DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
AUF GOLD WÄCHST KEIN WALD
Zwei Stunden mit dem "Jeepney" bis an die
Hauptstraße, drei Stunden mit dem Überland-Bus bis nach
Baguio. Das ist die Sommerhauptstadt der Philippinen,
weit oben in den Bergen, wo die Landschaft so aussieht
wie bei uns der Schwarzwald.
Weil es hier kühler ist als in Manila, hat sich der Präsident
für die heisseste Jahreszeit in Baguio einen zweiten
Palast bauen lassen. Das ist die Gegend, die auch allen
Fremden auf den Philippinen immer am besten gefallen hat.
Hier hatten sie es fast wie zu Hause.
"Die voraussichtlich letzten, die sich hier
breitmachen, sind die Amerikaner," sagte Klaus, als
wir mit dem Taxi mal wieder an einer Straßensperre
anhalten mußten.
Das war am Tor des Erholungszentrums für amerikanische
Soldaten, der Basis "John Haye".
"Dort drüben ging für die Japaner der Krieg auf
den Philippinen zu Ende. Im Landhaus des amerikanischen
Botschafters unterzeichnete General Yamashita 1945 die
Urkunde, mit der er sich ergab. Kaum zehn Jahre später
erholten sich auf diesem Riesengelände amerikanische
Soldaten von einem neuen Krieg in Südostasien: Sie
wurden aus Korea jeweils für einen Kurzurlaub
hierhergeflogen. Und noch mal zehn Jahre später kamen
sie vom Schlachtfeld in Vietnam, um in diesem milden
Klima wieder zu Kräften zu kommen."
Wir waren auf dem Weg zur deutsch-philippinischen
Forstschule in Baguio, und dieser Weg führte
normalerweise am Parkgelände von "John Haye"
entlang. Der Monsun-Regen aber hatte Teile der Straße
weggespült, das passiert jedes Jahr. Und jedes Jahr müssen
die Einwohner Baguios einen großen Umweg in Kauf nehmen,
denn die Amerikaner geben die Teer-Straße durch ihr Gelände
auch in diesem Notfall nicht frei. Uns ließ der
Torposten nach eingehender Prüfung die Abkürzung
benutzen.
Ich hatte schon gelernt: "Weiße Haut ist der 'beste
Ausweis'!"
In der Forstschule von Baguio lernen philippinische Förster
unter anderem auch, wie sie Militärschrott nützlich
verwenden können: Aus den kräftigen Metallstreifen von
ausgedienten Wagenfederungen entstehen Erdhacken mit
einem hölzernen Stiel. Damit läßt sich bequem die Erde
auflockern, bevor an den oft kahlen Berghängen neue Bäume
angepflanzt werden.
Vorher aber muß verhindert werden, daß die Erde jedes
Jahr auf's Neue weggespült wird, wie die Straße bei
"John Haye".
Ein deutscher Förster hat ihnen dafür eine einfache
Methode beigebracht: Rasch wachsende Sonnenblumen werden
ausgesät, ihre Stengel werden mit Draht gebündelt, und
diese Bündel werden dann dort wo an den Hängen
in der Regenzeit das Wasser herunterstürzt wie
Stufen mit einem Drahtnetz am Fels festgenagelt. An ihnen
sammelt sich die Erde, die sonst auf Nimmerwiedersehen
verschwindet. Und aus den Trieben der Sonnenblumenstengel
entwickeln sich Wurzeln, die Grundlage für einen neuen
Wald entsteht.
Wo aber sind die alten Wälder geblieben?
Der Förster aus Deutschland erzählte.
"Der Kahlschlag hat schon vor Jahrhunderten
begonnen, zur Zeit als die Spanier diese Insel
beherrschten. Vor den Philippinen hatten sie ja Mexico
erobert. Von Mexico kamen sie dann über den Stillen
Ozean hierher. Und so wurden später die philippinischen
Inseln auch verwaltet von Mexico aus, nicht von
Spanien! Von Acapulco an der mexikanischen Westküste bis
nach Manila brauchte ein spanisches Schiff damals etwa
drei Monate. Um diese Reise unbeschädigt zu überstehen,
wurden besondere Holzsorten für den Schiffbau verwendet.
Und dieses Holz wurde hier geschlagen. Die Spanier
vernichteten dabei ganze Wälder, zurück ließen sie
kahle Berge!"
Auf einigen grünt es jetzt wieder.
Wir kamen zurück von einem Ausflug zu den neuen Wald-Anpflanzungen,
da schwebte plötzlich frisch geschlagenes Holz durch die
Luft. Die Ladung glitt an einem Drahtseil talwärts.
"Da wird vom Berg geholt, was wir an anderer Stelle
mühsam aufforsten!"
Die nächste Ladung kam in Sicht.
"Das ist eine Seilbahn ohne Motor," erklärte
der Förster, "sie schafft nur Holz hinunter und
bringt nichts herauf!"
"Wo schafft sie es hin?"
