"WIE WAR DAS IN DER DDR?"
TEIL 2
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Klaus Jürgen Schmidt
erinnert sich
IN DER "NOCH"-DDR |
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Seit
1985 lebte meine Familie in Afrika. Meine
Frau half bei der Einrichtung von
Kindergärten, unsere Tochter besuchte
eine Mädchen-Schule. Ich arbeitete mit
afrikanischen Kolleginnen und Kollegen an
Aufbau und Betrieb einer kulturellen
Radiostation bei der "Zimbabwe
Broadcasting Corporation". Danach
berichtete ich von Harare aus für
deutsche Radiostationen bis im
November 1989 das Redaktionsinteresse an
Afrika-Themen dramatisch zurückging
in Berlin war die Mauer gefallen.
An jenem 9. November hörten wir davon
zuerst durch einen Telefon-Anruf von
Verwandten in Australien. Die sofort
eingeschaltete Deutsche Welle sendete
weiter ein Feature zur Kulturgeschichte
von Treppen. Umgeschaltet zur BBC,
hörten wir einen Reporter, der es schon
geschafft hatte, am Brandenburger Tor des
Englischen mächtige DDR-Bürger für
LIVE-Interviews aufzutreiben. |
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Zu der Zeit hatte ich das Skript für mein Buch
"Der Weg nach Zimbabwe oder Versuche,
die Fremde zu verstehen" beendet. Es
erschien 1990 beim Hamburger Ergebnisse-Verlag
mit jenem einführenden Kapitel, das meinen
persönlichen "Weg aus der Enge"
beschrieb, mein Kinder-Leben vor der Flucht der
Familie aus der DDR in den Westen im Jahr 1958.
Anfang 1990 es war noch nicht absehbar,
dass es bald keine DDR mehr geben würde
erhielt ich von einem westdeutschen Verlag die
Anfrage, ob er dieses Kapitel für eine geplante
Anthologie, also für eine Sammlung ausgewählter
Texte über persönliche Erfahrungen von
DDR-Heimkehrern, verwenden dürfe. Das Projekt
fiel aus dank
"Wiedervereinigung". ...
In Zimbabwe hatte
unsere Tochter erfolgreich alle Prüfungen des
"A-Level" bestanden, den mit dem
westdeutschen Abitur vergleichbaren Abschluss im
englischen Cambridge-System (ein bis heute nicht
überwundenes koloniales Erbe!). Sie hatte gerade
an der Technischen Universität in Berlin ihr
Architektur-Studium begonnen, als sie lernte, wie
durch den Versprecher eines Parteibonzen eine
Mauer durchlässig werden kann.
Im Frühjahr 1990
fuhren wir beide mit unserem alten Passat (der
jetzt ihr gehörte) vom Westen in den Osten der
jetzt nur noch formal getrennten Stadt. Meine
Idee war es, Conny die alte Heimat zu zeigen,
bevor an jeder Ecke die Werbung für West-
Zigaretten zu sehen sein würde, dafür aber kaum
noch ein Trabi auf den Straßen.
An der noch
vorhandenen Zonengrenze wurden wir von
DDR-Beamten durchgewunken, an unseren
Ausweispapieren war keiner mehr interessiert.
Ich hatte eine
langsame Annäherung vorgeschlagen, die Basis
bloß elf Kilometer entfernt vom Heimatort. Als
Junge hatte ich es von Bernsdorf aus öfter mit
dem Fahrrad dorthin geschafft.
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Kamenz,
Arbeitsort von Vater und Geburtsort des
Namens- gebers seiner Firma, der
"Lessing-Druckerei", im
Frühjahr 1990 noch immer ein
"Volkseigener Betrieb". Bei Gotthold Ephraim Lessing,
Dichter, Literatur-Theoretiker und
-Kritiker (1729 - 1781) las ich, was mir
sehr gut auf deutsch-deutsche
Entwicklungen zu passen schien:
"Der
Langsamste, der sein Ziel nicht aus dem
Auge verliert, geht immer noch
geschwinder, als jener, der ohne Ziel um-
herirrt."
Gegenüber des Roten
Rathauses fanden wir eine private
Pension, von der wir in den folgenden
Tagen unsere Ausflüge unternehmen
wollten. Beim ersten Frühstück klagte
die Besitzerin der "Goldenen
Sonne" über zu wenig Besucher.
