2 Den
Griff loslassen von der Gestalt, die vor
der Welt einen Namen trägt; die das
Bewusstsein durch gesellschaftlichen
Ehrgeiz und zügelnden Formwillen
aufgebaut hat.
Loslassen, um zu fallen, fallen in
blinder Hingabe vertrauend. Zu etwas
anderem, einem anderen
Gesteuert werden von dem, was lebt, wenn
wir nicht länger leben als Interessenten
oder Besserwisser.
Lauschen und sehen können bis zu dem in
uns, das im Dunkel ist.
Und schweigen ...
Aus
welchem Tunnel bist du zugestiegen, Dag?
Du christlicher Mystiker du
fernöstlicher Philosoph du
naturreligiöser Pantheist!
Hast du überhaupt eine Platzkarte? Und
hast du die fünfzig Dollar für das
Visum an der Grenze? Die willst du dir
verdienen, indem du aus deinem Testament
vorliest?
Ist ja mal eine originelle Idee!
Nimm Platz ...
Hey, will jemand Gedichte hören von
einem Verzagten, von einem Lebensmüden?
Von einem, der sich zerreiben liess im
afrikanischen Treibsand!
2
Warten,
wo man mich hinstellte
nackt an die Zielscheibe
genagelt von den ersten Pfeilen.
Aufs neue den Bogen gespannt,
Pfeilgeschwirre
vorbei?
Spielten sie?
Bebte die Hand?
Oder war es der Wind?
Was fürchte ich?
Wenn sie treffen
und töten,
was ist da zu beweinen?
Andere gingen voran.
Andere folgen.
Nein,
Dag, du warst nie wirklich ein Verzagter,
nie ein Lebensmüder du hast dir
deine Platzkarte längst verdient! Aber
bitte, schlag uns die Zeit tot,
lies vor aus deinen Kongo-Tagen ...
erzähl vom ...
2
...
Bösen, kriechend, schleichend, nagend
und aushöhlend, das dich wie Treibsand
zu ereilen versucht. Es hat den süssen
Geruch von Verfall, Niedergang und
geheuchelter Liebe, es verlangt nach
Mitgefühl und Sympathie und ruft nach
Hilfe, wenn es ihm nicht gelingt, andere
in seinen Sumpf hinabzuziehen ...
Vor fast fünfzig Jahren hat er das
aufgeschrieben, der alte Schwede? So
sieht sein Anzug auch aus, feinstes
dunkelblaues Garn, zeitloser Stil!
Den hätt ich gern in meinem
Portfolio gehabt, erstklassige Referenz
für meine afrikanischen
Diplomaten-Kunden! Obwohl ...
Die sind längst nicht mehr angewiesen
auf den Dienst reisender Schneider aus
China. In den sechziger und siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts, da war
das anders. Wir schneiderten für die
neue schwarze Klasse den einen oder
anderen Dreiteiler aus Diplomaten-Stoff,
und ... Guerilla-Trainer, Doktoren,
Eisenbahn-Ingenieure alle kamen
als reisende Schneider, und wir
schneiderten für alle und alles
aus rotem Tuch. Das war die Zeit, in der
Afrika den Wind aus China noch als
belebenden Atem fühlte, wie von
Puff The Magic Dragon.
Der freundliche Drachen hat sich
gewandelt zum Tiger. Nicht
internationale Solidarität,
schon gar nicht die von wankenden
afrikanischen Regimen erhoffte
Süd-Süd-Kooperation locken
meinen Mr. Moon. Er hat den Tiger
losgelassen, um zu fressen, was sich
bisher nur Raubtiere aus den U.S.A. und
aus Europa als Beute schlugen.
... Ach, der Text des weissen
Oberhäuptlings war noch nicht zu Ende?
2
...
Für diese Art des Bösen gibt es keine
Hilfe und keine Heilmittel.
Ist er nicht süss? Aber schüchtern!
Seht euch mal an, wie er die Hände
bewegt, a-sexuell würde ich sagen ...
Glaubt mir, Mädels, der ist nicht zu
haben!
2
So
ruht der Himmel an der Erde.
In des Waldsees dunkler Ruhe öffnet sich
der Schoss des Forsts.
