Mit diesem für das Internet neu aufgelegten Text geht KJS der Frage nach:
Weshalb ist es so schwierig, daß Menschen in Nord und Süd sich verstehen?
Dies ist eine elektronische Version seines 1990 erschienenen und inzwischen vergriffenen Buches.


DER WEG NACH ZIMBABWE oder VERSUCHE, DIE FREMDE ZU VERSTEHEN

© 1990 — Klaus Jürgen Schmidt

Die Häuptlingslösung
(Auszug aus Kapitel 18)


... Im zehnten Jahr der Unabhängigkeit hatte Zimbabwe einen Kreuzweg erreicht, auf dem die Suche nach einer Nische im Weltmarkt zur Überlebensfrage wurde. Im Prozeß der politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung traten die Widersprüche einer Gesellschaft zutage, die Selbstbestimmung in einer Zeit erkämpfte, in der Befreiungsanstrengungen unterdrückter Völker vor dem Hintergrund einer ideologisch klar aufgeteilten Welt stattfanden: Sozialismus versus Kapitalismus!
Anfang Dezember 1989 — kurz vor dem entscheidenden Kongreß der in einer Einheitspartei zusammengeführten ZANU PF und ZAPU — wurde der Informationssekretär der Partei, Außenminister Nathan Shamuyarira in einem Fernsehinterview nach der Zukunft des Sozialismus in Zimbabwe befragt. Seine Antwort: "Zimbabwe wird sich wegen der Ereignisse in Osteuropa nicht von seinem Weg zum Sozialismus abbringen lassen. Der zimbabwesche Sozialismus ist aus einer eigenständigen Analyse entstanden, angepaßt an eigenen Erfordernissen und deshalb ist er verschieden von Sozialismus, wie er in anderen Ländern praktiziert wird."
Einspruch: Es gibt in Zimbabwe keinen eigenständig entwickelten sozialistischen Weg! Das im Befreiungskampf benutzte sozialistische Konzept, der Marxismus-Leninismus, hat — von den Betroffenen bis heute leider unbemerkt — schwarzes Denken auf neue Weise kolonialisiert! Selbst die von Shamuyarira in seinem Interview als einziger Beweis für reale sozialistische Anstrengungen in Zimbabwe angeführte Kooperativenbewegung experimentiert mit unterschiedlichen ausländischen Modellen, die nach Shamuyariras eigenem Eingeständnis — bis auf wenige Ausnahmen — kollabierten.

Von der endgültigen Aufteilung des Weltmarkts in die Ecke gedrängt und mit zweifelhaft gewordenem ideologischen Rückhalt im bröckelnden sozialistischen Lager hat die zimbabwesche Führung nun einen afrikanischen Ausweg gesucht: Die Häuptlingslösung!
Unter zunehmender Ausschaltung des Parlaments, in dem schon vor der Verfassungsänderung des Jahres 1990 kaum noch ein Minister zur Debatte mit — in der Regel ebenso volksfernen — Abgeordneten erschien, werden Entscheidungen von lokaler bis zu nationaler Bedeutung auf den unterschiedlichen Häuptlingsebenen in der Struktur der Einheitspartei getroffen.

Der junge Lehrer Robert Gabriel Mugabe — und das wird in Europa oft übersehen — kam zu seiner politische Grundüberzeugung im Ghana des Kwame Nkrumah, das 1957 als erste britische Kolonie Afrikas unabhängig wurde! Mugabe:
"Ich ging dorthin als Abenteurer, ich wollte sehen, wie es sein würde in einem unabhängigen afrikanischen Staat. Einmal dort, begann ich endgültige Ideen zu entwickeln — man könnte sagen, es war dort, wo ich die generellen Prinzipien des Marxismus akzeptierte."
(In: "Mugabe", David Smith & Colin Simpson with Ian Davies, 1981, Pioneer Head, Salisbury, S. 22)

