Ich hab gehört, daß euer
Zug schon auf Gleisen zwischen Moskau und
Wladiwostok unterwegs war, als
Transsibirische Eisenbahn. Toll, wie ihr
das macht. Aber, was bekommt man da zu
sehen vom russischen Alltag, durch
zugeregnete oder zugefrostete Scheiben?
Lasst euch jetzt zu einer Reise durch
unterschiedliche historische Phasen
russischer Lebensorganisation einladen!
Da die auch nicht viel kürzer sein wird
als ein Trip auf der originalen Transsib,
habe ich mir erlaubt, zur Auflockerung
die Biermösl Blosn
einzuladen, meine bajuwarische
Lieblings-Band, keine Sorge, die
machens umsonst für mich.
Wer den Kabarettisten
Gerhard Polt kennt, kennt auch
die Brüder Christoph, Hans und Michael
Well, die drei präsentieren seit 1976
bayerische Folklore und Dialekt auf eine
besondere subversive Weise. Die
Blasmusiker stammen aus Günzlhofen,
einem Dorf zwischen München und Augsburg
nicht weit entfernt vom Biermoos,
nach dem sie sich nannten. Das Biermoos
gehört zum Haspelhochmoor bei München,
das vor Jahren in einen Großflughafen
und in eine Mülldeponie umgewandelt
werden sollte. Blosn =
Blase ist ein bayerischer
Begriff für Clique,
Gruppe. Alles verstanden? Auf
gehts ...
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
ob er aber über
Oberammergau ...
oder aber über
Unterammergau ...
Der Angst-Automat
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
Man ist versucht zu sagen: Egal, was oben
reingegeben wird unten kommt immer
die Angst vor Russland heraus: Ob Putin
ankündigt, keine dritte Amtszeit
anstreben zu wollen, ob bei den letzten
deutsch-russischen Konsultationen offene
Fragen anstehen, ob neue Bedingungen im
Luftverkehr ausgehandelt werden müssen
der Tenor ist immer der gleiche:
Putin zeige Muskeln, er könne nicht von
der Macht lassen, eine neue Eiszeit nahe,
ein neuer Kalter Krieg stehe bevor, gar
der Dritte Weltkrieg, wie
G.W. Bush sich nicht scheute zu
warnen ...
Woher die Angst vor
Russland?
ob er aber über
Oberammergau ...
Die Antwort ist umwerfend einfach:... Sie
liegt wenn man sich nicht nur an
der Person Wladimir Putins aufhalten will
in Russlands Möglichkeit zur
Autarkie. Die russische Autarkie ist
doppelt begründet und leitet sich aus
zwei Quellen her. Das sind zum einen die
natürlichen Ressourcen der eurasischen
Weite: Gas, Öl, Erze, Wald, Tiere
es sind zum zweiten die
sozio-ökonomischen Ressourcen, die aus
der Fähigkeit der russischen
Bevölkerung zur Eigenversorgung und den
damit verbundenen, ins Land
eingewachsenen kulturgeografischen
Strukturen folgen. Im Westen versucht man
solche Strukturen heute mit dem Begriff
des Humankapitals zu
erfassen.
Zu sprechen ist von einem
außerordentlichen natürlichen und
menschlichen Reichtum, einer strukturell
begründeten potentiellen Autarkie, die
keine andere Gesellschaft auf der Erde in
dieser konzentrierten Art und Weise ihr
Eigen nennen kann. Sie gibt Russland die
Möglichkeit, wenn es denn sein muss,
unabhängig von globaler Fremdversorgung
oder in feindlichen Kategorien
gedacht von Sanktionen zu
existieren, zumindest wesentlich länger
zu überleben als andere Länder.
Dreimal versetzte diese strukturelle
Autarkie Russland im Lauf der neueren
Geschichte bereits in die Lage,
europäischen Eroberungsversuchen zu
trotzen, sie zumindest zu überstehen und
gestärkt aus ihnen hervorzugehen: denen
Napoleons 1812, denen der Deutschen
Wehrmacht 1917, denen Hitlers 1939. Heute
ist es wieder so: Trotz Krise, trotz
technischer Rückständigkeiten, trotz
Dauer-Transformation seit Ende der 70er,
Anfang der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts und bis heute schaffte es
Russland zum Erstaunen der Welt nicht nur
zu überleben, sondern auch dieses Mal
wieder stärker aus der Krise
hervorzugehen ...
