DER
WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990
Klaus Jürgen Schmidt
ZIMBABWE FAKTEN - DAS DOSSIER
GESUNDHEIT
Das Erbe
Bis in die späten Siebziger Jahre hatte sich das Siedler-Regime
unter Ausschluß der schwarzen Mehrheit für die rund 230.000
Weißen eine Gesundheitsversorgung westeuropäischen
Standards zugelegt. Auf 830 Patienten kam 1 Arzt. Für
219 Weiße stand ein Krankenhausbett zur Verfügung. Die
technische Krankenhauseinrichtung entsprach jener in den
Industriestaaten. Die weiße Säuglingssterblichkeit lag
bei 17 pro 1.000 Lebendgeborenen (in Großbritannien zu
jener Zeit: 16 pro 1.000). Die Medizin war vor allem auf
Vorbeugung ausgerichtet.
Der schwarzen Mehrheit auf dem Land stand 1 Arzt für 50.000
bis 100.000 Menschen zur Verfügung, 1 Krankenhausbett (in
unzureichend ausgestatten Hospitälern) für 525
Patienten. Die Säuglingssterblichkeit lag bei 70 pro 1.000.
Afrikaner erkrankten vornehmlich an Unterernährung,
Masern, Tuberkulose, Malaria und Bilharziose. So lag die
Priorität der neuen Regierung auf einer Verbesserung der
ländlichen Gesundheitsversorgung.
Bilanz nach 10 Jahren
Personalentwicklung im öffentlichen Bereich 1980 1989
Ärzte 346 644
staatl. reg. Krankenschwestern 2.057 3.924
diplomierte Krankenschwestern 2.622 6.493
Krankenhelfer 75 135
Kliniktechniker 343 682
Ausbau von über 450 und Neubau von 231 ländlichen
Gesundheitszentren. 3 neue Trainingsstätten für
staatlich anerkannte Schwestern und Krankenhelfer. 1
neuerrichtetes Großkrankenhaus in Chitungwiza,
wichtigste Township-Siedlung der Hauptstadt Harare.
Hospitäler in allen acht Provinzen und 57 zugeordnete ländliche
Kliniken. Unter dem Wohnprogramm des
Gesundheitsministeriums wurden gebaut: 103 Häuser für
Gemeindeschwestern, 10 Hostels für Medizinstudenten, 36
Häuser für Querschnittgelähmte. 3 Provinzen und die
Stadt Bulawayo erhielten Medikamenten-Depots. Außerdem
wurde ein zentrales Qualitäts-Kontroll-Labor eröffnet,
das von Zimbabwe aus auch umliegende Länder bedient. Für
medizinisches Gerät wurden seit 1980 85 Mio. Z-$
ausgegeben, die Hälfte für Kliniken auf dem Lande.
Vorbeugeimpfung für Kinder stieg von 25 % (1982) auf 70
% (1988). Mehr als 90 % aller Kinder sind nach WHO-Richtlinien
individuell registriert und werden in den ersten 5 Jahren
mindestens viermal gewogen. Die Kindersterblichkeit sank
auf 14 von 1.000 (1988). Durchfall-Erkrankungen (Ursache
für hohe Kindersterblichkeit in der "Dritten Welt")
sind durch Aufklärungskampagnen für 90 % der Mütter
eingegrenzt.
Ländliche Sanitärverhältnisse wurden entscheidend
verbessert durch Einführung eines simplen Latrinen-Systems,
das von dem Wissenschaftler Dyson Milroy Blair schon in
den Fünfziger Jahren entwickelt und äußerst
erfolgreich nach der Unabhängigkeit propagiert wurde (inzwischen
auch in anderen afrikanischen Ländern). Die mit lokalen
Mitteln über einer Grube errichtete Zelle hat im Grundriß
eine Spiralform und einen mit Fliegengitter geschützten,
vertikalen Abzugkanal. Die Dunkelheit der gekrümmten
Eingangsschleuse ist Sperre für Fliegen. Licht fällt
innen durch den Schlot, über den zugleich die Luft
permanent nach außen zieht. Ein - teilweise mit
westdeutschen Entwicklungsmitteln gefördertes -
Hygieneprogramm führte zum Bau von über 150.000 Blair-Toiletten
im ganzen Land.
