DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



ZIMBABWE FAKTEN - DAS DOSSIER



ZIMBABWE ALS FRONTLINIENSTAAT


Als Zimbabwe seine Unabhängigkeit von kolonialer Fremdbestimmung erreichte, war seine innere und äußere Sicherheit durch drei nach wie vor frembestimmte Faktoren beeinträchtigt: Die Existenz des Apartheid-Systems in Südafrika / die einst vom rhodesischen Geheimdienst kreierte und nun von Südafrika unterstüzte Bandenbewegung MNR in Mozambik / eine Armee aus eben noch gegeneinander kämpfenden weißen und schwarzen Einheiten auf eigenem Boden.


Militär

Weiße Offiziere hatten gleich nach der Wahl Mugabes einen Militärputsch erwogen. Einheiten von ZANLA und ZIPRA kämpften weiter gegeneinander; bis Februar 1981 kamen dabei 200 Freiheitskämpfer um Leben. Die Aufgabe, 30.000 ZANLA- und 20.000 ZIPRA-Guerilleros mit 15.000 Soldaten der rhodesischen Streitkräfte in eine reguläre, nationale Armee zu verwandeln, übernahm das British Military Advisory Team, dessen Aufgabe bis Ende 1980 erfüllt sein sollte, aber Mißtrauen und Übergriffe innerhalb der Truppen machten ihre Anwesenheit über mehrere Jahre erforderlich (44 britische Berater sind immer noch mit Offiziers-Training beschäftigt / Nordkoreaner waren für das Spezialtraining einer Brigade verantwortlich, die später im Matabele-Land für ihr besonders brutales Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung berüchtigt wurde). Die insgesamt 65.000 Mann mußten auf eine Sollstärke von 35.000 reduziert werden. Das Demoblisierungsprogramm kostete 116 Mio. Z-$ (185 Z-$ pro Mann und Monat bis zu insgesamt 2 Jahren, in denen Weiterbildung oder Training z.B. für Kooperativen-Gründungen angeboten wurden). Zugleich wurde die Bildung einer 20.000 Mann starken Miliz beschlossen.

In der Luftwaffe, die durch den Exodus weißer Offiziere und durch südafrikanisch gesteuerte Sabotageakte geschwächt war, wurden schwarze Piloten und Techniker, die ihr Training Ende der Siebziger Jahre u.a. in Nigeria, Rumänien, China und Nordkorea erhalten hatten, von den verbliebenen weißen Kommandeuren diskriminiert. Bis zur Übernahme durch Air Marshall Joshia Tungamirai Anfang 1986 waren schließlich pakistanische Luftwaffenoffiziere zweieinhalb Jahre lang für Kommando und Training verantwortlich. Für ein in der Volksrepublik China beschafftes Luftabwehrsystem nahm Zimbabwe Anfang 1989 in Beijing einen Kredit über 105 Mio. US-$ auf.

Die Entscheidung der Regierung, zimbabwesche Truppen (stationiert zum Schutz des Beira-Korridors) in Mozambik trotz eines begonnenen Friedensprozesses weiter kämpfen zu lassen, führt gegenwärtig innerhalb der Streitkräfte zu einer wachsenden Vertrauenskrise, die sich u.a. in der Hinwendung eines Teils der Soldaten zur oppositionellen Zimbabwe Unity Movement geäussert hat. Präsident Mugabe bezifferte im August 1988 in einem BBC-TV-Interview die jährlichen Kosten für das Mozambik-Engagement auf 60 Mio. Z-$.


Folgen des Mozambik-Krieges

In vier Flüchtlingslagern (ein fünftes ist in Planung) beherbergt Zimbabwe zurzeit rund 83.000 Flüchtlinge aus Mozambik, deren Versorgung, nach Budgetkürzungen der UN-Flüchtlingsorganisation (UNHCR), den nationalen Haushalt erheblich belastet. Weitere 100.000 Mozambikaner, die vor allem vor Hungersnöten flohen, siedeln im zimbabweschen Grenzgebiet des östlichen Berglandes. Überfälle und Brandschatzungen durch MNR-Banden mit zahlreichen Opfern unter Bewohnern verstreuter Siedlungen nahe der Grenze haben Zimbabwer im eigenen Land zu Flüchtlingen gemacht; in Rushinga, im Nordosten des Landes richteten die Behörden militärisch gesicherte Dörfer ein, in denen die Bewohner jedoch unter Wassermangel und erschwerten Bedingungen für ihre Feldarbeit leiden.

Die Regierung Zimbabwes hat zugleich Schwierigkeiten, mit den sich rapide verändernden, politischen Entwicklungen in Mozambik Schritt zu halten: Mozambik hat sich vom, in Zimbabwe deklamatorisch noch immer beschworenen, Marxismus-Leninismus verabschiedet und befindet sich auf dem Weg zum Mehrparteiensystem. Im Juli 1989 hatte der mozambikanische Präsident Chissano seine Kollegen aus Kenia und Zimbabwe, arap Moi und Mugabe, um Vermittlung zur MNR gebeten. Nach offensichtlichem Scheitern dieser Bemühung erklärte er sich im April 1990 bereit, direkt und ohne Vorbedingungen mit der MNR über einen Friedensschluß zu sprechen. Dabei dürfte jetzt allerdings vor allem die Anwesenheit fremder Truppen im eigenen Land zur Debatte stehen - Zimbabwes Anspruch auf Sicherung seiner Verkehrsverbindung zum Meer steht dem schwierigen Friedensprozeß in Mozambik im Wege.