Was ist die Basis
für Russlands Autarkie?
oder aber über
Unterammergau ...
Die russische Autarkie entsteht aus der
außergewöhnlichen Kombination von
extremem natürlichem Reichtum
Weite, Größe, Vielfalt und
ebenso extremen Härten, die aus
denselben Bedingungen resultieren: Elf
Klimazonen von extremer Hitze bis zu
extremer Kälte, Weglosigkeit,
Völkergemisch, Bedingungen, die nur im
engen Zusammenwirken von Gemeinschaften
bewältigt werden können. Diese
Kombination von Reichtum und extremer
Härte hat eine Kultur
gemeineigentümlich wirtschaftender
Dörfer unter einheitlicher
zentralistischer Führung hervorgebracht.
In dieser Kultur hat sich im Unterschied
zur westlichen Entwicklung, in welcher
die frühere Gemeinwirtschaft durch eine
private Eigentumsordnung abgelöst wurde,
kein Privateigentum an Produktionsmitteln
herausgebildet. Sofern doch
Privateigentum an Produktionsmitteln
entstand, war es lokale Ausnahme und
vorübergehende Erscheinung von kurzer
Dauer, wie gegen Ende des 18. und im
Verlauf des 19. Jahrhunderts, als aus den
dörflichen Strukturen private Industrie
entstand, deren private Rechtsformen
jedoch mit der Revolution von 1917 schon
wieder beseitigt wurden.
Das heißt, vor Ort, in den Weiten des
russischen Landes, im Volk war Eigentum
gemeinschaftlich organisiert. In der
westlichen Geschichtswahrnehmung sind
diese Verhältnisse als russische
Dorfgemeinschaft, als Dorfdemokratie, im
Russischen als Òbschtschina
bekannt; in Sibirien und im Süden
Russlands waren es Genossenschaften
freier Bauern, aber auch diese waren
aufeinander angewiesene Gemeinschaften.
Die russischen Dörfer waren in ihrer
Mehrheit ihrerseits Gemeineigentum des
Zaren, der herrschenden Schicht, das
heißt, des Hofes, der Kirche, des dem
Zaren hörigen Dienstadels, alles
zusammengefasst unter der Führung der
zaristischen Selbstherrschaft, zu der
Kirche und Staat sich verbunden hatten.
Autarkie und Autokratie sind in dieser
Geschichte untrennbar miteinander
verbunden.
Man hat es im Ergebnis im traditionellen
Russland mit einer Wirtschafts- und
Lebensweise zu tun, die Karl Marx und
Friedrich Engels seinerzeit als
asiatische Produktionsweise
charakterisierten.
Was ist die
asiatische Produktionsweise?
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
Damit waren Verhältnisse gemeint, wie
sie auch aus dem alten Mesopotamien, aus
Ägypten, von den Inkas, aus China, aus
Indien bekannt waren.
Marx und Engels kategorisierten die
Entwicklung der menschlichen Gesellschaft
entlang zweier von ihnen angenommener
Linien. Auf der Hauptlinie sahen sie
noch ganz einem ungebrochenen
eurozentristischen Verständnis verhaftet
die Entstehung der
abendländisch-europäischen
Produktionsweise: Urgesellschaft
Sklavenhaltergesellschaft
Feudalismus Kapitalismus
Sozialismus Kommunismus, die sich,
basierend auf der Entwicklung des
Privateigentums an Produktionsmitteln,
dynamisch, unaufhaltsam, eskalierend von
Revolution zu Revolution aus einer
Formation in die nächst höhere bewege.
Für Marx/Engels war Europa das Zentrum
dieser Bewegung, heute sind es von Europa
ausgehend die U.S.A., allgemeiner der
euro-amerikanische Westen. Auf der
Nebenlinie verorteten sie die
asiatische Produktionsweise,
in anderer Bezeichnung von Marx auch als
gemeineigentümlicher
Despotismus, entstehend aus dem
Zusammenwirken von dörflicher
Selbstversorgung und einer ihr
übergeordneten Bürokratie und von den
Dörfern lebend (Priesterkaste,
Gelehrtenhierarchie, Beamtenapparat...).
