzeug
hatte ich von einem Tablett gegessen, das nicht mit einer
roten Karte als schweinfleischlos gekennzeichnet war.
"Heute ist das auch kein Problem mehr. Bei uns zum
Beispiel gibt es die amtliche Fleischbeschau,"
beruhigte Klaus, "und wenn das Fleisch durchgebraten
oder gekocht ist, gibt es darin auch keine Trichinen mehr.
Aber woher sollte Mohammed das vor über
tausenddreihundert Jahren wissen, als vielleicht die
Trichinen-Plage mal besonders groß war, und man immerhin
feststellen konnte, daß die tödliche Krankheit vom
Schweinefleisch-Essen kam? Na ja, und daß der Alkohol
nicht gerade segensreich wirkt, das sieht man ja bei uns
zu Hause, wo die Krankenkassen neuerdings auch die
Behandlung von immer mehr Alkoholsüchtigen bezahlen müssen.
Übrigens findet man solche Vorschriften in anderen
Formen auch im Christentum: Denk nur an überzeugte
Katholiken bei uns zu Hause, die essen noch heute
freitags kein Fleisch bloß Fisch!"
Die Moslems im Dorf Ilang sind Fischer. Ihre
Hauptmahlzeit ist Fisch. Das fanden wir heraus, als wir
den Muezzin-Rufen folgten. Die klangen sehr schrill. Sie
dröhnten aus einem verbeulten Lautsprecher am Eingang
eines Gebäudes, dessen Wände keinen Putz hatten und
dessen Dach aus rostigem Wellblech bestand.
Das war die Moschee der Moslems von Ilang, und sie waren
traurig, daß sie keine bessere hatten.
Nach ihrem Gebet saßen wir draußen unter dem Vordach.
Der Steinbau stand so ziemlich als einziges Gebäude auf
festem Land, alle Hütten waren auf Pfählen ins Meer
gebaut und untereinander mit Holzstegen verbunden.
"Wir haben kein Land, auf dem wir etwas anbauen könnten,"
sagten sie, "Sogar der Boden, auf dem unsere Hütten
halb im Wasser stehen, ist privates Land."
Die Moslem-Siedlung lag in einer Gegend, in der die
philippinischen Christen das Sagen haben.
"Oh, wir kommen viel besser miteinander aus, als früher,"
beeilte sich der Siedlungschef, zu versichern.
Klaus hatte wieder sein kleines Tonbandgerät
herausgeholt.
"Ist das ein Religionskrieg zwischen Moslems und
Christen hier auf Mindanao?"
"Die Lehren des Koran," so antwortete der alte
Moslem, "bringen uns manchmal Probleme, weil die
Gesetze für die Philippinen von Christen gemacht sind.
Nach dem Koran zum Beispiel kann jeder Mann bis zu vier
Frauen heiraten, das macht nach unserer Vorstellung einen
besseren Sinn, als daß man wie es die katholische
Kirche verlangt auf ewig aneinandergekettet
bleibt, auch wenn sich Mann und Frau nicht mehr verstehen.
Aber die philippinischen Gesetze erlauben uns nicht
dieses Recht, das der Koran uns gibt. Unsere Priester tun
ihren Dienst seit jeher freiwillig und ohne Lohn.
Neuerdings brauchen sie aber eine Erlaubnis vom Staat.
Das sind ein paar der Schwierigkeiten, die wir haben."
Klaus hatte sich ein Empfehlungsschreiben für den Mann
besorgt, der sich im Auftrag des Präsidenten um die
Entwicklung der Moslem-Gebiete zu kümmern hatte.
"Sie können sich selber davon überzeugen, wie gut
es der Präsident mit den Moros meint," sagte der
hohe Beamte. "Kommen Sie heute nachmittag mit. Ich
treffe mich mit den Führern von drei Moslem-Siedlungen,
die wir jetzt völlig erneuern können. Der Präsident
hat dafür gerade dreieinhalb Millionen Pesos bewilligt!"
(Knapp 1,2 Millionen Mark)
Und als am Nachmittag die Dorfführer zusammensaßen,
holte der Beamte den Scheck aus der Brieftasche und ließ
ihn gönnerhaft von Hand zu Hand gehen. Aber da erhob
sich ein alter Mann.
"Ich spreche englisch, damit auch unsere Gäste
verstehen, worum es uns geht: Keiner von uns allen hier
ist zu dem Plan gehört worden. Ich habe nichts davon
erfahren, selbst als Maschinen kamen und die ersten Häuser
einrissen, wußte ich nicht, worum es ging!"
