DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN
© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt



ZIMBABWE FAKTEN - DAS DOSSIER



ZIMBABWES KULTUR-SUCHE


"Weißt du, ich sitze und warte, bis der Mond wiederkommt, damit ich auf die Geschichten all der Menschen horchen kann... Denn ich bin hier - in einer großen Stadt - niemand erzählt mir Geschichten... Ich horche bloß und lauere auf eine Geschichte, ich möchte eine hören; wenn mir doch eine ins Ohr triebe... Ich will bei mir zuhaus sitzen und horchen, die Ohren rückwärts geneigt zu den Fersen, auf denen ich warte. Damit ich spüre, da ist eine Geschichte im Wind."

Testament eines Buschmannhäftlings vor hundert Jahren, zitiert in:
"WENN STERN AUF STERN AUS DER MILCHSTRASSE FÄLLT" / Laurens van der Post
Henssel Verlag / Berlin / 1983


"Die modernen Gesellschaften der afrikanischen Völker haben leider ihr ursprüngliches Naturell in einem Maße abgelegt, daß sie sogar dazu neigen, jedem zu mißtrauen, der sie wie ich wieder auf das Wertvolle ihrer eigenen Ursprünge hinzulenken versucht. Sagt man, bis jetzt habe noch keine Gesellschaft das Gleichgewicht zwischen Primitivem und Zivilisiertem richtig getroffen, wird das von vielen Afrikanern als eine Form von intellektueller Bevormundung, wenn nicht gar als Trick aufgefaßt, sie zu selbstsüchtigen europäischen Zwecken in einem 'zurückgebliebenen Geisteszustand' zu erhalten. Die Menschen in Afrika so weit zu bringen, daß sie sich ihrer angeborenen Phantasie schämen, ist etwas vom Schlimmsten, was wir ihnen angetan haben."

Laurens van der Post, ebenda


Dambudzo Marechera in: "THE HOUSE OF HUNGER"
Zimbabwe Publishing House / Harare / 1982

"Sie wollte mich träumen lassen, mich an Visionen glauben lassen, an Hoffnung. Aber der Fels und der zermahlene Sand dieser Erde verwehrten es mir. 'Ich kann es mir nicht leisten,' sagte ich. Sie blickte auf. 'Wenn es Geld ist -,' begann sie schüchtern. 'Geld!' Ich lachte bitter wie ein mißverstandenes Kind. Und doch, Geld war sicherlich ein Teil davon. Es gibt keine Möglichkeit, zu lieben, zu essen, zu schreiben, zu schlafen, zu hassen, ja sogar zu träumen - ohne Geld. Aber diese Helden, diese schwarzen Helden unserer Zeit..."


Didymus Mutasa, Parlamentspräsident bis Anfang 1990, seitdem Senior-Minister für politische Angelegenheiten im Präsidenten-Büro, in einem Radio Bremen-Interview, April 1989

"Sehen Sie, in Europa gibt es das Konzept, daß der afrikanische Kontinent erst zu existieren begann, als er entdeckt wurde. Aber wir existierten lange bevor, und nur weil die Europäer besser bewaffnet waren, zerstörten sie unsere Königreiche. Einhundert Jahre später sagen wir, liebe Brüder, eure Vorväter haben falsch gehandelt und ihr solltet diesen Fehler nicht wiederholen! Kommen wir nach Europa, beachten wir die Maßstäbe europäischer Kultur, und wir verlangen, daß Europäer das gleiche tun, wenn sie nach Afrika kommen - und sie werden entdecken, daß es hier noch immer eine im höchsten Maße achtenswerte Zivilisation gibt."