Privateigentum
versus Gemeineigentum
ob er aber über
Oberammergau ...
Die europäische Produktionsweise
entwickelte Privateigentum als Motor der
Selbstverwertung des Geldes, aus welcher
der privatwirtschaftliche Kapitalismus
hervorging. In ihr sind Staat, Kirche und
Kapital getrennt und müssen sich immer
wieder neu verbinden. Ihre Krisen tragen
dynamischen Charakter.
Die asiatische Produktionsweise
entwickelt Gemeineigentum als Basis einer
stabilen individuellen und allgemeinen
Selbstversorgung unter der Herrschaft
einer verwaltenden Klasse. Krisen
entstehen periodisch aus der Schwäche
der Bürokratie, nicht aus der Dynamik
des Kapitals.
Marx bezeichnete diese asiatischen Formen
der Wirtschaft im Gegensatz zur
griechisch/römischen
Sklavenhaltergesellschaft, in welcher
einzelne Menschen zum Privatbesitz
einzelner Menschen wurden, als eine
allgemeine Sklaverei, weil in
ihnen der Einzelne zwar frei, im
Kollektiv aber dem Staat unterworfen oder
gar hörig sei. Einen wesentlichen
Unterschied der asiatischen
Produktionsweise zur europäischen sahen
Marx und Engels auch darin, daß die
asiatische Produktionsweise keine innere
Dynamik aufweise, die zum Kapitalismus
dränge, sondern eine im Wesen
stagnierende Gesellschaftsordnung sei,
die zwar auch periodisch zusammenbreche,
sich aber immer auf demselben Niveau
wiederherstelle.
Marx und Engels entwickelten ihre Analyse
am Beispiel der indischen Gesellschaft
und bezogen auch die alten Hochkulturen
mit ein. In Russland erkannten sie eine
besondere Form der asiatischen
Produktionsweise, die sich aus
einer immer wieder erfolgten Mischung mit
europäischen Elementen ergeben habe;
eine Entwicklung billigten sie Russland
jedoch nur im Kontext mit dem
Kapitalismus und der Revolution im Westen
zu.
Der Irrtum von Marx
und Engels
oder aber über
Unterammergau ...
Ausgelastet mit der Aufarbeitung der
Entwicklung des europäischen
Kapitalismus konnten sie die Analyse der
asiatischen Produktionsweise
nicht zu Ende führen. So konnten sie
nicht erkennen, daß auch diese
Gesellschaftsform, insbesondere in ihrer
russischen Variante, periodische
Modernisierungskrisen erlebte, die nach
Zeiten des Zerfalls regelmäßig in eine
Effektivierung des Systems übergingen,
nur daß die Ursachen ihrer Krisen nicht
in wirtschaftlicher Dynamik, sondern in
bürokratischer Stagnation lagen. Kurz,
sie erkannten nicht, daß
euro-amerikanische und asiatische
Produktionsweise zwei Wege der
Entwicklung sind, die nicht aufeinander
folgen, sondern in Wechselwirkung neben-
und miteinander existieren und sich
gegenseitig beeinflussen, sodaß auch
immer wieder neue Zwischenformen
entstanden. So insbesondere im Verlaufe
der russischen Geschichte,
einschließlich ihrer sowjetischen
Periode.
Modernisierung ohne
sich selbst verwertendes Kapital
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
Schauen wir deshalb noch ein wenig
genauer auf die russische Entwicklung:
Russland entstand im offenen Niemandsland
zwischen mongolischen Chanaten (Chan/Khan
= Fürst) und westlichen Städten, in
reicher Natur, aber der Weite und der
Wildnis ausgesetzt. Ergebnis war die
Selbstherrschaft der Moskauer Zaren als
Beschützer und Ausbeuter der sich selbst
versorgenden Dörfer, deren
Selbstverwaltung zugleich Basis der
Verwaltung des Zaren wurde.
