Genosse Trotzki, unser
deutscher Gymnasiast hier mit seiner
klassisch-humanistischen Bildung hat die
Erkenntnisse aus jenem schicksalhaften
Zug erst als älterer Herr literarisch
aufbereitet. Da hatte die Sonne dem
Ikarus die Flügel längst
versengt ...
Emiljewitsch, bleiben Sie doch noch, wir
wollen später noch die eine oder andere
Schnurre von Ihrer Begegnung mit Lenin
bei der Fahrt in die
Revolution hören ...
Seinerzeit konnten Sie nicht ahnen, daß
der Zug vierzig Millionen Goldmark an
Bord nehmen würde beim Aufenthalt
in Berlin, so heisst es vielleicht
aber schon auf dem Rastatter Nebengleis?
Aus jenem ominösen Hofzug? Vielleicht
waren deshalb die Waggons noch nicht
plombiert? Und die Insassen erwarteten
einen Geldkurier, keinen
abenteuerlustigen deutschen Gymnasiasten?
Das Geld habe aus der Kasse des Deutschen
Reiches gestammt, behaupten
Zeitgeschichtler. Es habe die
bolschewistische Revolution vorantreiben
sollen, in der Hoffnung, nach dem Umsturz
in Russland würde es zu einem
Separatfrieden kommen ... Unzweifelhaft
ist allerdings, daß Lenins Rückkehr
nach Russland dank deutscher
Weichenstellung stattfand.
Aber, es war nicht Lenin, der in
Russland für die blutige Niederschlagung
von Bauernaufständen verantwortlich war
sondern dieser Herr hier! Und was
war mit den Kronstätter Matrosen? ...
Sie waren 1921 Oberster Heerführer, Sie
haben doch den Aufstand jener Matrosen
niederschlagen lassen, die einst
Kerntruppe Ihrer Oktoberrevolution waren,
in der Festung Kronstadt vor Petersburg!
...
Petrograd, Mr. Rockefeller ... wir
nannten es Petrograd! ... Ansonsten
wissen Sie erstaunlich gut Bescheid! ...
Ich werde gleich auf meine Verantwortung
bei den Aufständen von Bauern und
Matrosen während der sowjetischen
Revolutionsjahre eingehen. Zuvor möchte
ich aber doch gerne vermitteln, wie gut
ich Bescheid weiss, nach meiner Zeit als
Reporter einer kommunistischen Zeitung an
der Ostseite der New Yorker City ...
... Ich war ein wissbegieriger Besucher
in Ihren öffentlichen Bibliotheken, ich
las alles, was mir unter die Augen kam,
vor allem, wenn es mit der Organisierung
des amerikanischen Wirtschaftssystems und
dessen Auswirkungen auf das Leben der
abhängig Beschäftigten zu tun hatte ...
da wäre es schwer gewesen, nicht dem
Namen Rockefeller zu begegnen!
Ich will erzählen, was ich mir
seinerzeit notierte ...
Ihr Vater, Mr.
Rockefeller, führte seit 1859
mit seinem Partner Clark eine
erfolgreiche Handelsfirma in Cleveland.
Hauptprodukte waren Getreide und Fleisch.
1862 sah er seine Chance im boomenden
Ölraffinerie-Business und gründete die
Firma Andrews, Clark & Company, die
einen rapiden Expansionskurs einschlug.
Um schneller wachsen zu können, zahlte
er schon 1865 seine Partner aus und
investierte alle Profite und Kredite in
den weiteren Ausbau.
Mit Hilfe seines Bruders William, der
später eine steile Karriere als Bankier
machte, und seinem lebenslangen
Geschäftspartner Henry Flagler gründete
er dann 1867 die Firma Rockefeller,
Andrews & Flagler, die schon im
folgenden Jahr zu den grössten
Raffinerien der Welt zählte ...
tazara tazara tazara ...