Und so wie der Mann ihren Leib mit seiner
überdauernden Zärtlichkeit bedeckt,
so umhüllt der Erde und der Bäume
Nacktheit des Morgens stilles, starkes
Licht.
Selber fühle ich ein Brennen, das Sehnen
nach Vereinigung ist, nach Aufgehen, nach
einem Teilhaben an dieser Begegnung.
Ein Brennen, das eins ist mit Begierde
irdischer Liebe aber auf Erde und
Wasser und Himmel gerichtet, und vom
Rauschen der Bäume, vom Duft der Erde,
vom Schmeicheln des Windes und von der
Umarmung der Luft und des Wassers kommt
Antwort.
Zufrieden? Nein, nein, nein aber
gekühlt, ausgeruht wartend.
Wir
stellen uns dein Gesicht vor, Dag,
während endloser Debatten im fahlen
Neonlicht des Glaspalastes am East River,
als Vorsteher der schwarz-weiss-gelben
Völkerversamlung, bei Gesprächen mit
politischen Feuerköpfen, mit Nasser, Ben
Gurion, Lumumba ruhig zuhörend
abwartend abwägend
politisch argumentierend, aber im Inneren
die Stille nordschwedischer
Hochgebirgsnächte mit dir tragend ...
2
...
die uralte Ruhe der Erde, viel realer als
die Unrast der Menschen ...
Wer
Lumumba für Kakao mit einem
Brandy hält, wird dein Testament sowieso
nicht hören wollen, Dag! Denen ist das
alles viel zu verschwiemelt ...
Dieser Zug, mein Lieber, fährt da hin,
wo sie die Zielscheibe für dich
bereitgestellt hatten, am 18. September
1961 geografischer Breitengrad
12° 58 Süd, geografischer
Längengrad 28° 31 Ost ¬ im
Wald, zehn Kilometer vor Ndola, das ist
ein bisschen nördlich von Kapiri Mposhi,
da wo unsere Reise enden wird ... am
Kupfergürtel Sambias ...
Was für ein Traum hätte da drei Jahre
später beginnen können, Dag!
Sambia war 1964 beim Erreichen seiner
Unabhängigkeit einer der wohlhabendsten
Staaten Afrikas Dank seiner
Kupferminen.
Aber, dein Kongo liess grüssen
Katanga!
Du weisst schon ...
BODENSCHÄTZE SIND FÜR AFRIKA
KEINE MENSCHENSCHÄTZE
Krieg
bei den Nachbarn in Angola, in
Mosambik verhinderten den
Kupfer-Transport an die Küste im Westen
oder an die Küste im Osten. Und in die
Häfen des Südens? Dein eigener Verein
stand da im Wege: Das UN-Embargo gegen
die Apartheidsregime in Südafrika und
Rhodesien!
Und das ist deine andere Koordinate, Dag
ein bisschen präziser, bis auf
die Sekunde, dank GOOGLE ... Kennst du
nicht? Gabs damals noch nicht!
Wir habens auf dem Bildschirm:
Geografischer Breitengrad
40°4242 Nord, geografischer
Längengrad 74°045 West ...
ein Grundstück, das 1946 in New York
bekannt war als X-City und
das an Manhattans Ostgrenze
wirtschaftlichen Gewinn versprach ...
Ich habs gestiftet!
Wer sind Sie, Sir?
John D. Rockefeller Jr. Ist
mir eine Ehre, Mr. Hammarskjöld!
Haben Sie denselben Tunnel
genommen?
Es gibt da einen Salonwagen für
VIPs ... das Umsteigen ist von da aus ein
bisschen bequemer!
... Und wahrscheinlich ist das Bier da
noch kalt! ...
Wir
dürfen vorstellen: Hammarskjöld
Rockefeller ...
... der eine 1905 geboren, der andere
1874 der eine 1961 gewaltsam
ums Leben gebracht als Opfer
der Kartelle, der andere ein Jahr zuvor
friedlich aus dem Leben geschieden
als Ikone derselben ... und mit wirksamem
Nachlass:
$ Rockefeller-Bank
$ Rockefeller-Stiftung
$ Rockefeller-Universität
$ et cetera ... et cetera ...
