Klaus Jürgen Schmidt 1976
CONNYS
REISE AUF DIE PHILIPPINEN
ABREISE UND ANKUNFT
Ich habe Ende August Geburtstag - und das war
mein Glück. In dem Jahr, in dem Klaus zusammen
mit Elsa die lange Reise durch Südostasien
beginnen sollte, da wurde ich sechs Jahre alt.
Mit sechs Jahren muß man zur Schule gehen. Aber
weil ich den sechsten Geburtstag erst nach dem
Anmeldetermin hatte, konnten meine Eltern
entscheiden, ob ich schon Schulkind sein sollte
oder noch nicht. Und sie sagten:
"Kreidestaub kannst Du noch lange genug
einatmen." Damit meinten sie, lernen kann
man auch etwas, ohne dauernd im Schulzimmer zu
sitzen. "Das ist für viele Jahre die letzte
Gelegenheit, daß wir zusammen verreisen können
- bis auf die andere Seite der Erde!" Und so
fingen wir an, unsere Reise nach Südost-Asien
vorzubereiten.
Das Blödeste waren die Impfungen gegen Pocken
und Cholera, außerdem mußten wir beginnen,
regelmäßig Tabletten gegen Malaria einzunehmen.
Das sind schwere Krankheiten, die es in heißen
Ländern manchmal als Seuchen gibt. Das
Traurigste war der Abschied von "Max"
und "Moritz", meinen beiden
Goldfischen. Wir schafften sie zu einem Brunnen
auf dem Liebfrauenkirchhof in Bremen, wo
Taxi-Fahrer noch viele andere Fische versorgen.
Ich habe ein großes Geldstück aus meiner
Sparbüchse zu all den Münzen in den Brunnen
geworfen - für's Fischfutter. Das Lustigste
waren die Reporter, die von unserer Reise
erfahren hatten und in der Zeitung schrieben:
"Eine Bremer Deern geht auf Weltreise".
Einer fragte mich, was ich am liebsten esse.
"Reis natürlich," habe ich gesagt.
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Schließlich besorgten
meine Eltern einen richtigen alten Lederkoffer - klein,
aber mein. In den wollte ich unterwegs einpacken, was mir
in jedem Land besonders gefiel. Und dann war es soweit:
Nach einem sehr langen Flug immer in die Richtung, wo die
Sonne aufgeht, sah ich weit unten auf der Erde lauter
winzige Teiche - hunderte, tausende - dicht
nebeneinander, nur von Strichen getrennt. Die Sonne
spiegelte sich auf ihrer Oberfläche. Es sah aus, wie ein
Boden aus lauter eckigen Spiegelscherben. Später, als
das Flugzeug tiefer ging, sahen wir auch viele grüne
Flächen dazwischen. "Das sind Reisfelder,"
sagte Klaus, "wir sind in Asien, dort, wo der Reis
wächst!"
Reis hatte ich bisher hauptsächlich als Milchreis mit
Zucker und Zimt und mit brauner Butter gekannt, oder mit
gekochten Apfelstückchen und Rosinen darin. Den habe ich
immer mit einem großen Löffel gegessen, von einem
Teller. Ein paarmal hatten Elsa und Klaus mich zu Hause
in ein chinesisches Restaurant mitgenommen. Dort gab es
statt Teller Schüsseln aus Porzellan und statt Löffel
zwei hölzerne Stäbchen - so groß wie neue Bleistifte -
manchmal waren sie aus Plastik. Und damit sollte ich Reis
essen - Reis, der viel flockiger war und überhaupt nicht
aneinanderpappte wie mein Milchreis! Die Erwachsenen
machten sich mit Stäbchen 'was vor - eine Erbse
aufheben, oder ein einziges Reiskorn. Damit gaben sie
mächtig an.
Schon in den ersten Tagen nach unserer Ankunft in
Südost-Asien fand ich heraus, daß die Kunst in
Wirklichkeit darin besteht, mit solchen Stäbchen einen
ordentlichen Happen in den Mund zu kriegen! Ich sah, daß
die Schale mit der einen Hand bis an die Lippen gehoben
wird, und die andere Hand schaufelt mit den beiden
Stäbchen den Reis in den Mund. Alle anderen Sachen -
Fleisch, Fisch, Gemüse - liegen kleingehackt auf
gemeinsamen Tellern. Von dort kann man sich mit den
Stäbchen nun wie mit einer Art Zange Bissen für Bissen
abholen, was man gerade mag. Dann gibt es Schälchen mit
Soßen; in die werden die Happen mit den Stäbchen
eingetunkt. Man muß aber aufpassen, denn diese Tunken
sind nur manchmal süß oder auch säuerlich, meistens
sind sie furchtbar scharf. Da hilft dann nicht 'mal ein
großes Glas Limonade, um das Feuer zu löschen, das man
im Mund spürt. Aber das kann sich jeder nach seinem
Geschmack zubereiten, und dabei ist eigentlich alles
erlaubt: Man kann schmatzen und schlürfen, und wenn man
will, kann man sogar mit den Händen zufassen - ohne daß
jemand schimpft! In manchen Gegenden wird sogar Reis mit
den Fingern gegessen - und manchmal haben die Leute dort
nicht viel mehr zu essen als bloß Reis!
ALS DER PRÄSIDENT GEBURTSTAG HATTE
Wenn ihr wissen wollt, wie heiß es ist, wenn man in
Südostasien aus dem Flugzeug steigt, dann besucht 'mal
im Sommer eine Gärtnerei. Dort bleibt ihr solange im
Treibhaus, bis der Stoff vom Kleid oder vom Hemd an der
Haut klebt. So feuchtheiß war es, als wir in Manila auf
den Philippinen ankamen. Auf der Fahrt mit dem Taxi vom
Flughafen in die Stadt sahen wir am Strassenrand lange
Reihen von Schulkindern. Die Mädchen trugen weiße
Blusen und dunkelblaue Röcke, die Jungs weiße Hemden
und dunkelblaue Hosen. Sie sangen Lieder und einige
spielten auf Instrumenten aus Bambusrohr - ein toller
Empfang!
Als wir unser Hotel erreichten, erfuhr ich aber, daß der
Kinderaufmarsch mit unserer Ankunft überhaupt nichts zu
tun hatte. Im Zimmer, das wir mieteten, war das Radio
eingeschaltet, und Klaus übersetzte die Durchsage, die
zwischen viel Musik den ganzen Tag über wiederholt
wurde: "Wir sehen uns um, und wir sehen alles in
guter Verfassung," sagte die Radio-Stimme. "Es
sind die Früchte Ihrer selbstlosen Arbeit, Mister
Präsident. Sie sind der Vater unseres Volkes!"
Wir waren an dem Tag in Manila eingetroffen, an dem der
Präsident Geburtstag feierte. Ich habe ihn später
einmal bei einer Parade gesehen. Dort kündigte ein
Lautsprecher die Ankunft seiner ganzen Familie an, sogar
seinen Sohn: "...und Ferdinand Marcos, junior!"
Und alle standen stramm - die Soldaten, die Minister und
das ganze Publikum. Anschließend marschierten
stundenlang Menschen aus allen Gegenden des Landes an der
Präsidenten-Familie vorbei: Bauern mit ihren großen
Hüten, Fabrik-Arbeiter mit ihren Werkzeugen, Ingenieure,
Krankenschwestern, Schulkinder. Und da habe ich nicht
mehr geglaubt, was im Radio zu hören war - daß der
Präsident die ganze Arbeit alleine schafft!
"MABUHAY!"
Manila war die Stadt, wo ich vieles zum ersten Mal
erlebte, was in Südost-Asien anders ist als bei uns. In
unserem Hotelzimmer zum Beispiel gab es eine Art
elektrischen Ofen. Der kühlte drinnen und blies die
heiße Luft nach draußen, und er machte dabei ziemlich
viel Krach. Solche Apparate heißen "Air
Condition" - das ist englisch und man spricht es
"Ähr Kondischen".
Am Anfang konnte ich überhaupt kein englisch. Das war
schlimm, weil ich doch auch mit keinem Kind reden konnte.
Neben unserer Hotel-Wohnung lebte eine Familie mit einem
Mädchen. Das war ein Jahr jünger als ich. Es sah
genauso aus wie Kinder auf Bildern aus Asien, die ich zu
Hause gesehen hatte: Glattes schwarzes Haar mit einem
Ponyschnitt und ganz dunklen Augen. Wie, soll ich die
Form dieser Augen beschreiben?
Ihr bekommt einen Eindruck davon, wenn ihr vor dem
Spiegel eure Augenwinkel mit den Fingern leicht nach
außen zieht. Die Erwachsenen sagen dazu
"Mandel-Augen". Das Mandelaugen-Mädchen wurde
meine erste Freundin in Südost-Asien. Sie war auch fremd
in Manila. Ihre Eltern kamen aus Korea - das ist ein Land
weiter nördlich in Asien, gegenüber von Japan. Wir
konnten zuerst kein Wort miteinander reden. Also nahmen
wir uns bei der Hand, und dann fuhren wir mit dem
Hotel-Fahrstuhl immer rauf und runter. Dabei lernten wir
unsere ersten englischen Wörter, denn alle Leute, die
den Fahrstuhl benutzten, fragten uns: "What's your
name?"
Klar, sie wollten unsere Namen wissen. Ich sagte:
"Constanze Schmidt!" Meine Freundin sagte:
"Kwang Bae Kim!" Und weil das keiner richtig
verstand, sagte ich später nur noch "Conny",
und meine koreanische Freundin sagte "Kim".
Schließlich fragten die Leute: "How old are
you?" Klar, das hieß: "Wie alt seid ihr?"
Das fragt ja zu Hause auch jeder Fremde zuerst. So fingen
wir an, englisch zu reden: "Six," sagte ich.
"Five", sagte Kim.
"Aber wieso wird hier englisch gesprochen,"
wollte ich am Abend von Klaus wissen, "und nicht
philippinisch?"
"Oh, es gibt hier mehr als einhundert verschiedene
Sprachen und Dialekte." Klaus schlug ein Buch auf.
"Das habe ich mir heute besorgt, Darin steht fast
alles, was du über Land und Leute wissen willst. Weißt
du, wieviele philippinische Inseln es gibt?
Siebentausendeinhundertundsieben! Und da werden Sprachen
gesprochen, die heißen zum Beispiel 'Cebuano', 'Bikol',
'Pampango' oder 'Ilocano'. Am häufigsten aber wird
'Tagalog' gesprochen, das ist die philippinische
Nationalsprache seit 1946."