...
und auch in der Geschichte des
Rockefeller-Imperiums spielte die
Eisenbahn eine gewichtige Rolle.
REGIE!
Wir blenden gleich das Bild ein, meine
Herren, bei der nächsten
Tunnel-Durchfahrt nicht in Öl
gemalt, sondern ein historisches
Schwarz-Weiss-Foto, aufgenommen am 10.
Mai 1889, in Promontory Point im
U.S.-Bundesstaat Utah.
tazara tazara tazara ...
ACHTUNG
TUNNEL! ... PROJEKTION!
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Links mit breitem,
trichterförmigem Schornstein sehen wir
die eine Dampflok sie kam aus
Sacramento ... Rechts mit schmal
aufragender, eleganter Esse, sehen wir
die andere Dampflok sie kam aus
Omaha ...
Die pazifische und die atlantische Küste
der Vereinigten Staaten von Amerika waren
an diesem Tag zum ersten Mal durch eine
transkontinentale Eisenbahnlinie
verbunden ... zwei Honoratioren prosten
sich mit Sekt zu, zwei andere reichen
sich die Hände, und zwischen beiden Loks
etwa hundert Arbeiter, für die an diesem
Tag der Fotograf von der United Pacific
Railroad und seine Kamera wohl die
grössere Attraktion gewesen sein dürfte
...
Der Staat unterstützte den Eisenbahnbau
dadurch, daß er für jedes verlegte
Streckenstück einen entsprechenden
Zuschuss gewährte und ausserdem den
Bahngesellschaften Land entlang der
Bahnlinie schenkte ... so heisst es in
der offiziellen geschichtlichen
Darstellung ...
REGIE! ACHTUNG FILM AB!
SPIEL MIR DAS
LIED VOM TOD! 
Originaltitel: C'era una volta il
Wes"
Italien/U.S.A., 1968
Regie: Sergio Leone
Musik: Ennio Morricone
Film-Länge: 164 Min.
... Eine Bahnstation, irgendwo im Wilden
Westen: Drei Männer in langen Mänteln
warten auf einen Fahrgast. Ein Mann mit
einer Mundharmonika (Charles Bronson)
steigt aus, wechselt ein paar Worte mit
dem Trio und erschießt sie dann
alle ....
An einem anderen Ort im Westen wartet
gerade der Farmer Brett McBain (Frank
Wolff) darauf, daß seine Frau Jill
(Claudia Cardinale) eintrifft die
beiden haben erst vor kurzem in New
Orleans heimlich geheiratet. Da tauchen
auch bei McBain einige Männer mit langen
Mänteln auf und bereiten der Existenz
seiner gesamten Familie ein Ende ...
Die Männer im Mantel handeln
im Auftrag des Unternehmers Morton
(Gabriele Ferzetti). Der möchte noch
bevor die Knochen-Tuberkulose ihn völlig
zerfressen hat, eine Eisenbahnlinie bis
an den Pazifik gebaut haben McBain
und seine Farm standen ihm im Weg ...
... Es
gab also Anreize, so schnell und so viel
wie möglich Streckengleise zu verlegen.
So war es zu Beginn des Jahres 1869 dazu
gekommen, daß zwei Gesellschaften nahezu
parallele Gleise bauten, die einen von
Ost nach West und die anderen von West
nach Ost. Schliesslich einigten sie sich
darauf, die beiden Strecken in den
Hügeln am Grossen Salzsee in Utah zu
verbinden.
Das wurde mit einem symbolischen goldenen
Gleisnagel gefeiert.
Den sehen wir hier nicht im Bild, aber
niemand scheint ihn geklaut zu haben, der
Ort ist heute als Golden Spike National
Historic Site ausgewiesen.
Eine Reise mit der Bahn zwischen New York
und Sacramento dauerte übrigens rund
siebeneinhalb Tage ...
Aber bitte, Genosse Trotzki, fahren Sie
doch fort!
tazara tazara tazara ...
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