DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



REIS UND COCA COLA



"Wenn der Regen kommt, wächst in Asien der Reis. Reis braucht Wasser, viel Wasser!"
Die Stimme tönte von der Leinwand her, auf der Lichtbilder immer wieder Reis zeigten, Reis in allen Farben: Vereinzeltes helles Grün, wenn er noch ganz jung ist, in langen Reihen frisch gesetzt in den Schlamm — das dunkle Flächengrün, wenn er wächst, auf Quadraten, Rechtecken, Terrassen — und dann gelb, mit schweren Ähren, kurz bevor er geschnitten wird.
Die Stimme sprach englisch. Klaus hatte uns zum "Internationalen Reisforschungsinstitut" nach Los Baños mitgenommen, 60 Kilometer von Manila entfernt.

"Es gibt ja eine Menge Möglichkeiten, die Welt einzuteilen," hatte Klaus während der eineinhalb Stunden, die wir bis Los Baños brauchten, erklärt. "Von der Ersten Welt — das sind die reichen Industriestaaten — sind wir in die Dritte Welt, in die Welt der armen Länder gekommen. Das klingt, als hätten beide Welten nichts miteinander zu tun. Dabei ist das alles eine Welt, und alle Teile sind voneinander abhängig! Manche Leute sprechen auch von den 'entwickelten Ländern' und von den 'unterentwickelten Ländern'. Das klingt auch so, als hätten beide Gruppen nichts miteinander zu tun. Ich habe einen viel besseren Vorschlag: Wir teilen die Welt neu ein — in die 'Welt der Kartoffelesser' zum Beispiel — da kommen wir her — in die 'Welt der Weizenesser', der 'Hirse-Esser', der 'Mais-Esser', der 'Roggen-, Gerste-, Hafer-Esser', und hier — hier sind wir in der 'Welt der Reis-Esser'!"

In diesem Moment fragte der Fahrer, ob wir eine Pause einlegen wollten.
"In der Nähe gibt es ein internationales Coca-Cola-Museum!"
Klaus guckte verdutzt.
"Ein was?"
"Ein Restaurant mit einer Ausstellung von Coca-Cola-Flaschen aus allen Teilen der Welt. Flaschen mit allen möglichen Aufdrucken, auch von ganz früher..."
"Au fein," rief ich. "Laß uns da hingehen!"
Wo es Coca-Cola-Flaschen gibt, dachte ich, gibt es auch Cola.
"Ich werde mich hüten! — — Gut, gut," Klaus lenkte ein, noch bevor ich protestieren konnte.
"Meinetwegen, auf dem Rückweg. Aber wißt ihr, woran mich das erinnert? An eine Szene in Südvietnam. Ein großes Reisfeld war da zu sehen. An der Seite, ziemlich weit hinten, arbeitete gebückt ein einzelner Bauer. Und mitten im Feld auf einem Sockel stand eine Cola-Flasche — mindestens zehn Meter hoch, natürlich aus Plastik. Es war eine Werbung für dieses Massengetränk aus den USA. Das war, bevor die Amerikaner aus Vietnam hinausgeworfen wurden!"