"Tagalog klingt lustig. Habe ich aber noch nie
gehört, immer bloß englisch!" "Doch,"
behauptete Klaus, "bei der Parade die National-Hymne
- das ist das, was bei uns 'Deutschland-Lied' heißt.
Hier ist sie übrigens abgedruckt."
Englisch: "Land of the morning
Child of the sun returning
With fervour burning
Thee do our souls adore."
Tagalog: "Bayang magiliw
Perlas ng Silanganan
Alab ng puso
Sa dibdio mo'y buhay."
Deutsch: "Land des Morgens
Kind der wiederkehrenden Sonne
Mit brennender Glut
lieben unsere Seelen Dich."
"Aber," beharrte ich, "die meisten
Einheimischen reden doch englisch hier in Manila und
nicht Tagalog!"
Klaus lachte: "Ja, wenn sie mit Ausländern
reden."
"Aber warum dann nicht deutsch?"
"Also, um genau zu sein, sie sprechen auch nicht
englisch, sondern amerikanisch. Sie haben es nämlich von
den Amerikanern gelernt, die ungefähr fünfzig Jahre
lang bestimmten, was die Filippinos zu tun und zu lassen
hatten!" "Was hatten denn die Amerikaner hier
zu suchen?"
"Die hatten sich Ende des vergangenen Jahrhunderts
mit den Spaniern um die Insel Kuba gezankt. Die liegt
zwar auf der anderen Seite der Erde, aber Kolonialisten
kannten keine Grenzen für ihr Machtstreben. Am 1. Mai
1898 versenkte eine amerikanische Flotte hier in der
Bucht von Manila die spanische Flotte, und aus war es mit
der spanischen Herrschaft über die Philippinen. Die
hatte 350 Jahre gedauert. Heute wird die spanische
Sprache hier kaum mehr benutzt. Ein paar Begriffe sind
geblieben, zum Beispiel der Landesname: Philippinen -
nach dem spanischen König Philipp II. Na ja, und noch
'was ist geblieben: Die Filippinos sind die einzige
katholische Nation in ganz Asien! Die spanischen Priester
waren sehr erfolgreich. Allerdings haben sie öfter durch
Soldaten nachhelfen lassen, denn es gab immer wieder
Befreiungsversuche und Aufstände. Die Amerikaner
schließlich haben damit angefangen, hier das Lesen und
Schreiben einzuführen - auf englisch natürlich."
"Und dabei hat Conny Glück, daß sie jetzt bloß
englisch und nicht etwa japanisch lernen muß," warf
Elsa ein.
"Wieso denn das?"
"Weil im Zweiten Weltkrieg die Amerikaner von den
philippinischen Inseln durch die Japaner vertrieben
wurden. Das hat Klaus noch nicht erzählt."
"Richtig. Japan schlug sich auf die Seite der
Faschisten und überfiel am 7. Dezember 1941 den
amerikanischen Marine-Stützpunkt Pearl Harbour. Einen
Tag später bombardierten japanische Flugzeuge Manila.
Die Philippinen waren drei Jahre lang von den Japanern
besetzt. Wir werden einmal zum Fort Bonifacio
hinausfahren, das hieß früher Fort McKinley. Dort sind
über 17.000 amerikanische Soldaten beerdigt, die bei
diesen Kämpfen ums Leben kamen. 1944 siegten die
Amerikaner über die Japaner - sie warfen Atombomben auf
Hiroshima und Nagasaki. 1946 wurden die Philippinen
unabhängig. 1947 schließlich erhielten die USA einen
Vertrag, der es ihnen erlaubte, für 99 Jahre
Militärstützpunkte hier zu unterhalten. Und von diesen
Stützpunkten aus flogen dann amerikanische Bomber nach
Vietnam!"
Klaus schlug noch einmal das Buch auf. "Wißt ihr,
wie die zweite Strophe der philippinischen Nationalhymne
heißt?"
Englisch: "Land dear and holy
Cradle of noble heroes
Ne'er shall invaders
Trample thy sacred shores."
Tagalog: "Lupang hinirang
Duyan ka ng magiting
Sa manlulupig
Di ka pasisiil."
Deutsch: "Land, geliebt und heilig
Wiege edler Helden
Niemehr sollen Eindringlinge
Deine geheiligten Küsten verwüsten."
"Aber du hast recht, Conny," sagte Klaus.
"Es wird viel zu viel englisch und kaum Tagalog
gesprochen - vielleicht gibt es noch zu viele Ausländer
hier! Weißt du was? Morgen früh sagen wir nicht 'Good
Morning', sondern 'Mabuhay'!"
ICH LERNE, WAS 'EXOTISCH' HEISST
In jedem Land auf unserer Reise wohnten wir zuerst ein
oder zwei Wochen lang in der Hauptstadt. Klaus und Georg,
der Fotograf, bereiteten die Verabredungen für ihre
Arbeit vor. Daraus entstand der Plan, nach dem wir
später durch's Land reisten. Elsa und mir blieb dabei
viel Zeit, um auf eigene Faust loszuziehen.
In Manila hatte ich am Anfang nicht viel Spaß daran,
denn bei jedem Spaziergang passierte dasselbe: Alle Welt
starrte mich an, dauernd zeigte irgendjemand mit dem
Finger auf mich. Ich merkte, wie die Erwachsenen über
mich tuschelten, die Kinder liefen mir nach, und am
Schlimmsten war es, wenn sie mich anfaßten: Sie strichen
mir über den Kopf, sie stupsten mich an der Nase, sie
kniffen mich in die Wange und manchmal zogen sie sogar an
meinen Haaren - und das tat ziemlich weh!
Ich glaube, ich bin nicht sehr freundlich zu all diesen
aufdringlichen Leuten gewesen.
Das merkte schließlich auch Elsa, und sie sagte:
"Erinnerst du dich daran, was zu Hause passiert,
wenn auf der Straße ein farbiges Kind spazieren geht -
ein kleiner Junge aus Afrika zum Beispiel? Oder stell dir
vor, deine Freundin Kim würde mit ihrer Mutter über den
Marktplatz in Bremen laufen! Würdest du dich nicht auch
nach ihr umdrehen?"
Ich linste hinter meinem Sonnenschirm hervor, den ich zum
Schutz vor den neugierigen Blicken aufgespannt hatte.
Tatsächlich - die Menschen um mich herum hatten
eigentlich ganz freundliche Gesichter.
"Kinder mit blondem Haar und mit so heller Haut
laufen nicht so oft hier herum," erklärte Elsa.
Wir standen vor einem Geschäft mit einer Spiegelscheibe,
aus der guckte mir ein knallrotes Gesicht entgegen. Was
Elsa blondes Haar nannte, klebte ziemlich dunkel - weil
schweißnass - auf diesem Tomatengesicht.
Aber bitte, wenn das 'was besonderes ist - wie sagen die
Erwachsenen?
"Exotisch!"
Von da an hatte ich nichts mehr dagegen, wenn sich 'mal
im Park jemand mit mir fotografieren lassen wollte. Wenn
wir uns auch nicht verstehen konnten, zusammen hatten wir
dann meistens 'was zum Kichern.
Es fiel mir aber auf, daß wir kaum anderen weißen
Kindern begegneten, wo doch Klaus und Georg so viel mit
weißen Leuten zu bereden hatten, mit Angestellten von
der Botschaft zum Beispiel.
Botschaft heißt in jeder fremden Hauptstadt das Haus,
auf dem die schwarz-rot-goldene Fahne weht. Andere
Länder haben dort auch Botschaften, aber natürlich mit
ihrer eigenen Fahne.
Der Chef einer Botschaft heißt Botschafter. Er ist so
eine Art Briefträger und übermittelt Botschaften
zwischen seiner und der fremden Regierung. Außerdem
fährt er in einem großen schwarzen Auto mit Chauffeur
und einer kleinen Fahne vorn am Kühler. Die zeigt jedem
Polizisten an, daß er schleunigst die Straßenkreuzung
für den Botschafter-Wagen freizumachen hat.
Wenn der Botschafter 'mal gerade keine Botschaft zu
überbringen hat, dann muß er zu großen Festen, zu
Empfängen oder zu einem Abendessen.
Die Leute von der Botschaft sind also sehr beschäftigt,
dachte ich mir, und deshalb haben sie keine Zeit für
Kinder. Und ähnlich wird es wohl auch den vielen
Kaufleuten ergehen, den Fachleuten von Organisationen aus
Europa und Amerika, den Entwicklungshelfern, mit denen
sich Klaus und Georg trafen.
Das dachte ich bis zu dem Abend, an dem wir unsere erste
Einladung in das Haus einer weißen Familie bekamen. Als
wir im Dunkeln zu ihrem Wohnviertel fuhren, mußte unser
Taxi plötzlich mitten auf der Straße anhalten. Ein
grosses Gittertor versperrte uns den Weg. Es befand sich
in einem Drahtzaun. Der ging links und rechts von der
Straße ab. Lampen hingen in regelmäßigen Abständen
über dem Stacheldraht. Rechts vom Tor stand ein kleines
Steinhaus. Von dort kam ein Mann in Uniform zu uns
herüber. An seinem Gürtel baumelte ein Colt wie ihn die
Film-Cowboys tragen.
"Der hat da keine Platzpatronen drin," murmelte
Georg, und ich bekam auf einmal Angst.
Aber der Mann wollte bloß wissen, welche Adresse wir dem
Taxifahrer angegeben hatten. Dann notierte er sich das
Kennzeichen unseres Autos. Wir mußten nicht aussteigen.
"Das wird nur von farbigen Besuchern verlangt,"
erklärte unser Taxifahrer. "Wenn man hier reinwill,
ist die weiße Haut der beste Ausweis!"
Wir fuhren durch das Tor im Stacheldrahtzaun und kamen in
eine Siedlung, in der alle Häuser noch einmal von hohen
Mauern mit großen eisernen Toren umgeben waren.
Als dann aber eines dieser Tore für uns zur Seite
rollte, war das, als hätte Ali Baba "Sesam öffne
Dich!" gerufen, um die Schätze der vierzig Räuber
zu entdecken.
Das Prachtstück war ein beleuchtetes Schwimmbecken unter
Palmen und Bananenstauden. Aber ich durfte nicht ins
Wasser, weil wir doch zum Abendessen eingeladen waren,
und das war schon auf der Terrasse angerichtet - mit sehr
viel Mühe zubereitet, wofür es viel Lob für die
Gastgeberin gab.
Später - bei der Suche nach einer vollen
Limonadenflasche - entdeckte ich zwei philippinische
Küchenmädchen; die waren gerade dabei, für Nachschub
zu sorgen. Es sah so aus, als hätten sie die ganze
Arbeit gemacht.
