DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
"WIESO? WESHALB? WARUM?"
Am Horizont hängen schwere Gewitterwolken, das
Abendlicht verwandelt den Himmel in ein bizarres
Farbenspiel, tiefes Orange geht rasch über in kaltes bläuliches
Rot mit purpurnen Streifen, bleierne, scharf abgegrenzte
Wolkenfetzen fangen letzte Sonnenstrahlen ein, die das
graue Blei an den Rändern gleißend schmelzen lassen
sie scheinen bei ihrer rasenden Fahrt über das
Firmament jeden Augenblick zu kollidieren, herabzutropfen
auf die kleine Ansammlung von hingeduckten Steingebäuden,
hinter deren Öffnungen das Licht nackter Glühbirnen
glimmt. Ein Neonröhrenkasten am Ende einer ragenden
Mastsilhouette zeichnet ein längliches Rechteck weißen
Kunstlichts in den Abendhimmel. Die Nacht bricht herein
über Zimbabwe.
Mit den intensiver werdenden Lichtstrahlen aus Tür- und
Fensteröffnungen dringt der Lärm des Feierabends aus
der Bierbar, übersteuerte Lautsprechermusik, Lachen,
Streit, das Klirren von Bierflaschen.
Ich drängele mich durch die Gruppen von Männern und
Frauen, die neben dem klaren Bier in Flaschen große
Dreilitertöpfe aus Plastik mit dem mittlerweile
industriell hergestellten traditionellen Maisbier
herumreichen, dem breiigen, leicht säuerlich
schmeckenden "Chibuku". Ich will eine Kiste
Softdrinks kaufen für meine Kollegen, die drüben in der
Gemeindehalle auf den Beginn eines Theaterstücks warten.
Die Verwirklichung eines Drama-Workshops im
Erfahrungsaustausch zweier benachbarter afrikanischer
Radiostationen hat zwei Jahre gebraucht. Toni Kandiero,
Generalmanager der Malawi Broadcasting Corporation hatte
früh seine Bereitschaft erklärt, einen seiner
Redakteure nach Harare zu schicken, aber die Zimbabwe
Broadcasting Corporation tat sich schwer mit dem Angebot.
Es bedurfte einer Abstimmung in der gemeinsamen
Regierungskommission, bevor sich Marvin Hanke, vielfacher
Gewinner von Hörspielpreisen innerafrikanischer
Wettbewerbe, auf den Weg machen konnte, um vier Wochen
lang sehr praktisch mit den Kollegen von Radio 4
zusammenzuarbeiten. "Hanke" heißt in der
Sprache seines Stammes "Let's go" armer
Marvin, die Kooperation artete aus zu einem Hürdenlauf
mit für ihn ungewohnten Hindernissen. Für mich wurde
sie zu einem Lehrstück über Rezeptionsprobleme einer
afrikanischen Gesellschaft im Umbruch.
Vierundzwanzig Jahre lang hatte der malawische Rundfunk
Gelegenheit, einen eigenen Weg zu finden, und trotz
drastischer Gängelung unter dem Dach eines autoritären
Staatsgefüges mit dem diktatorischen alten Mann Hastings
Banda im lebenslangen Präsidentenamt haben es kompetente
Radio-Manager geschafft, o h n e fremde Hilfe Freiraum für
talentierten Nachwuchs zu schaffen und mit veraltetem Gerät
dennoch ein professionelles Programm zu produzieren, das
internationalen Maßstäben gerecht wird. Phantasie und
Pfiffigkeit ersetzten in Malawi fremde Geldgeber. Marvin
Hanke, vor acht Jahren vom Tontechniker zum Leiter der
Drama-Abteilung berufen, nachdem er sich durch eigene
literarische Arbeiten als kompetent ausgewiesen hatte,
merkte bald, daß ohne ein vernünftiges Budget kein
Programm zu machen war.
"Lieber sollten wir den Versuch wieder einstellen,
als nur halbe Sachen zu machen," sagte er seinem
Chef, und Toni Kandiero sann mit ihm über Geldquellen
nach. Eine war bald gefunden: Kandiero verfügte die
Ausgabe von nur einem Kugelschreiber pro Vierteljahr an
jedes MBC-Mitglied und gab das gesparte Geld an die Hörspielabteilung
wohl unter dem Motto "Kleinvieh macht auch
Mist".
