DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



DIE QUAL, DAS LEBEN ZU BESCHREIBEN



"SPITTING IMAGES" heißt eine britische TV-Serie, deren ätzende Satire in einem winzigen Ausschnitt dem westdeutschen Fernsehpublikum als Beispiel dafür gezeigt wurde, was Zuschauern u n d Politikern in einem anderen Land zugemutet werden kann; das Bundeskanzleramt hatte zuvor bei deutschen Fernsehgewaltigen erfolgreich Beschwerde geführt über einen erfundenen Dialog zwischen Helmut Kohl und US-Präsident Reagan im Vorfeld der Begegnung beider Politiker an den Kriegsgräbern von Bitburg. Spitting Images — das sind bösartige Karikaturen in Puppenform, die den britischen Fernsehzuschauern die Größen dieser Welt in absurden Szenen vorführen: Da geht dem amerikanischen Präsidenten das Gehirn verloren und wird verzweifelt überall gesucht, der sterbende Breschnew wird von ebenso aussehenden Breschnew-Karikaturen im Kreml als Staffage für aberwitzige Politentscheidungen wie eine Marionette manipuliert und ganz traurig geht es im britischen Könighaus zu, wo ein mit übergroßen Segelohren versehener Prinz Charles hoffnungslos an der verschlossenen Schlafzimmertür seiner Prinzessin Diana klopft, während eine Szene weiter sich die spitznasige Maggi Thatcher von ihrem greisen Nachbarn in Sachen Nordirland beraten läßt — einem Hitler-Opa, der genießerisch seine zur Insektenvernichtung im Garten eingesetzte Giftgasspritze als Lösung vorschlägt.

"Oha," denke ich, als ich nach meiner Ankunft im Jahr 1985 diese Serie jede Woche über zimbabwesche TV-Schirme flimmern sehe, "hier geht der Zug ab!" Weder amerikanische, noch britische, noch sowjetische Botschaft werden diese wöchentliche Fernsehbotschaft mit Vergnügen sehen, und meine Hochachtung vor der Entschlußfreudigkeit der ZBC-Gewaltigen steigt ins Unermeßliche als eines Abends in einer Szene der Jet-Set führender Protagonisten der Dritten Welt bei einem fröhlichen Gelage an Bord eines Flugzeuges Erfahrungen austauscht. Jassir Arafat, Superheld, spielt gerade mit seinem Revolver, als ein Schwarzer, mit grotesker Nickelbrille das Bild füllend, zu einem Ratschlag anhebt: "Wer wissen will, wie Vetternwirtschaft funktioniert, braucht bloß mein Land zu besuchen!"
Ich traue meinen Augen nicht: Der da mit glitzernden Brillengläsern agiert, ist das "spitting image" Robert Mugabes.
"Mir wäre fast die Teetasse aus der Hand gefallen," sagt mir ein paar Tage später jemand aus dem Informationsministerium, als ich gerade zu einer Lobpreisung der freien Programmwahl ansetzen will. Ich erfahre, daß eher bei der Programmabnahme geschlafen wurde (vermutlich hatte es gar keine gegeben), mit der Folge, daß es aus ist mit der fremden Satire auf zimbabweschen Bildschirmen. Ich lerne bald, im Grunde war es überhaupt keine bewußte Entscheidung, "SPITTING IMAGES" zu zeigen; es war der schlichte Zwang, Sendezeit zu füllen, und da ist es egal, ob mit einer anspruchsvollen, aber preiswerten europäischen Satire-Serie oder mit billigen Kung-Fu-Importen aus Hong Kong. Das Fernsehangebot ist ein entsprechendes Sammelsurium von internationalen Ladenhütern mit zufälligen Glanzlichtern, die unerkannt zu später Nachtzeit oder sonntagvormittags verramscht werden — ein Konzept ist nicht zu erkennen, eigene Produktionen finden kaum statt, die lokale Werbewirtschaft will ihre Botschaften lieber in fremder Fernsehware verpacken. Das ist allerdings nur die ökonomische Seite, die inhaltliche ist noch schwieriger zu meistern.

