DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



ZIMBABWE FAKTEN - DAS DOSSIER



BILDUNG


"Arbeitslosigkeit ist heute ein brennendes Eisen. 1990 werden sich, geschätzt, 300.000 Schulabgänger um 10.000 Jobs schlagen. Eine kürzliche Erhebung zeigte, daß seit der Unabhängigkeit rund eine Million junger Menschen die Schule verlassen haben, aber nur 10 % von ihnen waren in der Lage, eine feste Anstellung zu finden. Bei den Wahlen im nächsten Jahr werden arbeitslose Wähler solche mit Beschäftigung im Verhältnis 3 zu 1 übertreffen."

Andrew Saxon / "SUNDAY MAIL" / Harare / 28. März 1989


Grunddaten

In Zimbabwe gab es 1979 2.700 Grundschulen mit 800.000 Kindern, jetzt sind es 4.500 mit 2,3 Mio. Kindern. Vor der Unabhängigkeit standen 177 Sekundarschulen zur Verfügung, heute sind es 1.502. Der Unterricht entspricht formal und inhaltlich nach wie vor dem britischen Cambridge-System. Nur knapp 10 % der Schulen unterstehen direkt der Zentralregierung. Die übrigen werden von örtlichen Selbstverwaltungsorganen, Missionsgesellschaften, Bergbaufirmen, Farmen oder sonstigen Trägern betrieben. Auch sie erhalten staatliche Beihilfen, sämtliche Lehrergehälter werden vom Staat getragen. 1979 hatte Zimbabwe 27.000 Lehrer, heute sind es 84.000, von denen allerdings 33.000 nur unzureichend ausgebildet sind, ganze 3.500 haben einen Universitätsabschluß. Von 1981 bis 1985 sind in Zimbabwe jährlich 5.000 Lehrer ausgebildet worden, von 1986 bis 1988 aber nur 3.500 pro Jahr - eine reale Abnahme der Lehrerausbildung, weil die Finanzen Zimbabwes die Beschäftigung von mehr Lehrern nicht erlauben. So mußten - unter Regierungsabkommen u.a. mit der Bundesrepublik Deutschland - ausländische Lehrer nach Zimbabwe geholt werden. Mit der ökonomischen Liberalisierung wird sich die Situation eher noch verschlechtern. Der Minister für Finanzen, wirtschaftliche Planung und Entwicklung, Bernard Chidzero, teilte Ende April 1989 mit, nach einer Studie des Internationalen Weltwährungsfonds habe Zimbabwe bisher 10 % seines Bruttosozialprodukts für Bildungsaufgaben ausgegeben, dem höchsten Anteil in der Welt - gefolgt von Dänemark mit 8,5 %. Chidzero:

"Ressourcen müssen in den Produktionsbereich umgelenkt werden, um ein anhaltendes Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Schwierige Entscheidungen sind zu treffen."


Quantität statt Qualität

Von 1980 bis 1989 verzeichnete Zimbabwes Wirtschaft ein durchschnittliches Wachstum von 3,8 %. Die Kosten für den Bildungssektor stiegen aber im gleichen Zeitraum um 13 %. Bildung für alle nahm als erklärtes Menschenrecht die absolute Priorität ein. Im September 1980 richtete die Regierung freien Grundschulunterricht (siebenjährig) für alle Kinder über sechs Jahre ein. Dabei wurde Wert auf die Mobilisierung von Gemeinden und Eltern gelegt, die - mit staatlichen Zuschüssen - für den Bau von Schulgebäuden und Lehrerunterkünften selbst verantwortlich sind. Einen besonderen Boom erlebte der sechsjährige Sekundarschulbereich, der bis zur Unabhängigkeit fast ausschließlich weißen und wenigen begüterten Familien zugänglich war und den Zugang zu qualifizierten Berufen oder einer weiterführenden Hochschulausbildung verheißt.

Anders als etwa in Namibia die Befreiungsorganisation SWAPO hatte in Zimbabwe die aus dem Befreiungskampf hervorgegangene Administration jedoch kein eigenständiges, den Bedürfnissen des Landes angepaßtes Bildungskonzept zur Hand und mußte auf das britische Erbe des akademisch ausgerichteten Cambridge-Systems zurückgreifen. Dieses war aber in den ehemaligen Kolonien Großbritanniens stets nur für eine kleine Elite gedacht, auch wenn es in den meisten Commonwealth-Ländern weiterbesteht. In nahezu allen Fächern herrscht Eurozentrismus vor, die schriftlichen Prüfungen für den O-Level (Mittlere Reife) und für den A-Level (Abitur) werden zentral vom British Associated Examinations Board vorbereitet und ausgewertet. Zimbabwe verliert durch fällige Gebühren (auch für die hohe Durchfallquote) jährlich immense Devisen-Beträge und erhält Schulabgänger, die sich besser in europäischer Geschichte und Literatur auskennen, als daß sie auf eine Eingliederung in die nationale Wirtschaft vorbereitet wären.

An nur 300 Sekundarschulen wird der Umgang mit simplen Werkzeugen geübt, an weiteren 100 Schulen ist das Training an komplizierterem Gerät eingeführt. In der Grundschule sind ebenfalls einfache handwerkliche und landwirtschaftliche Schulproduktionen Bestandteil des Unterrichts. Das schon vor Jahren verkündete Programm Education with Production (praxisorientierte Bildung) war aber bisher abhängig von individueller Innovationsbereitschaft der Schulleiter und Lehrer und scheiterte oft an Geld- und Materialmangel vor Ort. In vielen ländlichen Schulen sind häufig nicht einmal genügend Lehrbücher vorhanden.