Hanke holt an seinem ersten Tag bei ZBC Tonbänder aus
seinem Gepäck, Hörspiele, die er bei MBC produziert hat.
In der Diskussion um seine Produktion "AN EYE FOR AN
EYE" entzünden sich Argumente über die Zeichnung
seiner Charaktere: Reagiert ein afrikanischer Ehemann so,
wenn er erfährt, daß ihn seine Frau betrügt? Das Stück
spielt im städtischen Milieu; ein junger Radio 4-Kollege
wirft Hanke vor, seinen Darstellern in ihren Rollen eine
weiße Verhaltensform verpaßt zu haben. Hanke hört sich
das Argument an, denkt nach und sagt dann:
"Sipo wenn ich dich anschaue, was sehe ich
dann? Ich sehe dein schwarzes Gesicht und denke, du bist
ein Afrikaner wie ich. Dann schaue ich ein Stück tiefer
und sehe deine Krawatte, deinen Anzug, deine Armbanduhr
vom Hals abwärts kleidest du dich wie ein Weißer.
Wo hört bei uns im Kopf der Afrikaner auf, wo fangen wir
an, schon wie die Weißen zu denken?"
An diesem Abend wollen wir uns gemeinsam ein Theaterstück
ansehen, das dann am folgenden Wochenende mit unserem Übertragungswagen
für eine Rundfunkfassung aufgezeichnet werden soll. Dem
Distriktverwalter im von Harare eine Stunde entfernten
Mazowe haben wir bei einer Vorbesprechung klargemacht, daß
er für diesen Zweck unter den Laiengruppen in seinem
Verwaltungsbereich eine heraussuchen möchte, die sich in
der Shona-Sprache mit alltäglichen Dorfproblemen
auseinandersetzt. Außerdem soll, wie sonst auch üblich,
Publikum dabeisein ein ganz gewöhnlicher dörflicher
Theaterabend also, der uns in die Lage versetzen soll,
das Stück vorher kennenzulernen, um dann im Rahmen des
Workshops über Methoden zu diskutieren, es rundfunk-gerecht
aufzunehmen.
Das Publikum tröpfelt hauptsächlich Kinder, wo
bleibt die Menge drüben aus der Bierhalle? Als das Stück
beginnt, merke ich, daß sie offenbar über einen
Wissensvorsprung verfügte: Vorgeführt wird uns
auf Englisch ein Propagandastück mit einer kruden
Interpretation des Todes von Samora Machel, als
Auftragsarbeit kürzlich vorgetragen unter pflichtgemäßem
Beifall des zimbabweschen Exekutivpräsidenten.
Vierundzwanzig Schüler haben fast ein Jahr geübt
sie geben sich solche Mühe und erreichen doch nur, daß
das unmündige Publikum an den unpassendsten Stellen
lacht und meine Kollegen peinlich berührt die Nasen zu
Boden senken.
Marvin Hanke sitzt das Stück neben mir eisern durch und
ich schwitze bei der Vorstellung, daß jeden Augenblick
anti-malawische Parolen ertönen. Ich schließe die Augen
und sehe mich wieder mitten in Tränengasschwaden im
Zentrum von Harare:
Der Mob tobt durch die Stadt, die Vertretung der südafrikanischen
Luftfahrtgesellschaft ist schon in Flammen aufgegangen,
jetzt brennt das Büro der malawischen Fluglinie in der
Julius Nyerere-Straße, und vor dem Gebäude der
diplomatischen Vertretung Malawis werden Fahrzeuge zertrümmert.
Die Parolen sind von einer Studentenversammlung erst
achtunvierzig Stunden nach dem Absturz von Machels
Flugzeug bei einem abendlichen Meeting in der Universität
ausgegeben worden. Malawi wurde dabei der Kollaboration
mit Südafrika beschuldigt und der Unterstützung der MNR-Banditen
in Mozambique. Einen ganzen Vormittag sieht die Polizei
tatenlos zu wie Büros geplündert und angezündet
werden, wie weiße Autofahrer aus ihren Fahrzeugen
gezerrt und verprügelt werden.
