Karl May, der Ich-Erzähler, ist
zu Beginn seiner Winnetou-Romane noch
nicht Old Shatterhand, sondern ein aus
Europa eingewanderter Hauslehrer in St.
Louis, der erst später im Wilden Westen
als Surveyor anheuert, als Landvermesser
beim Eisenbahnbau.
Das Land, das er vermisst, gehört den
Indianern. Er trägt dazu bei, daß ihnen
die Folgen der aus Europa herüber
schwappenden industriellen Revolution
aufgezwungen werden. Als er Winnetou
kennenlernt und durch ihn das indianische
Leben, wird sein Henry-Stutzen, der
ebenfalls Ergebnis industriellen
Erfindergeistes ist, Instrument zur
Durchsetzung von Gerechtigkeit. Das kann
dieses moderne Gewehr nur, weil er zuvor
den Hersteller dazu verpflichtet hat, es
nicht in Serie herzustellen.
18 Seine
einmalige Existenz und der mit ihm von
Old Shatterhand virtuos exerzierte
Abschreckungseffekt verhindert in
Prärien (und Wüsten gleichermassen) das
befürchtete Blutvergiessen. Sämtliche
Versuche der Gegenspieler des Helden, den
Stutzen für ihre Zwecke und Ziele zu
missbrauchen, sind von Anfang an zum
Scheitern verurteilt.
Sie verstehen nicht, mit dem Gewehr
umzugehen, dank dem komplizierten
Bedienungsmechanismus, den nur einer
kennt: Old Shatterhand.
Soweit Karl Mays virtueller
Beitrag zum Überlebenskampf der
Indianer; bei Karl Marx hätte die
Geschichte wahrscheinlich anders
ausgesehen, bei dem kommen aber keine
Indianer vor.
Sorry! Der alte Witz war fällig.
Mr. Henry würden Sie uns nun bitte
erzählen, wie es weitergegangen ist mit
Ihrer Erfindung in der realen
Welt?
Gewehre waren zu meiner Zeit noch
Vorderlader, das heißt, daß die
Munition von vorne durch den Lauf
geschoben werden musste, eine mühsame
und nicht ganz ungefährliche Prozedur.
Büffeljagd in industriellem Ausmass
wäre damit nicht möglich gewesen, da
gebe ich Ihnen schon recht. Aber Ihr Karl
May, mit seiner Warnung vor der
Serienherstellung automatischer Gewehre,
war wohl auch erst hinterher schlauer ...
Damals wurde ich auf die ersten
Versuche mit Hinterlader-Gewehren und mit
Metallpatronen aufmerksam. Auf deren
Basis begann ich mit der Konstruktion
eines neuen Repetiergewehrs.
Der Verschluss wurde horizontal durch den
verlängerten und zum Handschutz
umgeformten Abzugsbügel vor- und
zurückbewegt. Dadurch wird ein
außenliegender Hahn niedergedrückt und
gespannt. Die leere Patronenhülse wird
dabei ausgeworfen. Ich verwendete eine
selbst entwickelte Randfeuerpatrone im
Kaliber 44 mit Hülse. Das Magazin, das
in den Lauf integriert war, konnte
fünfzehn Patronen hintereinander
aufnehmen. Ihr Karl May hat also damit
niemals wie er behauptete
fünfundzwanzig Mal hintereinander
schiessen können, und was er Stutzen
nennt, nannte ich Rifle.
Als die Waffe auf den Markt kam,
herrschte bei uns gerade Bürgerkrieg und
der löste eine gewaltige Nachfrage aus.
Von 1860 bis 1866 wurden rund
vierzehntausend Henry-Rifles hergestellt.
1861 ging ich eine Partnerschaft mit dem
Textilfabrikanten Oliver Winchester ein,
weil ich selber mehr Tüftler und weniger
Geschäftsmann war. Winchester nahm die
Waffe in sein Sortiment auf und vertrieb
die Konstruktion zusammen mit
Arbeitskleidern und Hemden unter seinem
eigenen Namen. In unserer gemeinsamen
Firma trat der Name Henry-Rifle
schließlich in den Hintergrund, ebenso
wie übrigens die Hemdenproduktion. 1866
wurde die Firma in Winchester Repeating
Arms Company umbenannt und neu
organisiert.
Der Waffentyp wurde ständig verbessert,
und das brachte uns üppige Gewinne. Das
erste Winchester-Gewehr war das Modell
1866, eine gründliche Überarbeitung
meiner Erfindung. Die Modelle 1866 und
1873 brachten den eigentlichen
Durchbruch. Dabei blieben die erhofften
Aufträge der U.S.-Armee nach dem Ende
des Bürgerkrieges aus. Winchester blieb
nichts anderes übrig, als Waffen zu
exportieren. Ab 1870 lieferte er rund
fünzigtausend 1866er Gewehre und
Karabiner in die Türkei.