In meinem Schrank hängt ein leicht fleckiger Schlips, ich kann ihn seinem Besitzer nicht mehr zurückgeben, er ist tot. Er starb, nur 35 Jahre alt, 1987 in Harare — als Enfant terrible der neuen zimbabweschen Literatur: Dambudzo Marechera.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, weshalb ich an dem Abend, an dem wir uns trafen, keinen Schlips trug. Er trug auch keinen. Die Entscheidung, zu später Stunde einen exklusiven Club in Harares ansonsten zu dieser Zeit schon ausgestorbener Innenstadt aufzusuchen, erforderte jedoch dieses Utensil. Also machten wir bei seinem Quartier nahe der Rhodes Avenue halt, und Marechera produzierte zwei zerknitterte Halsschlingen, die uns Eintritt in die von Weißen und Oberschichtschwarzen dominierte Atmosphäre von "SANDROS" verschaffte. Andere Etablissements halten für solchen Zweck eine Sammlung von Krawatten bereit, die ab achtzehn Uhr an schlipslose Bargäste verteilt werden.
Hier nun lümmelte er am Tresen, filzige Rastalocken über Stirn und Nacken, eine Figur aus seinen tristen Geschichten, die ihm in so kurzer Zeit internationale Anerkennung verschafften:
"Dies ist pure verbale Säure, betäubend und erschreckend, und doch oft drollig, mit einem grausamen und bitteren, sardonischen Unterton, der ein höchst seltenes und wertvolles Talent erkennen läßt. Es ist zu finden bei Borges, Nabokov, Heller oder Vonnegut." (Verlagswerbung)

Die Welt aus Mahagony, Leder, Spiegeln und teuren Drinks ist ersichtlich nicht die seine, er hat sie als ironischer Beobachter betreten, er hat sie sich schon früh abgeschminkt: 1973 wurde er von der Salisbury-Universität wegen politischer Aktivitäten verwiesen. Mangel an Konformismus ließ auch seine Studien am New College in Oxford abbrechen. Seine Heimat ist das "HOUSE OF HUNGER" geblieben, Titel seiner wichtigsten Erzählung, 1978 zuerst bei "HEINEMANN EDUCATIONAL BOOKS" in der Serie afrikanischer Schriftsteller erschienen.
Das "Haus des Hungers" steht für beides, für Heim und Land, aber seine vor der Unabhängigkeit Zimbabwes wie aus einer Zitrone gequetschten Erfahrungen haben ihre Säure als frustrierende Visionen von der neuen Heimat nicht verloren. Und Dambudzo Marechera blieb ein unbequemer Nonkonformist, der den neuen Postenhaltern unter die schwarze Haut guckte und Arroganz von Macht entdeckte, die nichts mit der äußeren Farbe zu tun hat.
Sein Zweifel begann früh. Erschütternd ist die rückblickende Szene im "Haus des Hungers", als sein Protagonist übersprudelnd zu Hause von einem glücklichen Tag in der Schule berichten will, die ihm seine Mutter mit abgespartem Haushaltsgeld ermöglicht — und der Hoffnung, ihn eines Tages als Absolvent der Universität zu erleben:

"Ich stürzte in den Raum, sprudelte heraus mit meiner Geschichte, erzählte mit heftigen Gesten alles auf einmal, berichtete der Mutter, die dastand und mich ansah. Ein stechender Schlag aufs Ohr stoppte mich. Verschreckt blickte ich hoch zu ihr, sie schlug mich erneut.
'Wie kannst du es wagen, auf Englisch mit mir zu reden,' empörte sie sich, 'wo du genau weißt, daß ich das nicht verstehe! Und wenn du glaubst, nur weil du gebildeter...' Und wieder schlug sie mich.
'Aber, ich rede doch gar nicht Eng...,' begann ich und brach ab, denn plötzlich hatte ich gemerkt, d a ß ich zu ihr auf Englisch sprach."