Vergessen Sie bitte nicht den
Rockefeller-Forest im Humboldt Redwoods
State Park abgesehen von vielen
anderen Landstücken, die ich gestiftet
habe für so manchen Nationalpark in
meinen Vereinigten Staaten von Amerika
... Ich meine, ich war damals schon einer
mit einem grünen
Finger.
Wie gerne wäre ich in Ihren Parks
gewandert, Sir! ... Grand Teton, Acadia,
Great Smoky Mountains, Yosemite,
Shenandoah ... Vielleicht sogar zusammen
mit Ihnen? Haben Sie es mal
versucht? ... Wären Sie doch mit mir
gewandert damals in Lappland, vielleicht
hätte ich nicht diese Hymne gehört
...
2
Der
regenschwere milde Ostwind des
herbstlichen Lapplands rollt das
ausgetrocknete Flussbett hinab.
Am Ufer rütteln die gilbenden Birken im
Sturm.
Die ersten Takte der grossen
Vernichtungshymne.
Nicht eine Hymne zur Vernichtung oder aus
Vernichtung.
Nicht eine Hymne trotz Vernichtung.
Sondern der Untergang, der Hymne ist.
Nun, Wandern ist nicht gerade eines
der Talente, die mir mein Vater in die
Wiege gelegt hat ... ich meine, als
jemand, der für den Beginn des
industriellen Zeitalters den Schmierstoff
lieferte ... um zu wandern, muss man in
meinen Vereinigten Staaten von Amerika
erstmal autofahren ... also habe ich den
John D. Rockefeller Jr. Memorial Parkway
gestiftet, den Highway, der den
Yellowstone National Park mit dem Grant
Teton National Park verbindet.
Entschuldigung
als Ihr Herr Vater seinerzeit in
Pennsylvania das Öl-Geschäft entdeckte,
in den Siebzigern und in den Achtzigern
des vor ... vorigen Jahrhunderts, da gab
es noch keine Highways, keine Tankstellen
für Autos, weil ... es gab noch nicht
mal Auto-Fabriken!
Mein Vater hat der Welt das Licht
gebracht! Als ich geboren wurde, da sah
ein amerikanischer Reisender in den
antiken Wohnstätten von Ninive und
Babylon Laternen flackern, die Kerosin
verbrannten das Produkt von Vaters
Standard Oil ...
Ninive
und Babylon! Na, alter Schwede,
was klingelt da in deinem humanistischen
Bildungsreservoir?
Mesopotamien älteste
Darstellung eines Rades auf einem
Flachrelief von Ur ... Ninive am
linken Tigris-Ufer, Hauptstadt des
Assyrer-Reiches, zerstört 612 vor
Christus durch Babylonier und Meder.
Babylon am alten Euphrat-Lauf,
sein Stadtgott Marduk wurde in ganz
Vorderasien verehrt ... Nebukadnezar ...
die babylonische Gefangenschaft der Juden
... Belsazar und die Schrift an der Wand,
das Menetekel ...
Kennen
Sie sicherlich, Mr. Rockefeller?
Buch Daniel, Station Fünf, unsere
Familien-Bibel war frühe
Pflicht-Lektüre, wissen Sie.
Und ich mag die Geschichte, wie sie
der deutsche Dichter Heine in seiner
Ballade erzählte ... wenn die Anwesenden
einverstanden sind? ...
mal
ein Gedicht nicht aus deiner Feder? ...
Nur zu, Dag!

Die Mitternacht zog
näher schon;
In stummer Ruh lag
Babylon.
Nur oben in des Königs
Schloss,
Da flackert's, da lärmt
des Königs Tross.
Dort oben in dem
Königssaal
Belsazar hielt sein
Königsmahl.
Die Knechte sassen in
schimmernden Reihn
Und leerten die Becher
mit funkelndem Wein.
Es klirrten die Becher,
es jauchzten die Knecht;
So klang es dem
störrigen Könige recht.
Des Königs Wangen
leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm
kecker Mut.
Und blindlings reisst der
Mut ihn fort;
Und er lästert die
Gottheit mit sündigem
Wort.
Und er brüstet sich
frech, und lästert wild;
Der Knechtenschar ihm
Beifall brüllt.
Der König rief mit
stolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt
zurück.