Unser Besuch in Los Baños begann in der Presseabteilung des Reis-Instituts. "Es gibt auf der ganzen Welt acht landwirtschaftliche Forschungsinstitute, die ähnlich organisiert sind wie dieses hier, zum Beispiel das 'Internationale Mais- und Weizen-Forschungsinstitut' in El Batan bei Mexico City, oder das 'Internationale Kartoffel-Zentrum' in Peru..."
Die Frau, die Klaus einen Berg Informationen unter beide Arme schob, sprach wie eine elektrische Schreibmaschine im Dauerbetrieb.
Anschließend rasten wir an Treibhäusern vorbei, wo hinter Glas der Wunder-Reis von Los Baños sproß. Techniker hatten in jeder dieser Glaskabinen die Bedingungen bestimmter Reisanbau-Gegenden anderer Länder geschaffen: Erd-Sorten, Temperatur, Regen, Sonnenauf- und Sonnenuntergang, alles künstlich nachgemacht — also hier zum Beispiel ein Stückchen Pakistan und dort ein Stückchen Indien. Das muß ein Heidengeld gekostet haben!
Schließlich landeten wir in den weichen Sesseln vor der Lichtbild-Wand, auf der mit flotter Musik die Geschichte der Reis-Forschung abrollte. Ich war ganz schön beeindruckt. Hier, so erfuhren wir, haben Wissenschaftler aus aller Welt den Hunger bezwungen — jedenfalls dort, wo Reis die Hauptmahlzeit ist.
"Pustekuchen," sagte Klaus, "wenn man sich mal mit Wissenschaftlern hier unterhält, bleibt von der 'Grünen Revolution' nicht viel übrig! Einer sagte mir, sie seien gerade dabei, weltweit zu untersuchen, weshalb die Bauern den 'Wunder-Reis' aus ihrem Laboratorium nicht weiter verwenden — obwohl er doch doppelte und dreifache Ernte bringen sollte. Die Bauern haben es ausprobiert, auch hier auf den Philippinen, aber es wurde ein Reinfall! Zuerst bekamen sie das Saatgut geschenkt, aber dann merkten sie, daß sich von der Ernte nichts für die neue Aussaat verwenden ließ. Die im Laboratorium gezüchteten neuen Reissorten konnten ihre besonderen Eigenschaften nicht weitervererben wie der alte Reis. Die Bauern mußten sich das Saatgut jedesmal neu kaufen! Und nicht bloß das — sie mußten nun auch regelmäßig chemischen Dünger kaufen, denn nur damit brachte der neue Reis die versprochene reiche Ernte. Und bald stellte sich auch heraus, daß die Pflanzen besonders anfällig waren gegen alle möglichen Schädlinge. Zur Bekämpfung brauchten die Bauern chemische Insekten-Vernichtungsmittel. Und nun ratet mal, bei wem die Reisbauern all diese chemische Stoffe kauften?"
Elsa zog einen der bunten Prospekte heraus, die die Dame in der Presseabteilung stapelweise verteilt hatte.
"Das 'Internationale Reis-Forschungsinstitut' wurde 1960 gegründet," las sie, "von der Rockefeller-Stiftung und der Ford-Stiftung. Das sind also zwei amerikanische Konzerne, die das Geld gaben..."
"...und es wieder einnehmen!" fügte Klaus hinzu. "Ende der Sechziger Jahre machte Indien die ersten Erfahrungen mit dem neuen Reis-Geschäft, und die Geschichte davon hört sich an wie ein Wirtschafts-Krimi: Indien — bekannt für seine Hungersnöte — bezog damals Getreide-Überschüsse aus den USA. Da sagte die amerikanische Regierung, es gibt jetzt neue Reis-Sorten, und wenn ihr die nicht verwendet, dann gibt's nichts mehr aus unserem Futtertopf! Also stellte Indien Teile seiner Landwirtschaft auf die neuen Reiszüchtungen um und dachte sich, eigentlich ganz prima — für die notwendige chemische Düngung können wir ja unsere umfangreichen Natur-Phosphat-Vorkommen benutzen. Aber da waren die Amerikaner beleidigt. Sie sagten, liebe Inder, ihr müßt doch einsehen, daß wir das viel besser können. Und um bei der Entscheidung behilflich zu sein, verweigerten sie ihre Unterschrift unter ein Abkommen für dringend benötigte Getreide-Lieferungen. Schließlich genehmigte die indische Regierung den Bau von neun amerikanischen Chemie-Werken zur Herstellung von Düngemitteln sowie Unkraut- und Insekten-Vernichtungsmitteln. — Den Philippinen ergeht es übrigens nicht viel besser. Einheimische Wissenschaftler wären längst in der Lage, die komplizierten chemischen Mischungen selber herzustellen. Aber die Landwirtschaft hier muß weiter die Produkte der großen Konzerne aus den Industrieländern beziehen."

Wir waren auf dem Rückweg, und ich paßte auf, daß wir diesmal am Coca-Cola-Museum anhielten.
Und tatsächlich, hinter Glas standen dort leere Cola-Flaschen aus aller Welt — mit den merkwürdigsten Schriftzeichen, arabisch, chinesisch, russisch. Sie alle bedeuteten dieselben zwei Wörter: "COCA COLA".
"In Indonesien," sagte Klaus, "ist durch die Einführung von Coca Cola der gesamte einheimische Markt kleiner Limonaden-Händler kaputt gemacht worden."
Da erinnerte sich Elsa daran, was Klaus auf der Hinfahrt über die Aufteilung der Welt gesagt hatte.
"Ich habe noch einen Vorschlag," sagte sie, "wir teilen die Welt ein in Coca-Cola-Trinker und in Coca-Cola-Verweigerer!"

 
 
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