Das Afrika-Seminar im Institut für Publizistik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster nahm 1962 "Eine erste Erkundung" vor, die Nkrumahs Parteipraxis so beschrieb:
"'...Nkrumah hat begriffen, daß die politische Partei in Afrika nicht die Wesenszüge bewahren kann, die sie in den westlichen Demokratien besitzt. Die CPP ist ein vollkommen ausgebautes soziales Gebilde. Es entspricht dem Verlangen des Schwarzen, ein totales Engagement einzugehen, das die Stelle seiner alten Bindungen an den Clan einnehmen kann. Die Partei beabsichtigt, alle Gefühle des Schwarzen für den nationalen Aufbau und die wirtschaftliche Entwicklung zu mobilisieren.'
[Jean-Louis Clement]
Die ghanesische CPP und mit ihr alle Parteien Afrikas zeichnen sich wesentlich durch folgende Charakteristika aus: a) Sie fordern das totale Engagement des Afrikaners. b) Parteiführer und Parteiorganisation sind weitgehend identisch. c) Die Partei ist an die Stelle des Stammes und an die Stelle der Großfamilie getreten. d) Der Parteiführer ist gottähnlich. e) Die Partei führt Afrika von der Unterdrückung zur Freiheit. f) Die Partei verkündet die Botschaft des Nationalismus."
(Prof. Dr. H.-J. Prakke, "Publizist und Publikum in Afrika", 1962, Verlag Deutscher Wirtschaftsdienst, Köln, S. 21)

Im Mai 1989 — zum 26-jährigen Bestehen der "Organisation für Afrikanische Einheit" — erfuhr Kwame Nkrumah, 17 Jahre nach seinem Tod in einem rumänischen Krankenhaus, durch Hauptstadtzeitungen in Harare eine bemerkenswerte Würdigung als "Architekt der Unabhängigkeit Ghanas". Die "Sunday Mail" am 21.05.89:
"Es wird unterstellt, Nkrumahs Ansichten von Afrika und der Notwendigkeit, gegen den Imperialismus zu kämpfen, seien veraltet. Es wird gesagt, sie gehörten in das Museum politischer Philosophien als Relikte der Vergangenheit, sie seien überholt durch neue Phänomene und einen Realismus, charakterisiert durch Umarmung und Küsse mit allen und jedermann... Afrika würde es teuer zu stehen kommen, wenn seine fortschrittlichen Führer sich mit Vollgas solchen Ideen anschließen würden, die fast an politische Narretei grenzen."

Nicht erwähnt in der "Sunday Mail": Kwame Nkrumah hatte 1964, in enger Anlehnung an den Ostblock, das Einparteiensystem eingeführt und war 1966, nach Etablierung eines ungeheuren Kults um seine Person, von der Armee gestürzt worden.

Als Ergebnis der sich abzeichnenden Weltmarktordnung muß in der zimbabweschen Nische des Weltmarktes auf Dauer Mangel verwaltet und Instabilität vermieden werden. Damit stellt sich besonders drastisch die Machtfrage. Die Häuptlingslösung erschiene unter diesen Umständen eine mögliche Antwort. Und von Robert Gabriel Mugabe — würde es abhängen, ob es gelänge, im Rückgriff auf verschüttete afrikanische Erfahrungen dennoch Machtkontrollen wirksam neu zu entwickeln. Dafür wäre es allerdings erforderlich, daß sich Zimbabwes Ideologen endlich verabschieden von Dogmen, die in Mittel- und Osteuropa nicht nur ein wirtschaftliches Chaos angerichtet haben, sondern die vor allem die Ausbeutung der Bevölkerungsmehrheit durch eine Funktionärsminderheit zynisch absichern halfen. Alles deutet jedoch darauf hin, daß nicht eine solche afrikanische Variante von demokratischer Führung durch weise Männer und Frauen angestrebt ist, sondern die gedankenfaule Kopie europäischer Staatsdiktatur-Modelle, wie sie schon anderen afrikanischen Gesellschaften aufgezwungen wurde. Nichts hat sich in den zehn Jahren seit der Unabhängigkeit Zimbabwes hin bewegt auf eine Neubesinnung, auf ein Schürfen nach afrikanischer Identität, in der eigenständige Lösungsversprechen liegen könnten. Die neue Machtelite hat sich in der Mehrheit mit ihrem in zehn Jahren akkumulierten, materiellen Reichtum längst abgewendet von den schwarzen Wurzeln. Geholfen haben ihr dabei Legionen weißer Agenturen. ...