"Zum Gold-Bergwerk unten im Tal. Dort wird Holz in
großen Mengen zum Abstützen des Schachtes gebraucht.
Der Berg frißt Holz und spuckt Gold aus zusammen
mit riesigen Mengen Steingeröll, und auf dem wächst
kein Wald mehr. So funktioniert der Kahlschlag in unserer
Zeit!"
Verbittert setzte sich der Förster wieder an's Steuer.
"Was meint er damit Berg frißt Holz und
spuckt Gold?" fragte ich, als wir wieder hinten im
Wagen saßen.
"Die Philippinen stehen in ganz Asien an erster
Stelle bei der Gewinnung von Gold. Das wird aus der Erde
geholt wie bei uns die Kohle. Und dort unten im
Tal arbeitet die größte Gold-Mine des Landes. Die steht
auf unserer Besichtigungsliste."
Am Tag der Besichtigung goß es in Strömen. Zuerst gab
es viele Zahlen zu hören ein Mann von der Geschäftsleitung
berichtete:
"Dieses Gold-Bergwerk gibt es hier seit 1903. Heute
kommt von hier die Hälfte allen Goldes, das auf den
Philippinen geschürft wird. Im Jahr 1973 holten wir zum
Beispiel mehr als 5.000 Kilogramm Gold aus dem Berg, das
sind ungefähr 100 Zentner."
Elsa hatte schon wieder ihren Elektro-Rechner in der Hand.
"Nehmen wir mal den niedrigsten Goldpreis, wie er
heute auf der Wirtschaftsseite des 'Daily Express' stand
das waren 142 US-Dollar für eine Unze (28,35
Gramm). Das wären also umgerechnet 64 Millionen
Mark!" "Herrjeh wer besitzt denn die
Grube?"
"Bisher gibt es nur einen sehr geringen
philippinischen Anteil," war die Antwort, "gerade
2 Prozent. 97 Prozent gehören Amerikanern und anderen
Fremden. Aber das wird sich in den kommenden Jahren ändern.
Es soll auf den Philippinen Ausländern nicht mehr
erlaubt sein, mehr als die Hälfte eines Bergwerks, einer
Fabrik oder überhaupt eines Unternehmens zu besitzen.
Wenigstens 60 Prozent sollen philippinisches Eigentum
sein, verstehen Sie?"
"Wieviele Bergarbeiter beschäftigen Sie?"
"Ungefähr 5.500, und wir geben ihnen auch Wohnungen
in unseren Camps, wissen Sie?"
"Und der Lohn?"
Die Antwort blieb aus.
"Es gibt vier Wohnsiedlungen, und in jeder haben wir
eine Grundschule. Dazu kommen noch zwei weiterführende
Schulen. Die Leute können alles, was sie brauchen, hier
in Läden kaufen auch ohne Geld, das verrechnen
wir mit ihrem Lohn, wissen Sie. Natürlich haben wir auch
eine eigene Werkspolizei das ist schon nötig,
Alkoholprobleme und so."
Wir hatten inzwischen den Eingang zum Schacht erreicht.
Der Regen ließ die Schienen glänzen, auf denen jetzt
die kleinen Kipp-Loren stillstanden. Die letzte Schicht
vor dem Wochenende kam gerade aus dem Berg eine
lange Reihe von Männern mit Helmen auf dem Kopf stand in
dem dunklen Tunnel, einige hatten noch die schwachen
Lampen vorn am Helm eingeschaltet. Nur wenige warfen
einen Blick zu uns herüber. Erst als Georg zu
fotografieren begann, wurden fast alle wieder munter.
"Worauf warten die Männer?"
Der Mann von der Geschäftsleitung zuckte die Achseln.
"Wissen Sie, das ist unser Problem. Sie arbeiten
sechs Stunden unten im Berg, dazwischen haben sie eine
Stunde Pause, und dann stehen sie hier nochmal eine
Stunde, weil wir ihnen nicht trauen können. Manchmal
findet einer von ihnen mehr als das, was wir mit unseren
Steinmühlen und in den Spülanlagen herauswaschen. Bei
uns macht es ja das systematische Durchwaschen des
gesamten Gesteins, das die Burschen da unten losschlagen.
Die winzigen Goldanteile sind da selten mit dem bloßen
Auge zu erkennen. Aber manchmal findet einer ein Stück,
so groß wie eine Nuß, und das versucht er dann
herauszuschmuggeln. Und die Jungs sind einfallsreich. Sie
verschlucken es, oder sie fetten es ein und schieben es
sich in den Hintern. Sie glauben gar nicht, auf was für
Tricks die kommen!"
"Und da gucken Sie nach?"
Klaus schaute auf die lange Reihe der Männer, die sich
im Dunkel des Tunnels verlor.
"Wir machen Stichproben, aber ihre Sachen werden
regelmäßig durchsucht."
Der Nachmittag auf dem Markt von Baguio brachte uns eine
Begegnung, die direkt an diese Erfahrung anschloß.