Bei uns in der Neuen Welt konnten sich
damals die wenigsten solch eine Waffe
leisten. 1878 kostete ein Modell 1866
zwanzig Dollar und ein 76er Jagdgewehr
sogar fünfunddreissig Dollar, wobei ein
Cowboy damals nur etwa dreissig Dollar im
Monat verdiente.
Die 1866 war durch den blankpolierten
Messingkasten von weitem sichtbar und
wurde deshalb als Yellow Boy bezeichnet.
Sie war trotz des hohen Preises so
populär, daß sie über dreissig Jahre
lang auf dem Produktionsplan von
Winchester stand. Natürlich gab es in
dieser langen Zeit verschiedene
Varianten: Vom Carabine über die
Sporting Rifles bis hin zur Muskete.
Schließlich wurde sie nur noch von einer
Berühmtheit übertroffen, der 1873, die
sogar zu Filmehren gelangte ...
Halt! Das wollen wir uns
anschauen, denn tatsächlich gilt dieser
Film mit James Stewart in der Hauptrolle
als Startpunkt der wirtschaftlich und
künstlerisch erfolgreichen Epoche des
amerikanischen Westernkinos.
REGIE! BITTE FILM AB!
WINCHESTER
73 
U.S.A. 1950
Regie: Anthony Mann
Darsteller: James Stewart, Shelley
Winters, Dun Duryea,
Stephen McNally, Millard Mitchell
Mit dem Banditen Dutch Henry Brown hat
Lin McAdam (James Stewart) noch eine alte
Rechnung offen. Außerdem will er ihm
eine Büchse abjagen: die legendäre
Winchester, Baujahr 1873. Diese hat ihm
Brown nach einem Preisschießen geraubt.
Bis zum furiosen Showdown wandert das
Gewehr durch viele Hände: vom
Waffenschmuggler Joe Lamont bis zum
Sioux-Häuptling Young Bull, aber
niemandem bringt es Glück.
Fritz Lang wählte für seine gerade neu
gegründete Produktionsfirma Diana
Production Company eine Geschichte
von Stuart N. Lake aus. Laut Lang war die
Haupthandlung des Filmes zu diesem
Zeitpunkt folgende: Ein Westerner
verliert sein Gewehr, eine Winchester
73, die für ihn der einzige
Lebensgrund und das Symbol seiner Stärke
war. Er muss diese Waffen finden oder
einen neuen Grund zum Leben finden. Er
muss seine verlorene Kraft
wiederfinden.
Die Handlung der Endfassung von
Winchester 73 beginnt
am 4. Juli 1876 dem hundertsten
Jahrestag der Unabhängigkeit der
Vereinigten Staaten. Die Besiedlung des
Wilden Westens durch europäische
Einwanderer ist fast abgeschlossen. Die
Städte an der ehemaligen
Frontier verfügen bereits
über ein politisches System, in dem der
Sheriff die Rechte der Bürger
verteidigt. Diese Ordnung wird von
Banditen bedroht, die in Winchester
73 durch die Banden von Dutch
Henry Brown und Waco Johnnie Dean
verkörpert werden. Gleichzeitig stellt
der Film aber die Bedrohung der
amerikanischen Siedler durch Indianer
dar, die im Jahr der Schlacht am
Little Bighorn aufgrund der
bereits begonnenen
Indianerumsiedlungs-Programme gerade akut
geworden war.
Besonders das Modell Winchester
73 der Repetiergewehre der
Winchester Repeating Arms
Company, das dem Film seinen Namen
gab, wurde dabei als the gun that
won the west das
Gewehr, das den Westen erobert hat
zum Synonym für die Besiedlung
des Westens.
Wissen Sie, die Modellreihe Eine
unter Tausend, die im Film die
Titel-Rolle spielt, wurde von Winchester
ab 1875 auf den Markt gebracht. Von allen
nach der Herstellung probegeschossenen
Läufen aus einem Fertigungslos von
jeweils tausend Stück wurden die am
präzisesten schiessenden ausgesucht und
in ein Gewehr eingebaut, das oben auf dem
Lauf die Gravur One of One Thousand
erhielt. Von dieser Serie wurden
einhundertsechsunddreissig Exemplare
gefertigt und zu einem Stückpreis von
einhundert Dollar verkauft ...
Was nach heutiger
Kaufkraft etwa fünfzehntausend Dollar
entspräche! Eines der ungefähr sechzig
noch erhaltenen Exemplare des Modells
1873 One of One Thousand hat
derzeit einen Sammlerwert von
einhundertfünfundzwanzigtausend Dollar.
Der Siegeszug der 73 begann
allerdings erst im Jahr 1878 richtig, als
Samuel Colt seinen Revolver ebenfalls im
Kaliber 44 auf den Markt brachte. Da die
wenigsten Cowboys mehrere Munitionssorten
mit sich herumtragen wollten, bedeutete
es einen großen Kaufanreiz, nun ein und
dasselbe Kaliber aus Revolver und Gewehr
verschießen zu können.
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