Es entstand die Struktur: Zar
Dorf, Schatzbildung in
Moskau, autonome Versorgung im Lande. Es
entstand kein Lehen, sondern ein
jederzeit kündbarer Dienstadel, kein
individuelles Eigentum, sondern
Kollektivbesitz, keine vermögende,
handlungsfähige Mittelschicht, keine
Urbanität, kurz, was nicht oft genug
wiederholt werden kann: keine Dynamik
eines sich selbst verwertenden Kapitals.
Die Modernisierungswellen gingen über
das Land, ohne die Grundstruktur von
Zentrum und Dorf in Frage zu stellen;
Veränderungen vollzogen sich letztlich
als Revolutionen von oben, als Teilimport
westlicher Elemente, aber immer nur mit
dem Ergebnis der Auswechslung von
Personen. Selbst wo versucht wurde, die
Grundstruktur der kollektiven
Selbstversorgung anzutasten, wie unter
Nikolaus II. Anfang des 20. Jahrhunderts,
kam das Gegenteil zustande. Sein
Ministerpräsident Stolypin provozierte
als Reformer den bäuerlichen Widerstand;
auch die Bolschewiki, die das Land danach
gewaltsam industrialisierten, machten
doch die Selbstversorgung zugleich zur
Grundeinheit des Staates, überwacht von
einem wiederhergestellten Zentralismus.
Der
Stolypinsche Kragen
ob er aber über
Oberammergau ...
In den Umwälzungen am Ende des 19. und
Anfang des 20. Jahrhunderts prallten
asiatische und europäische
Produktionsweise in Gestalt des von
Europa ausgehenden Imperialismus und der
bäuerlichen Realität Russlands
besonders hart aufeinander. Die
Revolution von 1905, ebenso wie die von
1917 waren Ausdruck dieser Entwicklung.
In seinem Feldzug gegen die
Selbstgenügsamkeit der
Òbschtschina wollte Stolypin
die Fortsetzung der von Peter I.
begonnenen Industrialisierung erzwingen.
Die Dorfgemeinschaften sollten in
Wirtschaften privater Großbauern
überführt werden, die
überflüssigen Mitglieder
der Dorfgemeinschaft sollten als Arbeiter
in die Städte gehen. Am
Stolypinschen Kragen, wie der
Strick des Galgens von der Bevölkerung
damals getauft wurde, endeten tausende
von Bauern, die dieser Politik nicht
folgen wollten aber ihr Opfer
dokumentierte auch das Scheitern der
Stolypinschen Politik.
Zaren-System auf
neuem Niveau
oder aber über
Unterammergau ...
Die Bolschewistische Revolution
wiederholte den Stolypinschen Versuch im
größeren Maßstab. Lenins Sieg über
den Zarismus lebte einerseits von seinem
Versprechen, jedem Bauern ein Stück Land
zu geben. Gleichzeitig leitete er die
Industrialisierung der Landwirtschaft
ein; Stalin setzte sie gewaltsam fort und
verwandelte die kollektive Tradition des
Landes zugleich in einen allgemeinen
Zwangskollektivismus auf dem Lande wie in
der Industrie. Wer sich weigerte oder
angeblich im Wege stand, wurde deportiert
oder liquidiert. Aus dem agrarischen
Despotismus des Zarentums wurde so ein
planmäßiger industrieller Despotismus.
Was zwischen 1905 und 1930 geschah, war
aber dennoch kein Aufschließen zum
Kapitalismus nach dem Etappenmodell von
Marx und Engels. Die sowjetische
Gesellschaft übersprang nicht etwa nur
einfach den Kapitalismus, um gleich zum
Sozialismus überzugehen, sie entwickelte
vielmehr eine andere Art der
Kapitalisierung, nämlich eine
Kapitalisierung des Gemeineigentums unter
Führung der bolschewistisch erneuerten
Bürokratie. Das geschah als
Kollektivierung der Landwirtschaft, als
Organisation kollektiven Lebens rund um
die Betriebe und Institute, als
Erneuerung der Einheit von
Selbstherrschaft und Dorf in der Form von
Parteiführer und Volk, indem
Gemeineigentum als Staatseigentum
definiert wurde.