Literatur

Eine Untersuchung der in Harare lebenden Deutschen Flora Veit-Wild über Hintergrund und Werdegang von 96 zimbabweschen Schriftstellern ("SURVEY OF ZIMBAWE WRITERS - EDUCATIONAL AND LITERARY CAREERS" / 1989) hat deutlich gemacht, daß die meisten ihre literarischen Vorbilder entweder der klassischen europäischen Schriftsteller-Szene oder Vorgaben früher Autoren der eigenen Sprache entlehnen. Wesentliche Sujets der jüngeren Generation sind Kolonial- und Kriegserfahrungen, eine Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Konflikten der Gegenwart findet kaum statt. Hervorgehoben wurde die Förder-Rolle des katholischen Verlages Mambo-Press in Gweru. An anderer Stelle haben Autoren immer wieder die geringen Marktchancen für moderne Shona- und Ndebele- Literatur und die in diesem Zusammenhang restriktive Politik der meisten Verlage beklagt. Dambudzo Marechera, das herausragende Talent mit internationaler Anerkennung, starb, als von seiner Gesellschaft kaum anerkanntes enfant terrible, 1987 im Alter von nur 35 Jahren. Die bisher 5 internationalen Buchausstellungen in Harare sind in der Regel - trotz breiter Publizität in der zimbabweschen Presse - Veranstaltungen von Sachverständigen ohne bleibende Auswirkung auf das breite Leserinteresse der Bevölkerung. 2 bedeutsame Preise haben 1989 die Reputation zimbabwescher Schriftsteller aufgewertet: Die zurzeit in Berlin studierende Autorin Tsitsi Dangarembga erhielt für ihre Novelle "NERVOUS CONDITIONS", die Geschichte eines Schulmädchens, den Commonwealth-Preis für die Afrika-Region und Chenjerai Hove wurde mit dem seit 1979 für Afrika ausgeschriebenen Noma-Preis eines japanischen Verlagshauses für seine Novelle "BONES" ausgezeichnet, die das Schicksal einer Frau im Befreiungskampf beschreibt und dabei - obwohl in englisch - dem Rhythmus der Shona-Sprache folgt. Doch ist durch die internationale Würdigung keineswegs das Interesse zimbabwescher Leserscharen geweckt worden. Nach Erhalt des Literaturpreises verwies Hove bei seinem ersten öffentlichen Auftreten in Harare auf die Tatsache, daß in Zimbabwe jede neue Siedlung zuerst einen Biergarten eröffne. Hove: "Wenn das so weitergeht, werden wir bald eine so betrunkene Nation sein, daß wir vergessen, unsere Kinder zur Schule zu schicken. Wir werden nicht mehr über unsere Vergangenheit und über unsere Zukunft lesen. Solch eine Nation kann nur zum Untergang in Analphabetentum und Vergessen auf allen Ebenen der Gesellschaft verurteilt sein." ("HERALD" / 04.12.89)


AUS: "PARADE" / HARARE / SPECIAL TENTH ANNIVERSARY ISSUE / April 1990:
Chenjerai Hove, Träger des "Noma-Preises" für Literatur 1989 und Ex-Vorsitzender der zimbabweschen Schriftsteller-Union:

"Die zimbabwesche Gesellschaft ist nicht eine Gesellschaft von Lesern. Es gibt kaum jemanden, der alle verlegten Werke liest, um sich selber und die Stärken oder Schwächen des zimbabweschen Literatur-Ausdrucks zu endecken. Und wenn Zimbabwer lesen, dann borgen sie sich eher ein Buch anstatt es zu kaufen und damit die Schriftsteller des Landes zu unterstützen. Deshalb müssen die meisten in diesem Land unter schwierigen Bedingungen leben, ihre Familien mit einem anderen Beruf erhalten und schreiben, wenn alle anderen ruhen... Kultur ist reduziert worden auf ein paar Tänze am Flughafen, ein paar traditionelle Tanz-Festivals, finanziert durch Firmen, die damit für ihre Waren werben. Die großartigen Rituale und Tanzdramen unseres Volkes sind vergessen, bleiben ungetanzt und ungesungen."


Theater / Musik

Mutige Ansätze zu aktueller Sozialkritik in Bühnenstücken wurden erst Mitte der Achtziger Jahre u.a. durch die Heimkehr eines in England ausgebildeten weißen Schauspielers und Regisseurs, Christopher Hurst, angeregt, der zusammen mit dem Autor Cont Mhlanga 1987 staatliche Zensurmaßnahmen für das in freier Produktion gestaltete Stück "WORKSHOP NEGATIVE" auslöste. Die Darstellung korrupter, ehemaliger Befreiungskämpfer als phrasendreschende Funktionäre und zugleich ausbeutende Unternehmer durfte nicht zu einem Gastspiel ins benachbarte Sambia. Finanzierungs- und Transportprobleme lassen vor allem auf dem Lande und in den Townships mobile Theatergruppen (oft geformt aus arbeitslosen Jugendlichen) nur eine mühsame Existenz führen.