Devisenbeschränkungen verursachen empfindliche Lücken
in der Versorgung mit Medikamenten. Unterbezahlung des
medizinischen Personals führte immer wieder zu
Arbeitsniederlegungen, die unter dem Notstandsrecht von
der Regierung verboten wurden. Der Anfang März 1990
neuernannte Gesundheitsminister, der weiße Arzt Dr.
Timothy Stamps, wurde bei Amtsantritt mit einem
landesweiten Streik von Krankenschwestern konfrontiert.
Dezentralisierte Politik
Trotz ökonomisch bedingter Begrenzung ist die in 10
Jahren Unabhängigkeit realisierte Gesundheitsplanung in
vielerlei Hinsicht einer der größten Erfolge Zimbabwes,
zugleich aber auch ein Indikator für nicht überwundene
politische Abhängigkeiten:
Da Gesundheitsplanung für die schwarze Bevölkerungsmehrheit
weder auf administrative Vorgaben aus der Kolonialzeit
zurückgreifen konnte, noch eine entsprechende Struktur
auf dem Lande vorhanden war, konzentrierte sich der
Aufbau ausschließlich auf a) tatsächliche Bedürfnisse
und b) auf von parteipolitischen Erwägungen weitgehend
unbeeinflußtes Fachwissen der Verwaltung. Die von
vornherein eingeführte Dezentralisierung des
Gesundheitsdienstes (fachlich begründete Anforderungen
von unten nach oben) stellte sicher, daß Entscheidungen
des Gesundheitsministeriums in der Hauptstadt kaum von
verdeckten, partei- oder stammespolitischen Argumenten
zugunsten einer bestimmten Klientel beeinflußt wurde.
Selbst auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen
ZANU/PF und PF ZAPU mit schweren Polizei- und
Armeeausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung im
Matabele-Land wurden dort z.B. ländliche
Gesundheitszentren im gleichen Umfang gebaut, wie im
Shona-Gebiet. Jeffrey Herbst wies in einer gründlichen
Untersuchung dieses Aspekts nach, daß damit der
Gesundheitsbereich der einzige Sektor der zimbabweschen
Regierungspolitik ist, in dem Interessenkonflikte
unterschiedlicher Stammesgruppierungen keine Rolle
spielten:
"Indem die Regierung durch Dezentralisierung gegen
den Strich der meisten afrikanischen Systeme entschied,
ermöglichte sie es hochkompetenten Beamten, ein System
einzurichten, das Millionen von Zimbabwern nützen wird
und sie hat den tückischen ethnischen Einfluß
vermieden, der so viele Verteilungsprogramme in Afrika quält."
Jeffrey Herbst in: "STATE POLITICS IN ZIMBABWE"
University of Zimbabwe Publications / Harare / 1990
Allerdings hatte die Entscheidung, das Gesundheitswesen
zu dezentralisieren, zwei außerordentlich negative
Nebenaspekte - politischer und sozialer Art:
1.) Nicht angetastet wurde die lokale
Verwaltungsstruktur, in der die ausschließliche
Verantwortung für die großen kommerziellen Farmbereiche
Großgrundbesitzern, in der Regel nach wie vor Weißen,
überlassen blieb. Eine Verwaltungsstruktur-Reform im
Jahr 1988 hatte bisher kaum praktische Auswirkungen.
