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IN DER
"NOCH"-DDR
Seit
1985 lebte meine Familie in Afrika. Meine Frau
half bei der Einrichtung von Kindergärten,
unsere Tochter besuchte eine Mädchen-Schule. Ich
arbeitete mit afrikanischen Kolleginnen und
Kollegen an Aufbau und Betrieb einer kulturellen
Radiostation bei der "Zimbabwe Broadcasting
Corporation". Danach berichtete ich von
Harare aus für deutsche Radiostationen
bis im November 1989 das Redaktionsinteresse an
Afrika-Themen dramatisch zurückging
in Berlin war die Mauer gefallen.
An jenem 9. November hörten wir davon zuerst
durch einen Telefon-Anruf von Verwandten in
Australien. Die sofort eingeschaltete Deutsche
Welle sendete weiter ein Feature zur
Kulturgeschichte von Treppen. Umgeschaltet zur
BBC, hörten wir einen Reporter, der es schon
geschafft hatte, am Brandenburger Tor des
Englischen mächtige DDR-Bürger für
LIVE-Interviews aufzutreiben. |
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Zu der Zeit hatte ich das
Skript für mein Buch "Der Weg nach Zimbabwe
oder Versuche, die Fremde zu verstehen" beendet. Es
erschien 1990 beim Hamburger Ergebnisse-Verlag mit jenem
einführenden Kapitel, das meinen persönlichen "Weg
aus der Enge" beschrieb, mein Kinder-Leben vor der
Flucht der Familie aus der DDR in den Westen im Jahr
1958.
Anfang 1990 es war noch nicht absehbar, dass es
bald keine DDR mehr geben würde erhielt ich von
einem westdeutschen Verlag die Anfrage, ob er dieses
Kapitel für eine geplante Anthologie, also für eine
Sammlung ausgewählter Texte über persönliche
Erfahrungen von DDR-Heimkehrern, verwenden dürfe. Das
Projekt fiel aus dank
"Wiedervereinigung". ...
In Zimbabwe hatte unsere
Tochter erfolgreich alle Prüfungen des
"A-Level" bestanden, den mit dem westdeutschen
Abitur vergleichbaren Abschluss im englischen
Cambridge-System (ein bis heute nicht überwundenes
koloniales Erbe!). Sie hatte gerade an der Technischen
Universität in Berlin ihr Architektur-Studium begonnen,
als sie lernte, wie durch den Versprecher eines
Parteibonzen eine Mauer durchlässig werden kann.
Im Frühjahr 1990 fuhren
wir beide mit unserem alten Passat (der jetzt ihr
gehörte) vom Westen in den Osten der jetzt nur noch
formal getrennten Stadt. Meine Idee war es, Conny die
alte Heimat zu zeigen, bevor an jeder Ecke die Werbung
für West- Zigaretten zu sehen sein würde, dafür aber
kaum noch ein Trabbi auf den Straßen.
An der noch vorhandenen
Zonengrenze wurden wir von DDR-Beamten durchgewunken, an
unseren Ausweispapieren war keiner mehr interessiert.
Ich hatte eine langsame
Annäherung vorgeschlagen, die Basis bloß elf Kilometer
entfernt vom Heimatort. Als Junge hatte ich es von
Bernsdorf aus öfter mit dem Fahrrad dorthin geschafft.
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Kamenz,
Arbeitsort von Vater und Geburtsort des Namens-
gebers seiner Firma, der
"Lessing-Druckerei", im Frühjahr 1990
noch immer ein "Volkseigener Betrieb". Bei Gotthold Ephraim Lessing, Dichter,
Literatur-Theoretiker und -Kritiker (1729 - 1781)
las ich, was mir sehr gut auf deutsch-deutsche
Entwicklungen zu passen schien:
"Der Langsamste, der
sein Ziel nicht aus dem Auge verliert, geht immer
noch geschwinder, als jener, der ohne Ziel um-
herirrt."
Gegenüber des Roten Rathauses
fanden wir eine private Pension, von der wir in
den folgenden Tagen unsere Ausflüge unternehmen
wollten. Beim ersten Frühstück klagte die
Besitzerin der "Goldenen Sonne" über
zu wenig Besucher.
