Zum Tod von Ali Mazrui – oder: "Trommeln im Elfenbeinturm"
... in Simbabwe debattiert ein ehemaliger Befreiungskämpfer mit einer ehemaligen KBW-Aktivistin aus Deutschland
Auszug aus dem
Afrika-Roman von Klaus Jürgen Schmidt
 
... Beim langen Warten auf ein Lebenszeichen der drei Vermißten hatte Paul sie in eine Diskussion über die Ursachen der sich gerade verändernden Machtstrukturen in der Welt verwickelt - und sie hatte sich zurückversetzt gefühlt in die Debatten ihrer Studentenjahre, als alles so klar gewesen war: Sozialismus versus Kapitalismus - nationale Befreiungsbewegungen versus Imperialismus und Neokolonialismus.
Ihr eigenes Eintauchen in die Widersprüche einer afrikanischen Gesellschaft, das persönliche Erleben von Kreativitätsmangel in nach wie vor fremdbestimmten Denkstrukturen einerseits und von Angst und Unterwürfigkeit in ungebrochenen, hierarchischen Traditionen andererseits hatte bei ihr jedoch die Vermutung genährt, es nicht bloß mit einem materiell bestimmbaren "Oben" und "Unten" zu tun zu haben.
Vorsichtig versuchte sie sich nun an ihrer neuen Analyse.
"Natürlich, Paul - die Teilung zwischen Ost und West nach dem Zweiten Weltkrieg war grundsätzlich ideologisch bestimmt - Kommunismus gegen Kapitalismus. Die Aufteilung der Welt während derselben Geschichtsperiode in Nord und Süd hatte eher technologische Ursachen - industrialisierte Gesellschaften gegen solche, die von moderner Technologie ferngehalten und damit zur Unterentwicklung verurteilt wurden. Man könnte sagen, die Spannungen zwischen Ost und West resultierten in einer militärischen Rivalität, die Spannungen zwischen Nord und Süd aber in wirtschaftlicher Ungleichheit. Richtig?"
"Richtig!"
Paul zündete sich eine neue Zigarette an, der Disput begann ihn zu interessieren.
"Ost und West richteten letztendlich ihren Wettbewerb beim Ausbau von Technologie und Produktion darauf aus, immer neue Methoden der Zerstörung zu erfinden. Währenddessen entfernten sich Nord und Süd immer weiter in ihrem unterschiedlichen Niveau der Produktivkräfte. Könnte es nicht sein, Paul, daß beides - Ideologie und Technologie, die die Produktivkräfte bestimmen - in der unterschiedlichen Entwicklung von Kultur wurzeln?"
Paul stieß eine Rauchwolke aus und sah ihr nach, als sie aus dem Lichtkreis der Paraffin-Lampe driftete.
"Eins ist klar," sagte er dann, "offenbar war es einfacher, die ideologische Trennung zwischen den Blöcken in Ost und West zu überwinden, als es je sein wird, den sich unablässig vergrößernden technologischen Abstand zwischen Nord und Süd zu schließen!"
"Heißt das, Modernisierung muß zwangsläufig mit Westernisierung gleichgesetzt werden?"
"Weißt du, Gertrud - ein Afrikaner hat sich darüber schon seit längerer Zeit Gedanken gemacht, Professor Ali Mazrui aus Kenia. Er lehrt in den USA. Für die BBC hat er eine grossartige Fernsehserie über unsere afrikanische Geschichte produziert. Als ich noch beim Rundfunk war, hab´ ich ihn hier bei einer Vortragsreihe erlebt. Ich hab´ damals durchgesetzt, daß wir seine Vorträge mit dem Ü-Wagen aufzeichneten - sie wurden sogar gesendet - gegen manchen Widerstand!"
Paul drückte seine Zigarette aus und Gertrud ahnte, welcher Art die Schwierigkeiten waren, die ihn zur Aufgabe seines Rundfunkjobs gezwungen hatten.
"Professor Mazrui gab drei Beispiele für Gesellschaften, die versucht haben, sich außerhalb der Ersten Welt zu modernisieren," fuhr Paul fort. "Die Japaner - ihnen gelang es ab der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ohne Aufgabe ihrer kulturellen Identität. Sie folgten dem Slogan: Westliche Technik, aber japanischer Geist! Die Türken - unter Kemal Atatürk gaben dagegen in den zwanziger und dreißiger Jahren dafür das meiste auf, was ihre Kultur bis dahin ausgemacht hatte, vom Fes als Kopfbedeckung bis hin zur arabischen Schrift, die durch das lateinische Alphabet ersetzt wurde. Und Mazrui erinnerte dann schließlich an das Beispiel der Ägypter unter Mohammed Ali zu Beginn des Neunzehnten Jahrhunderts. Sein Versuch der Modernisierung ohne Weggabe der wesentlichen Aspekte kultureller Identität scheiterte an der Intervention des europäischen Imperialismus, und nach Darstellung des kenianischen Professors erlitt Ägypten dann ein Schicksal, das es nun mit dem Rest Afrikas teilt.
Während Japan seine technologische Modernisierung o h n e Westernisierung erreichte und die Türkei d u r c h eben diese Westernisierung, durchliefen die meisten afrikanischen Gesellschaften einen schmerzhaften Prozeß kultureller Selbstaufgabe o h n e dafür je den Anschluß an moderne Technologie zu erhalten!"
Beeindruckt schwieg Gertrud eine Weile, dann sagte sie zögernd: "Afrika hat also die falschen Sachen vom Westen geborgt: Den Appetit auf den Kapitalismus, aber nicht den unternehmerischen Geist..."
"Oder - wie Mazrui sagte: Wir tragen ihre Armbanduhren, aber wir weigern uns, darauf die Kultur der Pünktlichkeit zu kontrollieren!" Pauls Grinsen war jetzt eher eine Maske. Er lehnte sich zurück und sein Gesicht war ausserhalb des schwachen Lichtscheins als er sagte: "Kenias alter Mann, Jomo Kenyatta, brachte es kurz vor seinem Tod auf den Punkt: Als die Weißen nach Afrika kamen,´ sagte er, `da hatten sie die Bibel und wir das Land. Jetzt haben wir die Bibel und sie das Land!"
 
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