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Die würden bald kommen, wegen
Gotthold Ephraim Lessing natürlich und
wegen des Rhododendron-Blütenzaubers im
Frühling am Kamenzer Hutberg, nicht
wegen Geschichten, die WIKIPEDIA kennt:
Während des Zweiten Weltkrieges, vom
Oktober 1944 bis April 1945, wurde im
Gebäude der stillgelegten Kamenzer
Tuchfabrik Gebr. Noßke & Co.,
Herrental Nr. 9 (Tarnname Elster
GmbH), ein Außenlager des KZ
Groß-Rosen betrieben, in dem nahezu 1000
Häftlinge, unter ihnen 150 Juden, für
die Daimler-Benz AG Flugzeugmotorenteile
herstellen mussten. |
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Bei WIKIPEDIA sind
auch Angaben zu unserem ersten Ziel zu
finden: Prinz Ernst Heinrich von
Sachsen benutzte die Moritzburg
19331945 als festen Wohnsitz. ...
Wertvolle, ausgelagerte Bestände wurden
in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar
1945 bei den Luftangriffen auf Dresden
komplett zerstört. 1945 wurden die
Besitzer enteignet. Sie konnten große
Teile ihrer noch vorhandenen Schätze im
Schlosspark vergraben. ... Bis auf wenige
Stücke wurden diese von den sowjetischen
Truppen gefunden und abtransportiert. Meine
Erinnerung: Als kleiner Junge hatte ich
zur Moritzburg hinter Vater und Schwester
herzuradeln, 35 km hin, 35 km zurück! |
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(Suchbild:)
Auf ihrer zweiten DDR-Station
lassen sich Tochter und Vater von der
Genossin einer Spreewald-Kooperative
vorwärts staken.Von den anderen
Bootsinsassen hört diese jetzt
Bayrisches, Berlinerisches,
Schwäbisches, manchmal sogar Englisches
und Französisches.
An einer Anlegestelle nötigt sie alle,
eine Pause einzulegen. Ein erster
West-Unternehmer verkauft hier Münchener
Fassbier und Schweinshaxen noch
gegen Ost-Mark. Der Spreewald als
Kulturlandschaft wurde entscheidend durch
die Sorben geprägt. Wer wird ihre
Kulturlandschaft künftig prägen?
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Von der Spree an die
Elbe: Den Rad-Dampfer nach Bad Schandau
verpassten wir in Dresden nur knapp. Wir
wollten es bis zur nächsten Anlegestelle
schaffen. Also zurück über die
Elb-Brücke.
Auf der anderen Seite erlaubte die
Verfolgung des Dampfers mit Blick auf den
Fluss bald nur noch ein Waldweg, und der
war unerlaubt. Das wollte uns ein
Volkspolizist klar machen als er
hinter einem Baum hervortretend
unseren Passat stoppte. Als er das West-
Kennzeichen wahrnahm, ließ er die Kelle
sinken. "Noch'nbar Monade, un dann
is hier sowieso Feierahmd." Er ließ
die Kelle sinken und uns durch.
Wir schafften es mit dem Dampfer hin und
zurück, und Conny lernte in Bad Schandau
von einem Kellner sächsisch-
sozialistischer Schule, was auf seiner
Speisekarte "Sättigungs-
beilage" meinte:
"Kartoffeln" |
Und dann ist es
soweit:
Das Rathaus auf
der aktuellen Webseite des Dorfes seit 18.
November 1968 mit Stadtrecht, verliehen zehn
Jahre nachdem ich mit Mutter und Schwester zum
Vater "nach'm Westen weggemacht" war.
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Dieses Rathaus wurde
zur Faschingzeit von "Truppen"
des Bernsdorfer Karnevalsprinzen-Paares
"gestürmt" und für die tollen
Tage besetzt gehalten. Wenn dabei irgendjemand eine
Anspielung auf einen tatsächlichen
"Machtwechsel" gemacht hätte,
zu meinen Ohren wäre das bis zum eigenen
"Wegmachen" nie gedrungen.
Als Kinder waren wir
viel zu beschäftigt, uns für die paar
Tage in Kostüm und Maske angelesene
Träume zu erfüllen.
(Suchbild: Wer ist der
Klaus?)
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Wo könnten wir
noch einen meiner alten Schulfreunde finden, an
diesem Pfingstmorgen in Bernsdorf?
Einer wohnte im
Waldweg, und dorthin fährt Conny mit dem Passat.
Den stellen wir ganz vorne ab, dann suche ich das
Haus, linkerhand, das erinnere ich. Ein
Vorgarten, das Tor verschlossen, daneben eine
Klingel.