Entsetzt flieht der kleine Junge hinaus, kehrt dann zurück, um alle seine englischen Schulbücher zu zerreißen. Der betrunkene Vater schlägt ihm dafür am Abend einen Vorderzahn aus.
Strategien des Überlebens haben im "Haus des Hungers" Zuwendung und Zärtlichkeit abgelöst, Brutalität bestimmt das Miteinander in der Schule und in der Township, Verrat und Betrug entlassen einen mißtrauischen jungen Mann in die Welt der Erwachsenen, in der auch Liebe zwischen Mann und Frau zu einem Instrument von sexueller Dominanz verkommt:

"Sie wollte mich träumen lassen, mich an Visionen glauben lassen, an Hoffnung. Aber der Fels und der zermahlene Sand dieser Erde verwehrten es mir.
'Ich kann es mir nicht leisten,' sagte ich.
Sie blickte auf.
'Wenn es Geld ist — ', begann sie schüchtern.
'Geld!' Ich lachte bitter wie ein mißverstandenes Kind.
Und doch, Geld war sicherlich ein Teil davon. Es gibt keine Möglichkeit, zu lieben, zu essen, zu schreiben, zu schlafen, zu hassen, ja sogar zu träumen — ohne Geld.
Aber diese Helden, diese schwarzen Helden unserer Zeit..."

Irgendwie hatte es Dambudzo Marechera geschafft, sich am Gründungsabend der neuen Journalisten-Gewerkschaft in den Presseclub von Harare zu schleichen, an jenem Abend, der in einem Chaos endet. Die schreibenden Kollegen halten Abstand von dem "Outcast", der seinerseits mit beißender Ironie ihre konfusen Illusionen zerätzt und sich keinen Deut darum schert, daß als geladener Gast der Informationsminister im Scheinwerferlicht des Fernsehens sitzt. Der wiederum ist an diesem Abend dem Anarchisten näher als dem heillos zerstrittenen Pulk in ihrer Mehrheit willfähriger Propagandaschreiber.
"Warum dreht ihr die Scheinwerfer auf, wenn der Minister spricht," herrscht Dr. Shamuyarira das Fernsehteam an. "Wendet die Kamera zurück auf euch selbst — das ist die spannende Story!"
Und der einsame Applaus kommt von Marechera.

Einsam war auch sein Begräbnis, ein paar Freunde — mehr Leserbriefe als offizielle Würdigungen in der Presse. Seine Heimat hat ihm verwehrt, zum Katalysator zu werden. "Katalysator" = "Stoff, der auch in sehr kleinen Mengen die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion verändert, meist beschleunigt, ohne dabei verbraucht zu werden".
Die aufgestaute Säure hat keine positive Reaktion bewirkt. Eingedämmt in Dambudzo Marechera, hat sie ihn zerfressen.

In der Anglikanischen Kathedrale zu Harare fand das Stück einer Theatergruppe aus Bulawayo sein letztes Asyl: "WORKSHOP NEGATIVE", die erste kritische Bühnen-Auseinandersetzung mit der neuen zimbabweschen Wirklichkeit. Ein hoher Parteifunktionär betreibt eine Schlosserei, fährt gelegentlich mit Eskorte vor, hält deklamatorische Reden, und wendet im übrigen beim Umgang mit seinen Angestellten, zwei Veteranen des Befreiungskampfes, frühkapitalistische Ausbeutungsmethoden an. Das ist in Kurzfassung Inhalt des Dramas, das im achten Jahr nach der Unabhängigkeit Zimbabwes wochenlang für Furore sorgte, ein Abbild sozialer Wirklichkeit, das offenbar das Ohr seines Publikums, unglücklicherweise aber auch den Nerv von Politikern traf — mit Texten wie diesen:

"Sie predigen Sozialismus und machen zugleich Geld, während die Menschen leiden. Sie predigen Sozialismus und fahren in Luxuswagen... Es gibt Korruption... Verhaltensweisen müssen geändert werden... Die sozialistische Theorie muss verändert werden."

Offizielle Reaktionen ermutigten zunächst die Theatergruppe; der Minister für Jugend, Sport und Kultur, David Karimanzira, meinte nach einer der ersten Aufführungen, das Stück schildere, was die Menschen im Lande anstreben sollten: Hart zu arbeiten für Einheit, Fortschritt und Stärke. Er hatte den Pferdefuß übersehen, der ihn hinter der Kulisse traf, als sich die Gruppe anschickte, das Stück bei der internationalen Handelsmesse im benachbarten Sambia aufzuführen. Die Regierung verbot die Ausfuhr freien Gedankenguts, und Karimanzira erklärte nun in einem Interview:
"Das Stück stellt nicht eine wahre Reflektion der politischen Entwicklung Zimbabwes dar. Es ist, wie der Titel aussagt, eine absolut negative und scheele Sichtweise einiger Einzelpersonen, die unser Land und einige Persönlichkeiten der politischen Führung in trübem Licht darstellen."
(THE HERALD, 24.03.1987)