2.) In diesen kommerziellen Farmbereichen sind bis heute
ca. 1,4 Millionen schwarze Menschen (Farmarbeiter und
ihre Familien) in einem fortdauernden Feudalverhältnis
auf Gedeih und Verderb abhängig vom Wohlwollen ihrer
Arbeitgeber, also auch von deren Entscheidung über ihre
Gesundheitsversorgung. Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit
sind sie die - auch von der Regierung - vergessenen Opfer
anhaltender Ausbeutung. Eine 1986 durchgeführte Erhebung
in 3 Provinzen bei Kindern von Arbeitern auf Großfarmen
ergab, daß zwischen 46 % und 66 % unterernährt waren.
Ihre Eltern verfügen aufgrund ihrer Lebens- und
Arbeitssituation nicht über eine funktionierende
Interessenvertretung, ihr Schicksal hat bisher in keinem
Programm der Regierungspartei eine Rolle gespielt: Viele
ihrer Vorfahren sind aus benachbarten Ländern
eingewandert und die Nachfahren werden in der Shona-Sprache
als "Machona" - als "Die Verlorenen"
bezeichnet.
Familienplanung
Im November 1989 korrigierte in Harare der Direktor für
Zensus und Statistik die auf einer Hochrechnung
basierende Angabe der Weltbank über die Geburtenrate
Zimbabwes von 3,2 % auf 2,8 %. Dennoch wird das Bevölkerungswachstum
auch von zimbabweschen Experten als alarmierend empfunden.
Im Juli 1989 verwies ein Zeitungskolumnist auf die
plausible Erkenntnis: "Familien sind nicht arm, weil
sie groß sind - sie sind groß, weil sie arm sind."
(John Sogolani in: "AS I SEE IT..." / "SUNDAY
MAIL" / 23.07.89) Er nannte es paradox, daß
Familien mit einer großen Kinderzahl
Steuererleichterungen erhalten und so angeregt werden,
mehr Kinder zu produzieren. Stattdessen sollte durch eine
durchdachte Ausgabenpolitik der Regierung ein Level von
Lebensstandard geschaffen werden, der es Familien
reizvoller erscheinen lasse, den erreichten Wohlstand
nicht durch eine zu große Kinderzahl zu gefährden. Ein
anderer Kolumnist (Cyprian Ndawana / "SUNDAY MAIL"
/ 18.06.89) nannte einige der Wurzeln für den
Kinderreichtum in der zimbabweschen Gesellschaft: "Kinder
als soziale Sicherheit im Alter / die hohe
Scheidungsrate, als deren Ergebnis mit neuen Partnern
abermals Kinder in die Welt gesetzt werden / der
wiederholte Versuch, nach der Geburt von Mädchen einen -
in der Tradition bevorzugten - männlichen Nachkommen zu
zeugen / die von Großmüttern und Tanten nach wie vor
vermittelte Vorstellung, nur eine mit vielen Kindern
'gesegnete' Familie sei eine heile Familie / das
Vorurteil, Verhütungsmittel seien mit Prostitution
verbunden / Männer, die von der Familie getrennt in der
Stadt leben, gehen entweder außereheliche Verhältnisse
ein, oder lassen die Ehefrau bei ihren jährlichen
Besuchen schwanger zurück / Tradition und verschiedene
Religionen fördern Polygamie / die katholische Kirche
predigt gegen den Gebrauch von Verhütungsmitteln / nicht
ausreichende Unterhaltungsangebote verführen zum häufigen
Liebesspiel / veränderte Moralvorstellungen lassen immer
mehr junge Frauen außerhalb von Ehebeziehungen mit ihrem
Einverständnis oder gegen ihren Willen schwanger werden".