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Die
würden bald kommen, wegen Gotthold Ephraim
Lessing natürlich und wegen des
Rhododendron-Blütenzaubers im Frühling am
Kamenzer Hutberg, nicht wegen Geschichten, die
WIKIPEDIA kennt:
Während des Zweiten Weltkrieges, vom Oktober
1944 bis April 1945, wurde im Gebäude der
stillgelegten Kamenzer Tuchfabrik Gebr. Noßke
& Co., Herrental Nr. 9 (Tarnname Elster
GmbH), ein Außenlager des KZ Groß-Rosen
betrieben, in dem nahezu 1000 Häftlinge, unter
ihnen 150 Juden, für die Daimler-Benz AG
Flugzeugmotorenteile herstellen mussten. |
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Bei WIKIPEDIA sind auch
Angaben zu unserem ersten Ziel zu finden: Prinz
Ernst Heinrich von Sachsen benutzte die
Moritzburg 19331945 als festen Wohnsitz.
... Wertvolle, ausgelagerte Bestände wurden in
der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 bei
den Luftangriffen auf Dresden komplett zerstört.
1945 wurden die Besitzer enteignet. Sie konnten
große Teile ihrer noch vorhandenen Schätze im
Schlosspark vergraben. ... Bis auf wenige Stücke
wurden diese von den sowjetischen Truppen
gefunden und abtransportiert. Meine
Erinnerung: Als kleiner Junge hatte ich zur
Moritzburg hinter Vater und Schwester
herzuradeln, 35 km hin, 35 km zurück! |
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(Suchbild:)
Auf ihrer zweiten DDR-Station
lassen sich Tochter und Vater von der Genossin
einer Spreewald-Kooperative vorwärts staken.Von
den anderen Bootsinsassen hört diese jetzt
Bayrisches, Berlinerisches, Schwäbisches,
manchmal sogar Englisches und Französisches.
An einer Anlegestelle nötigt sie alle,
eine Pause einzulegen. Ein erster
West-Unternehmer verkauft hier Münchener
Fassbier und Schweinshaxen noch gegen
Ost-Mark. Der Spreewald als Kulturlandschaft
wurde entscheidend durch die Sorben geprägt. Wer
wird ihre Kulturlandschaft künftig prägen?
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Von der Spree an die Elbe: Den
Rad-Dampfer nach Bad Schandau verpassten wir in
Dresden nur knapp. Wir wollten es bis zur
nächsten Anlegestelle schaffen. Also zurück
über die Elb-Brücke.
Auf der anderen Seite erlaubte die Verfolgung des
Dampfers mit Blick auf den Fluss bald nur noch
ein Waldweg, und der war unerlaubt. Das wollte
uns ein Volkspolizist klar machen als er
hinter einem Baum hervortretend unseren
Passat stoppte. Als er das West- Kennzeichen
wahrnahm, ließ er die Kelle sinken.
"Noch'nbar Monade, un dann is hier sowieso
Feierahmd." Er ließ die Kelle sinken und
uns durch.
Wir schafften es mit dem Dampfer hin und zurück,
und Conny lernte in Bad Schandau von einem
Kellner sächsisch- sozialistischer Schule, was
auf seiner Speisekarte "Sättigungs-
beilage" meinte: "Kartoffeln" |
Und dann ist es soweit:
Das Rathaus auf der
aktuellen Webseite des Dorfes seit 18. November
1968 mit Stadtrecht, verliehen zehn Jahre nachdem ich mit
Mutter und Schwester zum Vater "nach'm Westen
weggemacht" war. ...
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Dieses Rathaus wurde zur
Faschingzeit von "Truppen" des
Bernsdorfer Karnevalsprinzen-Paares
"gestürmt" und für die tollen Tage
besetzt gehalten. Wenn
dabei irgendjemand eine Anspielung auf einen
tatsächlichen "Machtwechsel" gemacht
hätte, zu meinen Ohren wäre das bis zum eigenen
"Wegmachen" nie gedrungen.
Als Kinder waren wir viel zu
beschäftigt, uns für die paar Tage in Kostüm
und Maske angelesene Träume zu erfüllen.
(Suchbild: Wer ist der Klaus?)
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Wo könnten wir noch einen
meiner alten Schulfreunde finden, an diesem Pfingstmorgen
in Bernsdorf?
Einer wohnte im Waldweg,
und dorthin fährt Conny mit dem Passat. Den stellen wir
ganz vorne ab, dann suche ich das Haus, linkerhand, das
erinnere ich. Ein Vorgarten, das Tor verschlossen,
daneben eine Klingel.
