taz Bremen /
15.03.2013
Radio Bremen in Existenznot
VON KLAUS WOLSCHNER
Radio Bremen ist in
»existenzbedrohlichen Nöten«, das ist
das Fazit eines Berichts über Radio
Bremen, den die Rechnungshofpräsidentin
Bettina Sokol am Freitag vorgelegt hat.
Der Sender habe ein »strukturelles
Defizit« von jährlich mehreren
Millionen Euro, das bisher oft durch
zunehmende Kredite und rechtlich
fragwürdige Finanz-Operationen kaschiert
werde. Wenn Radio Bremen für 2014 nicht
einen weiteren Kredit der reichen
Rundfunkanstalten bekomme, sei der Sender
»auf Basis der bestehenden Planungen im
Geschäftsjahr 2014 zahlungsunfähig«,
das steht sogar im Bericht der
Wirtschaftsprüfer von Radio Bremen. An
eine Rückzahlung der auflaufenden
Kredite ist nicht zu denken, die
Verschuldung sei »existenzgefährdend«,
stellt der Rechnungshof dazu fest.
Zur Finanzierung des Neubaus hat Radio
Bremen zum Beispiel Wertpapiere aus dem
»Deckungsstock« der Altersvorsorge
verkauft »problematisch« findet
das der Rechnungshof. Erträge aus
Wertpapieren aus der Rücklage für die
Altersversicherung flössen in den
laufenden Haushalt, sogar mit
Hedgefonds-Papieren könnte für die
Alterssicherung spekuliert werden
alles zu riskant, findet der Rechnungshof
und empfiehlt dem Senat daher, eine
gesetzliche Regelung für den
Deckungsfonds zu schaffen, um die
Kreativität der Radio-Bremen-Haushälter
einzuschränken. Denn am Ende würde das
Land Bremen für Radio Bremen haften.
Handeln könnte der Senat auch gegen eine
weitere, vom Rechnungshof als
rechtswidrig dargestellte Praxis: Radio
Bremen hat einen Überziehungskredit von
maximal 6,5 Millionen Euro für das
laufende Geschäft. Das, so der
Rechnungshof, ist nach dem
Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag
schlicht verboten. Die Rechtsaufsicht
über diese Praxis, so erklärte Sokol
auf Nachfrage, hat der Bremer Senat.
Seine rechtswidrige Kreditaufnahme am
Kapitalmarkt rechtfertige der Sender mit
dem Hinweis auf die rechtswidrig
schlechte Finanzausstattung, erklärte
Sokol.
Die Ausgaben von Radio Bremen sind
zwischen 2007 und 2011 von rund 120
Millionen auf knapp 100 Millionen Euro
zurückgegangen. Die Programmleistungen
des Bremer Senders für die ARD sind
gleichzeitig von 2,5 Prozent auf 0,75
Prozent zurückgegangen damit ist
die »Präsenz« des Senders in der ARD
geschwächt.
Auch die Zusammenlegung von Hörfunk und
Fernsehen in einem Neubau im
Faulenquartier hat die Finanzprobleme
offenbar nicht wie erhofft lösen
können.
www.taz.de/!112945
Anfang 2013 gab es bei Radio Bremen also:
> weniger Fachkompetenz
> weniger Anteil am ARD-Programm
> weniger Finanzausstattung
Wie kam es dazu?
Das hat Radio Bremen ins Abseits
geführt:
> keine inhaltliche Debatte
organisatorischer Alternativen
> radikale Beschneidung von
Personalbestand und Produktionspalette
> Bau eines teuren Rundfunk-Gebäudes
für einen phantasielos geschrumpften
Apparat
> durchgesetzt von einem
debattier-unwilligen
Medienmanager-Import.
Verantwortlich dafür waren auch
Kontrollgremien, die nie das Gespräch
mit den Machern des Programms gesucht
hatten, statt dessen setzten sie auf
immer neues, von aussen herangeholtes
Spitzenpersonal, das sich nach
Besichtigung der Bremer Medien-Baustelle
krank meldete oder abreiste.
