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TAZARA ... mit der Eisenbahn durch die Weltgeschichte © KJS / 2009 - 2021

Der Spielleiter

Station 3  



Doch wenn sie nicht aufgeschrieben werden, diese Geschichten, wird niemand von ihnen erfahren, und niemand wird aus ihnen lernen! ... Ich kann das, ich kann sie aufschreiben — Wort für Wort — ich brachte dieses Wissen nach Afrika ...
Bis dahin konnte alles, was gesagt wurde, nur weitererzählt werden, in immer neuen Varianten — zuerst von denen, die dabei gewesen waren, dann von denen, die davon gehört hatten — immer auf’s Neue ausgeschmückt, verkürzt, erweitert, je nach Interessenlage oder Erinnerungsvermögen ...

Als ich Europa verliess — 1882 — funktionierte die Methode, eine wörtliche Rede unmissverständlich für alle Zeiten festzuhalten, ohne Strom und ohne Maschine!
Ich brachte sie in meinem sechzehn Jahre alten Kopf nach Afrika, zuerst über See mit der „Drummond Castle“ von England, dann über Land mit der Eisenbahn nach Natal.
Die Bahnlinie zwischen dem Hafen von Durban und Natals Hauptstadt Pietermaritzburg war damals die längste auf dem Kontinent — vierundfünfzig Meilen!

1 Mit acht Jahren hatte ich meine Eltern verloren. Das brachte meinen Grossvater auf den Plan, der mich in eine Welt einführte, die nach Druckerschwärze roch und die Fleet Street hiess. Grossvater schaffte es irgendwie, daß mich die Gilde der Londoner Zeitungsdrucker nach Brügge in Belgien schickte, wo ich in einem Konvent nicht nur Flämisch und Französisch lernte, sondern mein Interesse geweckt wurde, alles was ich sah und hörte, grafisch im Kupferstich festzuhalten — nicht als Künstler, nein als Reporter!
Als ich vier Jahre später nach London zurückkehrte, war dort gerade die neueste Erfindung zum Festhalten des gesprochenen Wortes das grosse Wunder innerhalb der Geschäftswelt.
Die Schreibmaschine war noch nicht eingeführt, in den Druckereien gab es noch keine Setzmaschinen, ganz zu schweigen vom Phonographen oder anderen mechanischen oder elektrischen Aufzeichnungsgeräten. Aus dem Gedächtnis oder aus ein paar aufgeschriebenen Stichworten mussten Reporter zusammenfassen, was in den handgesetzten Druck ging.
Ich lernte Pitman’s Shorthand — und machte die Erfahrung, daß diese neue Fertigkeit so begehrt war, daß mich — den blutjungen Protestanten — ein katholisches Wochenblatt als Reporter einstellte, The Tablet. Und bald war ich ausersehen für die ehrenvolle Aufgabe, die Reden der Parlamentsabgeordneten aufzuzeichnen — was mich schliesslich an’s andere Ende der Welt bringen sollte!
Von dort war der Ehrenwerte Mr. Harry Escombe zu Gast in London. Eines Tages stand er hinter mir als ich gerade aus den Strichkürzeln einen Redetext rekonstruierte.
„Was, um Himmels willen, sollen diese Kritzel, mein Junge?“ fragte er.
„Pitman’s Kurzschrift-Symbole, mein Herr“, antwortete ich. „Ich übertrage eine Rede, die an diesem Nachmittag im Parlament gehalten wurde.“
„Du musst fix sein im Zusammenfassen!“
„Oh nein, mein Herr. Ich fasse nicht zusammen. Das macht später der Redakteur. Ich notiere nur das, was der Redner sagt, und später schreibe ich alles säuberlich auf.“
„Aber doch nicht Wort für Wort?“
„Doch, mein Herr, Wort für Wort!“
„Bemerkenswert“, murmelte der Fremde, „höchst bemerkenswert ...“
Ein paar Tage später war er wieder da, fragte mich aus, über meine Familie, über das, was ich gelernt hatte, und dann sagte er: „Wie fändest du es, mein Junge, wenn du für uns in Natal arbeiten würdest?“
„Oh, mein Herr ...“ stotterte ich, „das würde ich sehr gerne!“
„Gut! Es ist ein tolles Land für einen Burschen wie dich. Ich bin sehr beeindruckt von deiner Shorthand-Kunst. Es ist ganz wichtig, eine wörtliche Aufzeichnung von Regierungsverhandlungen zu haben. Ich möchte, daß du nach Südafrika kommst, um als Reporter im Legislative Council von Natal zu arbeiten. Ich gehöre diesem Rat an ... Du musst dich nicht gleich entscheiden, geh nach Hause, denk darüber nach!“

Im Jahr 1882 war Durban noch im Wachsen begriffen, verstreute Ansiedlungen zogen sich von den grünen Berghängen hinunter zum sandigen Küstensaum. Die Hafenanlagen wurden erst angelegt. Die „Drummond Castle“ ankerte in der Bucht, und wir Passagiere wurden in einer Art Wäschekorb hinuntergelassen auf das Deck einer Dampfbarkasse namens „Melrose“.
Ich hatte kein Geld für eine Übernachtung, es reichte gerade noch für den Zug an’s Ende der Welt, wie ich sie bis dahin kannte.
Vom schmalen Küstenstreifen wand sich der Schienenstrang bald in die Berge, gelegentlich entlang von Nestern bienenkorbählicher Grashütten, den Behausungen der Zulu, die nach verlustreichen Kämpfen ihr Heimatrecht an die vom Kap kommenden weissen Voortrekker verloren hatten. Am Fluss Umsindusi, an einem Platz, den die Zulus Umgungundhlovu — „Besieger des Elefanten“ — nannten, hatten die Trekker vor fünfundvierzig Jahren jenes Pietermaritzburg gegründet, in das ich nun einzog, um auf Einladung eines ihrer Mitglieder die Reden in der Ratgebenden Versammlung Wort für Wort zu notieren.
Zu jener Zeit endeten mit der Eisenbahn in Pietermaritzburg die Errungenschaften der modernen Zivilisation, Reisende, die weiter wollten in den Norden des Kontinents, konnten dies nur per Kutsche, mit dem Ochsenkarren, zu Pferde oder zu Fuss.
Die Fahrt mit der Eisenbahn von Durban an den Ort meines künftigen Wirkens am Rande der Wildnis Afrikas war es, die mich jener Grenze bewusst werden liess, die Ehrgeiz überwinden kann, wenn er sich des Erfindergeistes bedient.
Erst als es zu spät war, machte ich die Erfahrung, daß grenzenloser Erfindergeist grenzenlosen Ehrgeiz nach sich zieht — und daß alles Wachstum Grenzen hat.

