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ENDE EINER
BILDER-REISE IN DIE "EX-DDR" |
... und
nachfolgende Erkenntnisse:
Am 13. August
2009 eröffnete eine neue Schule in Bernsdorf.
...
Wer mag auf die
Idee gekommen sein, als Termin für die
Eröffnung einer "Freien Oberschule"
ausgerechnet den 13. August zu wählen? Dieses
Datum bleibt ein geschichtsträchtiger Tag in der
Chronik der "Ex-DDR". 1961 riegelten an
diesem Tag DDR-Grenzpolizisten in Berlin den
Ostsektor von den Westsektoren ab. Der Mauerbau
hatte begonnen.
In den Tagen
unseres Schul-Jubiläums 2008 traf ich einen
jener Schulkameraden wieder, die nie mit uns
TIMUR-Aktionen unternommen und die nie mit uns
Friedenspfeifen geraucht hatten. Einer von denen,
die seinerzeit dem rumänischen Schuster und mir
Angst einjagen wollten, einer, der mich bei
Gelegenheit auch verprügelt hatte.
Zum Erinnerungsaustausch in Schule und Kirche war
er nicht gekommen. Als hätte er auf mich
gewartet, saß er mit seinen Kumpeln in der noch
geöffneten Bierkneipe neben unserem Hotel. Als
ich eine Runde Bier für alle bestellte, fragte
er unvermittelt: "Na biste gekommen, um
unsre Dande zu beärbn? Da gibds nischt mehr zu
ärbn!"
"Welche Tante?"
"Na die Pfautsch Ilse, die war meine
Padendande, die war deine Padendande, die war
Padendande von vieln Kinnern hier im Dorf,
ungeschtorm isse schon vorner Weile!"
Die Ilse Pfautsch!
Eine Erinnerung blitzt auf: Einmal, ich war noch
gar nicht eingeschult, da war ich zum
Ostereiersuchen in die Bäckerei geschickt
worden, die wohl ihrer Familie gehörte. Und es
waren auch andere Kinder da gewesen. ... Aber was
für ein hässlicher Gedanke, jetzt nach
Bernsdorf gekommen zu sein, um mir was von ihrem
Erbe zu holen? Wir tranken unsere Gläser leer
und verabschiedeten uns.
Sehr viel später
erhielt ich Informationen über Geschichten aus
ferner Vergangenheit, aus ferner deutscher
Vergangenheit: Ilse Pfautsch war von den Nazis
als "Kommunistenbraut" eingesperrt
worden. Sie soll mit ihrem Freund auf einem
Motorrad durchs Dorf gerast sein und dabei
Flugblätter abgeworfen haben mit Parolen gegen
den heraufkommenden Krieg. In diesem Krieg habe
sie dann Müttern geholfen, die schwanger waren
von ihren an die Front zurückgekehrten Männern.
Den Neugeborenen half sie als Patentante.
Ich war ein
solches Kind, aber meine Mutter hat mir nie
gesagt, weshalb ich zu einer fremden Frau zum
Ostereiersuchen geschickt worden war. Das Foto
fiel mir ein, das Günter Lösche und mich als
Babies nebeneinander in Sportwagen zeigte,
geschoben von unseren Müttern. Ich kann ihn
nicht mehr fragen, ob Ilse Pfautsch auch seine
Patentante war. Im Februar 2014 erhielt ich von
Schulfreund Wolfgang Künanz die Nachrich von
Günters Ableben.
Auf meine Bitte
schaffte es Wolfgang, für das Grab afrikanische
Protea-Blüten zu besorgen. ...
... und sein
Foto von diesen Blumen erinnerte mich daran, wie
gut der alte Bernsdorfer Schneider Panitzek über
Afrika Bescheid wusste,
als er erfuhr, dass wir aus Zimbabwe gekommen
waren, um meine alte Heimat zu besuchen.
"Wo lebt ihr jetzt? In Zimbabwe?" hatte
er bei unserem Besuch 1987 gefragt.
"Lass mal sehen das ist doch dieser
südliche Teil der ehemaligen Rhodesischen
Föderation!" Wom!