Schließlich traf ich in diesem Haus auch mal wieder zwei
weiße Kinder. Aber die wurden bald von ihrem
philippinischen Kindermädchen zu Bett gebracht, weil sie
am nächsten Morgen wieder vom philippinischen Chauffeur
ihrer Eltern zur internationalen Schule von Manila
gefahren werden sollten. Dort bekommen fast alle
Ausländer-Kinder ihren Unterricht.
(Nicht anders ist das in allen anderen Ländern, die wir
besuchten. In Bangkok, der Hauptstadt von Thailand, zum
Beispiel, bin ich später mal acht Wochen lang in einen
solchen Kindergarten gegangen.)
Morgens also mit dem Wagen hin - mittags zurück in die
bewachte Weißen-Siedlung, wo außer ihnen nur noch ein
paar schwerreiche Einheimische wohnen.
Auf der Fahrt bleiben die Scheiben geschlossen, weil
Europäer und Amerikaner zum Schutz gegen die Hitze teure
Autos mit eingebauter Klima-Anlage benutzen. So sehen die
meisten weißen Kinder die Welt da draußen immer nur
durch die polierten Auto-Scheiben, und die einheimischen
Kinder sehen die weißen fast nie!
EINE VILLA IN MANILA
ODER:
DIE ARBEIT UND IHR WERT
Ein anderes Mal waren wir bei einem jungen deutschen
Ehepaar eingeladen, das hatte auch ein kleines Kind.
Der Mann sagte: "Wir haben diese Villa hier
gemietet. Das könnten wir uns zu Hause gar nicht
leisten. Die Möbel haben wir uns nach unseren Wünschen
für einen Spottpreis handarbeiten lassen!"
Die Frau sagte: "Ich möchte nicht wieder zurück
nach Deutschland. Wenn der Arbeitsvertrag für meinen
Mann hier zu Ende ist, wird er eine neue Stellung in
einem anderen asiatischen Land suchen, oder vielleicht in
Südamerika!"
Klaus meinte hinterher: "Der Mann verdient nicht
mehr als ein Hochschullehrer in Deutschland, aber das
Geld reicht aus, um so zu leben wie zu Hause ein
Fabrikbesitzer."
Ich erfuhr, daß nicht alle Weiße, die hier wie Reiche
leben, wirklich reich sind. Sie müßten es sein, um zu
Hause so leben zu können. Für ihre Villa in Manila
zahlte diese Familie im Monat 2.000 Pesos Miete. Das sind
in deutschem Geld ungefähr 670 Mark (1 DM = 3 Pesos).
"Für so ein Haus wäre in Deutschland die Miete
doppelt so teuer, und die Frau müßte wohl
mitarbeiten," meinte Elsa, "und Hauspersonal,
wie es hier die meisten weißen Familien haben, wäre
sowieso gar nicht zu bezahlen!"
"Aber wie kann man denn leben wie reiche Leute, ohne
dafür genug Geld zu haben?" wollte ich wissen.
"Fragen wir den Taxi-Fahrer, was er verdient,"
schlug Klaus vor.
Es war eine ziemlich klapprige Karre, die uns zurück ins
Hotel fuhr - und rostig dazu.
"Ich bin nicht der Besitzer ," entschuldigte
sich der Fahrer. "Ich habe den Wagen von einem Mann
geliehen, der hat fünf solcher Taxis. Mit diesem Auto
hier fahre ich täglich soviele Stunden wie ich kann.
Geht das Geschäft gut, verdiene ich bis zu 150 Pesos (50
Mark) am Tag. Aber davon gehen ungefähr 35 Pesos (12
Mark) für Benzin und noch einmal 45 Pesos (15 Mark) ab,
die ich dem Autobesitzer jeden Tag bezahlen muß."
"Laßt uns mal rechnen," sagte Elsa: "Wenn
wir alles aufrunden und den günstigsten Fall annehmen -
daß er nämlich jeden Tag 50 Mark einnimmt - dann sind
das bei allen Abzügen bloß 23 Mark Tagesverdienst und
bei 30 Tagen im Monat ganze 690 Mark."
"Oder," fügte Klaus hinzu, "wenn er, was
vermutlich öfter passiert, nur ein paar Tage weniger
fahren kann, gerade soviel wie unsere deutschen Gastgeber
allein an Miete für ihre Villa ausgeben!"
"Man kann aber noch eine andere Rechnung
aufmachen," sagte Elsa. "An jedem Tag bekommt
der Besitzer der fünf Taxis von jedem Pächter 15 Mark.
Das sind täglich 75 Mark und im Monat 2.250 Mark,
unabhängig davon, ob das Geschäft gut oder schlecht
geht. Und er muß nicht einen Handschlag dafür
tun!" "Was man an diesem Schrott-Auto sehen
kann," setzte Klaus hinzu.
Das Taxi fuhr am Eingang unseres Hotels vor, und Klaus
sagte beim Bezahlen: "Das ist natürlich auch ein
Spottpreis. In Deutschland hätten wir für dieselbe
Strecke das Zehnfache bezahlen müssen, und da wären wir
wahrscheinlich lieber mit der Straßenbahn
gefahren."
"Wir sind hier also auch reicher als zu Hause?"
"Wir kommen aus einem Land," antwortete mir
Klaus, "wo jeder Arbeiter einen besseren Wagen
fährt als dieser Rostschlitten hier. Habt ihr mal darauf
geachtet, wieviele Leute in diesem Hotel arbeiten? Die
beiden boys hier, die uns die Tür aufhalten und ein Taxi
herbeipfeifen, wenn wir wegwollen, Tag und Nacht zwei,
drei Leute an der Anmeldung, am swimming pool jemand, der
morgens die Liegestühle hin- und abends wieder
wegräumt, jemand anders, der die Getränke serviert, auf
jedem Flur eine Kolonne, die täglich alle Zimmer
säubert. In so einem Hotel könnten wir in Deutschland
zum selben Preis, den wir hier für sechs Wochen zahlen,
vielleicht gerade eine halbe Woche lang wohnen. Wir sind
hier reicher, weil hier etwas bestimmtes viel billiger
ist als daheim."
"Hat das was mit dem Taxi-Fahrer zu tun?"
"Mit dem Taxi-Fahrer, mit den Leuten, die in diesem
Hotel arbeiten - überhaupt mit Arbeit und ihrem
Wert.!"
"Ich bin dafür, das Hotel und seinen Wert zu
nutzen," unterbrach Elsa, als wir mit dem Lift nach
oben fuhren. "Am swimming pool rechnet es sich
nämlich auch viel besser!"
"Und ich habe ja was dafür geleistet," sagte
ich, "ich habe hier ja schwimmen gelernt!"
Ich traf meine Feundin Kwang Bae Kim nicht am
Schwimmbecken, also tauchte ich bloß ein paarmal - das
hatte ich auch gleich in den ersten Wochen in Manila
gelernt. Klaus warf einen Stein an die tiefste Stelle,
den konnte ich herausholen. Manchmal verlor er beim
Schwimmen seine Brille, dann tauchte ich danach und er
spendierte mir eine Cola.
Jetzt saßen wir am Beckenrand und kühlten uns auch von
innen ab - wir hatten uns was Kühles zum Trinken
bestellt.
"Hier in Manila hat vor einem Jahr eine deutsche
Firma eine Fabrik gebaut. Die hat rund zwölf Millionen
Mark gekostet. Die Firma wollte hier Büstenhalter nähen
lassen.."
"Aha," sagte Elsa, "und die hast du dir
angeguckt!"
"Ja," fuhr Klaus fort, "die Fabrik! Die
Bundesregierung lieh dem Unternehmer für diesen
Fabrikbau 7,5 Millionen Mark; er brauchte also bloß noch
4,5 Mil-lionen selber zu bezahlen."
"Bekommt denn jeder Fabrikbesitzer von unserer
Regierung Geld geliehen, wenn er eine neue Fabrik
baut?" fragte ich.
"Immer dann, wenn er damit Arbeitsplätze schafft.
Und wenn er das in einem sogenannten unterentwickelten
Land tut, dann heißt das 'Entwicklungshilfe'! Hier in
Manila sollten eintausend Arbeitsplätze geschaffen
werden, jetzt nach einem Jahr sind es schon dreihundert.
300 Frauen sitzen in einer grossen Halle und nähen den
ganzen Tag aus Stoff, der aus dem Ausland kommt,
Büstenhalter, die wieder ins Ausland gehen. Das
Geschäft macht der deutsche Unternehmer, denn ihm allein
gehört die neue Fabrik."
"Was verdienen die Näherinnen?"
"Ich habe mir alles aufgeschrieben," antwortete
Klaus und suchte in seinem Notizbuch, "aber du mußt
mir beim Rechnen helfen, Elsa!"
Elsa kann nämlich von uns dreien am Schnellsten rechnen.
"Also, jede der 300 Näherinnen bekommt für einen
ganzen Arbeitstag ungefähr 3 Mark 50. Das müßte der
deutsche Fabrikant zu Hause einer deutschen Näherin für
eine halbe Stunde zahlen, also bei einem Acht-Stunden-Tag
wenigstens...?"
"Sechsunfünfzig Mark!"
"Mit seiner neuen Fabrik in Manila spart er also pro
Näherin 52 Mark 50!" "Dann laß uns doch mal
weiterrechnen!" schlug Elsa vor. "Für 300
deutsche Näherinnen müßte dieser Unternehmer in der
Bundesrepublik jeden Tag dreihundertmal 52,50 Mark - das
sind 15.750 Mark - mehr ausgeben. Bei 30 Tagen im Monat
sind das: 472.500 Mark - das ist beinahe eine halbe
Million! Der Bursche spart allein an Lohngeldern jeden
Monat eine halbe Million Mark! Das sind in einem Jahr,
also mal zwölf: 5.670.000 Mark! - Das ist ja nicht zu
fassen! Und in zwei Jahren hat er mit den eingesparten
Lohngeldern beinahe die ganzen zwölf Millionen Mark
wieder in der Kasse, die ihn die neue Fabrik gekostet
hat!"
"Früher, viel früher," warf Klaus ein,
"in wenigen Monaten wird er ja nicht mehr bloß 300,
sondern 1.000 Näherinnen beschäftigen!"
"Und das Ganze nennt man 'Entwicklungshilfe'? Wer
entwickelt denn da wen? In erster Linie dieser
Unternehmer wohl seinen Gewinn!" schimpfte Elsa.
"Viel bleibt hier nicht hängen, denn Steuern
braucht die deutsche Firma hier auch nicht zu bezahlen.