Im Kern stellten sich die Strukturen der
Zarenzeit auf neuem Niveau wieder her:
keine Selbstverwertungsdynamik privaten
Kapitals, Herrschaft nicht durch Geld,
sondern durch zentral vorgegebene Ziele.
Diese Konstellation wie schon
frühere Konstellationen der russischen
Lebensweise wäre auf langfristige
Stabilität, in westlicher Diktion
Stagnation angelegt
gewesen, wenn sie nicht dies
allerdings stärker als früher
mit dem europäischen Kapitalismus in
seiner imperialistischen Phase
zusammengestoßen wäre. So ergab sich
eine Konfrontation von prinzipiellem
Charakter und historischen Ausmaßen:
Selbstversorgung gegen Selbstverwertung
des Kapitals und Selbstgenügsamkeit
gegen konsumistische Expansion.
Russische
Modernisierungsschübe
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
Für den Ablauf russischer
Modernisierungsschübe heißt dies alles:
es gelten offensichtlich Regeln, die sich
aus der unterschiedlichen Natur von
asiatischer und europäischer
Produktionsweise erklären. Sie lassen
sich nach drei Phasen gliedern:
>Phase eins: Zusammenbruch nach langer
Stabilität, bzw. Stagnation
>Phase zwei: Eintritt einer verwirrten
Zeit, russisch: Smuta=
Zerfall der herrschenden bürokratischen
Schicht
>Phase drei: Wiederherstellung des
Konsenses dieser Schicht unter Hinzunahme
von einzelnen Elementen der europäischen
/ westlichen Wirtschafts- und Lebensweise
auf neuem technisch-zivilisatorischen
Niveau.
Die Struktur: Zentrum
Peripherie bleibt jedoch als
Kernform erhalten. So war es bei und nach
Peter I., so während des Ersten.
Weltkriegs und danach, so ist es heute.
Stau-Auflösung:
Perestroika und
Glasnost
ob er aber über
Oberammergau ...
Vor dem Hintergrund dieser Regeln werden
die heutigen Abläufe erkennbar: Unter
der Decke der gemeinwirtschaftlichen
Ordnung der Sowjetunion waren im Laufe
der 70er Jahre seit 1917
gegliedert in mehrere Etappen, versteht
sich, die hier nicht im Detail
auszuführen sind individuelle und
regionale Qualifikationen herangewachsen,
die nach Verwirklichung drängten.
Gorbatschows Perestroika
(Umgestaltung) und
Glasnost
(Transparenz) waren nicht die
Ursache für neue Initiativen, sie waren
der Ausdruck, das grüne Licht für eine
schon lange befahrene Straße, auf der
sich der Verkehr bereits gefährlich
staute.
Nach dem 17. Juli 1953 in der DDR, dem
Aufstand in Ungarn 1956, dem Bau der
Mauer 1961 war der Prager Frühling 1968
schließlich ein unübersehbares Zeichen;
er zeigte aber auch, daß die sowjetische
Staatsbürokratie noch nicht reif für
die Smuta war.
Das Auftreten Michail Gorbatschows Anfang
der 80er Jahre signalisierte die
Bereitschaft der Führung der KPdSU zu
einer der in der russisch-sowjetischen
Geschichte üblichen Reformen von oben:
Perestroika zielte auf eine
gelenkte Befreiung der herangewachsenen
Potentiale privaten Interesses im Rahmen
der gemeinwirtschaftlichen Ordnung, ohne
diese insgesamt aufheben zu wollen. Es
ging um eine Effektivierung dieser
Ordnung der kapitalisierten
Gemeinwirtschaft, nicht um deren
Abschaffung, nicht um die Einführung
einer privatwirtschaftlichen Ordnung,
auch nicht um die Verwandlung des
asiatischen Typs der Produktion in den
europäisch-westlichen.
Beschleunigter
allgemeiner Zerfall
oder aber über
Unterammergau ...