Conny wartet hinter mir,
ich drücke einmal, ich drückte ein zweites Mal. Am Haus
geht die Tür auf. Ein Mann erscheint, ein Badetuch um
die Hüften. Er guckt, ich grüße und frage: "Sind
Sie der Lösche Günter ?" Mir ist eingefallen, dass
die Bernsdorfer immer zuerst den Familiennamen, danach
erst den Vornamen nannten.
"Ja und wer sind Sie?" Er kommt zum Tor.
Ich hebe den Hut. Er bleibt stehen.
"Klaus? Der Schmidt Klaus?"
Ich nicke. Er schließt das Tor gar nicht erst auf. Er
langt darüber hinweg und drückt mich an sich.
WILLKOMMEN BEI EINEM
BERNSDORFER FREUND
PFINGSTEN 1990
Wir lernen seine
Frau, seinen Sohn kennen.
Wir erinnern uns an den Schraubstock unter dem
Schuppenvordach, in den wir eine im Wald
gefundene Gewehrpatrone geklemmt hatten, um
auszuprobieren, ob man mit Hammer und Nagel das
Ding zum Schießen kriegen könnte. Es knallte,
es gackerte, ein vorbeilaufendes Huhn fiel um.
...
Wir erinnern uns an Schätze, die wir im Wald
vergraben und nie wiedergefunden haben.
Ich erzähle ... er erzählt ...
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... unter anderem von
seinem früheren Job im Rathaus, und plötzlich fällt
ihm etwas ein. Er springt auf, kramt in Schubladen,
spricht dabei weiter.
"Ist das bei Euch auch so? Alle dreißig Jahre
werden bei uns Akten aussortiert, was weg kann, wird
verbrannt. Vor ein paar Jahren sollte ich das wieder
machen, ich will das im Rathaus-Keller schon in den Ofen
schmeißen, da sehe ich, das sind ja Akten aus unserer
Schule. Dann hab' ich das erst'mal weggelegt. ..."
Jetzt hält er einen schwarzen Stapel in die Höhe.
"Und das hab' ich für dich gerettet!"
Ich glaub' es nicht, es sind meine Schulhefte aus der
Klasse 8a, jene Hefte, in denen ich noch
Prüfungsaufgaben in Deutsch, in Mathe, in Physik, in
Chemie, in Geografie, in Russisch zu lösen versucht
hatte eine Prüfung, deren Ergebnis ich nie
erfuhr, weil ich vorher "weggemacht" war. Beim
Aussortieren der Schulakten, drei Dekaden später, hatte
Freund Günter an mich gedacht.
Und ich erfahre mehr von
ihm über unser früheres Leben in diesem Dorf. Beide im
Kriegsjahr 1944 geboren, seien unsere Mütter wohl
Freundinnen gewesen. Günter holt aus einer der
Schubladen ein altes Agfa-Foto, das uns beide als kleine
Pökse in unseren Sportwagen zeigt, nebeneinander
hergeschoben von seiner und von meiner Mutter. Auch er
hat das erst erkannt, als er das Foto im Nachlass seiner
Mutter fand.
Von der Straße ein Pfiff.
Günter sagt, das ist Mehle Dieter, der kommt von der
Nachtschicht in der "Schwarzen Pumpe". Er ruft
aus dem Fenster: "Komm 'mal rein! Du glaubst nicht,
wer hier ist. Der Schmidt Klaus aus'm Westen!"
Keine gute Idee!
"Warum kommste denn nich? ... Der geht einfach
weiter!"
Als er sich ratlos umwendet, erinnere ich ihn: "Der
hatte doch immer 'was gegen mich. Hast du vergessen, was
damals auf dem Schulhof passiert ist, und später bei der
Schulspeisung ..."
"Das ist doch über dreißig Jahre her ..."
"Das erste Mal vierzig Jahre! Da hat er mir mit
einem Schiefergriffel in den Hals gestochen. Ich hatte
Schwein, dass er keine Ader getroffen hatte, aber der
Griffel war abgebrochen und musste rausoperiert
werden."
"Ich sag ja immer, wir haben noch die Steinzeit
erlebt in der Schule, Schiefertafel, Schiefergriffel
..."
"Für mich war das kein Spass! Als er mir ein paar
Jahre später seine Suppenschüssel an den Kopf geknallt
hat, war ich für eine Weile bewusstlos ..."