Dabei arbeiten die Frauen gern bei den Deutschen, so
haben sie es mir jedenfalls gesagt. Die Fabrikhalle hat
eine Klima-Anlage, die sie vor der Hitze schützt, und
sie verdienen immer noch mehr als zum Beispiel bei einer
einheimischen Firma."
Klaus nahm einen letzten Schluck aus seiner Bierflasche,
dann stellte er sie leer zurück.
"Jetzt hast du fast den ganzen Tageslohn einer
Näherin vertrunken," sagte Elsa.
"Was?"
"Dieses Bier aus Europa kostet umgerechnet mehr als
drei Mark!"
"Na ja, Bier aus Europa muß es ja nicht gerade
sein. Aber auf dem Markt kosten fünf Tomaten 70 Pfennig
- das ist ein Fünftel des Tageslohns!"
FEUER UND WASSER
ODER:
KEINE VILLA IN MANILA
Vom Dach unseres Hotels konnte man hinaus auf das Meer
schauen. Dort lagen große Schiffe, die darauf warteten,
in den Hafen hineingelassen zu werden.
Klaus hatte erfahren, daß westdeutsche Fachleute den
Auftrag hatten, einen neuen Hafen zu bauen. Doch da waren
Schwierigkeiten aufgetaucht: Die Bautrupps konnten nicht
anfangen, das Gebiet war besetzt von Leuten, die sich
dort einfach Buden aus Pappe, Holz und Blech hingebaut
hatten.
Die konnte man vom Hoteldach aus nicht sehen. Aber eines
Tages entdeckte ich in der anderen Richtung eine riesige
Rauchwolke über der Stadt. Ich zeigte sie Klaus und der
sagte: "Da brennt's!" und dann rief er Georg,
der sich seine Fotoapparate umhängte. Zusammen fuhren
wir mit einem Taxi immer in die Richtung der Rauchwolke,
die wie ein schwarzer Pilz immer höher in den Himmel
wuchs.
Wir durften an den Polizeisperren vorbeifahren, weil
Klaus und Georg ihre Presseausweise zeigten, aber wir
mußten immer wieder an den Straßenrand: Rote
Feuerwehrwagen rasten mit jaulenden Sirenen an uns
vorüber. Schließlich mußten wir den Wagen verlassen
und zu Fuß weiter.
Und dann sahen wir, was da brannte - oder eigentlich
rochen wir es zuerst: Ranziges Öl! Eine Fabrik war in
Brand geraten, in der aus getrocknetem Kokosnuß-Mark Öl
ausgepreßt wird. Das gab ein Feuerchen!
Auf deutschen Jahrmärkten wird Kokosnuß-Mark, das ist
das weiße Schalen-Innere oft stückchenweise verkauft.
Hier auf den Philippinen sind die größten
Kokos-Palmen-Plantagen der Welt, und Deutschland ist
eines der wichtigsten Abnehmerländer der Fette und Öle,
die aus der "Kopra" gewonnen werden - so heißt
das getrocknete Fleisch der Kokosnuß. Diese Fette und
Öle werden in Mengen für Margarine und für Creme zur
Schönheitspflege gebraucht.
Jetzt aber stank es entsetzlich, die Flammenwand war nur
manchmal hinter dem schwarzen Qualm zu entdecken.
Wir stolperten über die dicken Wasserschläuche der
Feuerwehr, pralle, die schon Wasser hinauf zu den
Feuerwehrleuten auf den Leitern schickten, und schlaffe,
die andere gerade kreuz und quer neu verlegten.
Georg turnte mit seinen Fotoapparaten schon auf der Mauer
der Fabrik herum, Klaus hatte sein Tonbandgerät
eingeschaltet. Er hatte den Mann gefunden, der für
dieses Stadtviertel die Verantwortung trug, den
gewählten "Barangay"-Führer.
"Es ist das vierte Mal, daß es in dieser Fabrik
brennt," berichtete der, und er hatte nicht viel
Zeit für ein Interview. Da mußten in aller Eile die
Hütten geräumt werden, die sich von außen an die
Fabrikmauern lehnten.
Das waren solche Buden aus Holz, die Dächer mit
Wellblech gedeckt. Männer, Frauen, Kinder - sie alle
waren in großer Hast damit beschäftigt, ihre paar
Habseligkeiten zusammenzuraffen. Nur weg von der
brennenden Fabrik!
Die Feuerwehrleute verschwendeten keinen Tropfen Wasser
darauf, diese armseligen Behausungen einzusprühen, um
sie vor der Hitze zu sichern. Aber da hatte sich hinter
dem schwarzen Qualm unbemerkt ein Unwetter
zusammengebraut, und wenige Augenblicke später rauschte
ein Sturzregen herunter, der zwar nicht das Feuer
löschte, aber doch die Hütten der Anwohner so stark
durchnäßte, daß für sie wohl keine Gefahr mehr
bestand.
Es war einer der Regengüsse, die ab September täglich
und fast immer zur selben Zeit die Straßen innerhalb von
Minuten vollschütten.
Das ist der "Winter" in Südostasien. Hier
heißt das "Monsun-Zeit". Für Schnee ist es
natürlich viel zu heiß, und so gießt es stattdessen in
Strömen. Meistens dauert so ein Guß nur eine
Viertelstunde, aber das reicht aus, um alle Wege
aufzuweichen, und die Bretterbuden sind hinterher von
innen meistens genauso naß wie von außen.
"Zurück bleibt ein faulender Sumpf, in dem die
Stechmücken millionenfach ihre Larven ausbrüten,"
erklärte Klaus, "und diese Moskitos sind es, die
gefährliche Krankheiten verbreiten!"
Wir wateten durch den Schlick, auf den jetzt wieder die
Sonne knallte, und ich wußte nicht, was mehr stank - die
aus den Straßengräben aufgespülten Abwässer, oder der
Brandgeruch von der Kokosöl-Fabrik.
Kein guter Platz zum Leben, dachte ich - aber es lebten
ja soviele Menschen hier - in Hütten, die aussahen wie
die Bretterverschläge für Kaninchen zu Hause bei Oma im
Garten - doch nicht wie Wohnungen für Familien! Wände
aus Kistenbrettern, die Ritzen zugenagelt mit Blech von
Konservendosen. Vor den Türöffnungen Lappen, wo das
Holz schon faulte, Ausbesserungen mit Pappe.
Doch mir fiel auf, wie einige Familien als Erstes
seltsame Fensterrahmen retteten, die viele kleine
Holzfächer hatten mit winzigen weißen, fast
durchsichtigen Blättern darin.
"Das sind fein geschliffene Schalen der
Perlmutt-Muscheln," erklärte Klaus, "der Stolz
selbst von ärmsten Familien, eine eigentlich nur auf den
Philippinen geübte Kunst."
Später habe ich zu Hause in Kaufhäusern öfter
Lampenschirme aus solchen Perlmutt-Schalen gesehen,
importiert von den Philippinen!
"Woher kommen alle diese Menschen? Haben sie schon
immer so gewohnt?"
Georg und Klaus suchten nach einem Taxi.
"Wir werden dorthin fahren, wo viele von ihnen
früher lebten," sagte Klaus, "schon morgen
oder übermorgen. Wir wollen herausfinden, weshalb sie
fortgingen."
Als wir später nach Manila zurückkehrten, hörten wir,
daß es fast zwei Wochen gedauert hatte, bis die
Rauchwolke über der Stadt verschwunden war und mit ihr
der Geruch nach verbranntem Öl.
Die täglichen Regengüsse hatten die Glut nicht löschen
können.
REIS UND COCA COLA
"Wenn der Regen kommt, wächst in Asien der Reis.
Reis braucht Wasser, viel Wasser!"
Die Stimme tönte von der Leinwand her, auf der
Lichtbilder immer wieder Reis zeigten, Reis in allen
Farben: Vereinzeltes helles Grün, wenn er noch ganz jung
ist, in langen Reihen frisch gesetzt in den Schlamm - das
dunkle Flächengrün, wenn er wächst, auf Quadraten,
Rechtecken, Terrassen - und dann gelb, mit schweren
Ähren, kurz bevor er geschnitten wird.
Die Stimme sprach englisch. Klaus hatte uns zum
"Internationalen Reisforschungsinstitut" nach
Los Baños mitgenommen, 60 Kilometer von Manila entfernt.
"Es gibt ja eine Menge Möglichkeiten, die Welt
einzuteilen," hatte Klaus während der eineinhalb
Stunden, die wir bis Los Baños brauchten, erklärt.
"Von der Ersten Welt - das sind die reichen
Industriestaaten - sind wir in die Dritte Welt, in die
Welt der armen Länder gekommen. Das klingt, als hätten
beide Welten nichts miteinander zu tun. Dabei ist das
alles eine Welt, und alle Teile sind voneinander
abhängig! Manche Leute sprechen auch von den
'entwickelten Ländern' und von den 'unterentwickelten
Ländern'. Das klingt auch so, als hätten beide Gruppen
nichts miteinander zu tun. Ich habe einen viel besseren
Vorschlag: Wir teilen die Welt neu ein - in die 'Welt der
Kartoffelesser' zum Beispiel - da kommen wir her - in die
'Welt der Weizenesser', der 'Hirse-Esser', der
'Mais-Esser', der 'Roggen-, Gerste-, Hafer-Esser', und
hier - hier sind wir in der 'Welt der Reis-Esser'!"
In diesem Moment fragte der Fahrer, ob wir eine Pause
einlegen wollten.
"In der Nähe gibt es ein internationales
Coca-Cola-Museum!"
Klaus guckte verdutzt.
"Ein was?"
"Ein Restaurant mit einer Ausstellung von
Coca-Cola-Flaschen aus allen Teilen der Welt. Flaschen
mit allen möglichen Aufdrucken, auch von ganz
früher..."
"Au fein," rief ich. "Laß uns da
hingehen!"
Wo es Coca-Cola-Flaschen gibt, dachte ich, gibt es auch
Cola.
"Ich werde mich hüten! - - Gut, gut," Klaus
lenkte ein, noch bevor ich protestieren konnte.
"Meinetwegen, auf dem Rückweg. Aber wißt ihr,
woran mich das erinnert? An eine Szene während des
Krieges in Südvietnam. Ein großes Reisfeld war da zu
sehen. An der Seite, ziemlich weit hinten, arbeitete
gebückt ein einzelner Bauer. Und mitten im Feld auf
einem Sockel stand eine Cola-Flasche - mindestens zehn
Meter hoch, natürlich aus Plastik. Es war eine Werbung
für dieses Massengetränk aus den USA. Das war, bevor
die Amerikaner aus Vietnam hinausgeworfen wurden!"