Ich schaue mich um, hier in dieser Halle voller Staub und voller Rost, und ich erinnere mich: Eisenbahn und Kurzschrift waren die Schlüssel für meine persönliche Entwicklung und für alle Entwicklung, die ich half, der Wildnis abzuringen.
Das Ergebnis von Denken und Handeln war dabei bestimmt von dem, was Kopf und Hand tatsächlich leisten können, von dem also, was jedermann verstehen und — mit ein bisschen Übung — selber nachvollziehen konnte.
Wer wollte, konnte sich schlau machen aus zuverlässiger Aufzeichnung des gesprochenen Wortes — und den kurzen Beinen von Lügnern selber auf die Schliche kommen.
Oder er konnte das Prinzip des Dampfkessels in der Eisenbahn-Lokomotive für den Antrieb eigener Räderwerke erkunden — für Traktoren im Zuckerrohrfeld, für Pumpen im Bergbau, für Mühlen oder für Schmieden — alles Maschinen, deren Funktion begreifbar blieb — im Wortsinne: mit der Hand (und einem geeigneten Werkzeug) war jedes Teil ersetzbar oder zu verbessern.
Immer weniger Menschen kennen sich aus in der Matrix stromgetriebener Maschinen. Immer mehr Menschen sind gezwungen, sie zu nutzen ohne sie zu begreifen.
Mit dem Strom kam nicht bloss die Entmachtung des Rades, sondern auch die Einschränkung der persönlichen Freiheit, zu überprüfen und nachzuvollziehen.
Die Spuren digitaler Chiffren auf flickernden Bildschirmen führen in eine Scheinwelt, manipuliert durch spezialisierte Handlanger altersloser Nutzniesser von Konflikten in der wirklichen Welt.
Jetzt, da der Strom das Rad degradiert hat zum stumpfen Lasten-Roboter, haben Eisenbahnen bald ausgedient als Symbole imperialen Strebens; Industriemagnaten und Devisenspekulanten nehmen Besitz von den digitalen Chiffren, die in der Erscheinung des Internet bloss vorgaukeln, sie dienten der Freiheit individueller Kommunikation.
Oh, ich folge ihren Spuren, sie werden mir nahekommen als meine nächtlichen Gäste auf dieser rollenden Bühne. Ich werde ihnen zuhören, und ich werde alles notieren, mit diesem Bleistift hier, während meine spezialisierten Handlanger im globalen Archiv des strombetriebenen Netzes mit erstaunlichen Erfolgen nach Zitaten ihrer aufgeschriebenen Geschichte suchen.
Doch ich traue diesen käuflichen Surfern nicht. Ich traue nicht ihren Funden, die mir vielleicht ein „X“ für ein „U“ vormachen.
Wenn ich den Computer abschalte, spiegelt der dunkle Monitor mein eigenes Gesicht, alterslos ... dann beuge ich mich wieder über meinen Schreibblock und notiere ...

„Oh nein, mein Herr. Ich fasse nicht zusammen. Das macht später der Redakteur. Ich notiere nur das, was der Redner sagt, und später schreibe ich alles säuberlich auf.“

1 Mit dem Zug von Durban war zwölf Jahre vor mir, im September 1870, ein anderer Junge in Pietermaritzburg angekommen, der Sohn eines Pfarrers im englischen Bishop’s Stortford. Zu der Zeit war er siebzehn, nur ein Jahr älter als ich bei meiner Ankunft.
Er war aus gesundheitlichen Gründen zu seinem Bruder nach Südafrika geschickt worden, schon als Kind hatte er unter Tuberkulose gelitten. Doch Südafrika schien seiner Gesundheit nicht weiterzuhelfen, zwei Jahre nach seiner Ankunft erlitt er einen leichten Herzinfarkt.
Wäre der Junge damals, im Jahr 1872, dieser Herzschwäche zum Opfer gefallen, nicht bloss Afrikas Geschichte wäre anders verlaufen, und der grosse imperiale Traum von einer durchgehenden Eisenbahnverbindung vom Kap bis nach Kairo wäre nicht einmal im Ansatz geträumt worden.
Doch der Junge war kein Träumer, der Junge war Cecil John Rhodes ...

TEST — TEST — TEST!!!

Die Afrikaner aus Faulheit und Müßiggang herauszuholen und ihnen freundliche Anreize zu geben, um hervorzukommen und die Würde der Arbeit zu erkennen.

Ein Rhodes-Zitat vom flackernden Bildschirm!
Die Internet-Verbindung steht!
Das Arrangement ist getroffen!
Regie und Helfer sind bereit!
Mein Bleistift ist gespitzt!
Der Zug ist abgefahren!
Es gilt das gesprochene Wort!




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