Während in den Dörfern die traditionelle Mbira-Musik (Daumen-Klavier auf Metallzungen in einem ausgehöhlten Kürbis) jahrhundertalte Familiengeschichten begleitet und, oft selbstgefertigte, Marimba-Instrumente bei Festen erklingen, erschweren in den Städten eine nach wie vor ausbeuterische Honorargestaltung von Veranstaltern und Mafia-artig organisierte Plattenfirmen sowie eine unklare Kulturpolitik der Regierung das Überleben selbst solcher Musikgruppen, die es zu internationalem Ansehen gebracht haben. Hohe Zölle und strikte Devisenbestimmungen sind für den Mangel an Instrumenten und elektronischem Gerät verantwortlich, ausländische Agenten und Produzenten erhalten so Gelegenheit, auf Kosten zimbabwescher Künstler abzukassieren. Zimbabwes Musikkünstler haben es bisher - wie in den meisten anderen Industriebereichen - nicht vermocht, ihre Interessen effektiv zu organisieren. Einheimische Kritiker haben 1989 auch den Niedergang von Inhalt und Qualität lokaler Musikproduktionen angeprangert (u.a. Cyprian Ndawana im "HERALD" / 20.05.89). Eine Ausnahme bildete Thomas Mapfumo, der auf die brisante politische Entwicklung im Frühjahr mit dem viel gespielten Song "CORRUPTION" reagierte.


"Der Künstler, der die nationale Wahrheit zu beschreiben trachtet, wendet sich paradoxerweise der Vergangenheit, dem Unaktuellen zu. Worauf sich seine eigentlichen Intentionen richten, das sind die Rückstände des Denkens, das Äußere, die Kadaver, das endgültig stabilisierte Wissen. Wenn der kolonisierte Intellektuelle jedoch ein authentisches Werk schaffen will, muß er wissen, daß die nationale Wahrheit zuerst die nationale Realität ist. Er muß an den Siedepunkt vordringen, an dem sich diese Wissen abzeichnet."

Frantz Fanon in: "DIE VERDAMMTEN DIESER ERDE"
Suhrkamp / Frankfurt / 1968

Schwarze Kunst für weißen Markt

"Nach der Unabhängigkeit war unseren Menschen die Gelegenheit gegeben, sich frei und offen zu behaupten, das Beste ihrer Seele auszudrücken. Dies war schon immer möglich für Künstler, denn die plastische Vorstellung existierte in ihnen. Wenn sie dem Befreiungskampf vorauseilten und ihn begleiteten, dann, weil Künstler immer die Vorboten der Geschichte sind."

Robert Mugabe im Vorwort zu: "SHONA SCULPTURE" / F. Mor (Botschafter Italiens) / Jongwe / Harare / 1987


Bei der Gestaltung des Ehrenmals für die Helden des Befreiungskampfes in Harare, "Heroes' Acre", wurde die Chance zu einer Darstellung des Herzstücks neuer zimbabwescher Kunst verpaßt: Nordkoreanische Künstler erhielten den Auftrag. Stattdessen sind die zimbabweschen Stein-Skulpteure total abhängig vom ausländischen Kunstmarkt. Ihre rund 40 Jahre alte Kunst, die in aller Welt Furore macht, ist im Ursprung auf kunstsinnige oder schlicht profit-orientierte weiße Förderer etwa in Manicaland oder in Tengenenge zurückzuführen. Großartige Werke sind zum Beispiel den Takawira-Brüdern (der berühmteste, John Takawira, starb im November 1989) zu verdanken, die allerdings eher in prominenten Galerien Amerikas und Europas oder in ausländischen Privatsammlungen zu finden sind.


"HERALD" / 20.04.89: "Zimbabwe hat einige seiner besten Skulpturen an Händler und Einzelpersonen verloren, die sie in Übersee für Hunderttausende von Dollars verkaufen. Offizielle der 'National-Galerie Zimbabwes' erklären, es sei nahezu unmöglich, solche Skulpturen zurückzukaufen, da sie nun außerordentlich teuer seien."

 
 
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