Conny wartet
hinter mir, ich drücke einmal, ich drückte ein
zweites Mal. Am Haus geht die Tür auf. Ein Mann
erscheint, ein Badetuch um die Hüften. Er guckt,
ich grüße und frage: "Sind Sie der Lösche
Günter ?" Mir ist eingefallen, dass die
Bernsdorfer immer zuerst den Familiennamen,
danach erst den Vornamen nannten.
"Ja und wer sind Sie?" Er kommt
zum Tor. Ich hebe den Hut. Er bleibt stehen.
"Klaus? Der Schmidt Klaus?"
Ich nicke. Er schließt das Tor gar nicht erst
auf. Er langt darüber hinweg und drückt mich an
sich.
WILLKOMMEN
BEI EINEM BERNSDORFER FREUND
PFINGSTEN 1990
Wir
lernen seine Frau, seinen Sohn kennen.
Wir erinnern uns an den Schraubstock
unter dem Schuppenvordach, in den wir
eine im Wald gefundene Gewehrpatrone
geklemmt hatten, um auszuprobieren, ob
man mit Hammer und Nagel das Ding zum
Schießen kriegen könnte. Es knallte, es
gackerte, ein vorbeilaufendes Huhn fiel
um. ...
Wir erinnern uns an Schätze, die wir im
Wald vergraben und nie wiedergefunden
haben.
Ich erzähle ... er erzählt ...
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... unter anderem
von seinem früheren Job im Rathaus, und
plötzlich fällt ihm etwas ein. Er springt auf,
kramt in Schubladen, spricht dabei weiter.
"Ist das bei Euch auch so? Alle dreißig
Jahre werden bei uns Akten aussortiert, was weg
kann, wird verbrannt. Vor ein paar Jahren sollte
ich das wieder machen, ich will das im
Rathaus-Keller schon in den Ofen schmeißen, da
sehe ich, das sind ja Akten aus unserer Schule.
Dann hab' ich das erst'mal weggelegt. ..."
Jetzt hält er einen schwarzen Stapel in die
Höhe.
"Und das hab' ich für dich gerettet!"
Ich glaub' es nicht, es sind meine Schulhefte aus
der Klasse 8a, jene Hefte, in denen ich noch
Prüfungsaufgaben in Deutsch, in Mathe, in
Physik, in Chemie, in Geografie, in Russisch zu
lösen versucht hatte eine Prüfung, deren
Ergebnis ich nie erfuhr, weil ich vorher
"weggemacht" war. Beim Aussortieren der
Schulakten, drei Dekaden später, hatte Freund
Günter an mich gedacht.
Und ich erfahre
mehr von ihm über unser früheres Leben in
diesem Dorf. Beide im Kriegsjahr 1944 geboren,
seien unsere Mütter wohl Freundinnen gewesen.
Günter holt aus einer der Schubladen ein altes
Agfa-Foto, das uns beide als kleine Pökse in
unseren Sportwagen zeigt, nebeneinander
hergeschoben von seiner und von meiner Mutter.
Auch er hat das erst erkannt, als er das Foto im
Nachlass seiner Mutter fand.
Von der Straße
ein Pfiff. Günter sagt, das ist Mehle Dieter,
der kommt von der Nachtschicht in der
"Schwarzen Pumpe". Er ruft aus dem
Fenster: "Komm 'mal rein! Du glaubst nicht,
wer hier ist. Der Schmidt Klaus aus'm
Westen!"
Keine gute Idee!
"Warum kommste denn nich? ... Der geht
einfach weiter!"
Als er sich ratlos umwendet, erinnere ich ihn:
"Der hatte doch immer 'was gegen mich. Hast
du vergessen, was damals auf dem Schulhof
passiert ist, und später bei der Schulspeisung
..."
"Das
ist doch über dreißig Jahre her
..."
"Das erste Mal vierzig Jahre! Da hat
er mir mit einem Schiefergriffel in den
Hals gestochen. Ich hatte Schwein, dass
er keine Ader getroffen hatte, aber der
Griffel war abgebrochen und musste
rausoperiert werden."
"Ich sag ja immer, wir haben noch
die Steinzeit erlebt in der Schule,
Schiefertafel, Schiefergriffel ..."
"Für mich war das kein Spass! Als
er mir ein paar Jahre später seine
Suppenschüssel an den Kopf geknallt hat,
war ich für eine Weile bewusstlos
..."