Die herrschende Bürokratie der
Sowjetunion hatte jedoch das Ausmaß der
bereits erreichten Individualisierung und
Privatisierung des Denkens und Wollens,
sowie die Dynamik der regionalen
Entwicklungen unterschätzt, so daß die
Lockerung der staatlichen Vorgaben zu
einem sich beschleunigenden allgemeinen
Zerfall führte. Der Druck der Anpassung
an die umgebende Welt war einfach zu
groß, um ihn kanalisieren zu können,
die technische Revolution der neu
entstehenden globalen
Kommunikationsstruktur als Einwirkung von
außen nicht von heute aus
gesehen: noch nicht wieder
beherrschbar. Mittel der Abschottung und
Kontrolle der neuen Medien waren noch
nicht zur Hand. Man könnte sagen, die
Moskauer Bürokratie wurde von der
Computerisierung überrannt. Boris Jelzin
und seine ganz an den äußeren
Einflüssen orientierten Reformer waren
der Ausdruck dieser Dynamik die
sich dann im Schockprogramm Luft machte,
das die Umwälzung innerhalb von zwei
Jahren schaffen wollte.
Die Restauration des
Staates
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
Die Restauration des Staates unter Putin
ist der konsequente nächste Schritt,
dessen Inhalt darin besteht, die
nach-sowjetische gemeinwirtschaftliche
Produktions- und Lebensweise unter
Einbeziehung westlicher Impulse und nach
dem Abstoßen ineffektiver Ballaste im
Lande wie an seinen Außenbereichen auf
einem neuen Niveau wieder funktionsfähig
zu machen.
Nicht Nachvollzug, nicht Übernahme der
europäisch-westlichen Produktions- und
Lebensweise ist der Inhalt der
nach-sowjetischen und heutigen russischen
Transformation, sondern die
Effektivierung des
nicht-privatkapitalistischen Weges mit
Mitteln des Privatkapitalismus.
Was dabei herauskommen wird, ist
selbstverständlich offen auf
keinen Fall aber eine einfache Übernahme
des uns bekannten Kapitalismus mit der
ihm immanenten Selbstverwertungslogik des
Kapitals, auf keinen Fall nur ein
Nachvollzug westlicher Muster, auf keinen
Fall nur eine Einordnung in das
neo-liberale Fortschritts- und
Wachstumsschema der Globalisierung,
sondern die Entstehung einer anderen als
der auf Privateigentum basierenden
Kultur, die westliche und traditionell
russische Elemente zusammenführt, eine
Entwicklung also, die Elemente der
zentralistischen gemeineigentümlichen
Ordnung mit privateigentümlichen
Freiheiten zu verbinden sucht.
Die
widersprüchlichen Elemente
ob er aber über
Oberammergau ...
Öffnung für internationale
Investitionen, Beitrittsabsichten zur WTO
(Welthandelsorganisation) und Angleichung
an deren Standards sowie Front mit den
U.S.A. gegen internationalen Terror auf
der einen Seite; dem steht die
Beibehaltung von Staatskapital und
staatlichem Zugriff auf Ressourcen, die
erklärte Absicht, Subventionen für die
eigene Landwirtschaft beizubehalten und
der Anspruch auf eine Integrationsrolle
Russlands für die Völker der russischen
Föderation und Eurasiens mit Auswirkung
auf die globale Ordnung gegenüber.
Klar gesprochen: Russland wird sich nicht
in eine von den U.S.A. und der
EU-beherrschte Globalisierung
eingliedern, es wird seine
Sonderrolle nach wie vor
wahrnehmen, was nichts anderes bedeutet,
als für die Länder, die wie es selbst
von der asiatischen Produktionsweise
herkommen, eine Impuls- und
Führungsrolle gegen den
unipolaren
Herrschaftsanspruch der U.S.A. und für
eine multipolare kooperative
Weltordnung einzunehmen.
Russlands Vorteile
oder aber über
Unterammergau ...
Entscheidend ist daran sei hier
noch einmal erinnert: Russland kann sich
diese Rolle leisten, weil es aus seiner
Geschichte die doppelte Autarkie
mitbringt: die Unabhängigkeit in den
natürlichen Ressourcen und die Tradition
der Eigen- und Selbstversorgung in der
Bevölkerung.