"Und er hatte einen kaputten Topf. ... Der war
sauer, weil Du dauernd Medaillen für gute
Schulleistungen bekommen hast und dann noch deine
Pionierarbeit ..."
"Du meinst, ich war ein Streber?"
"Kein Streber, aber einer, der immer mehr wollte als
wir anderen, einer, der dann ... na ja, eben
wegmachte."
Pause.
"Das habt ihr so gesehen?"
"Na, wir sind geblieben."
"Aber ich wollte doch gar nicht, wir sind doch bloß
weg, weil Vati schon weg war. ..."
So, oder so ähnlich habe
ich unser Gespräch zu Pfingsten 1990 in der
"Noch"-DDR in Erinnerung. Seitdem habe ich
darüber nachgedacht, weshalb mein Vater meine Schwester
mitgenommen hatte nach Bremen, um sie dann alleine
zurückzuschicken. Mutter und ich hatten sowieso als
"Geiseln" in der DDR bleiben müssen.
Eigentlich hatte seinerzeit schon Günter Lösche
unbewusst ein Stichwort genannt: "Schwarze
Pumpe"! Von dort war der Mehle Dieter an jenem
Pfingstmorgen nach seiner Nachtschicht gekommen. Dorthin
hatte 1956 mein Vater hingehen müssen. Aber weshalb? ...
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... Weg von der
Lessing-Druckerei, wo er sogar Leiter des
Betriebs-Chores gewesen war? Da hinten, direkt
neben dem Klavier, hatte er bei der
Weihnachtsfeier gesessen. Zu
Hause hat mir nie jemand erklärt, wie es
möglich war, rausgeschmissen zu werden von einem
"Volkseigenen Be- trieb", strafversetzt
zu werden in eine Braunkohle-Brikett- Fabrik.
Ich war damals zwölf und ich
begriff nicht, weshalb sich Mutter mit einigen
Hausbewohnern aufmachte, um die Bahngleise nach
Vater abzusuchen, weshalb er bald darauf Mutter
und mich alleine ließ, um Verwandte in der BRD
zu besuchen. Bald darauf, das hieß Anfang 1957.
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In der Schule wurde mir
das Halstuch der Jungen Pioniere abgenommen. Auf dem
Schulhof bei einem Fahnen-Appell musste ich mir anhören,
dass mein Vater mit seiner Flucht in den Westen die
Errungenschaften der Arbeiterklasse verraten habe.
Konsequenz: Die vorgesehene Delegierung an die Oberschule
in Kamenz konnte ich vergessen.
Was hatte mein Vater
gemacht?
Seit dem Besuch in der
"Noch"-DDR mussten dreißig Jahre vergehen bis
mir ein Licht aufging. Ich hatte die Flucht des Vaters
von 1957 nie in Verbindung gebracht mit seinen
persönlichen Erfahrungen und mit Weltereignissen im Jahr
davor.
Am 13. Oktober
2020 sah ich diesen Film im Fernsehen, und wie
die sprichwörtlichen Schuppen fiel es mir von
den Augen: Das Jahr, in dem mein Vater
"wegmachte", war dem Jahr des
Ungarischen Volksaufstandes gefolgt. Und
plötzlich kamen Erinnerungen zurück, die ich
nie in diesem Zusammenhang vermutet hätte
die russischen Panzerkolonnen die nachts auf der
Hauptstraße durch das Dorf nach Osten rollten
"... nach Ungarn", hatte Vater
geflüstert, die leisen RIAS-Reportagen aus
Ungarn, bei denen Vater mich zuhören ließ,
immer mit dem Hinweis, niemandem etwa davon zu
erzählen, der Hilferuf von Imre Nagy, eines
Reform- Kommunisten, an die Freie Welt.
Am 1. November hatte dieser die Neutralität
Ungarns proklamiert und die Mitgliedschaft seines
Landes im Warschauer Vertrag aufgekündigt. Die
seit 1945 stationierten sowjetischen
Besatzungstruppen sollten das Land verlassen.
Damit war für die Sowjets, die bereits seit Ende
Oktober eine Intervention in Ungarn vorbereitet
hatten, endgültig der Zeitpunkt zum Handeln
gekommen. Am 4. November rückten starke
sowjetische Panzerverbände in Ungarn ein. Bis
zum 15. November schlugen sie mit brutaler Härte
den Aufstand in der Hauptstadt Budapest nieder.