"Wohnt ihr in Salisbury? Nein nein,
das heißt doch jetzt Harare!" Womm!
"Ja, ja euer Robert Mugabe ist bei
uns häufig auf dem Bildschirm!" Wommm!
Als Ende
September 1991 im Garten des Statehouse von
Harare Mikrofone zur regulären Pressekonferenz
des Staatspräsidenten aufgebaut wurden, hatte
ich kurz zuvor durch eine Unachtsamkeit der
deutschen Botschaft davon erfahren, dass Mugabe
die Einladung von Weizsäckers zum Gegenbesuch in
Deutschland angenommen hatte. Diese Information
mischte sich in meinem Kopf mit einer anderen
Nachricht, die wenige Tage zuvor aus einer Stadt,
nur 15 Kilometer entfernt von meinem Geburtsort,
weltweit verbreitet worden war: Was am 17.
September 1991 in Hoyerswerda mit einer Hetzjagd
auf vietnamesische Menschen begann, mündete in
dem ersten Pogrom der bundesrepublikanischen
Geschichte. Am selben Abend noch griffen mehrere
Dutzend Neonazis unter zustimmendem Gejohle
versammelter Hoyerswerdaer das Wohnheim der
ehemaligen Vertragsarbeiter mit Steinen an. Am
folgenden Abend kamen noch Molotow-Cocktails
hinzu, die Polizei griff kaum ein. Schließlich
wurden die Vertragsarbeiter evakuiert. Am 20.
September wurde auch das Flüchtlingswohnheim
angegriffen. Schon in den Wochen zuvor waren die
Bewohner immer wieder von Neonazis angegriffen
worden. An diesem Abend zogen diese mit dem Mob
vor das Flüchtlingsheim und bewarfen es mit
Steinen und Molotow-Cocktails. Einzelne Migranten
wurden von den Neonazis auch direkt angegriffen,
wozu der Mob die Gewalttäter durch Zurufe und
Applaus weiter anheizte. Am Morgen des 21.
September wurden die Flüchtlinge unter
SEK-Begleitung mit Bussen auf Unterkünfte im
Umland verteilt. Hoyerswerda wurde von den
Neonazis daraufhin zur ersten
ausländerfreien Stadt erklärt. Am 19.
September 1991, noch während des Pogroms, starb
Samuel Yeboah, ein ghanaischer Flüchtling, in
Saarlouis (Saarland) durch einen bis heute nicht
aufgeklärten Brandanschlag. Das Landratsamt
Hoyerswerda veröffentlichte dazu folgende
Lage-Einschätzung:
Es besteht einheitliche Auffassung dazu,
dass eine endgültige Problemlösung nur durch
Ausreise der Ausländer geschaffen werden
kann.
Nach
Abwicklung seiner Agenda gibt Mugabe der
internationalen Presse Gelegenheit, Fragen zu
stellen.
Ich arbeite in diesen Monaten als für die ARD
akkreditierter Reporter und frage, ob es stimmt,
dass er die Einladung zu einem offiziellen Besuch
in meinem Land angenommen habe.Woher wissen
Sie das? Das sollte doch noch ein Geheimnis
bleiben? Der Vertreter der deutschen
Botschaft funkelt mich böse aus dem Hintergrund
an. Aber es stimmt, bestätigt er.
Und könnten Sie sich bitte dazu äußern,
was das für ein Gefühl ist, in ein Land zu
reisen, in dem gerade Menschen mit anderer
Hautfarbe gejagt werden?
PAUSE
Der alte Mann hat sich mir jetzt komplett
zugewendet.
Eine Hand unter dem Ellbogen des anderen Armes,
die zweite Hand mit dem Rücken unter dem Kinn,
bei ihm die typische Nachdenk-Haltung.
Ich hoffe, ich werde Menschen treffen, die
sich daran erinnern und darüber traurig sind,
dass es in ihrer Geschichte eine Zeit gab, in der
sechs Millionen Juden umgebracht wurden.
...
(aus meinem Buch "Wie ich lernte,
die Welt im Radio zu erklären")
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