Ich war bei einer Gruppe von Jungen stehen geblieben, die
ein seltsames Spiel spielten: Aus Streichholzschachteln
holten sie gefangene Spinnen hervor "spider-fighter",
"Kampf-Spinnen".
Ein Junge, der "Unparteiische", hielt ein Stäbchen
bereit, vielleicht 20 Zentimeter lang. Auf die beiden
Enden wurde je eine Spinne gesetzt, und beide rasten
sofort aufeinander zu. Sie verbissen sich ineinander,
schlugen mit ihren langen Beinen aufeinander. Der Kampf
dauerte höchstens zwei Minuten, dann erlahmten die Kräfte
der einen Spinne und dann geschah etwas
Unheimliches: Die Sieger-Spinne begann in rasender
Geschwindigkeit, mit klebrigen Fäden den Gegner
einzuwickeln. Zum Schluß hing dieser zum Knäuel verschnürt
am Stab, der Sieger wanderte wieder in die
Streichholzschachtel.
Während wir diesem eigenartigen Spiel zuschauten, war
Klaus weitergebummelt. Jetzt kam er eilig zurück.
"Wißt ihr, was mir eben passiert ist? Eine Ecke
weiter hat mich ein junger Mann angesprochen ganz
heimlich. Er hat mir Gold angeboten zu einem lächerlichen
Preis: Für eine Unze will er 30 Pesos, das sind zehn
Mark!" "Damit ist nicht mal sein Risiko
bezahlt," meinte Elsa.
"Aber es ist mehr als das Doppelte, was er für
einen ganzen Tag in der Mine verdient. Er bekommt 12
Pesos, also 4 Mark, ich habe ihn gefragt. Der niedrigste
Tageslohn liegt bei 9 Pesos. Da ist das wie ein
Hauptgewinn beim Lottospiel, wenn einer mal ein Goldkorn
rausschmuggeln kann."
"Ich habe eine bessere Idee als ihm das geklaute
Gold abzukaufen," Elsa holte 30 Pesos aus der Tasche.
"Wir geben ihm das Geld, und er nimmt uns dafür mit
in seine Wohnsiedlung. Wartet er noch?"
Er wartete noch, und als er unseren Vorschlag hörte, war
er zunächst überrascht. Dann aber willigte er deutlich
erleichtert ein.
Wir nahmen ein Taxi zum Camp, und auf der Fahrt erfuhren
wir Dinge, von denen bei der offiziellen Bergwerksführung
nicht die Rede gewesen war, zum Beispiel, daß die
Arbeiter im Berginneren Temparaturen bis zu 70 Grad
Celsius aushalten müssen.
Klaus notierte sich den Namen der Krankheit, die sich mit
Geröllstaub in die Lungen der Minen-Arbeiter schleicht.
Es ist das längste Wort, das ich je gesehen habe: "Pneumoniultramicroscopicsilicovolcanoconoisis".
Zu dem Wohncamp gelangte man nur durch das bewachte
Werktor. Die Wächter hatten uns am Vormittag mit dem
Mann von der Geschäftsleitung gesehen, so hatten wir
keine Schwierigkeiten.
In engen Reihen standen an einem steilen Felshang
Holzbaracken. Eine Holzstiege führte zu einem langen überdachten
Gang, von dem gingen die Wohnungstüren ab.
Jetzt am Wochenende waren auch die Männer daheim. Es
wimmelte von Menschen. Kleine Kinder krabbelten über die
Bretter, alte Männer lehnten an der Hauswand.
Der junge Goldschmuggler machte uns mit einigen bekannt.
Einer zeigte uns seine Hände, die Haut war zerfressen.
"Bei manchen greift der Staub nicht bloß die Lunge
an," erklärte unser Begleiter.
"Er muß nicht mehr arbeiten?" fragte Klaus,
"Er ist sicher schon über sechzig?"
"Oh nein vierzig! Im Berg wird man schnell
alt!"
Dann durften wir durch eine Tür treten. Nur ein Raum lag
dahinter.
"Vier mal vier Meter," schätzte Klaus die
Wohnfläche. An den Wänden stapelten sich Holzverschläge
die Etagenbetten.
"Gewöhnlich wohnen zwei Familien in solch einem
Raum, und jede Familie hat fünf oder sechs Kinder. In
den vier Wohncamps leben so rund 30.000 Menschen!"
"Aber was passiert denn mit dem ganzen Gold?"
Mir wollte nicht in den Kopf, daß die Männer ungeheuren
Reichtum aus der Erde holten und hier in dieser gräßlichen
Armut lebten.
"Du wirst es nicht glauben," antwortete Klaus,
"aber das meiste landet wieder unter der Erde, nämlich
in den Tresoren der großen Banken! Und wenn du dort hinüber
blickst, siehst du da einen neuen Berg wachsen. Das ist
das ausgewaschene Geröll. Es ist nutzlos, und es ist
giftig, denn das Gold wird ja mit chemischen Mitteln
herausgeholt."
"Ja," sagte der Goldschmuggler, "dort wächst
nie wieder Wald!"
|