Imre Nagy wurde am 22. November verhaftet, obwohl
man ihm Straffreiheit zugesichert hatte, und im
Juni 1958 nach einem streng geheimen Prozess mit
anderen Anführern des Volksaufstandes
hingerichtet.In unserer
Schule gab es 1956 kein "Schweigendes
Klassenzimmer", aber mein seit seiner
Rückkehr aus dem Krieg eher verschlossener Vater
brach 1956 auf eine für mich dreißig
Jahre lang unverstandene Weise sein
Schweigen.
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Die
Erinnerung liegt bis heute in meinem
Schreibtisch-Schublade:
Vaters Drucker-Lupe. Darunter hatte er mir den
Ausschnitt eines Bildes von Wilhelm Pieck
gezeigt. Der hatte sein politisches Handwerk
über die Jahrhundertwende bei der Bremer SPD
gelernt (siehe Link ganz unten).
Nach Gründung der DDR, 1949, war er bis zu
seinem Tod ihr einziger jemals amtierende
Präsident. Auf den meisten amtlichen Fotos trug
er eine Krawatte mit weißen Punkten. Auf jenem,
das mein Vater mitgebracht hatte, gab es einen
Fleck auf einem der Punkte. Unter der Lupe
erkannte ich ein winziges Hakenkreuz. ...
Niemandem durfte ich davon erzählen. Nie werde
ich erfahren, ob er es war, der es in diesen
Punkt montiert hatte, und wenn ja
weshalb ... Erinnerung vielleicht
an jenen 17. Juni 1953, als schon einmal
sowjetische Panzer einen Aufstandsversuch
niedergerollt hatten, zu Hilfe gerufen von der
DDR-Führung? An deren Spitze:
Wilhelm Pieck!
Oder eigene Erfahrungen mit sowjetischen Panzern
vor etwas mehr als einer Dekade als Hitlers Soldat? Davon hat er mir nie
etwas erzählt. ...
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Siegfried
Körner,
der eifrige Bernsdorfer Geschichtensammler,
in seiner Chronik: |
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Lagebericht vom 30. Juni 1990:
Die Konsum-Kaufhalle Industriewaren in der
ehemaligen Gaststätte "Zur Bauerei"
hatte fast keine Waren mehr anzubieten. Ein
eigenartiger Anblick, wenn in den Schaufenstern
und in den Regalen fast nichts mehr an Waren
steht.
Das HO-Textilkaufhaus hatte nur notdürftig
bekleidete Puppen im Schaufenster.
Ein gespenstischer Anblick ... Mit dem Staatsver-
trag wurden alle Volkseigenen Betriebe ab 1. Juli
1990 in Kapitalgesellschaften umgewandelt.
Der "VEB Holzbauwerke" nennt sich jetzt
"Bauelemente GmbH".
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Dieser Betrieb, in der
Wendezeit von der Treuhand übernommen, war 1910 als
Baugeschäft "Otto Schneider" gegründet worden
und produzierte Holzhäuser, Flugzeughallen und Möbel.
(Quelle: Bernsdorfer Arbeitsgruppe Stadtgeschichte)
1928 verließ die tausendste Küche die Fabrikhalle.
Mitte der Dreißiger Jahre erlebten die Holzbauwerke mit
einem kurz- fristigen Anstieg von ehemals 500
Mitarbeitern auf 1000 ihren Höhepunkt.
1945
wurde das Baugeschäft durch Volksentscheid
enteignet und demontiert. Schon ein Jahr später
erfolgte jedoch der Wiederaufbau unter dem Namen
"VEB Holzbauwerke Bernsdorf" ... |
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... Der
Haupteingang des Betriebes lag genau gegenüber
vom Erkerfenster der Familie Schmidt auf der
anderen Seite der Dresdener Straße. |
Und aus diesem Betrieb
"machte" ebenfalls eine Familie
"weg", drei Jahre vor meinem Vater, vier Jahre
vor meine Mutter, meiner Schwester und mir. Diese Familie
hatte auch einen Jungen dabei. Der war zur Schule
gegangen wie ich in Berns- dorf. Und er
wohnte wie ich ein halbes Jahrhundert
später in der selben niedersächsischen Samtgemeinde!
Wir trafen uns zufällig an Bord eines Weser-Schiffes bei
einer Kaffeefahrt von Nienburg nach Hoya und zurück.
