DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



ZIMBABWE FAKTEN - DAS DOSSIER



SPIRITUALITÄT & HIERARCHIE / RELIGIONEN


Guerillakrieg und Geisterglaube

Chimurenga-Song (Lied aus dem Befreiungskampf)

Shona:   Übersetzung:
Isu memidzimu yedu   Wir und die Geister unserer Vorfahren
takabatana   wirken zusammen
muno muhondo   hier im Krieg

"Was sollen wir von einer Guerilla halten, die für die Befreiung des kolonisierten Landes von seinen Unterdrückern kämpfte, deren Führer mit einer sozialistischen Ideologie Zimbabwe in eine moderne Welt führen wollen, wenn die Kämpfer selbst ihre Kriegserfahrung mit solchen Worten beschreiben?"

David Lan in: "GUNS & RAIN / GUERILLAS & SPIRIT MEDIUMS IN ZIMBABWE"
Zimbabwe Publishing House / Harare / 1985


1975, auf der Flucht mit Edgar Tekere aus Rhodesien nach Mozambik, erhielt Robert Mugabe Hilfe im östlichen Hochland vom Tangwena-Clan: "Die nächsten beiden Tage waren voller Gefahr. Mugabe und Tekere waren bei Häuptling Tangwena. Dessen Frau befragte ein Geistermedium, das den Rat gab, am nächsten Tag aufzubrechen und einen Weg über die Berge zu nehmen."

Einführung in: Robert Mugabe / "OUR WAR OF LIBERATION"
Mambo Press / Gweru / 1983


Mugabe erreichte sicher die Basis seiner Truppen in Mozambik, geleitet vom Rat eines Geistermediums des Tangwena-Volkes, dessen Häuptling einen Platz auf dem Ehrenfriedhof von Harare gefunden hat. Die Bedeutung spiritueller Mobilisierung des erfolgreichen Befreiungskampfes ist in Europa weitgehend unbekannt. Schon 1971 hatte ein kleiner Guerilla-Trupp in der Dande-Region im äußersten Norden Zimbabwes den Rat spiritueller Medien gesucht und eine Verkörperung Nehandas, der Prophetin aus dem ersten Chimurenga getroffen, die - zusammen mit anderen Medien - spirituellen und praktischen Rat gab und später vor dem Zugriff der weißen rhodesischen Armee in Sicherheit nach Mozambik gebracht wurde, wo sie 1973 starb. Sowohl während des gesamten Befreiungskampfes als auch im ersten Jahr der Unabhängigkeit spielte der Rückgriff auf spirituelle, afrikanische Lebenszusammenhänge - nicht als Manipulation, sondern als Ausdruck tief verwurzelter Identität - eine wesentliche Rolle. Diese Identität ist nach zehn Jahren Unabhängigkeit vor allem in den Politikzentren der Städte bei Macht- und Überlebenskämpfen im Modernisierungsprozeß einer Entwicklungsgesellschaft infrage gestellt. Der Kolonialismus hatte zwar die traditionellen Strukturen besonders der Shona-Gesellschaft nicht zerstören können, aber er hatte sie bereits - durch Christianisierung und kapitalistische Ökonomie - erheblich verändert.


Strukturen und Glauben

Die Clans der verschiedenen Stämme (oder regionalen Sprachgruppen) leben idealtypisch in einem klar gegliederten System, in dem die Großfamilie (mehrere Genrationen umfassend) als Dorf die wichtigste Einheit bildet und durch ein Totem (Symbol aus der Tier- und Pflanzenwelt) mit dem Clan verbunden ist. Dieses Totem bezieht sich in der Regel auf eine Dynastie von Häuptlingen. Heirat innerhalb dieses Totems ist nicht möglich. Hochzeiten sind in erster Linie eine Verbindung zwischen zwei Familien und diese handeln die Bedingungen der lobola, des Brautpreises, aus. Stirbt der Ehemann, kann die Nachfolge von einem Bruder oder Cousin angetreten werden, oder die Witwe kehrt zu ihrer Familie zurück. Bedeutsam ist, daß sich die Hierarchie der Familienstruktur auf den sekuro, den Großvater, stützt, der den Ahnen am nächsten steht. Die Geister der Ahnen sind die Verbindung zu der höchsten Gottheit Mwari oder Musika Vanhu und geben den Nachkommen Rat durch Geistermedien, die ihn in Trance vermitteln. Diese Struktur sorgt auch für einen strikt einzuhaltenden Moral-Kodex, der Respekt vor den Älteren in den Mittelpunkt stellt. Verstöße gegen diese Normen und Regeln lassen ngozi, böse Geister auf den Plan treten, die - ebenso wie mhondoro (Schutzgeist des Clans) und vadzimu (Schutzgeist der Familie) - von n'angas (Hexern und Heilern) manipuliert werden können. Nach zehn Jahren Unabhängigkeit sind in Zimbabwe die Grenzen zwischen Tradition und Moderne - vor allem in der Stadtgesellschaft - nicht mehr präzise bestimmbar.