Destabilisierung

Nach einer Studie der Vereinten Nationen (UN-PAAERD) hat Zimbabwe durch Destabilisierung und direkte Aggression des südafrikanischen Apartheid-Systems zwischen 1980 und 1988 Verluste in Höhe von rund 17 Milliarden Z-$ tragen müssen. Berücksichtigt wurden dabei u.a. die Auswirkungen des Krieges in Mozambik auf Zimbabwe, Wirtschaftsblockaden und -erschwernisse für den Export sowie materielle Schäden durch Sabotage (allein rund 400 Mio. Z-$).

Südafrikanische Agenten und eine "Fünfte Kolonne" weißer und schwarzer zimbabwescher Handlanger bombten und schossen bis 1989 zunächst gegen Institutionen des neuen Staates und seiner Regierungspartei, später gegen Büros und Wohnungen von Exilanten des ANC. Schon 1980 war im letzten Moment ein Raketen-Attentat auf die soeben gewählte Staatsführung und prominente Gäste der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten im Rufaro-Stadion verhindert worden. Im August 1981 ließen Agenten ein Munitionsdepot 40 Kilometer von Harare entfernt in die Luft gehen, Munition für 36 Mio. Z-$ explodierte mit einem Knall, der noch im benachbarten Malawi zu hören war. Eine Bombe auf dem Dach des Parteibüros in Harare sollte im Dezember 1981 desselben Jahres die ZANU/PF-Führung umbringen; 7 unbeteiligte Menschen wurden getötet, 150 verletzt. Im Juli 1982 wurden auf der Luftwaffenbasis Thornhill in Gweru soeben in Großbritannien gekaufte Flugzeuge im Wert von 82 Mio. US-$ gesprengt. Insgesamt elf schwere Bomben- oder Raketenangriffe und eine Reihe von gewaltsamen Versuchen, in zimbabweschen Gefängnissen einsitzende Attentäter zu befreien, sind am Ende der ersten Dekade von Zimbabwes bedrohter Unabhängigkeit zu registrieren. So fällt es der Regierung schwer, sich auf eine neue Ära einzulassen, in der mit Südafrikas Regierung verhandelt werden soll.


Dialogfühler

Die politische Entwicklung im südlichen Afrika erhielt einen neuen Anstoß, als Robert Mugabe 1986 bei der Gipfelkonferenz der Blockfreien-Bewegung für drei Jahre deren Vorsitz übernahm. Der zimbabwesche Präsident vermochte es, sich in dieser Zeit ein internationales Profil zu verschaffen. So konnte sich Zimbabwe auch auf ein ungewöhnliches Experiment einlassen: 1987 begann - zunächst ohne öffentliches Aufsehen - ein Dialog mit Vertretern des öffentlichen Lebens in Südafrika über Perspektiven nach Ende der Apartheid. Journalisten, Schriftsteller, Theologen, Wissenschaftler, Farmer, Geschäftsleute, Vertreterinnen von Frauenorganisationen kamen (finanziert u.a. von der Bonner Friedrich Ebert Stiftung) zum Meinungsaustausch nach Harare. Sie sahen sich das Modell Zimbabwe an - und in Südafrika begann, für Zimbabwes Führer dennoch überraschend, die Wende.


Mandela läßt umdenken

Am 3. März 1990 sprach Nelson Mandela im Nationalstadion von Harare. Das Stadion faßt 65.000 Zuschauer, es war nur zu einem Drittel besetzt. Der irritierte Mandela war in eine Kundgebung der regierenden ZANU/PF zur Eröffnung ihres Wahlkampfes geraten. Der ebenso irritierte Mugabe ließ den folgenden Montag als Mandela-Tag bei einem Fußballspiel mit freiem Eintritt nachfeiern - die von dieser spontanen Entscheidung überrumpelte Industrie Zimbabwes errechnete einen Produktionsausfall von 17 Mio. Z-$ ("FINANCIAL GAZETTE" / 09.03.90).

Konfrontiert mit einer neuen Realität, die vor zehn Jahren - als Zimbabwe unabhängig wurde - noch nicht absehbar war, drohen seine Führer bei der rasanten Entwicklung im südlichen Afrika auf das Abstellgleis zu geraten. Nach dem Zusammenbruch des Blockdenkens zwischen Ost und West gibt es für Befreiungsbewegungen und für unabhängig gewordene Länder in der sogenannten Dritten Welt keinen Rückhalt mehr im brüchigen Lager sozialistischer Staaten; ihnen bleibt nur noch das Einklinken in weltweite Dialogprozesse und die verzweifelte Suche nach Nischen im Weltmarkt.

Zur Unabhängigkeitsfeier Namibias, dessen Sam Nujoma die Zeichen der Zeit mit der Zustimmung seiner SWAPO zur freiheitlichsten Verfassung Afrikas erkannt hat, erschien Zimbabwes Robert Mugabe nicht. Mozambiks Chissano erschwert er den Weg zu Friedensverhandlungen durch Beharren auf Truppenpräsenz in dessen Land. Nelson Mandela immerhin hat es vermocht, dem zögernden Mugabe die Zustimmung zu einem Verhandlungsversuch in Südafrika zu entlocken.

Abschied vom Lancaster House-Korsett nach zehn Jahren Unabhängigkeit muß für Zimbabwe auch heißen: Abschied nehmen von alten Frontlinien - den Wandel suchen durch Annäherung. Und die neue Herausforderung heißt: Gedankenfreiheit herstellen dort und hier - für eine neu zu gestaltenden Welt, damit Menschen in einem Land wie Zimbabwe und Menschen in einem Land wie Deutschland die Würde nicht verloren geht.

 
 
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