Danach lernte ich noch seine Mutter kennen, sein Vater
war schon tot. Er habe den "Volkseigenen Betrieb
Holzbauwerke Bernsdorf" geleitet, erzählte mir der
Sohn. Die Abreise aus Bernsdorf habe schon 1954
stattgefunden. Nach seinen Worten war es eine Art Umzug
zu Verwandten mit Möbeln, mit Büchern, mit
allem, was ihnen lieb und wichtig gewesen war. An
Bernsdorf hatte er kaum Erinnerungen, er war etliche
Jahre jünger als ich. Und er ist wieder aus meinem Leben
verschwunden, nach dem Tod auch seiner Mutter.
Diese hatte nie reagiert auf die alten Bernsdorfer
Schwarz-Weiß-Fotos, die in ihrem Briefkasten steckten,
begleitet von einem Brieflein, mit dem ich den Austausch
gemeinsamer Erinnerungen angeregen wollte.
Ein führender
sozialistischer Betriebskader, der 1954 mit Familie samt
Möbeln in den Westen ausreisen durfte? ...
Noch ein DDR-Geheimnis!
Und ein paar Straßen weg
von der letzten Adresse jener Familie (der Sohn hatte das
Haus verkauft), gab es in meiner Nach- barschaft eine
weitere DDR-Verbindung, eine sehr prominente sogar!
Zweimal besuchte er in Blenhorst Verwandte, zweimal
verpasste ich den Mann, den ich als Kind 1955 bei einer
"Friedensfahrt" durch Bernsdorf hatte radeln
sehen.
Im August 2011 las ich bei t-online/sport:
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Bei einer Lesung von
Radsport-Legende Täve Schur in Berlin ist es zum
Eklat gekommen. Während der 80-Jährige aus
seinem Buch "Der Ruhm und ich" las,
sprangen die Doping-Opfer Uwe Trömer und Andreas
Krieger auf und pro- testierten lautstark gegen
Aussagen von Schur. Besonders der Satz "Den
DDR-Sport als 'kriminelle Vereinigung'
hinzustellen, geht mir ans Herz'', erzürnte die
Zuhörer. "Ich litt durch Doping an
beidseitigem Nierenversagen, hatte schwarzen
Urin. Ich war zehn Stunden vom Tod entfernt. Und
Sie sagen, das war kein Unrechtssystem?",
rief Trömer, zu DDR-Zeiten Bahnradfahrer.
Trömer ergänzte: "Es war richtig, Sie
nicht in die 'Hall of Fame' aufzunehmen."
Schur nahm die Einwände zur Kenntnis: "Ihr
Fall ist tragisch, aber es gab Ent-
schädigungen." Krieger, als Frau unter dem
Namen Heidi Krieger 1986 Europa- meisterin im
Kugelstoßen, ergänzte: "Meine Gesundheit
kann ich mir nicht zurückkaufen."Schur gilt als einer der
erfolgreichsten DDR-Sportler. Der gelernte
Mechaniker wurde 1958 und 1959
Straßenweltmeister der Amateure, 1955 und 1959
triumphierte er bei der Friedensfahrt, der Tour
de France des Ostens.
Zu DDR-Zeiten saß Schur in
der Volkskammer. Später zog er für die PDS in
den Bundestag ein. Seine Rolle blieb strittig,
deshalb wurde er auch nicht in die "Hall of
Fame" des deutschen Sports aufgenommen.
(Das Foto stammt aus
dem "Bundesarchiv")
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>>> Erfahrungen
bei und Erkenntnisse nach dem Besuch 1990 mit Tochter
Conny in der "Noch"-DDR. <<<
2007 erreichte mich in
Afrika eine Einladung zu einer Jubiläumsfeier in
Bernsdorf.
Wie hatte man dort meine Adresse herausgefunden?
Das Vorbereitungskommittee hatte einen alten
Schulkameraden gefragt.
Dessen Ost-Erfahrung als "Rechercheur" war nach
der Wende im Westen gefragt.
Das und viel mehr erfuhr ich, als meine Frau und ich 2008
der Einladung in die "Ex"-DDR folgten:
Eine Bilder-Geschichte
in der nächsten Folge!
Und hier geht es zu
einer zusätzlichen "Weltexpresso"-Geschichte :
"KEIN GEDENKEN, WENN ES UM DIE DDR GEHT ...
und was es doch zu lernen gäbe, zumindest für Bremer
(danach auf "zurück" klicken, um noch TEIL 3
anzusehen)
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