Trotz des harschen Verdikts lud die Universität des Landes die Gruppe zu einer Aufführung mit anschließender öffentlicher Diskussion auf ihren Campus in Harare. Der Generalsekretär der Schriftsteller-Union, Musayemura Zimunya, verbeugte sich vor dem Ensemble und dem Autor und stellte klar:
"Selbsternannte Kenner von Kunst zeigen sich intolerant gegenüber Künstlern, während sie zugleich Toleranz von der Bevölkerung Zimbabwes erwarten."
Der zuständige Direktor des Kulturministeriums, Steven Chifunyise, hielt entgegen:
"Es gibt keine ehemaligen Befreiungskämpfer, die Fabriken besitzen, und Korruption durch Politbüro-Mitglieder, wie sie in dem Stück dargestellt wird, gibt es nicht in Zimbabwe..."
Seine Verteidigungsrede ging unter in Pfiffen und Buh-Rufen des Publikums. Der HERALD berichtete am nächsten Tag:
"Die Zuschauer im gefüllten New Lecture Theatre waren der Ansicht, die Vorführung von Partei-Offiziellen, die nicht bloß Geschäfte betreiben, sondern ihre Angestellten auch unbarmherzig ausbeuten, sei eine akkurate Darstellung durch Autor Cont Mhlanga."
Der neunundzwanzigjährige Mhlanga, Autor mehrerer Theaterstücke (1986 Preisträger des Nationalen Theater-Festivals) und einer Novelle, die im Schulunterricht verwendet wird, erklärte öffentlich:
"Wir sind enttäuscht von der Maßnahme des Ministeriums und der ganzen Art, wie diese Angelegenheit behandelt wurde. Solch eine Entscheidung ist eine Verspottung der neuen politischen Ordnung, und wir wundern uns, daß dies in einem vorgeblich unabhängigen Land passieren konnte, wo man ein gewisses Maß von Rede- und Ausdrucksfreiheit erwarten sollte. Wir fühlen uns tatsächlich unterdrückt." (u.a. in AFRICA NOW, Juni 1987)
AFRICA NOW, ein unabhängiges überregionales afrikanisches Magazin, zitiert aus offiziellen Zirkeln der zimbabweschen Hauptstadt weitergehende Gründe für die offizielle Ablehnung:
"Einige haben das Stück sogar als gegen die regierende Partei ZANU PF gerichtet beschrieben und eine 'britische Destabilisierungskampagne' unterstellt. Diese Anschuldigung wird teils mit der Tatsache begründet, daß ein weißer Schauspieler, Christopher Hurst, die Rolle eines ehemaligen rhodesischen Soldaten spielt, teils damit, daß die Produktion unter anderem auch vom British Council unterstützt wurde."

Daß die Briten ihre Chance für eine kleine Rache nach der Lancierung eines antibritischen Schauspiels während der Gipfelkonferenz der Blockfreienbewegung in Harare ein Jahr zuvor wahrnahmen, mag sogar stimmen. Die Schwierigkeiten bei der Entwicklung von sozialkritischem Theater in Zimbabwe sind aber wohl eher auf den Mangel praktischer Erfahrungen schwarzer Produzenten u n d Konsumenten unter der generationenlangen Herrschaft eines weißen, städtischen Kulturbetriebes zurückzuführen. Der kritische Umgang miteinander ist für beide Seiten ungübt, für die aufmüpfigen jungen Kulturschaffenden und die Statthalter schwarzer Macht.

Minister Karimanzira suchte seine Vorbehalte gegenüber "WORKSHOP NEGATIVE" auch mit Zweifeln an der professionellen Arbeitsmethode des Autors zu begründen:
"Der Stückeschreiber sagt, sein Schauspiel basiere auf Unterhaltungen in Bars. Wie kann man eine aufrichtige, ausbalancierte Einschätzung der politischen Situation Zimbabwes auf der Grundlage von Bargesprächen vornehmen?"
Cont Mhlanga antwortete in einem Presse-Interview:
"Es sind diese Plätze, es sind die Straßen, wo ich groß geworden bin. Es ist dort, wo alles passiert, wo das tägliche Leben der Unterprivelegierten studiert werden kann, ihre Empfindungen, ihre Qualen."

 
 
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