Er trug viel gülden
Gerät auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel
Jehovahs geraubt.
Und der König ergriff
mit frevler Hand
Einen heiligen Becher,
gefüllt bis am Rand.
Und er leert ihn hastig
bis auf den Grund
Und rufet laut mit
schäumendem Mund:
Jehovah! dir künd
ich auf ewig Hohn -
Ich bin der König von
Babylon!
Doch kaum das grause Wort
verklang,
Dem König ward's
heimlich im Busen bang.
Das gellende Lachen
verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im
Saal.
Und sieh! und sieh! an
weisser Wand
Da kam's hervor wie
Menschenhand;
Und schrieb, und schrieb
an weisser Wand
Buchstaben von Feuer, und
schrieb und schwand.
Der König stieren Blicks
da sass,
Mit schlotternden Knien
und totenblass.
Die Knechtenschar sass
kalt durchgraut,
Und sass gar still, gab
keinen Laut.
Die Magier kamen, doch
keiner verstand
Zu deuten die
Flammenschrift an der
Wand.
Belsazar ward aber in
selbiger Nacht
Von seinen Knechten
umgebracht.
|
|
Da hat Ihr Heine
aber das Wesentliche ausgelassen ...
seltsam für einen Juden ... äh, war er
doch?
Sie kennens ja aus Ihrer
Bibel, tatsächlich wurde das Menetekel
übersetzt und gedeutet von einem Juden
... Zum besseren Verständnis für die
weniger Bibelkundigen unter den
Anwesenden:
Daniel war ein
von Jerusalem nach Babylon verschleppter
jüdischer Prophet. Er hatte diesem
König schon früher Träume gedeutet und
genoss daher hohes Ansehen.
Belsazar liess also Daniel holen, damit
der ihm die unbekannte Schrift auslege.
Daniel kam wie befohlen, erkannte, daß
es sich um aramäische Verben handelte
und las vor ... Mene, mene tekel
u-parsin.
Er übersetzte sinngemäss:
Gezählt, gewogen und
aufgeteilt.
Dann erläuterte er die Worte, die der
Gott der Juden an die Wand geschrieben
hatte: Mene heisst soviel
wie gezählt, weil die Tage deiner
Herrschaft gezählt sind. Gott setzt
Ihnen ein Ende. Tekel heisst
gewogen, und Gott hat dich für zu leicht
befunden. Du kannst nicht vor ihm
bestehen.
U-parsin heisst aufgeteilt, und
zwar unter die Meder und Perser. Dein
Reich wird aufgeteilt werden.
Die
Schrift an der Wand, Dag Heine
hats gedichtet, Rembrandt
hats gemalt, Händel, Schumann,
Rossini habens vertont, Mr.
Rockefeller hier hats in der
Familienbibel gelesen. Jeder scheint die
Geschichte aus dem alten Babylon zu
kennen ... was sagt es aber einem
Geo-Strategen der neueren Schule?
Ihr habt da oben doch Radio, oder so
was ähnliches? Und das ist doch
bestimmt ein bisschen schlauer als das
bei uns hier unten!
Ich meine, das bei uns hier unten, will
uns ja weismachen, alles zu senden
WAS DIE WELT BEWEGT! Ihr da
oben erfahrt doch wohl eher WER DIE
WELT BEWEGT, oder?
Ninive und Babylon? Ruinen
im Zweistromland, schon zu meinen Zeiten
bekannt als Irak, und wenns
mich nicht 1961 im Kongo erwischt hätte
dann vielleicht am Persischen
Golf. Im selben Jahr erhob ein irakischer
Revolutionsrat schon einmal Ansprüche
auf Kuwait ...
Treffer!
Wärens nicht schon Ruinen gewesen,
Mr. Rockefeller, Ihre Vereinigten Staaten
von Amerika hätten das schon klein
gekriegt ... Übrigens ohne den Segen des
bislang vorletzten Nachfolgers in deinem
Amte, Dag, das wollen wir gerne
festhalten ...
... Doch der zeigte sich nicht so
widerspenstig wie du damals in der
Kongo-Affäre. Ihn hat man der Welt als
Pensionär erhalten ...
REGIE! ... Hallo!
... AUFTRITT!
|