"Und er hatte einen kaputten Topf.
... Der war sauer, weil Du dauernd
Medaillen für gute Schulleistungen
bekommen hast und dann noch deine
Pionierarbeit ..."
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"Du meinst, ich war ein
Streber?"
"Kein Streber, aber einer, der immer
mehr wollte als wir anderen, einer, der
dann ... na ja, eben wegmachte."
Pause.
"Das habt ihr so gesehen?"
"Na, wir sind geblieben."
"Aber ich wollte doch gar nicht, wir
sind doch bloß weg, weil Vati schon weg
war. ..." |
So, oder so
ähnlich habe ich unser Gespräch zu Pfingsten
1990 in der "Noch"-DDR in Erinnerung.
Seitdem habe ich darüber nachgedacht, weshalb
mein Vater meine Schwester mitgenommen hatte nach
Bremen, um sie dann alleine zurückzuschicken.
Mutter und ich hatten sowieso als
"Geiseln" in der DDR bleiben müssen.
Eigentlich hatte seinerzeit schon Günter Lösche
unbewusst ein Stichwort genannt: "Schwarze
Pumpe"! Von dort war der Mehle Dieter an
jenem Pfingstmorgen nach seiner Nachtschicht
gekommen. Dorthin hatte 1956 mein Vater hingehen
müssen. Aber weshalb? ...
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... Weg von der
Lessing-Druckerei, wo er sogar Leiter des
Betriebs-Chores gewesen war? Da hinten,
direkt neben dem Klavier, hatte er bei
der Weihnachtsfeier gesessen. Zu Hause hat mir nie jemand
erklärt, wie es möglich war,
rausgeschmissen zu werden von einem
"Volkseigenen Be- trieb",
strafversetzt zu werden in eine
Braunkohle-Brikett- Fabrik.
Ich war damals zwölf
und ich begriff nicht, weshalb sich
Mutter mit einigen Hausbewohnern
aufmachte, um die Bahngleise nach Vater
abzusuchen, weshalb er bald darauf Mutter
und mich alleine ließ, um Verwandte in
der BRD zu besuchen. Bald darauf, das
hieß Anfang 1957. ...
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In der Schule
wurde mir das Halstuch der Jungen Pioniere
abgenommen. Auf dem Schulhof bei einem
Fahnen-Appell musste ich mir anhören, dass mein
Vater mit seiner Flucht in den Westen die
Errungenschaften der Arbeiterklasse verraten
habe. Konsequenz: Die vorgesehene Delegierung an
die Oberschule in Kamenz konnte ich vergessen.
Was hatte mein
Vater gemacht?
Seit dem Besuch in
der "Noch"-DDR mussten dreißig Jahre
vergehen bis mir ein Licht aufging. Ich hatte die
Flucht des Vaters von 1957 nie in Verbindung
gebracht mit seinen persönlichen Erfahrungen und
mit Weltereignissen im Jahr davor.
Am 13.
Oktober 2020 sah ich diesen Film im
Fernsehen, und wie die sprichwörtlichen
Schuppen fiel es mir von den Augen: Das
Jahr, in dem mein Vater
"wegmachte", war dem Jahr des
Ungarischen Volksaufstandes gefolgt. Und
plötzlich kamen Erinnerungen zurück,
die ich nie in diesem Zusammenhang
vermutet hätte die russischen
Panzerkolonnen die nachts auf der
Hauptstraße durch das Dorf nach Osten
rollten "... nach
Ungarn", hatte Vater geflüstert,
die leisen RIAS-Reportagen aus Ungarn,
bei denen Vater mich zuhören ließ,
immer mit dem Hinweis, niemandem etwa
davon zu erzählen, der Hilferuf von Imre
Nagy, eines Reform- Kommunisten, an die
Freie Welt.
Am 1. November hatte dieser die
Neutralität Ungarns proklamiert und die
Mitgliedschaft seines Landes im
Warschauer Vertrag aufgekündigt. Die
seit 1945 stationierten sowjetischen
Besatzungstruppen sollten das Land
verlassen. Damit war für die Sowjets,
die bereits seit Ende Oktober eine
Intervention in Ungarn vorbereitet
hatten, endgültig der Zeitpunkt zum
Handeln gekommen. Am 4. November rückten
starke sowjetische Panzerverbände in
Ungarn ein. Bis zum 15. November schlugen
sie mit brutaler Härte den Aufstand in
der Hauptstadt Budapest nieder. Imre Nagy
wurde am 22. November verhaftet, obwohl
man ihm Straffreiheit zugesichert hatte,
und im Juni 1958 nach einem streng
geheimen Prozess mit anderen Anführern
des Volksaufstandes hingerichtet.In unserer Schule gab es 1956
kein "Schweigendes
Klassenzimmer", aber mein seit
seiner Rückkehr aus dem Krieg eher
verschlossener Vater brach 1956
auf eine für mich dreißig Jahre lang
unverstandene Weise sein
Schweigen.