Planung und Exekution des Umbaus von
Radio Bremen landeten schliesslich in den
Händen eines Mannes, dessen medialer
Werdegang bei Wikipedia so beschrieben
ist:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Glässgen
Heinz Glässgen beginnt nach
Abschluss seines Studiums der
Philosophie, Theologie, Geschichte und
Politik in Tübingen, Bonn und Wien 1970
beim damaligen Süddeutschen Rundfunk
(SDR) in Stuttgart. 1971 wird er
Fernsehbeauftragter und Leiter der
Fachstelle Medienarbeit der Katholischen
Kirche. 1980 promoviert er, wird in den
SDR-Rundfunkrat gewählt und dessen
stellvertretender Vorsitzender. 1985
wechselt Glässgen zum NDR nach Hamburg
und wird dort 1990 Leiter der
Hauptabteilung Kultur. 1995 wird er
stellvertretender
Fernseh-Programmdirektor des Hamburger
Senders. Vom 1. Oktober 1999 bis 2009 war
er Intendant von Radio Bremen. In seine
Amtszeit fallen diverse Einschnitte für
Radio Bremen: Aufgrund drastischer
Mittelkürzungen muss der Sender bei zwei
seiner vier Hörfunkprogramme
Kooperationen mit grösseren
ARD-Anstalten eingehen. Radio Bremen 2
wird zum RB/NDR-Programm Nordwestradio,
Radio Bremen Melodie geht im
WDR/RB-Programm Funkhaus Europa auf.
Diverse Abteilungen wie Produktion,
Requisite oder Sendetechnik werden
ausgelagert. Im Herbst 2007 wurden die
zuvor getrennten Standorte von Hörfunk
und Fernsehen an einem neuen Standort in
der Bremer Innenstadt zusammengeführt.
Als vor zwölf Jahren dieser Intendant
alle meine Bemühungen um
Kooperationspartner des Senders für den
Bau einer medialen Nord-Süd-Brücke mit
der Forderung scheitern liess, diese
sollten auch noch mein Radio
Bremen-Gehalt mitfinanzieren, legte ich
Wert auf folgende Feststellung:
»Der Kostenfaktor GEHALT kann nur
indirekt als Teil der Projekt-Kosten
gewertet werden; er ist Bestandteil
meiner Planstelle bei Radio Bremen, die
nur verhandelbar ist im Rahmen der von
allen Tarif-Parteien akzeptierten
Bedingungen einer generellen
Umstrukturierung Radio Bremens. Dieses
Recht bleibt von meiner Bemühung
unberührt, mit dem Projekt für Radio
Bremen einen neuen Geschäftsbereich
einzurichten, der u.a. helfen soll,
Personalkosten durch Fremdmittel zu
finanzieren.«
Als es Anfang März 2001 an der Spitze
Radio Bremens zu einer Krise kam und
Intendant Glässgen das Handtuch werfen
wollte, fasste Rundfunkratsmitglied und
CDU-Landeschef Bernd Neumann gegenüber
dem »Weser-Kurier« aus seiner Sicht
zusammen, was bei Radio Bremen alles
passieren sollte:
»Glässgens Aufgabe grenzt an die
Quadratur des Kreises: Er soll in kurzer
Zeit dramatisch sparen, Personal abbauen,
für Innovationen sorgen und die
Zuschauer- und Hörerquote verbessern«.
dass solche Reformen harte
Auseinandersetzungen auslösten, sei von
vorneherein klar gewesen: »Das muss
man aushalten können.«
Am 10.03.2003 schrieb ich in einer
vertraulichen Notiz:
Es handelt sich um ein
Sanierungskonzept, das keinen Widerspruch
erlaubt, »weil« und »wenn«
w e i l Chancen für Alternativen
endgültig vertan sind; dass sie vertan
sind, scheint nach meinem Verständnis
allerdings auch Schuld einer bremischen
Medienpolitik zu sein, die dem Wildwuchs
struktureller und inhaltlicher
RB-Konzepte tatenlos zusah,
w e n n man RB beim Kampf ums
Überleben wie einen Organismus
behandelt, der auch eine Seifen- oder
eine Knopffabrik sein könnte, mit
anderen Worten, egal was da produziert
wird, es käme nur noch auf
Arbeitsplätze und Umsatz an.
Darauf kommt es aber eben nicht alleine
an. Es geht auch um den Medienstandort
Bremen, der bei der wirtschaftlich
erzwungenen Umorientierung RBs
nicht bloss quantitativ, sondern vor
allem qualitativ zu definieren ist.
Kann das von einem Spitzenmann ohne Team
geleistet werden?
Erst wirtschaftliche Sanierung
ausschliesslich durch den Spitzenmann
(weil ihm das real existierende Team nur
Knüppel in die Beine schmeisst), danach
bricht hoffentlich ein neues Zeitalter
an, Rundfunk wird sich auf wirtschaftlich
sanierter Basis neu entfalten?
Ich fürchte, dafür ist der Zug
abgefahren: unterschätzt werden die
Kräfte bei RB, die solcher Analyse nicht
folgen können oder wollen.
Aber: Ohne diesen Spitzenmann offenbar
auch kein Konzept für die
Selbständigkeit RBs. Also Fusion
RBs mit dem NDR? Dem mag man im
Bremer Rathaus vielleicht nicht folgen
wollen, siehe oben: Medienstandort Bremen
und zwar möglichst eigenständig!