Unser Besuch in Los Baños begann in der Presseabteilung
des Reis-Instituts. "Es gibt auf der ganzen Welt
acht landwirtschaftliche Forschungsinstitute, die
ähnlich organisiert sind wie dieses hier, zum Beispiel
das 'Internationale Mais- und Weizen-Forschungsinstitut'
in El Batan bei Mexico City, oder das 'Internationale
Kartoffel-Zentrum' in Peru..."
Die Frau, die Klaus einen Berg Informationen unter beide
Arme schob, sprach wie eine elektrische Schreibmaschine
im Dauerbetrieb.
Anschließend rasten wir an Treibhäusern vorbei, wo
hinter Glas der Wunder-Reis von Los Baños sproß.
Techniker hatten in jeder dieser Glaskabinen die
Bedingungen bestimmter Reisanbau-Gegenden anderer Länder
geschaffen: Erd-Sorten, Temperatur, Regen, Sonnenauf- und
Sonnenuntergang, alles künstlich nachgemacht - also hier
zum Beispiel ein Stückchen Pakistan und dort ein
Stückchen Indien. Das muß ein Heidengeld gekostet
haben!
Schließlich landeten wir in den weichen Sesseln vor der
Lichtbild-Wand, auf der mit flotter Musik die Geschichte
der Reis-Forschung abrollte. Ich war ganz schön
beeindruckt. Hier, so erfuhren wir, haben Wissenschaftler
aus aller Welt den Hunger bezwungen - jedenfalls dort, wo
Reis die Hauptmahlzeit ist.
"Pustekuchen," sagte Klaus, "wenn man sich
mal mit Wissenschaftlern hier unterhält, bleibt von der
'Grünen Revolution' nicht viel übrig! Einer sagte mir,
sie seien gerade dabei, weltweit zu untersuchen, weshalb
die Bauern den 'Wunder-Reis' aus ihrem Laboratorium nicht
weiter verwenden - obwohl er doch doppelte und dreifache
Ernte bringen sollte. Die Bauern haben es ausprobiert,
auch hier auf den Philippinen, aber es wurde ein
Reinfall! Zuerst bekamen sie das Saatgut geschenkt, aber
dann merkten sie, daß sich von der Ernte nichts für die
neue Aussaat verwenden ließ. Die im Laboratorium
gezüchteten neuen Reissorten konnten ihre besonderen
Eigenschaften nicht weitervererben wie der alte Reis. Die
Bauern mußten sich das Saatgut jedesmal neu kaufen! Und
nicht bloß das - sie mußten nun auch regelmäßig
chemischen Dünger kaufen, denn nur damit brachte der
neue Reis die versprochene reiche Ernte. Und bald stellte
sich auch heraus, daß die Pflanzen besonders anfällig
waren gegen alle möglichen Schädlinge. Zur Bekämpfung
brauchten die Bauern chemische
Insekten-Vernichtungsmittel. Und nun ratet mal, bei wem
die Reisbauern all diese chemische Stoffe kauften?"
Elsa zog einen der bunten Prospekte heraus, die die Dame
in der Presseabteilung stapelweise verteilt hatte.
"Das 'Internationale Reis-Forschungsinstitut' wurde
1960 gegründet," las sie, "von der
Rockefeller-Stiftung und der Ford-Stiftung. Das sind also
zwei amerikanische Konzerne, die das Geld gaben..."
"...und es wieder einnehmen!" fügte Klaus
hinzu. "Ende der Sechziger Jahre machte Indien die
ersten Erfahrungen mit dem neuen Reis-Geschäft, und die
Geschichte davon hört sich an wie ein Wirtschafts-Krimi:
Indien - bekannt für seine Hungersnöte - bezog damals
Getreide-Überschüsse aus den USA. Da sagte die
amerikanische Regierung, es gibt jetzt neue Reis-Sorten,
und wenn ihr die nicht verwendet, dann gibt's nichts mehr
aus unserem Futtertopf! Also stellte Indien Teile seiner
Landwirtschaft auf die neuen Reiszüchtungen um und
dachte sich, eigentlich ganz prima - für die notwendige
chemische Düngung können wir ja unsere umfangreichen
Natur-Phosphat-Vorkommen benutzen. Aber da waren die
Amerikaner beleidigt. Sie sagten, liebe Inder, ihr müßt
doch einsehen, daß wir das viel besser können. Und um
bei der Entscheidung behilflich zu sein, verweigerten sie
ihre Unterschrift unter ein Abkommen für dringend
benötigte Getreide-Lieferungen. Schließlich genehmigte
die indische Regierung den Bau von neun amerikanischen
Chemie-Werken zur Herstellung von Düngemitteln sowie
Unkraut- und Insekten-Vernichtungsmitteln. - Den
Philippinen ergeht es übrigens nicht viel besser.
Einheimische Wissenschaftler wären längst in der Lage,
die komplizierten chemischen Mischungen selber
herzustellen. Aber die Landwirtschaft hier muß weiter
die Produkte der großen Konzerne aus den
Industrieländern beziehen."
Wir waren auf dem Rückweg, und ich paßte auf, daß wir
diesmal am Coca-Cola-Museum anhielten.
Und tatsächlich, hinter Glas standen dort leere
Cola-Flaschen aus aller Welt - mit den merkwürdigsten
Schriftzeichen, arabisch, chinesisch, russisch. Sie alle
bedeuteten dieselben zwei Wörter: "COCA COLA".
"In Indonesien," sagte Klaus, "ist durch
die Einführung von Coca Cola der gesamte einheimische
Markt kleiner Limonaden-Händler kaputt gemacht
worden."
Da erinnerte sich Elsa daran, was Klaus auf der Hinfahrt
über die Aufteilung der Welt gesagt hatte.
"Ich habe noch einen Vorschlag," sagte sie,
"wir teilen die Welt ein in Coca-Cola-Trinker und in
Coca-Cola-Verweigerer!"
EIN STAUDAMM UND SEIN NUTZEN
Einen Tag später verließen wir Manila und fuhren für
zwei Wochen in den Norden der Insel Luzon. "In die
Reiskammer der Philippinen," wie unser Begleiter
erklärte.
Er war kein Filippino, sondern ein Mann aus Chile - das
ist ein Land in Südamerika. Er arbeitete zusammen mit
Fachleuten aus aller Herren Länder im
"Welternährungsprogramm". Das ist eine
Organisation der Vereinten Nationen, die dafür sorgen
soll, daß Lebensmittel von dort, wo es zu viele gibt,
dahin geschafft werden, wo es keine gibt.
"Das ist jedenfalls die Idee gewesen," meinte
Klaus. "Jetzt aber werden Lebensmittel aus
internationalen Spenden ausgerechnet in die 'Reis-Kammer'
der Philippinen geschafft. Warum? Keiner kann hier in
Manila eine Antwort geben. Wir fahren also hin.
Vielleicht finden wir die Antwort am Staudamm von
Pan-tabangan."
Wir fuhren sehr früh los. Die Fahrt sollte fünf Stunden
dauern.
Der Mann vom "Welternährungsprogramm" hatte
eine große schwarze Limousine samt Chauffeur zur
Verfügung. Auf den Türen prangte in einem runden,
hell-blauen Feld eine Kornähre. Hellblau - das hatte ich
schon gelernt - ist die Farbe der Vereinten Nationen, und
Autos aller Sorten mit dem hellblauen Zei-chen auf der
Tür traf ich in ganz Südost-Asien.
"Das ist der größte Auto-Verleih der Welt,"
bemerkte Klaus. "Der Wagenpark der
UNO-Organisationen wird nur noch vom Glanz ihrer
Büro-Paläste übertroffen. Wißt ihr, nach den
Vorbesprechungen für diese Reise am Europa-Sitz der
Vereinten Nationen in Genf dachte ich ja, nun käme ich
endlich zu den Fachleuten im Feld. Ihr seht ja, wo wir
gelandet sind - erst mal wieder ein neues
Verwaltungszentrum!"
Und das befand sich zwischen zwei Bank-Hochhäusern - man
konnte es leicht verwechseln.
Obwohl es ziemlich warm war, trug der Mann vom
"Welternährungsprogramm" einen Anzug, weißes
Hemd und Krawatte - er sah gar nicht nach einem
Land-Ausflügler aus. Das fand ich nur solange komisch,
bis es bei geschlossenen Fenstern und laufender
Klima-Anlage im Auto lausig kalt wurde. Nach fünf
Stunden Fahrt wartete ein Schnupfen auf mich, das merkte
ich spätestens bei der zweiten Pause - raus aus der
Kälte, rein in die Wärme und umgekehrt.
"In solchen Autos trägt man eben Schlips,"
meinte Klaus, den es nicht weniger fröstelte. Mir ist
nie richtig klargeworden, ob die Leute Anzug und Schlips
anziehen, weil die Klima-Anlagen ihrer Autos so kalt
sind, oder ob sie diese Klima-Anlage im Auto haben, um
Anzug und Schlips tragen zu können - als Ausdruck ihrer
Würde!
Wir ließen das flache Land mit den saftigen Reisfeldern
zurück und kurvten in die kahlen Berge. Und dann sahen
wir es plötzlich in der Mittagssonne glitzern: Wasser,
der Stausee von Pantabangan!
Auf dem Berg, von dem man die beste Aussicht hatte, stand
das Gästehaus der Regierung.
"Sie sind Gast des Amtes für Bewässerung,"
sagte der UNO-Mann. "Ich wohne immer hier, wenn ich
diese Gegend besuchen muß."
"Und wo wohnen die Leute von Pantabangan,"
fragte Klaus, "ich meine von der im Stausee
versunkenen Stadt?"
"Wir müssen über den Damm fahren. Sehen Sie
dahinten die Hügel, die aus dem Wasser ragen? Dorthin
wurden sie umgesiedelt - über zweitausend Familien, das
sind ungefähr 13.000 Menschen aus Pantabangan und aus
acht umliegenden Dörfern. Sie mußten weg aus den
Tälern, bevor das Wasser ihre alten Wohnun-gen
überflutete."
Wir stiegen um von der schmucken Limousine in einen
robusten Geländewagen, und dann ging es holpernd über
den riesigen Erd-Damm.
Staubig und steinig war der Weg. Ein Ingenieur versuchte,
alle Vorteile des Staudammes zu erläutern.
"Wissen Sie, es gibt viel guten Boden auf den
Philippinen, aber es gibt zu wenig Wasser. Wir könnten
zwei, drei Ernten im Jahr haben, gäbe es Wasser
außerhalb der Regenzeit. Jetzt bauen wir überall im
Land solche Staudämme. In der Trockenzeit fließt das
aufgestaute Wasser durch Kanäle auf die Felder. Vorher
jagen wir es durch Turbinen und erzeugen damit Strom. Der
Stausee hält genug Trinkwasser bereit, und schließlich
kann man darin Fische züchten!"