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Die
Erinnerung liegt bis heute in meinem
Schreibtisch-Schublade:
Vaters Drucker-Lupe. Darunter hatte er
mir den Ausschnitt eines Bildes von
Wilhelm Pieck gezeigt. Der hatte sein
politisches Handwerk über die
Jahrhundertwende bei der Bremer SPD
gelernt (siehe Link ganz unten).
Nach Gründung der DDR, 1949, war er bis
zu seinem Tod ihr einziger jemals
amtierende Präsident. Auf den meisten
amtlichen Fotos trug er eine Krawatte mit
weißen Punkten. Auf jenem, das mein
Vater mitgebracht hatte, gab es einen
Fleck auf einem der Punkte. Unter der
Lupe erkannte ich ein winziges
Hakenkreuz. ... Niemandem durfte ich
davon erzählen. Nie werde ich erfahren,
ob er es war, der es in diesen Punkt
montiert hatte, und wenn ja
weshalb ... Erinnerung
vielleicht an jenen 17. Juni 1953, als
schon einmal sowjetische Panzer einen
Aufstandsversuch niedergerollt hatten, zu
Hilfe gerufen von der DDR-Führung? An
deren Spitze:
Wilhelm Pieck!
Oder eigene Erfahrungen mit sowjetischen
Panzern vor etwas mehr als einer Dekade
als Hitlers
Soldat? Davon hat er mir nie etwas
erzählt. ...
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Siegfried
Körner,
der eifrige Bernsdorfer
Geschichtensammler,
in seiner Chronik: |
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Lagebericht
vom 30. Juni 1990:
Die Konsum-Kaufhalle Industriewaren in
der ehemaligen Gaststätte "Zur
Bauerei" hatte fast keine Waren mehr
anzubieten. Ein eigenartiger Anblick,
wenn in den Schaufenstern und in den
Regalen fast nichts mehr an Waren steht.
Das HO-Textilkaufhaus hatte nur
notdürftig bekleidete Puppen im
Schaufenster.
Ein gespenstischer Anblick ... Mit dem
Staatsver- trag wurden alle Volkseigenen
Betriebe ab 1. Juli 1990 in
Kapitalgesellschaften umgewandelt.
Der "VEB Holzbauwerke" nennt
sich jetzt "Bauelemente GmbH".
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Dieser Betrieb, in
der Wendezeit von der Treuhand übernommen, war
1910 als Baugeschäft "Otto Schneider"
gegründet worden und produzierte Holzhäuser,
Flugzeughallen und Möbel. (Quelle: Bernsdorfer
Arbeitsgruppe Stadtgeschichte)
1928 verließ die tausendste Küche die
Fabrikhalle. Mitte der Dreißiger Jahre erlebten
die Holzbauwerke mit einem kurz- fristigen
Anstieg von ehemals 500 Mitarbeitern auf 1000
ihren Höhepunkt.
1945 wurde das Baugeschäft
durch Volksentscheid enteignet und
demontiert. Schon ein Jahr später
erfolgte jedoch der Wiederaufbau unter
dem Namen "VEB Holzbauwerke
Bernsdorf" ... |
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... Der
Haupteingang des Betriebes lag genau
gegenüber vom Erkerfenster der Familie
Schmidt auf der anderen Seite der
Dresdener Straße. |
Und aus diesem
Betrieb "machte" ebenfalls eine Familie
"weg", drei Jahre vor meinem Vater,
vier Jahre vor meine Mutter, meiner Schwester und
mir. Diese Familie hatte auch einen Jungen dabei.
Der war zur Schule gegangen wie ich
in Berns- dorf. Und er wohnte wie ich
ein halbes Jahrhundert später in der
selben niedersächsischen Samtgemeinde!
Wir trafen uns zufällig an Bord eines
Weser-Schiffes bei einer Kaffeefahrt von Nienburg
nach Hoya und zurück. Danach lernte ich noch
seine Mutter kennen, sein Vater war schon tot. Er
habe den "Volkseigenen Betrieb Holzbauwerke
Bernsdorf" geleitet, erzählte mir der Sohn.