"Es ist gut bekannt, daß wir unsere Unabhängigkeit im Kampf unter Anleitung der Geistermedien gewonnen haben. Es überrascht, daß sie für diesen Dienst im Unabhängigkeitskampf gegenwärtig weniger geehrt werden. Wäre es nicht weise, einen Gedenktag für unsere Geistermedien einzurichten?"

Leserbrief in der "SUNDAY MAIL" (10.09.89) vom Vorsitzenden der ZANU/PF-Jugendorganisation im Maramba-Distrikt / Mashonaland East


Die geistige und die reale Erlebniswelt von Stadt und Land klafft immer weiter auseinander. Es verstärkt sich der Eindruck eines Identitätsbruchs, in dem alte Traditionen pervertieren oder sogar zur Manipulation im sozialen und politischen Machtkampf benutzt werden.


"HERALD" / 22.05.89: "Fehlschläge von Entwicklungsprojekten im kommunalen Land sind zum Teil darauf zurückzuführen, daß Geistermedien nicht konsultiert wurden, sagte der Vorsitzende des Distriktrates von Rudhaka, Genosse Joshua Shekede."


"HERALD" / 17.10.88: "Polizei hat sich in die Rettung eines Mädchens eingeschaltet, das Teil der Kompensationszahlung für eine Familie zur Beschwichtigung von 'ngozi' (des bösen Geistes) war. Die Familie in der Mavhirivhi-Gegend in Gokwe hatte nach dem Tod ihres Sohnes, offenbar verursacht durch einen Verwandten des Mädchens, 500 Z-$, 22 Rinder und eine Jungfrau verlangt."


"Der Brauch, junge Mädchen als Kompensation zu benutzen, war vor langer Zeit ausgestorben und ist im politischen Milieu, das die Unabhängigkeit hervorbrachte, wiederbelebt worden... Es ist nicht 'Shona', es ist nicht 'Ndebele', es ist nicht afrikanisch und nicht human; es ist satanische Gier und Habsucht; es ist anamistische Barbarei."

Willie Musarurwa, Journalist und Präsident der zimbabweschen Kinderschutz-Gesellschaft in: "AS I SEE IT..." / "SUNDAY MAIL" / 18.09.88


"Wir müssen unsere Unabhängigkeit beschützen vor einigen Leuten, die die Freiheit ausnutzen, die wir gewonnen haben. Wir dürfen kein Auge zudrücken gegenüber sozialen und kulturellen Ausbeutern, die sich aufspielen als Sprecher für den Geist eines Verstorbenen... Die Partei muß ganz unten über das Schlimme aufklären, das mit Hexerei und 'ngozi'-Wahnsinn über Zimbabwe gekommen ist. Und auch die Kirche muß sprechen."

