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Leben im
Reisfeld? Tod im Reisfeld?
Zwei Journalisten-Leben Zwei Perspektiven |
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Gert von Paczensky im Vorwort
zu: "Leben im
Reisfeld",
Klaus Jürgen Schmidt, Peter Hammer
Verlag, Wuppertal, 1984
Leben im
Reisfeld der Titel antwortet auf
Peter Scholl-Latours Bucherfolg "Tod
im Reisfeld", eine mit gewaltigem
Reklameaufwand verbreitete Sammlung mehr
oder minder launiger Feuilletons.
Der Fernsehstar erzählt von der
indochinesischen Tragödie aus der Sicht
eines hochmütigen Europäers Anekdoten
und Erfahrungen, hinter deren
oberflächlicher Episodenmalerei
Hintergrund und Zusammenhänge seltsam
undeutlich bleiben, ganz wie in der
routinierten Fernsehberichterstattung,
und teilweise verfälscht erscheinen. Das
Schicksal der von der Tragödie
betroffenen Menschen, der Opfer, war dem
Autor offensichtlich nicht interessant
genug für vertiefende Schilderungen. ... |
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Gert von
Paczensky, Autor vieler kritischer Publikationen
zu entwicklungspolitischen Fragestellungen,
ist am 21. August 2014 in Köln beigesetzt
worden.
Er hatte mir Wege in die Fremde geöffnet, und am
Anfang eines solchen Weges stand eine weitgehend
unbekannt gebliebene Episode
seines journalistischen Wirkens bei Radio Bremen.
Im Buch wird sie mit Erfahrungen während meiner
Recherchen 1973 in Vietnam eingeleitet. |
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Klaus Jürgen
Schmidt
"Der Weg nach
Zimbabwe, oder: Versuche, die Fremde zu
verstehen"
1990, Ergebnisse-Verlag, Hamburg, S. 65-66 |
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Ein
Kameramann erzählte mir eines Nachts in Saigon
von seiner Arbeit für ein deutsches Fernsehteam:
Es sei lebensgefährlich, in unbekanntem Gelände
zu filmen - Minen auf abgelegenen Straßen,
Fallen auf Dschungelwegen!
"Man muß sich zu helfen wissen,"
grinste er, "für ein paar Piaster gibt es
immer ein paar Kinder, die vorweg gehen!"
...
Der Kameramann war
Joseph "Joschi" Kaufmann. 1973 war er
zusammen mit Assistent Klaus Pattberg und Tonmann
Dieter Hofrath im Team von Peter Scholl-Latour in
"Gefangenschaft des Vietkong" geraten.
Monate nach dem spektakulär vermarkteten
Ereignis erzählte mir "Joschi"
während einer nächtlichen Sperrstunde auf
seinem Zimmer im Saigoner Continental-Hotel, wie
Scholl-Latour den Medien-Coup inszeniert hatte:
u.a. hatte Kaufmann auf den sorgfältig geplanten
Trip Extra-Filmrollen mitzunehmen, die bei der
gar nicht so überraschenden Freilassung
abgegeben wurden. "Keine Angst gehabt?"
fragte ich. "Warum? War doch alles
vorbereitet!"
DIE ZEIT Archiv / Jahrgang 1973 /
Ausgabe 36
31. August 1973 07:00 Uhr: |
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In Südvietnam
wurden vom Vietkong Meldungen dementiert,
wonach der Sonderreporter des Zweiten
Deutschen Fernsehens, Peter
Scholl-Latour, mit seinem Team in
Vietkong-Gebieten gefangengenommen worden
sei. Vielmehr unternehme er dort, als
Journalist legitimiert, eine
Besichtigungsreise. |
... 1974 standen vor den
Toren einiger ARD-Anstalten in der Bundesrepublik
Demonstranten, deren Protest gegen schlimmste
journalistische Korruption bis heute nachhallt -
ohne je ernsthaft wahrgenommen worden zu sein:
Ein Team des Deutschen Fernsehens hatte nach
langem Antichambrieren die Genehmigung erhalten,
einen Napalmangriff der kambodschanischen
Luftwaffe gegen vermutete Feindstellungen zu
filmen. Doch tiefe Regenwolken verdeckten das
Ziel. Umkehren, ohne Drehergebnis? Eine
willkürlich gewählte Ansiedlung wurde Opfer der
deutschen "Kriegsberichterstatter"!
ARD-Intendanten erhielten damals die Liste der
Napalm-Opfer...