Er war richtig stolz auf seinen Damm.
"Wir hatten ihn ein Jahr früher fertig als
geplant!"
Und er zeigte in einer Mappe die Grußadressen zur
Einweihung. Aus dem Präsidenten-Palast in Manila war
auch eine Botschaft gekommen:
"Weil es nun den Staudamm von Pantabangan gibt,
werden im nächsten Jahr Millionen Filippinos mehr zu
essen haben, werden weniger unter Überschwemmungen zu
leiden haben, werden einträgliche Beschäftigung finden.
Und noch mehr: Millionen Filippinos bekommen neue
Hoffnung, einen neuen Traum, den Anspruch auf eine
bessere Zukunft."
Der Wagen rumpelte über einen Bergrücken, das erste
Neuansiedlungsgebiet kam in Sicht.
"Das war vor einem Jahr," sagte Klaus. "Im
August 1974 war der Damm fertig. Wie geht es heute den
13.000 umgesiedelten Filippinos?"
"Oh, sehen Sie - das sind ihre neuen Häuser!"
Der Ingenieur wies auf die umliegenden Berghänge.
"Sie sind sicher besser als ihre alten Holzhütten,
glauben Sie nicht?"
Die kleinen Steinhäuser standen entlang schnurgeraden
Straßen in der grellen Mittagssonne. Es gab keine
Bäume, also auch keinen Schatten. Soweit ich blicken
konnte, ich konnte keine Felder entdecken.
"Wo ist denn nun der Reis?" wollte ich wissen.
"Ja," fragte Klaus, "wo sind denn die
neuen bewässerten Felder?"
"Aber doch nicht hier am Damm," antwortete der
UNO-Mann. "Weit unterhalb dieses Stausees wird das
Wasser auf das Reis-Land geleitet. Das ist ein uraltes
Anbaugebiet. Dorthin konnten die Leute nicht umgesiedelt
werden. Dann hätten ja die alten Besitzer vertrieben
werden müssen!"
"Wohl kaum," erwiderte Klaus, "wäre auch
gar nicht nötig gewesen, denn die Besitzer leben ja gar
nicht dort, nicht wahr? Die leben schon seit jeher in der
Stadt und lassen die Pächter für sich arbeiten! Und in
der Stadt erfahren sie rechtzeitig, wo zum Beispiel ein
solcher Dammbau geplant ist. Lange bevor der Bau beginnt,
kaufen sie alles Land auf, das den Wasser-Segen bekommen
soll; aus dem wird für sie dann ein Geld-Regen - und
Organisationen wie das 'Welternährungsprogramm' spenden
die Lebensmittel für die, die das Nachsehen haben! Ist
es nicht so?"
Ich weiß nicht, ob es am weißen Hemd oder an der
Krawatte des UNO-Mannes gelegen hatte, Klaus war richtig
in Fahrt gekommen.
"Sehen Sie doch nicht immer bloß das
Negative," versuchte unser Begleiter zu
beschwichtigen. "Es wird doch eine ganze Menge
getan!"
Wir stoppten vor einer großen Lagerhalle, vor der sich
gerade Frauen und Männer versammelten, die sich an einem
Tisch in eine Liste eintragen ließen. "Ist das die
Lebensmittelausgabe?" fragte Elsa, um eine
Aufbesserung der Stimmung bemüht.
"Ja, hier holen sich die Familien ihre Rationen ab -
Reis, Soja-Öl und noch ein paar Sachen, die Vorräte
gehen langsam zu Ende. Es muß bald etwas geschehen!
Wissen Sie, die Leute bekommen ja alles umsonst. Es wird
Zeit, daß sie etwas arbeiten!"
Der UNO-Mann war deutlich beleidigt. Er blieb im Wagen
sitzen, als Klaus an einem der Neusiedlungshäuser halten
ließ. Der Ingenieur kam als Dolmetscher mit.
Es war nur eine alte Frau zu Hause, die uns freundlich
bat, einzutreten. Klaus erzählte, woher wir kamen, und
dann fragte er:
"Hatten Sie früher in Ihrem alten Dorf auch schon
so ein Haus?"
"Ja, wir hatten auch so eins."
"Und mußten Sie für dieses hier etwas
bezahlen?"
"Neuntausend Pesos (3.000 Mark). Der Preis hängt ab
von der Größe des Hauses."
"Und Sie hatten das Geld, oder mußten Sie es sich
leihen?"
"Wir haben uns das Geld geliehen."
"Wie verdienen Sie das Geld?"
"Ich habe überhaupt keine Möglichkeit, zum
Lebensunterhalt etwas beizutragen. Mein Mann verdient das
Brot. Er arbeitet als Zimmermann beim Damm-Bau. Aber dort
gibt es bald nichts mehr zu tun. Die meisten Männer hier
sind schon arbeitslos."
"Haben Sie Kinder?"
"Zwei Mädchen gehen zur Hochschule in die nächste
Stadt. Sie werden wohl nicht zurückkommen. Ein Junge
besucht hier die Schule."
"Gibt es denn irgendeine Berufsausbildung?"
"Nein - keiner hat hier eine Berufsausbildung."
"Dann ist wohl nicht klar, was die jungen Leute
später tun werden?"
"Es gibt hier keine Jobs für sie."
"Wie war das früher?"
"Vor dem Damm-Bau waren alle auf den Feldern unten
im Tal beschäftigt. Wir waren Reisbauern..."
Der UNO-Mann ließ draußen ungeduldig die Auto-Hupe
ertönen.
"Vielleicht noch ein Jahr," sagte Klaus nachdem
wir uns verabschiedet hatten, "dann wird man viele
der Leute von Pantabangan in den Bretterhütten von
Manila wiederfinden. Was nützen hübsche Steinhäuser
ohne Arbeit und Brot?"
"JEEPNEY"
Wer auf den Philippinen eine größere Strecke fahren
will - in der Stadt oder über's Land - der steigt in ein
"Jeepney". Das ist ein eigenartiges Fahrzeug,
grell bunt bemalt, verchromte Metallteile an allen Ecken
und Enden, die keinen anderen Zweck haben, als nur zu
glänzen und zu blitzen.
Ich habe solche Autos nur auf den Philippinen gesehen,
und dort werden sie gebaut - besser gesagt:
zusammengestückelt aus verschiedenen Teilen alter
Militär-Jeeps. Die werden aus allen Gegenden
Südost-Asiens, wo die Amerikaner ihren Militärschrott
loswerden wollen, zusammengetragen. Und weil die
Philippinen das Land sind, wo amerikanisches Militär am
längsten stationiert war, gibt's hier auch den meisten
Schrott!
Aus zwei oder drei abgetakelten Jeeps bauen findige
Mechaniker ein neues Auto zusammen. Das ist hinterher
doppelt so lang und sieht eher aus wie ein Zirkuswagen.
Links und rechts gibt es zwei lange Bänke, und hinten
stehen auf seinem Trittbrett noch einmal fast soviele
Leute wie drinnen Platz haben. Statt einer
Auto-Versicherung haben die Fahrer meistens ein
Jesus-Kreuz über ihrem Lenkrad hängen, oder die Mutter
Maria, umrahmt von bunten Lämpchen. Und die Decke eines
solchen "Jeepneys" ist bemalt mit frommen
Sprüchen und Bildern.
So also sah das Auto aus, mit dem wir weiter nach Norden
fuhren.
Eine Klima-Anlage war nicht nötig, weil so ein
"Jeepney" gar keine Fenster hat, da bläst
einem der Fahrtwind um die Nase, manchmal allerdings auch
der Straßenstaub.
Es waren eher Feldwege, die von einem Dorf zum anderen
führten, und die Schlaglöcher sorgten dafür, daß
niemand einschlief.
Wir blieben die einzigen Weißen auf dieser Strecke, und
es war durchaus unklar, wer wen mit größerer Neugier
anstarrte. Hier sprach tatsächlich kaum noch jemand
englisch, aber wir konnten uns trotzdem verständigen:
Wir lachten uns einfach gegenseitig an. Manchmal faßte
eine Hand verstohlen nach meinem Arm. Die Finger, die
über die Haut strichen, waren kräftig und rauh -
Bauernhände!
Dann reichte jemand eine Banane herüber, die hatte eine
rötliche Schale, nicht so bananengelb wie in unseren
Geschäften. Ich biß ein Stück ab - und spuckte es
sofort wieder aus. Alles lachte, und ich entschuldigte
mich.
"Es schmeckt wie - wie gekochte Kartoffeln!
Überhaupt kein bißchen süß!"
"Es sind ja auch Mehlbananen," Klaus lachte
mit. "Was wir in Europa essen, das ist die
Obst-Banane. Die ist für viele hier schon wieder ein
Luxus, denn der größte Teil der Ernte ist für das
Ausland bestimmt. Und weißt du, was man noch aus den
philippinischen Bananen-Pflanzen macht?"
"Manila-Hanf," sagte Elsa. "Das gibt
festen Zwirn und Seile und Schnüre." "Und
neuerdings werden die Fasern dieser Bananen-Art auch zu
besonders hochwertigem Papier verarbeitet."
Was man nicht alles erfährt, wenn man mit einem
"Jeepney" fährt - zwischen Körben mit
Hühnern, Säcken mit Reis und vor allem zwischen lauter
freundlichen Menschen.
Aber nicht alle Merkwürdigkeiten lassen sich aufklären.
Seit Beginn der Fahrt beobachtete ich zwei alte
Bäuerinnen, die fast ohne Unterbrechung selbstgedrehte
Zigaretten rauchten. Dazu wickelten sie den Tabak in
dünne getrocknete Blätter. Doch das war nicht das
Merkwürdige, sondern ihre Art, zu rauchen: Sobald sie
sich ihre Zigaretten angezündet hatten, steckten sie
sich diese so zwischen die Lippen, daß sich die Glut im
Mund befand - also die Asche wohl auf die Zunge fiel! Ich
habe sie nie die Zigarettenasche abklopfen sehen!
"Vielleicht ist das die Art, wie man im 'Jeepney'
Zigaretten raucht," ulkte Klaus, "aus
Rücksicht darauf, daß uns die Asche nicht um die Ohren
fliegt!"
AUF GOLD WÄCHST KEIN WALD
Zwei Stunden mit dem "Jeepney" bis an die
Hauptstraße, drei Stunden mit dem Überland-Bus bis nach
Baguio. Das ist die Sommerhauptstadt der Philippinen,
weit oben in den Bergen, wo die Landschaft so aussieht
wie bei uns der Schwarzwald.