Russland wird dann stark sein, wenn es
seinen staatlichen Griff auf die
Ressourcen behält, statt den Markt
freizugeben; wenn es seine
Tradition der Selbst- und
Eigenversorgung, das heißt, die nicht
monetäre Sphäre trotz
Privatisierung weiterhin schützt und
entwickelt.
Jede Liberalisierung des
Welt-Ressourcenmarktes dagegen wie auch
jede Verdrängung und Zerstörung der
traditionellen Selbst- und
Eigenversorgungsstrukturen durch
forcierte Monetarisierung
wird Russlands Sonderrolle schwächen und
seine Identität tendenziell zerstören.
Erfolg oder Misserfolg russischer
Politik, innen- wie außenpolitisch,
misst sich an diesen Vorgaben.
Russland als
Interventionskandidat
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
Diese Kräftelage macht deutlich, worum
es bei internationalen
Auseinandersetzungen auf dem Feld der
WTO, des neuaufgelegten Great
Game wie auch in der
Militärpolitik geht: Es geht zunächst
darum Russland von der Verfügungsgewalt
über seine natürlichen Ressourcen zu
trennen. Hieran sind vor allem die
U.S.A., die EU, Japan, aber auch China
und weitere ressourcen-abhängige Staaten
interessiert. Das trifft sogar dann noch
zu, wenn wir nicht nur über Gas und Öl,
sondern auch über erneuerbare Energien
oder Energien aus Naturkräften wie Wind,
Wasser, Sonne sprechen. Selbst neue
Verfahren der Energiegewinnung, wie OPV
(Organische Photovoltaik), die jetzt am
Horizont auftauchen, sind in diese
Perspektive mit eingeschlossen, solange
auch dafür eine Kunststoffbasis beruhend
auf Öl gebraucht wird.
Es geht des Weiteren um politische
Interventionen, die Russland daran
hindern sollen auf Grund offener
Bündnispolitik Führer oder Impulsgeber
einer neuen multipolaren
Ordnung zu werden. Nicht zuletzt
geht es darum, Russlands traditionelle
Kultur und die konkrete wirtschaftliche
Struktur der Selbst- und Eigenverssorgung
zugunsten einer globalisierten
Fremdversorgung zu zerstören,
Abhängigkeiten vom internationalen
Markt herzustellen, Russland in den
globalen Freihandel
einzubeziehen, wie es von der
EU strategisch formuliert wird. Hierhin
gehören auch innenpolitische
Interventionen, die eine Sozial- und
Kulturpolitik fordern, die den Markt im
Lande unausweichlich und die Menschen vom
Konsum abhängig macht.
Zukünftige
Konfliktfelder
ob er aber über
Oberammergau ...
Der Kampf um Öl, Gas, erneuerbare
Energien usw., sind Auseinandersetzungen
in der WTO und um sie herum. Da geht es
um Zulässigkeit und Umfang von
Subventionen, um Protektionismus.
Neuerdings beginnt die EU allen
Freihandelsanforderungen gegenüber
anderen Ländern, vor allem gegenüber
Russland, zum Trotz, sich selbst vor der
Anlage russischer Gelder in Europa zu
schützen. Innenpolitisch
steht forcierte Monetarisierung auf der
Agenda, gegen Selbstversorgung,
Selbstgenügsamkeit und
traditionelle Tauschgewohnheiten.
Wird Putins Politik unter diesen
Gesichtspunkten sachlich überprüft,
dann lässt sich erkennen, daß er der
richtige Mann zur richtigen Zeit am
richtigen Ort war. Die Ergebnisse seiner
Politik bringen selbst radikale Kritiker
der russischen Neu-Linken wie Boris
Kagarlitzki zu der Aussage, Putin dürfe
sich als erfolgreichster Herrscher
Russlands betrachten, dessen Politik nur
den einen Fehler habe, daß das Erreichte
nicht gerecht verteilt werde. Auch
außenpolitisch sei das erfolgreiche
internationale Comeback
unübersehbar. Dem ist zuzustimmen, wenn
man nicht in bloße Kritikasterei á la
Kasparow, Nemzow und anderen russischen
Ultraliberalen verfallen will, die zum
Liberalismus der Jelzin-Ära
zurückkehren wollen.
Russlands
Neo-Imperialismus?
oder aber über
Unterammergau ...