Ich halte mit beiden Händen meine sämtlichen Ausweise
hoch über dem Kopf und brülle: "Presse ich
bin mit der Zimbabwe Broadcasting Corporation!"
Dabei hatte ich nur das Postfach leeren wollen.
Am späten Mittag kommt die Anweisung zum Durchgreifen,
Sturmtruppen der Polizei machen jetzt Jagd auf die
Randalierer, Tränengaskanister fliegen in Cafes, in
denen die jungen Leute Zuflucht gesucht haben, Knüppel
sausen auf Köpfe und Schultern der Fliehenden,
Festgenommene werden auf Lastkraftwagen zusammengepfercht
Prozesse etwa wegen Landfriedensbruch finden nie
statt.
Unter dem Druck der Frontlinien-Staaten schickte später
Malawi die bis dahin von seinem Gebiet operierenden MNR-Verbände
über die Grenzen, die östlichen Regionen Zimbabwes
wurden ihr künftiges Operationsfeld, der Krieg in
Mozambique forderte nun nahezu wöchentlich auch in
zimbabweschen Dörfern Opfer zerstückelt,
verbrannt, geschändet.
Das spielen die Kinder auf der Bühne, aber ihre
Botschaft verkrampft und voller unfreiwilliger
Komik kommt nicht an, bewirkt eher das Gegenteil.
Wie, um Himmels willen, sollen wir das in einer
Rundfunksendung verarbeiten?
Das ganze Unternehmen absagen? Ein Stück nicht
aufnehmen, das den Applaus des Präsidenten fand? Der
raffinierte Distriktverwalter beobachtet aus der Distanz
unsere Diskussion. Er hat uns ausgetrickst, und ich
erkenne rasch die Aussichtslosigkeit, hier noch
professionell argumentieren zu wollen. Also wird das Stück
als ein "ausgezeichnetes" Experiment
deklariert, technische Aufnahmekriterien zu erproben
wie geplant am nächsten Sonnabend, ohne
Publikum.
Wir sitzen im Kreis in der noch leeren Aula
Vorbesprechung. Der Leiter der Drama-Abteilung hat das
Skript des Stückes noch rechtzeitig zugeschickt
bekommen, aber im Büro liegengelassen. Dem Ü-Wagen-Techniker
hat er nicht gesagt, welche Geräte gebraucht werden
trotz unseres Ausfluges vor drei Tagen ist überhaupt
nicht besprochen worden, wie das Theaterstück für den
Rundfunk aufgenommen werden soll. Marvin Hanke hat die
Vorbereitung absichtlich dem Radio-4-Team überlassen.
Eine Diskussion beginnt über die Notwendigkeit, nicht
bloß Außenaufnahmen, sondern überhaupt jede Produktion
sorgfältig zu planen, und die Techniker dabei von
vornherein einzubeziehen.
Kingsley Banda, der frustrierte alte Rundfunkhase, lehnt
sich zurück, verschränkt die Arme und sagt: "Er hätte
doch kommen können, er muß doch dafür sorgen, daß
alles im Ü-Wagen ist!"
"Aber wie kann er denn wissen, was du geplant hast,
wenn ihr nicht miteinander redet," mische ich mich
ein und singe das alte Lied, bei dem ich mich bemühen
muß, nicht in laute Töne zu verfallen. Planung,
Organisation, Koordination seit drei Jahren
sinniere ich darüber nach, woran es liegt, daß aus
Fehlern selten gelernt wird, sondern immer wieder die
gleichen Frustrationen in Kauf genommen werden.
"Wir sind keine Papageien, Mr. Schmidt," sagt
da Kingsley sehr förmlich und blickt an die Decke. Es
ist ihm herausgerutscht und eine Vermutung bestätigt
sich: Bei Dikussionen zwischen Weiß und Schwarz wird
immer noch ein Oben und ein Unten empfunden, der A u s t
a u s c h von Erfahrungen zwischen den Rassen hat ja eben
erst begonnen. Die Vermittlung von Ergebnissen
praktischer Erfahrung im Wettbewerb kreativer Talente u n
d ökonomischer Zwänge, scheitert oft, weil hinter
professioneller Argumentation weiße Arroganz gewittert
wird. Umgekehrt bleibt dem lernwilligen Weißen häufig
der Zugang zur Logik durchaus sinnmachender,
afrikanischer Strukturen verborgen, weil
Minderwertigkeitsgefühle die nötige Aufklärung
verhindern.