Solche strategisch/taktischen
Überlegungen sind eigentlich nicht mein
Bier. Ich bin seit über 35 Jahren RB als
Programm-Macher verbunden, und ich sorge
mich um das Produkt RBs, für das
längst Konzepte innovativer
Technologie-Anpassung hätten entwickelt
werden müssen. Dies ist nie Gegenstand
des Auftrages gewesen, den dieser
Spitzenmann von den Räten erhalten hat.
Es scheint diese auch gar nicht
interessiert zu haben, dass überall in
der Welt Rundfunkentwicklung neu und
revolutionär interpretiert wird, eben
auch mit der Einführung neuer, z.B.
Internet-orientierter Geschäftsbereiche
(wohlgemerkt, das ist nicht das, was RB
gegenwärtig mit seinem passiven und eher
PR-orientierten Web-Auftritt
praktiziert).
Nach meiner Einschätzung lässt sich nun
am Verlauf des oben geschilderten
Szenarios wenig ändern, also sollte
begonnen werden, über Alternativen
öffentlich-rechtlichen Rundfunks in
Bremen nachzudenken, etwa durch die
aktive Suche nach anderen
öffentlich-rechtlichen Betreibern von
Radiowellen, die ja vor einer
Übergabe an den NDR nach wie vor
bei der Bremer Landesmedienanstalt
verwaltet würden und durchaus an andere
Betreiber vergeben werden könnten.
Es ist der Anstoss gegeben worden für
eine grundsätzliche Reformation
bremischen Rundfunkwesens. Es käme jetzt
darauf an, dies zu erkennen und dafür
neue Weichen zu stellen.
taz Bremen / 14.02.2013
Wenn beim Radio die Fachkompetenz
stört
Freie Mitarbeiter haben auch bei
Radio Bremen keinen besonderen
»Tätigkeitsschutz«: Der Sender
beschäftigt den Wirtschaftsfachmann
Reinhard Sablotny kaum noch für
Wirtschaftsthemen.
Seit 25 Jahren ist Reinhard Sablotny
Reporter mit Schwerpunkt Wirtschaft,
seine Kompetenz ist unbestritten. »Ein
anerkannter Mitarbeiter«, der »wichtige
Arbeit« gemacht hat für den Sender, ein
»verdienter Mitarbeiter», so lobte ihn
der Justitiar Michael Gerhard vor dem
Arbeitsgericht. Der Sender bringe ihm
grosse »Wertschätzung« entgegen. Der
Reporter war vors Arbeitsgericht
gegangen, weil er sich »regelrecht
ausgehungert« fühle, so formulierte das
sein Anwalt Jürgen Maly Sablotny
ist »Freier« und wurde einfach
drastisch weniger beschäftigt als in
früheren Jahren.
Der
arbeitsrechtliche Hintergrund des
Konfliktes besteht darin, dass es bei
Radio Bremen freie Mitarbeiter gibt, die
de facto aber einen ähnlichen Status wie
Festangestellte haben. Wenn Sablotny
festangestellt wäre, dann bekäme er
seinen Arbeitslohn, egal ob seine Arbeit
gefragt ist oder nicht. Als Freier muss
er seine Themen »anbieten«. Und dann
kann die Redaktion sagen: wollen wir,
oder: wollen wir nicht. Der
arbeitsrechtliche Bestandsschutz, den
Freie bei Radio Bremen geniessen, sei
tatsächlich ein »Tätigkeitsschutz«,
hatte Anwalt Maly in seinem Schriftsatz
argumentiert. Denn wenn Radio Bremen
zunehmend Mitarbeiter, die von
wirtschaftspolitischen Themen weniger
Ahnung haben, mit solchen Themen betraut,
wird der Wirtschafts-Fachmann Sablotny
arbeitslos.
Der Trend gehe bei
Radio Bremen zunehmend dahin, freie
Mitarbeiter tagesweise für »Schichten«
anzuheuern die müssen dann alles
machen. Eben auch die Themen, die früher
von fachkompetenten Freien gemacht
wurden. Nachdem er nach der Rückkehr aus
der Elternzeit protestiert hatte, weil er
fast gar nichts mehr zu tun hatte, wurden
ihm selbst 14 solcher allgemeinen
Politik-»Schichten« pro Monat
angeboten. Darauf basiert inzwischen im
Wesentlichen sein Monatseinkommen.
www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ra&dig=2013%2F02%2F14%2Fa0234&cHash=b3f7a50fe100b78e60c2374349d1a7f7
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