Es wird von einem Neo-Imperialismus
Russlands gesprochen, ohne zu
berücksichtigen, daß das zaristische
Russland und selbst noch die Sowjetunion
nicht vom Imperialismus westlichen Typs
geprägt war. Russlands vorsowjetische
Expansion, ebenso die der Sowjetunion war
vorrangig politisch motiviert, erst in
zweiter Linie ökonomisch; sie war im
Wesen integrativ, adaptiv, statt
überseeisch kolonial. Es wird nicht
verstanden, daß auch das heutige
Russland nicht von dem
Selbstverwertungsdruck des Kapitals zu
imperialer Expansion getrieben, selbst
aus Gründen der Ressourcensicherung
nicht zu imperialen Aktivitäten
gedrängt wird, daß es vielmehr aus
politischer Motivation der
Selbstberuhigung und des Selbstschutzes
danach strebt, Impulsgeber einer
multipolaren Ordnung zu sein,
in der es seine Art weiter pflegen kann.
Selbst ein schwerwiegender Öl- oder
Gas-Knick könnte Russland nicht von sich
aus in Abenteuer treiben; eine
zukünftige Öl- oder Gas-Krise würde
seine Autarkie nicht brechen, sondern sie
erst recht zur Wirkung bringen.
Destabilisierung
Russlands?
Der Russe kommt, der Russe
kommt ...
Unter all diesen Bedingungen haben die
Westmächte, wenn sie Russland fürchten
und klein halten wollen, statt ein
starkes Russland als Chance für einen
zukünftigen Weltfrieden zu begreifen,
nur wenige Optionen: Sie könnten
versuchen, Russland zu zwingen, sich dem
Weltmarkt anzuhängen, und so in die
innenpolitische Krise treiben, um
Russlands Kraft auf diese Weise von innen
zu brechen. Sie könnten versuchen,
Russland in einen Rüstungswettlauf zu
treiben und so zu ruinieren und in
Kleinkriege an seinen Grenzen zu
verwickeln , wie sie in Tschetschenien
und im Kaukasus bereits entstanden sind.
Sie könnten schließlich Russland direkt
mit Krieg überziehen.
Letztlich ist keine dieser Optionen
realistisch, solange politische Vernunft
das strategische Handeln bestimmt: Eine
erneute Destabilisierung Russlands auf
dem jetzigen Niveau wäre gleichbedeutend
mit einer Destabilisierung des
Weltmarktes und der internationalen
Beziehungen. Eine direkte militärische
Zerstörung Russlands, die mehr bewirken
sollte als nur eine vorübergehende
Lähmung des Landes auf dem Niveau der
Selbstversorgung wäre angesichts
atomarer Bewaffnung der möglichen
Kontrahenten gleichbedeutend mit einer
Zerstörung der Welt. Daran können
selbst größenwahnsinnige
Noch-Hegemonisten kein Interesse haben.
Was außerhalb rationaler Interessen
geschieht, ist eine andere Frage, über
die zu spekulieren keinen Sinn macht.
Erst mal danke an die
Biermösl Blosn, ich
hoff, die haben hier noch ein
kühles Bier für euch ... nicht?
Eiskiste leer ... Bier alle?
Und der Russe kommt auch nicht?
George Kennan, der alte
Kommunistenfresser, war ja in seiner
missverstandenen Analyse von 1946 davon
ausgegangen, daß sich die Russen nach
einiger Zeit von selber aus den nach dem
Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten
Mittel- und Osteuropas zurückziehen
würden, anschliessend gefolgt von den
Amerikanern.
Das ist durch Interessen verhindert
worden, deren historische Kontiuität und
ökonomische Vielfalt während dieser
Zugfahrt von euch immer mehr in den
Mittelpunkt gerückt worden sind. Dabei
habt ihr offenbar ein paar Adressen schon
mit Namen versehen: Rockefeller, hörte
ich, Kissinger hörte ich, Col. House und
der Council on Foreign
Relations ... Als ich die Einladung
auf diese rollende Bühne erhielt, dachte
ich, na ja, du bist schon in schlechterer
Gesellschaft gewesen, drück dich nicht!
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