Ich schmunzele bei der Erinnerung an meinen ersten "weißen
Elefanten", der ungefähr neunzig Beine besaß und
Folge eines solchen Mißverständnisses war: Bei den
ersten Fahrten mit dem Übertragungswagen, ich war gerade
zwei Monate in Afrika, beobachte ich alte Frauen und Männer,
die sich mühsam ins Gras niederlassen, um unserem
Programm zu folgen.
"Sollten wir nicht ein paar Feldstühle anschaffen?"
frage ich meine Kollegen am Abend beim Bier. "Die
Leute, die ihr zu Gesprächen einladet, müssen auch die
ganze Zeit stehen!"
"Eine gute Idee doch, doch."
Also kaufe ich dreißig praktische Dreibein-Stühle mit
abnehmbaren Felldreiecken bei einer Kooperative, klappbar
und raumsparend beim Transport. Beim nächsten Ü-Wagen-Einsatz
werden sie vergessen. Beim übernächsten Mal achte ich
aufs Einladen aber sie werden nicht ausgeladen.
"Also weißt du," beschwere ich mich bei Paul,
dem Ü-Wagenchef, "die Dinger haben eine Stange Geld
gekostet. Es wär' schon schön, wenn ihr sie verwenden würdet."
Die Stühle blieben eingepackt und wäre Paul
nicht zwei Jahre später bei Radio 4 ausgeschieden, hätte
er mir das Geheimnis wohl nie verraten. "Es ist
schwer, einem Weißen zu widersprechen, auch wenn es gute
Gründe dafür gibt," vertraut er mir später bei
einem unserer Spaziergänge an. "Wir haben das nie
gelernt, und schon gar nicht, wenn es um afrikanische
Traditionen geht. Die Sache mit den Stühlen war
ein typischer weißer Einfall, aber keiner mochte es dir
sagen."
"Was war denn daran weiß?"
"Die Vorstellung, den Leuten auf dem Lande Stühle
mitzubringen ohne an ihre Gefühle zu denken."
"Wollen sie lieber im Gras sitzen?"
"Nicht unbedingt. Aber wir hätten ihnen sozusagen
bedeutet, daß wir aus der Stadt etwas mitbringen müssen,
was sie nicht haben, verstehst du?"
"Und da habt ihr mich die Stühle kaufen lassen,
obwohl euch das von vorneherein klar war? Meinst du denn,
ich hätte das nicht verstanden?"
"Ich denke, das hast du wohl inzwischen gelernt,"
sagt Paul, "Entscheidungen zu treffen in unserem
Land, ist manchmal kostspielig!"
Und nicht bloß wenn es um Mißverständnisse zwischen
Schwarz und Weiß geht!
Ich klinke mich wieder in die Gesprächsrunde in der Aula
ein, die sich während meiner inneren Retrospektive
weiter hartnäckig um das rechte Verständnis von Planung
gedreht hat und um die Einbeziehung aller am
Produktionsprozeß Beteiligten. Zu meiner Überraschung
hat ein sonst schweigsamer Gast das Wort ergriffen.
Einsätze von Übertragungswagen werden gewöhnlich von
einem Mitglied des ZBC-Sicherheitsdienstes begleitet. An
diesem Wochenende ist der Chef persönlich mitgekommen,
ein ehemaliger Offizier der Befreiungstruppen, dem jetzt
der Geduldsfaden reißt:
"Wenn es erlaubt ist, will ich euch mal erzählen,
was im Krieg passiert wäre, wenn wir nicht den letzten
Soldaten über unsere Pläne informiert hätten.