Dr. Michael Mawema in: "AS I SEE IT..." / "SUNDAY MAIL" / 09.10.88


Religionseinflüsse

Welche Kirche soll sprechen? Am 11. September 1988 predigte Papst Johannes Paul II. vor 100.000 Katholiken auf dem Pferderennplatz von Harare. Die Katholische Kirche ist zwar nicht ohne politischen Einfluß - viele der heutigen Führer Zimbabwes, einschließlich Robert Mugabe, sind Zöglinge ihrer Institutionen -, aber seelsorgerisch bildet sie nur ein kleines Segment unter den zahlreichen, miteinander konkurrierenden Interpretationen christlichen Glaubens. Die meisten Missionsgesellschaften aus Europa und Amerika haben in der Kolonialzeit wesentlich zum Aufbau von Bildungs- und Gesundheitsstrukturen für die schwarze Bevölkerung beigetragen, viele sind noch heute in sozialen und landwirtschaftlichen Projekten engagiert. Die schon durch Ausländer hereingetragene breite Palette an christlicher Glaubensaufsplitterung ist seit Anfang des Jahrhunderts durch weitere afrikanische Interpretationen in unabhängigen schwarzen Kirchen nahezu unübersichtlich geworden. Der sozialen Situation ihrer Anhänger entsprechend predigen einige - vornehmlich apostolische Kongregationen (z.B. bis heute die Maranke Vapostori-Sekte) die Apokalypse und die totale Abkehr von der Welt. Während dies für die weißen Siedler-Regierungen eher eine angenehm unpolitische Entwicklung bedeutete, sah sich nach der Unabhängigkeit die neue Regierung aus diesen Reihen der Bevölkerung mit massiven Widerständen bei der Durchsetzung ihrer Gesundheits- und Bildungsprogramme konfrontiert. Sie veranlaßte u.a. Zwangsimpfungen und erließ Hygiene-Verordnungen gegen Freiluftkirchen in städtischen Gebieten. Gleichzeitig erlaubte sie jedoch erstaunlicherweise den Auftritt neuer Evangelisten, die - gesteuert von rechtsgerichteten und rassistischen Organisationen in den USA und in Australien - mit großem Geld- und Elektronikaufwand das Internationale Konferenzzentrum und die Fernsehbildschirme Zimbabwes besetzen durften. Nach einem solchen "Kreuzzug" des Amerikaners Reinhard Bonke, bei dem im April 1987 4.000 Delegierte aus 41 afrikanischen Ländern nach Harare gekommen waren, notierte in den USA der "World Map Digest" zynisch, Zimbabwe sei "wild auf Devisen" (zitiert in "SUNDAY MAIL" / Harare / 15.10.89).


Ideologie-Konflikt

Robert Gabriel Mugabe:"Jesuiten haben mich erzogen und ich bin dafür sehr dankbar... Nach meiner Auffassung sind religiöse Gemeinschaften, alte und moderne, sozialistisch... Seit dieser Erkenntnis ist es immer meine feste Überzeugung gewesen, daß Sozialismus mehr mit Christentum als mit Kapitalismus zu tun hat."

in: "MUGABE" / David Smtih & Colin Simpson /Pioneer Head / Salisbury / 1981


"Sozialismus wurde verbunden mit Materialismus durch Karl Marx und dessen Erfahrung in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts. Aber was hat das zu tun mit dem Ringen zimbabwescher Freiheitskämpfer um ihre Geburtsrechte in einem Land, in dem sie als Nicht-Bürger, sogar als Unpersonen ohne alle Rechte waren... Kultur, Moral, Religion u.a., das alles, was unsere wahre Menschlichkeit ausmacht (in der materiellen Philosophie als 'Überbau' bezeichnet), wird zu bloßen Nebenprodukten ökonomischer Prozesse erklärt... Natürlich haben materielle Bedingungen tiefgreifende Auswirkung auf jeden Menschen. Ein arbeitsloser Jugendlicher mag eher versucht sein, ein Verbrechen zu begehen, als sein Freund mit einem Job. Aber gerade kürzlich haben wir feststellen müssen, daß sogar die Wohlhabenden und Erfolgreichen in Versuchung geraten. Die Armen wollen überleben, die Reichen wollen reicher werden..."

Pater Oscar Wermter SJ zur kontroversen Debatte über die obligatorische Einführung des Schulfaches "Politische Ökonomie" in:
"AS I SEE IT..." / "SUNDAY MAIL" / Harare / 21.05.89


Halbmond am Horizont

Auf 70.000 wird in Zimbabwe die Zahl der Moslems geschätzt, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts in kleinen Gemeinschaften aus Mozambik und Malawi u.a. in das heutige Gebiet von Zimbabwe emigrierten. Etwa 70 Moscheen gibt es im Lande, die größte in Kwe Kwe, dem Zentrum der Islamischen Mission, die Unterstützung vor allem aus Saudi Arabien und Kuwait erhält. Beide Länder finanzieren auch den Bau von Moscheen und Gemeinschaftseinrichtungen, während der Iran - gelegentlich im Konflikt mit der Regierung in Harare - eine aggressive Propagierung schiitischer Glaubensorientierung betreibt. Anfang 1989 ließ - gegen Proteste der zimbabweschen Schriftsteller-Union - der Zoll von Reisenden Salman Rushdie's Buch "Satanische Verse" beschlagnahmen. Der Islam - der in Schwarzafrika in manchen gesellschaftlichen Aspekten auf eine größere Resonanz als das Christentum stößt und in der Nord-Süd-Auseinandersetzung zunehmend als eine Religion der Entrechteten begriffen wird - hat sich in Zimbabwe einen Vorposten geschaffen.

 
 
Dossier 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Inhalt
Kapitel 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 Inhalt
INTRO