Erziehung

10 Jahre nach der Unabhängigkeit sind die Realitäten auch äußerlich noch immer von einem kolonialen Erscheinungsbild geprägt, das z.B. Eltern die Anschaffung teurer Schuluniformen zur Pflicht macht. Zwar ist der Besuch der Grundschule kostenfrei, doch Eltern müssen für jedes Kind rund 120 Z-$ zur Anschaffung einer solchen Schuluniform ausgeben; bei - in der Regel mehreren Kindern - übersteigt dies in den unteren Lohngruppen bereits die finanziellen Möglichkeiten einer Familie. Der Besuch einer Mittel- oder Oberschule (secondary school) kostet zwischen 250 und 350 Z-$ pro Jahr, für die erforderliche Schuluniform (2 Paar, einschließlich Hut, Schuhe - und für Jungs - Schlips) mußten Eltern Ende 1988 nach einer Erhebung der Hauptstadtzeitung "HERALD" zusätzlich rund 300 Z-$ ausgeben. Erziehungsministerin Fay Chung räumte im Oktober 1988 ein, daß wegen der hohen Schulkosten jedes Jahr etwa 20.000 Mädchen nach Abschluß der Grundschule von den Eltern eine weiterführende Schulausbildung verweigert wird. Mädchen sind auch die Opfer einer hohen Quote von Schülerschwangerschaften, sie werden vom weiteren Schulbesuch ausgeschlossen. Sexualerziehung - ein Tabu in der Shona-Kultur - wurde von der Regierung erst im Juni 1989 gebilligt. Der Schulunterricht selbst ist von einem rigorosen Disziplinzwang geprägt, über Prügelstrafen wird nach wie vor von den Schulleitern Buch geführt. Elternhaus und Schule entlassen Kinder in Zimbabwe in der Regel als angepaßte, konfliktunfähige Menschen in eine von Widersprüchen, Konflikten und Identitätsproblemen angefüllte Entwicklungsgesellschaft.

Mit Billigung der Regierung ist Kindern begüterter Eltern - weißen und schwarzen - der Besuch äußerst teurer Privatschulen erlaubt (bis zu 2.000 Z-$ pro Term = Jahresdrittel). Die Analphabetenrate (1962: 61 %) ist durch zahlreiche Alphabetisierungskurse (vor allem im ländlichen Gebiet durch Frauen organisiert) bereits 1985 auf 26 % gesunken. Für Erwachsenenbildung werden zahlreiche Kurse angeboten, die Teilnehmerzahl wuchs allein zwischen 1980 und 1983 um 421 %. Zimbabwe verfügt heute über 12 technische Hochschulen und je eine polytechnische Einrichtung bzw. ein Berufsausbildungszentrum in allen 8 Provinzen mit insgesamt 55.000 Studenten.


Universität

Die bisher einzige Universität von Harare kann mit etwa 10.000 Studenten den akademischen Betrieb kaum noch aufrecht erhalten. Für etwa 350 Mio. Z-$ soll in Bulawayo eine zweite Universität (mit einem technischen Schwerpunkt) gebaut werden. Die United Methodist Church hat der Regierung vorgeschlagen, mit Geldern ihrer Mutterkirche in den USA (Über 80 Mio. Z-$) in Mutare eine dritte Universität einzurichten, die zwar einen religiösen Schwerpunkt haben wird, aber Zugang zu anderen Fachbereichen auch Andersgläubigen ermöglichen soll.

1989 studierten rund 3.000 Zimbabwer mit Stipendien in Ost- und Westeuropa, in den USA sowie in Ländern der sogenannten Dritten Welt (einschließlich Afrika). Die Regierung kann pro Jahr etwa 200 Stipendien vermitteln und hat dafür ein eigenes Ministerium eingerichtet. Dieses hat in der Vergangenheit immer wieder, von Stipendiaten in Leserbriefen dargstellte, Probleme dementiert, nach Rückkehr aus sozialistischen Ländern Diplome anerkannt zu bekommen und Beschäftigung zu finden. Nach schweren Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Polizei im Septemer 1988 und im September 1989 war die Universität bis April 1990 geschlossen. Verhaftete Studentenführer wurden ohne Anklage-Erhebung nach den Wahlen im März freigelassen. Im Zusammenhang mit Anti-Korruptions-Demonstrationen von Studenten und ihrer zunehmenden Solidarisierung mit der Oppositionspartei Zimbabwe Unity Movement hatte es die Regierung nicht vermocht, rechtzeitig in einen Dialog mit der ausschließlich ideologisch argumentierenden Studentenvertretung einzutreten und die Auseinandersetzung Polizei und Geheimdienst überlassen. Angesichts schwindender Aussichten auf einem schon von Akademikern überfüllten Arbeitsmarkt flüchten viele enttäuschte Universitätsstudenten und -absolventen in dogmatische Marxismus-Lenismus-Interpretationen, auf deren Basis sie inzwischen der politischen Führung den Anspruch streitig machen, noch die Ziele des Befreiungskampfes zu vertreten.


"Durch die zweifache Waffe der Unterdrückung und der Korruption verliert Zimbabwe seine intellektuelle und wissenschaftliche Basis."

Kempton Makamure, Senior-Dozent der Rechtsfakultät / Universität Harare
AUS: "PARADE" / HARARE / SPECIAL TENTH ANNIVERSARY ISSUE / April 1990

 
 
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