Tödliche Perspektive
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums (März 1989)
werden in Zimbabwe jährlich rund 900.000 Malaria-Fälle
festgestellt; statistisch tötet diese von der Anophelis-Mücke
in tieferen Landesteilen übertragene Krankheit 350
Menschen pro Jahr. Kampagnen des Ministeriums zur
Vorbeugung - Trockenlegen von Tümpeln / Einnahme von
Anti-Drogen - werden nur unzureichend befolgt. Die Geißel
AIDS ist in Zimbabwe jahrelang, auch aus politischen Gründen,
nicht ernst genug genommen worden. Eine Aufklärungskampagne
hat erst vor etwa zwei Jahren eingesetzt. Im Februar 1989
bestätigte das Gesundheitsministerium, daß der Virus
vor allem durch Geschlechtsverkehr übertragen wird. Der
stellvertretende Minister, Dr. Swithun Mombeshora, sprach
von 1 Mio. gemeldeten Geschlechtskrankheiten und bestätigte
321 AIDS-Fälle bis Dezember 1988. In einem
undementierten Bericht meldete in Harare die "FINANCIAL
GAZETTE" am 30. März 1990, 10 % bis 20 % aller
Altersgruppen der Bevölkerung Zimbabwes seien bereits
HIV-infiziert; allein 60 % der zimbabweschen Streitkräfte
gehörten dazu. Die Information sei von der Medical
School of the University of Zimbabwe bei einer Konferenz
in Arusha / Tansania mitgeteilt worden. Nach der gleichen
Quelle seien 35 % bis 50 % aller in zimbabweschen
Krankenhäusern behandelten Patienten AIDS-krank.
Traditionelle Heiler
Am 13. Juli 1980 wurde die Zimbawe National Traditional
Healers' Association / ZINATHA gegründet, ein Jahr später
wurde sie im Traditional Medical Practitioners' Act
legalisiert. 70 % bis 80 % der ländlichen Bevölkerung
konsultiert n'angas, traditionelle Heiler, deren überliefertes
Kräuterwissen mit spirituellem Glauben verbunden ist.
ZINATHA hat 35.000 Mitglieder, die einer Prüfung
unterzogen werden. ZINATHA-Präsident ist Professor
Gordon Chavunduka, ein Arzt, der einerseits Aberglauben (als
politisches Machtinstrument verurteilt) und andererseits
eine Verbindung von moderner und traditioneller Medizin
propagiert. Eine interne Disziplinarkammer ahndet
Scharlatanerie und illegale Praktiken. ZINATHA beklagt
die Abwesenheit einer gesetzlichen Regelung, die
Forschungsergebnisse im Bereich der Kräuermedizin schützt
und deshalb von multinationalen Pharma-Konzernen
ausgebeutet werden können. Zugleich hat die Organisation
damit begonnen, als wirksam erkannte Kräuterpräparate
in Pillen- und Kapselform zu vermarkten. Etwa 500
Pflanzen werden in Zimbabwe zur Herstellung von
Medikamenten genutzt; ZINATHA hat eine eigene Pflanzen-Versuchsstation
eingerichtet und ist an Wiederaufforstungsprogrammen
beteiligt. Geplant sind die Einrichtung eines Hospitals für
mental kranke Patienten, eines Forschungsinstituts sowie
einer Schule für traditionelle Medizin. Seit 1981
unterstützt die Regierung ein Weiterbildungsprogramm für
die etwa 8.000 traditionellen Hebammen in den ländlichen
Gebieten Zimbabwes.
Jairos Jiri
Eine in Afrika einzigartige, private Einrichtung, die
Jairos Jiri Association kümmert sich landesweit um das
Schicksal behinderter Menschen, vornehmlich von Kindern
und Jugendlichen. Jairos Jiri ( 1982), ein
schwarzer Soldat des Zweiten Weltkriegs, begann diese bis
heute nur durch Spenden unterstützte Arbeit 1940. Die
Jairos Jiri Association appellierte im April 1989 an die
Regierung, mehr für die ca. 800.000 behinderten Menschen
in Zimbabwe zu tun, nur ca. 250.000 erhielten Hilfe durch
verschiedene Institutionen. Ein National Rehabiltation
Centre mit Trainigskapazität wurde im September 1987 in
Ruwa eröffnet.
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