Es ging um die Umsiedlung der Moslems in
eintausendvierhundert neue Häuser. Auf den Plänen waren
lange Straßenreihen zu sehen, ganz anders als es die Art
der alten Moslem-Dörfer ist. Dafür war ein uraltes,
verwinkeltes Wohngebiet auf der Karte schon wegradiert.
An seiner Stelle konnte man die Skizze eines großen
Parks erkennen.
"Das ist die typische Planung am 'grünen Tisch',"
meinte Klaus. "Wenn Planer aus der Großstadt Manila
sich Dorfleben vorstellen, wird daraus rasch ein Klein-Manila!"
Ein Offizier stand auf, der bis dahin schweigend zugehört
hatte.
"Der Präsident," so sagte er, "hat
angeordnet, daß nur das geschehen soll, was die Leute
wirklich wollen! Und das wird geschehen und wenn
der ganze Plan in die Binsen geht!"
Es wurde beschlossen, jetzt eine Befragung zu
organisieren. Die betroffenen Familien sollten erklären,
ob sie ein neues Dorf nach ihren Vorstellungen haben
wollten, oder ob sie bloß Verbesserungen in ihren alten
Siedlungen brauchten.
"Aufruf zum Ungehorsam!" Klaus war verblüfft.
"Und das vom Militär!"
Später traf er sich mit dem Offizier. Der hatte in
seinem Büro Bilder vom Krieg in Vietnam hängen, an dem
auf Seiten der Amerikaner auch philippinische Soldaten
teilgenommen hatten. Darunter war zu lesen: "LESSON
LEARNED IN VIETNAM" ("Lektion
gelernt in Vietnam") Und weiter: "Eine Armee
wird niemals durch Gewalt Frieden und Ordnung erreichen,
wenn den Bedrängten nicht geholfen wird!"
Klaus flog ein paar Tage später zusammen mit Georg auf
die Insel Jolo noch weiter im Süden. Dorthin darf man
nur mit einer Sonder-Erlaubnis des philippinischen Militärs,
weil die Moro-Rebellen keine Ruhe geben.
Beide wurden vom Gouverneur eingeladen, mit einem
Hubschrauber über die Insel zu fliegen. Klaus erzählte
hinterher, er hätte nicht genau feststellen können, wer
mehr geschwitzt habe vor Angst, er und Georg, oder die
beiden Soldaten, die links und rechts ihre Maschinen-Gewehre
schußbereit gehalten hätten.
An einer abgelegenen Ecke des Hafens von Zamboanga
das ist eine Stadt am westlichen Zipfel von Mindanao
traf sich Klaus später mit einem Führer der Moro-Rebellen.
Der war sogar einmal in Hamburg gewesen und hatte dort
gearbeitet. Klaus machte ein Interview mit ihm das
letzte auf den Philippinen:
"Die Philippinen haben drei Kolonialherren erlebt,"
erklärte der junge Mann, mit einem Tuch um den Kopf wie
ein Turban. "Die Spanier, die Amerikaner und die
Japaner. Darüberhinaus haben fremde Volksgruppen bei uns
immer großen Einfluß gehabt, zum Beispiel die Chinesen,
die Inder, die Araber. Wir sind nie in der Lage gewesen,
unsere Kultur ungestört durch fremde Einflüsse zu
entwickeln. Sehen Sie, wenn Sie mich fragen was
ist ein Filippino, oder was ist philippinische Kultur?
ich kann es Ihnen nicht sagen. Es müßte erst
wiederentdeckt werden, was vor der Ankunft der Spanier
vor vielen hundert Jahren existierte. Und es muß daran
erinnert werden, daß die Moslems jene Gruppe waren, die
sich ihre Gesellschaftsform am besten erhalten hat.
Manila war ja einmal Moslem-Stadt! So ist auch unser
Problem hier zu verstehen: Wir Moslems haben uns einen
unabhängigen Geist erhalten. Wir glauben bis heute, daß
es keiner fremden Macht gelingen wird, uns zu unterwerfen!
Das kann nicht jeder Filippino sagen. Die Moslems sind
das einzige Volk auf den Philippinen, das nie kolonisiert
wurde warum sollte es heute?"
Klaus hat später gesagt: "Er weiß noch nicht, daß
ausländische Öl-Gesell-schaften da draußen im Meer
gefunden haben, wonach sie suchten!"
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