Weil es hier kühler ist als in Manila, hat sich der
Präsident für die heisseste Jahreszeit in Baguio einen
zweiten Palast bauen lassen. Das ist die Gegend, die auch
allen Fremden auf den Philippinen immer am besten
gefallen hat. Hier hatten sie es fast wie zu Hause.
"Die voraussichtlich letzten, die sich hier
breitmachen, sind die Amerikaner," sagte Klaus, als
wir mit dem Taxi mal wieder an einer Straßensperre
anhalten mußten.
Das war am Tor des Erholungszentrums für amerikanische
Soldaten, der Basis "John Haye".
"Dort drüben ging für die Japaner der Krieg auf
den Philippinen zu Ende. Im Landhaus des amerikanischen
Botschafters unterzeichnete General Yamashita 1945 die
Urkunde, mit der er sich ergab. Kaum zehn Jahre später
erholten sich auf diesem Riesengelände amerikanische
Soldaten von einem neuen Krieg in Südostasien: Sie
wurden aus Korea jeweils für einen Kurzurlaub
hierhergeflogen. Und noch mal zehn Jahre später kamen
sie vom Schlachtfeld in Vietnam, um in diesem milden
Klima wieder zu Kräften zu kommen."
Wir waren auf dem Weg zur deutsch-philippinischen
Forstschule in Baguio, und dieser Weg führte
normalerweise am Parkgelände von "John Haye"
entlang. Der Monsun-Regen aber hatte Teile der Straße
weggespült, das passiert jedes Jahr. Und jedes Jahr
müssen die Einwohner Baguios einen großen Umweg in Kauf
nehmen, denn die Amerikaner geben die Teer-Straße durch
ihr Gelände auch in diesem Notfall nicht frei. Uns ließ
der Torposten nach eingehender Prüfung die Abkürzung
benutzen.
Ich hatte schon gelernt: "Weiße Haut ist der 'beste
Ausweis'!"
In der Forstschule von Baguio lernen philippinische
Förster unter anderem auch, wie sie Militärschrott
nützlich verwenden können: Aus den kräftigen
Metallstreifen von ausgedienten Wagenfederungen entstehen
Erdhacken mit einem hölzernen Stiel. Damit läßt sich
bequem die Erde auflockern, bevor an den oft kahlen
Berghängen neue Bäume angepflanzt werden.
Vorher aber muß verhindert werden, daß die Erde jedes
Jahr auf's Neue weggespült wird, wie die Straße bei
"John Haye".
Ein deutscher Förster hat ihnen dafür eine einfache
Methode beigebracht: Rasch wachsende Sonnenblumen werden
ausgesät, ihre Stengel werden mit Draht gebündelt, und
diese Bündel werden dann dort - wo an den Hängen in der
Regenzeit das Wasser herunterstürzt - wie Stufen mit
einem Drahtnetz am Fels festgenagelt. An ihnen sammelt
sich die Erde, die sonst auf Nimmerwiedersehen
verschwindet. Und aus den Trieben der Sonnenblumenstengel
entwikckeln sich Wurzeln, die Grundlage für einen neuen
Wald entsteht.
Wo aber sind die alten Wälder geblieben?
Der Förster aus Deutschland erzählte.
"Der Kahlschlag hat schon vor Jahrhunderten
begonnen, zur Zeit als die Spanier diese Insel
beherrschten. Vor den Philippinen hatten sie ja Mexico
erobert. Von Mexico kamen sie dann über den Stillen
Ozean hierher. Und so wurden später die philippinischen
Inseln auch verwaltet - von Mexico aus, nicht von
Spanien! Von Acapulco an der mexikanischen Westküste bis
nach Manila brauchte ein spanisches Schiff damals etwa
drei Monate. Um diese Reise unbeschädigt zu überstehen,
wurden besondere Holzsorten für den Schiffbau verwendet.
Und dieses Holz wurde hier geschlagen. Die Spanier
vernichteten dabei ganze Wälder, zurück ließen sie
kahle Berge!"
Auf einigen grünt es jetzt wieder.
Wir kamen zurück von einem Ausflug zu den neuen
Wald-Anpflanzungen, da schwebte plötzlich frisch
geschlagenes Holz durch die Luft. Die Ladung glitt an
einem Drahtseil talwärts.
"Da wird vom Berg geholt, was wir an anderer Stelle
mühsam aufforsten!"
Die nächste Ladung kam in Sicht.
"Das ist eine Seilbahn ohne Motor," erklärte
der Förster, "sie schafft nur Holz hinunter und
bringt nichts herauf!"
"Wo schafft sie es hin?"
"Zum Gold-Bergwerk unten im Tal. Dort wird Holz in
großen Mengen zum Abstützen des Schachtes gebraucht.
Der Berg frißt Holz und spuckt Gold aus - zusammen mit
riesigen Mengen Steingeröll, und auf dem wächst kein
Wald mehr. So funktioniert der Kahlschlag in unserer
Zeit!"
Verbittert setzte sich der Förster wieder an's Steuer.
"Was meint er damit - Berg frißt Holz und spuckt
Gold?" fragte ich, als wir wieder hinten im Wagen
saßen.
"Die Philippinen stehen in ganz Asien an erster
Stelle bei der Gewinnung von Gold. Das wird aus der Erde
geholt - wie bei uns die Kohle. Und dort unten im Tal
arbeitet die größte Gold-Mine des Landes. Die steht auf
unserer Besichtigungsliste."
Am Tag der Besichtigung goß es in Strömen. Zuerst gab
es viele Zahlen zu hören - ein Mann von der
Geschäftsleitung berichtete:
"Dieses Gold-Bergwerk gibt es hier seit 1903. Heute
kommt von hier die Hälfte allen Goldes, das auf den
Philippinen geschürft wird. Im Jahr 1973 holten wir zum
Beispiel mehr als 5.000 Kilogramm Gold aus dem Berg, das
sind ungefähr 100 Zentner."
Elsa hatte schon wieder ihren Elektro-Rechner in der
Hand.
"Nehmen wir mal den niedrigsten Goldpreis, wie er
heute auf der Wirtschaftsseite des 'Daily Express' stand
- das waren 142 US-Dollar für eine Unze (28,35 Gramm).
Das wären also umgerechnet - 64 Millionen Mark!"
"Herrjeh - wer besitzt denn die Grube?"
"Bisher gibt es nur einen sehr geringen
philippinischen Anteil," war die Antwort,
"gerade 2 Prozent. 97 Prozent gehören Amerikanern
und anderen Fremden. Aber das wird sich in den kommenden
Jahren ändern. Es soll auf den Philippinen Ausländern
nicht mehr erlaubt sein, mehr als die Hälfte eines
Bergwerks, einer Fabrik oder überhaupt eines
Unternehmens zu besitzen. Wenigstens 60 Prozent sollen
philippinisches Eigentum sein, verstehen Sie?"
"Wieviele Bergarbeiter beschäftigen Sie?"
"Ungefähr 5.500, und wir geben ihnen auch Wohnungen
in unseren Camps, wissen Sie?"
"Und der Lohn?"
Die Antwort blieb aus.
"Es gibt vier Wohnsiedlungen, und in jeder haben wir
eine Grundschule. Dazu kommen noch zwei weiterführende
Schulen. Die Leute können alles, was sie brauchen, hier
in Läden kaufen - auch ohne Geld, das verrechnen wir mit
ihrem Lohn, wissen Sie. Natürlich haben wir auch eine
eigene Werkspolizei - das ist schon nötig,
Alkoholprobleme und so."
Wir hatten inzwischen den Eingang zum Schacht erreicht.
Der Regen ließ die Schienen glänzen, auf denen jetzt
die kleinen Kipp-Loren stillstanden. Die letzte Schicht
vor dem Wochenende kam gerade aus dem Berg - eine lange
Reihe von Männern mit Helmen auf dem Kopf stand in dem
dunklen Tunnel, einige hatten noch die schwachen Lampen
vorn am Helm eingeschaltet. Nur wenige warfen einen Blick
zu uns herüber. Erst als Georg zu fotografieren begann,
wurden fast alle wieder munter.
"Worauf warten die Männer?"
Der Mann von der Geschäftsleitung zuckte die Achseln.
"Wissen Sie, das ist unser Problem. Sie arbeiten
sechs Stunden unten im Berg, dazwischen haben sie eine
Stunde Pause, und dann stehen sie hier nochmal eine
Stunde, weil wir ihnen nicht trauen können. Manchmal
findet einer von ihnen mehr als das, was wir mit unseren
Steinmühlen und in den Spülanlagen herauswaschen. Bei
uns macht es ja das systematische Durchwaschen des
gesamten Gesteins, das die Burschen da unten losschlagen.
Die winzigen Goldanteile sind da selten mit dem bloßen
Auge zu erkennen. Aber manchmal findet einer ein Stück,
so groß wie eine Nuß, und das versucht er dann
herauszuschmuggeln. Und die Jungs sind einfallsreich. Sie
verschlucken es, oder sie fetten es ein und schieben es
sich in den Hintern. Sie glauben gar nicht, auf was für
Tricks die kommen!"
"Und da gucken Sie nach?"
Klaus schaute auf die lange Reihe der Männer, die sich
im Dunkel des Tunnels verlor.
"Wir machen Stichproben, aber ihre Sachen werden
regelmäßig durchsucht."
Der Nachmittag auf dem Markt von Baguio brachte uns eine
Begegnung, die direkt an diese Erfahrung anschloß.
Ich war bei einer Gruppe von Jungen stehen geblieben, die
ein seltsames Spiel spielten: Aus Streichholzschachteln
holten sie gefangene Spinnen hervor -
"spider-fighter", "Kampf-Spinnen".
Ein Junge, der "Unparteiische", hielt ein
Stäbchen bereit, vielleicht 20 Zentimeter lang. Auf die
beiden Enden wurde je eine Spinne gesetzt, und beide
rasten sofort aufeinander zu. Sie verbissen sich
ineinander, schlugen mit ihren langen Beinen aufeinander.
Der Kampf dauerte höchstens zwei Minuten, dann erlahmten
die Kräfte der einen Spinne - und dann geschah etwas
Unheimliches: Die Sieger-Spinne begann in rasender
Geschwindigkeit, mit klebrigen Fäden den Gegner
einzuwickeln. Zum Schluß hing dieser zum Knäuel
verschnürt am Stab, der Sieger wanderte wieder in die
Streichholzschachtel.
Während wir diesem eigenartigen Spiel zuschauten, war
Klaus weitergebummelt. Jetzt kam er eilig zurück.