In der Stunde der Wahrheit, als die Amerikaner in
Panik die treuesten Alliierten mit Helikoptern
aus Saigon zu ihren schwimmenden Festungen
flogen, war unter ihnen das einzige noch in der
Stadt verbliebene deutsche Fernsehteam. Der
Korrespondent mahnte seine Zuschauer von Bord des
US-Flugzeugträgers, dies werde voraussichtlich
das Ende der freien Berichterstattung aus Vietnam
sein!
Schäme ich mich, diesem Berufsstand
anzugehören? Eine wichtige Erfahrung aus jener
Zeit hat mich gelehrt, optimistisch zu bleiben:
Im Frühjahr 1975 kam es unter Radio
Bremen-Chefredakteur Gert von Paczensky zu einer
ungewöhnlichen "Stunde der Wahrheit".
In Vietnam waren Hue und Da Nang schon von den
Amerikanern verlassen, da gab Paczensky bei fünf
Autoren, u.a. bei mir, eine "Chronologie des
Betrugs" in Auftrag, die Darstellung
falscher und verzerrter Berichterstattung über
Geschichte und Entwicklung des
Indochina-Konflikts. Die Sendung führte zu einem
Aufschrei im rechten politischen Lager. Eine
Beschwerde von Bernd Neumann,
CDU-Fraktionsvorsitzender in der Bremischen
Bürgerschaft, im Rundfunkrat (dem er selber
angehörte) konterte der Chefredakteur mit der
kühlen Aufforderung, Neumann möge bitte seinen
Protest schriftlich begründen.
Als nach Monaten noch immer keine Reaktion vorlag
- die Amerikaner hatten inzwischen längst auch
Saigon verlassen -, mahnte Paczensky brieflich
die Stellungnahme an - allein dies schon ein
unerhörter Vorgang in der ARD-Landschaft!
Nach Eintreffen von Neumanns umfangreicher
Fleißarbeit nahm sich Paczensky die Kritikliste
vor: in seiner gründlichen Antwort für den
CDU-Politiker und den Rundfunkrat ließ er links
Punkt für Punkt jeden einzelnen Vorwurf
notieren, rechts die Rechtfertigung der
Chefredaktion, belegt mit Original-Zitaten aus
Dokumenten, amerikanischen, englischen und
französischen Presseveröffentlichungen: links -
rechts, links - rechts, wie Watschen zerfetzten
Fakten das arrogante Ideologiegeschwafel.
In der Zusammenfassung fragte Paczensky
freundlich an, ob die Kritik etwa mit dem
Vorschlag verbunden sei, Informationen zu
unterschlagen - eine Sternstunde deutscher
Rundfunkgeschichte!
Schäme ich mich also, diesem Berufsstand
anzugehören?
Wenn ich zurückschaue auf dreißig Jahre
bewußten Konsums von Berichterstattung zum
Beispiel über Dritte-Welt-Zusammenhänge - mit
dem Privileg von immer reicherem, eigenem
Hintergrundwissen, dann wäre der Abschied von
diesem Beruf schon lange fällig gewesen. Wenn
ich aber zurückblicke auf den zwanzigjährigen
Versuch, Medien-Nischen für das eigene Denken
gegen den Strich zu finden, dann kenne ich keinen
besseren Kommunikationsmarkt!
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Hallo zusammen,
in der Ferne habe ich erst heute vom Tod von Gert
von Paczensky erfahren, einem wahrlichen
Urgestein wie einer Lichtgestalt des kritischen
Journalismus (im seinerzeit noch
meinungskonformen Blätterwald), den
Berufsanfänger wie ich seinerzeit geradezu
verehrten. Spätestens mit der Gründung von
Panorama (1961) beim NDR setzte er
neue Massstäbe für politische Magazinsendungen.
Seine entwicklungspolitischen Publikationen wie
Wieviel Geld für die dritte Welt?
Entwicklungshilfe kritisch durchgerechnet
(1972), Das Ölkomplott. Von der Kunst, uns und
andere auszunehmen (1982) oder Nofretete will
nach Hause, Europa Schatzhaus der
«dritten Welt» (1984) habe ich sämtlich
verschlungen als exzellente Einführungen in die
Entwicklungspolitik und Debatte nicht nur der
1970er 80er Jahre.
Die von Klaus Jürgen Schmidt vorab gepostete
Episode von Radio Bremen (1975) kannte ich noch
nicht, ist jedoch typisch für Gradlinigkeit,
Fundus und Integrität dieses grossen
Journalisten. Auch wenn es in den letzten Jahren
bis auf Kulinarisches stiller wurde
um ihn, bleibt sein Werk beachtlich.
Mit traurigen Grüssen,
Wolf Ludwig
14.08.2014
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