Die Abreise aus Bernsdorf habe schon 1954
stattgefunden. Nach seinen Worten war es eine Art
Umzug zu Verwandten mit Möbeln, mit
Büchern, mit allem, was ihnen lieb und wichtig
gewesen war. An Bernsdorf hatte er kaum
Erinnerungen, er war etliche Jahre jünger als
ich. Und er ist wieder aus meinem Leben
verschwunden, nach dem Tod auch seiner Mutter.
Diese hatte nie reagiert auf die alten
Bernsdorfer Schwarz-Weiß-Fotos, die in ihrem
Briefkasten steckten, begleitet von einem
Brieflein, mit dem ich den Austausch gemeinsamer
Erinnerungen angeregen wollte.
Ein führender
sozialistischer Betriebskader, der 1954 mit
Familie samt Möbeln in den Westen ausreisen
durfte? ...
Noch ein DDR-Geheimnis!
Und ein paar
Straßen weg von der letzten Adresse jener
Familie (der Sohn hatte das Haus verkauft), gab
es in meiner Nach- barschaft eine weitere
DDR-Verbindung, eine sehr prominente sogar!
Zweimal besuchte er in Blenhorst Verwandte,
zweimal verpasste ich den Mann, den ich als Kind
1955 bei einer "Friedensfahrt" durch
Bernsdorf hatte radeln sehen.
Im August 2011 las ich bei t-online/sport:
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Bei einer Lesung
von Radsport-Legende Täve Schur in
Berlin ist es zum Eklat gekommen.
Während der 80-Jährige aus seinem Buch
"Der Ruhm und ich" las,
sprangen die Doping-Opfer Uwe Trömer und
Andreas Krieger auf und pro- testierten
lautstark gegen Aussagen von Schur.
Besonders der Satz "Den DDR-Sport
als 'kriminelle Vereinigung'
hinzustellen, geht mir ans Herz'',
erzürnte die Zuhörer. "Ich litt
durch Doping an beidseitigem
Nierenversagen, hatte schwarzen Urin. Ich
war zehn Stunden vom Tod entfernt. Und
Sie sagen, das war kein
Unrechtssystem?", rief Trömer, zu
DDR-Zeiten Bahnradfahrer. Trömer
ergänzte: "Es war richtig, Sie
nicht in die 'Hall of Fame'
aufzunehmen."
Schur nahm die Einwände zur Kenntnis:
"Ihr Fall ist tragisch, aber es gab
Ent- schädigungen." Krieger, als
Frau unter dem Namen Heidi Krieger 1986
Europa- meisterin im Kugelstoßen,
ergänzte: "Meine Gesundheit kann
ich mir nicht zurückkaufen."Schur gilt als einer der
erfolgreichsten DDR-Sportler. Der
gelernte Mechaniker wurde 1958 und 1959
Straßenweltmeister der Amateure, 1955
und 1959 triumphierte er bei der
Friedensfahrt, der Tour de France des
Ostens.
Zu DDR-Zeiten saß
Schur in der Volkskammer. Später zog er
für die PDS in den Bundestag ein. Seine
Rolle blieb strittig, deshalb wurde er
auch nicht in die "Hall of
Fame" des deutschen Sports
aufgenommen.
(Das Foto
stammt aus dem "Bundesarchiv")
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>>>
Erfahrungen bei und Erkenntnisse nach dem Besuch
1990 mit Tochter Conny in der
"Noch"-DDR. <<<
2007 erreichte
mich in Afrika eine Einladung zu einer
Jubiläumsfeier in Bernsdorf.
Wie hatte man dort meine Adresse herausgefunden?
Das Vorbereitungskommittee hatte einen alten
Schulkameraden gefragt.
Dessen Ost-Erfahrung als "Rechercheur"
war nach der Wende im Westen gefragt.
Das und viel mehr erfuhr ich, als meine Frau und
ich 2008 der Einladung in die "Ex"-DDR
folgten:
Eine
Bilder-Geschichte in der nächsten Folge!
Und hier geht es
zu einer zusätzlichen
"Weltexpresso"-Geschichte :
"KEIN GEDENKEN, WENN ES UM DIE DDR
GEHT ... und was es doch zu lernen gäbe,
zumindest für Bremer
(danach auf "zurück" klicken, um noch
TEIL 3 anzusehen)
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