Gegenseitig erschossen hätten wir uns, auf die Minen der
Nachbareinheiten wären wir getrampelt. Und nicht nur
das, wir haben sehr rasch begriffen, das kein Einzelner
die Weisheit gepachtet hat. Soweit ich das hier verstehe,
ist das ein neues Feld von Erfahrungen, in dem wir uns
anstrengen müssen, keine Fehler zu wiederholen. Ich
verstehe nichts von Rundfunk, aber wie kann man ein
gemeinsames Ziel erreichen, wenn man keine Einigung
erzielt, nicht miteinander redet? Danke für die
Aufmerksamkeit, mehr hab ich nicht zu sagen."
Nach der Aufnahme, die später noch im Studio bearbeitet
wird, lade ich die Schulkinder zum Mittagessen ins Mazowe-Hotel.
Es gibt ein paar Ansprachen. Rechts neben mir sitzt der
erste Knirps der Kinderreihe, brav die Serviette am Hals,
stumm wie ein Grab. Als das Dessert aufgetragen wird,
frage ich ihn nach seinem Namen, ich habe mich ja schon
bei meiner Dankesrede vorgestellt.
"Also, du weißt, wie ich heiße was weißt
du sonst noch von mir?"
Der Junge schaut mich mit großen Augen an und bleibt
stumm.
"Willst du sonst nichts wissen?"
"Doch."
"Und warum fragst du mich nicht?"
Unser einseitiges Gespräch erregt die Aufmerksamkeit der
Nachbarkinder. Die Bohnenstange, die im Stück einen MNR-Banditen
mit immer wieder drollig vorgeschobener Unterlippe und
Holzgewehr spielt, findet als erster den Mut, den Mund
aufzumachen.
"Sir, darf ich eine Frage stellen?"
"Nur zu oder dürft ihr beim Essen nicht
reden?"
"Wie funktioniert der Übertragungswagen?"
Na also, ich konstatiere eine durchaus unverdorbene
Neugier, die ich sogleich zu stillen versuche. "Sagt
mal," frage ich danach, "merkt ihr da oben auf
der Bühne eigentlich, was unten im Publikum vorgeht,
wenn ihr spielt?"
Die Gruppe um mich ist größer geworden, sie haben den
Eisnachtisch stehen gelassen, und ich kriege kaum noch
Luft.
"Was denn?"
Vorsicht, denke ich, und schaue zum Lehrer am anderen
Ende der Tafel.
"Na, neben mir haben ein paar Zuschauer gelacht, als
die Leute im Dorf von Banditen überfallen wurden."
"Die lachen da immer!"
"Wie kommt das denn?"
Die Kinder schauen sich an.
"Der Lange zieht immer solche Grimassen."
Die Bohnenstange wehrt sich. "Was für Grimassen?"
"Na, deine Unterlippe da muß man doch
lachen," kichert ein Mädchen.
"Wißt ihr," sage ich, "wenn
professionelle Theatergruppen ein Stück auf die Bühne
bringen, dann ist es beim zehnten Mal niemals genauso wie
beim ersten Mal. Die Schauspieler und der Regisseur
beobachten genau, wie das Publikum reagiert, und sie ändern
Stellen, bei denen sie merken, daß das Publikum sie
nicht versteht. Aber dafür muß man miteinander reden.
Redet ihr miteinander?"
"Wir spielen immer noch genauso wie beim ersten Mal,
bloß manchmal fällt einem was runter und dann
lachen die Leute wieder."
"Na, das passiert dem besten Schauspieler," und
ich erzähle ein paar Anekdoten. "Das wichtigste
ist, daß man miteinander spricht und nicht gleich
eingeschnappt ist, wenn jemand Vorschläge macht oder
eine neue Idee hat."
Da betrete ich ein heikles Feld, das die Erwachsenen in
diesem Land bekanntlich mit dem Schild "Minengefahr"
versehen haben. Aber das Interesse der Kinder, die ihr
Eis im Becher zugunsten eines lebhaften
Meinungsaustausches schmelzen lassen, ermutigt mich, ein
Korn zu säen:
"Gebt euch bloß nie zufrieden mit einer Auskunft,
fragt immer 'warum' versprochen?"
"Versprochen!"
Der ahnungslose Lehrer reicht mir zum Abschied die Hand
und bedankt sich für die Gespräche mit seinen Schülern
hoffentlich bereut er es nicht!
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