"Wißt ihr, was mir eben passiert ist? Eine Ecke
weiter hat mich ein junger Mann angesprochen - ganz
heimlich. Er hat mir Gold angeboten - zu einem
lächerlichen Preis: Für eine Unze will er 30 Pesos, das
sind zehn Mark!" "Damit ist nicht mal sein
Risiko bezahlt," meinte Elsa.
"Aber es ist mehr als das Doppelte, was er für
einen ganzen Tag in der Mine verdient. Er bekommt 12
Pesos, also 4 Mark, ich habe ihn gefragt. Der niedrigste
Tageslohn liegt bei 9 Pesos. Da ist das wie ein
Hauptgewinn beim Lottospiel, wenn einer mal ein Goldkorn
rausschmuggeln kann."
"Ich habe eine bessere Idee als ihm das geklaute
Gold abzukaufen," Elsa holte 30 Pesos aus der
Tasche.
"Wir geben ihm das Geld, und er nimmt uns dafür mit
in seine Wohnsiedlung. Wartet er noch?"
Er wartete noch, und als er unseren Vorschlag hörte, war
er zunächst überrascht. Dann aber willigte er deutlich
erleichtert ein.
Wir nahmen ein Taxi zum Camp, und auf der Fahrt erfuhren
wir Dinge, von denen bei der offiziellen
Bergwerksführung nicht die Rede gewesen war, zum
Beispiel, daß die Arbeiter im Berginneren Temparaturen
bis zu 70 Grad Celsius aushalten müssen.
Klaus notierte sich den Namen der Krankheit, die sich mit
Geröllstaub in die Lungen der Minen-Arbeiter schleicht.
Es ist das längste Wort, das ich je gesehen habe:
"Pneumoniultramicroscopicsilicovolcanoconoisis".
Zu dem Wohncamp gelangte man nur durch das bewachte
Werktor. Die Wächter hatten uns am Vormittag mit dem
Mann von der Geschäftsleitung gesehen, so hatten wir
keine Schwierigkeiten.
In engen Reihen standen an einem steilen Felshang
Holzbaracken. Eine Holzstiege führte zu einem langen
überdachten Gang, von dem gingen die Wohnungstüren ab.
Jetzt am Wochenende waren auch die Männer daheim. Es
wimmelte von Menschen. Kleine Kinder krabbelten über die
Bretter, alte Männer lehnten an der Hauswand.
Der junge Goldschmuggler machte uns mit einigen bekannt.
Einer zeigte uns seine Hände, die Haut war zerfressen.
"Bei manchen greift der Staub nicht bloß die Lunge
an," erklärte unser Begleiter.
"Er muß nicht mehr arbeiten?" fragte Klaus,
"Er ist sicher schon über sechzig?"
"Oh nein - vierzig! Im Berg wird man schnell
alt!"
Dann durften wir durch eine Tür treten. Nur ein Raum lag
dahinter.
"Vier mal vier Meter," schätzte Klaus die
Wohnfläche. An den Wänden stapelten sich
Holzverschläge - die Etagenbetten.
"Gewöhnlich wohnen zwei Familien in solch einem
Raum, und jede Familie hat fünf oder sechs Kinder. In
den vier Wohncamps leben so rund 30.000 Menschen!"
"Aber was passiert denn mit dem ganzen Gold?"
Mir wollte nicht in den Kopf, daß die Männer ungeheuren
Reichtum aus der Erde holten und hier in dieser
gräßlichen Armut lebten.
"Du wirst es nicht glauben," antwortete Klaus,
"aber das meiste landet wieder unter der Erde,
nämlich in den Tresoren der großen Banken! Und wenn du
dort hinüber blickst, siehst du da einen neuen Berg
wachsen. Das ist das ausgewaschene Geröll. Es ist
nutzlos, und es ist giftig, denn das Gold wird ja mit
chemischen Mitteln herausgeholt."
"Ja," sagte der Goldschmuggler, "dort
wächst nie wieder Wald!"
EIN "KNÜLLA" IN MANILA
Zwei Wochen lang hatten wir meistens Reisgerichte
gegessen, "native food", das Essen der
Einheimischen. Am ersten Tag nach unserer Rückkehr nach
Manila hatten wir alle wieder Appetit auf 'was
Europäisches, und Klaus hatte von einem italienischen
Restaurant gehört - "Die Grotte", das war bei
den Europäern, die wir kennengelernt hatten, sehr
beliebt.
Und nicht nur bei den Europäern, wie wir rasch merkten:
An den weißgedeckten Tischen saßen bei
Kerzen-Schummer-Licht auch viele Einheimische. Die
Männer trugen Anzüge nach dem letzten modischen Schrei,
und ihre Frauen glänzten in ähnlicher Weise.
"Die sind betucht," meinte Klaus, und er meinte
damit weniger ihre Kleidung, sondern mehr ihren
Geldbeutel.
Wir schlemmten: Pizza mit allem drum und dran, Elsa und
Klaus leisteten sich sogar eine Flasche italienischen
Rotwein. Und dann kam die Rechnung: 260 Pesos! Das sind
knapp 87 Mark.
"Na, da hätten wir in Bremen doch bestimmt - na
vielleicht 100 Mark bezahlt," beruhigte Klaus sein
Gewissen, "oder?"
Elsa stellte den Mocca mit dem Weinbrand beiseite und -
holte den Rechner heraus. Sie tippte eine Weile darauf
herum, während Klaus sich eine Pfeife ansteckte und ich
genüßlich mein Vanille-Eis mit heißer Himbeer-Soße zu
Ende löffelte.
"Gehen wir mal davon aus, daß in Deutschland der
monatliche Niedrigstlohn, sagen wir von einem Kumpel bei
1.500 Mark netto liegt - richtig?"
"Eher höher," sagte Klaus.
"Gut. Ein Arbeiter in der Goldgrube von Baguio
verdient im Monat - wenn wir die Sonntage abziehen und
den Tagesmindestlohn von 9 Pesos nehmen: 243 Pesos."
Klaus nahm seine Pfeife erschrocken aus den Zähnen.
"Dann haben wir gerade mehr als den gesamten
Monatslohn eines Goldminen-Arbeiters ver...!"
"Die Rechnung stimmt natürlich nicht, wenn wir
immer mit dem Geld rechnen, das uns zur Verfügung
steht," gab Elsa zu bedenken.
"Du hast ja recht, zu Hause hätten wir für dieses
Essen in so einem Restaurant wahrscheinlich viel mehr
bezahlen müssen. Aber interessant ist es doch, daß
unsere Mit-Esser hier, die Damen und Herren aus Manila,
für ihre Speise-Rechnungen keine D-Mark oder US-Dollar
zum Umtauschen haben! Bei ihren Einkünften handelt es
sich ja um dieselbe Währung, die der Arbeiter in der
Goldmine erhält!"
"Sie verdienen mit ihren Geschäften bloß ein paar
Pesos mehr!"
Klaus begann wieder seine Pfeife zu paffen.
"Wieviel mehr? Zum Vergleich nehme ich noch mal den
Kumpel im deutschen Steinkohle-Bergbau mit seinem 1.500
Mark Monats-Mindestlohn. Drei Filippinos, die hier eine
Rechnung über 260 Pesos zu bezahlen haben, hätten jeder
den dritten Teil des Monatslohns eines philippinischen
Grubenarbeiters ver-speist - klar?"
"Klar!"
"Das wären - auf deutsche Verhältnisse übertragen
- also: Fünfhundert Mark, die jeder von uns dreien hier
und heute verjubelt hat - zusammen 1.500 Mark!"
Jetzt ging Klaus die Pfeife aus.
Für Leute, die es sich leisten konnten, solche Preise zu
bezahlen, war offenbar auch das Spektakel gedacht, das
Zeitungen und Fernsehen seit Wochen angekündigt hatten:
"A Thrilla in Manila".
"Thriller ist so etwas wie ein Knüller,"
erklärte Klaus und reimte den deutschen Titel "Ein
Knülla in Manila".
Die Zeitungen schrieben: "Dies wird die zweite
große Schlacht auf den Philippinen seit der Belagerung
und Zerstörung Manilas im Zweiten Weltkrieg!"
Es war von einem Boxkampf die Rede, vom Kampf um die
Weltmeisterschaft zwischen Mohammed Ali und seinem
Herausforderer Joe Frazier.
Bevor wir Manila in Richtung Norden verlassen hatten,
waren wir den beiden zum ersten Mal begegnet. Klaus hatte
mich zu einer Presse-Konferenz mitgenommen. Auf der ging
es zu wie in einem Zirkus.
Joe Frazier sang ein Lied. Darin beschrieb er, wie
schnell er seinen Gegner k.o. schlagen wollte. Abends
telefonierte Klaus mit seiner Redaktion in Deutschland,
um einen Bericht durchzugeben.
"Die große Klappe gehört zum Geschäft,"
schrie er ins Telefon, denn die Verbindung war über
diese Strecke mal wieder miserabel.
"Die größte hat nach wie vor Mohammed Ali. Ich bin
zu schnell für Joe Fr-zier, sagt er. Ich bin so schnell,
das muß ich euch erzählen: Gestern abend habe ich in
meinem Hotelzimmer das Licht ausgeschaltet, dann bin ich
ins Bett gesprungen, und dort war ich, bevor es im Zimmer
dunkel wurde!"
Nun ist Klaus ja kein Sportreporter, er war noch kein
einziges Mal beim Boxen, und deshalb berichtete er über
etwas, das am nächsten Tag in keiner Zeitung stand.
"Ein Reporter hat gefragt, weshalb Mohammed Ali
seinen Glauben gewechselt hat, vom Christentum zum Islam.
Und da macht der Weltmeister, der von seinem alten Namen
Cassius Clay nichts mehr wissen will, klar, daß er noch
etwas anderes im Kopf hat als bloß Boxen und das
Schaugeschäft. Mohammed Ali spricht vor der versammelten
Presse aus aller Welt plötzlich von den sozialen
Mißständen in den USA, von der Mißachtung seiner
Rasse! Er spricht davon, daß die Schwarzen in seinem
Land das Christentum nur als eine Religion der Reichen
kennengelernt haben. Die Schwarzen hatten keinen eigenen
Namen; sie trugen den Namen ihres weißen Besitzers.
Schwarz - so sagt Mohammed Ali - das war immer das
Schlechte. Weiß, das war der Jesus der Weißen, weiß,
das waren seine Apostel! Euer Jesus in Manila - auch er
ist weiß. Warum gibt es keine philippinischen Engel,
warum keine japanischen, keine afrikanischen? Das
Christentum ist eine gute Religion, wenn die Menschen
wirklich so leben, wie sie es sagen; es ist eine gute
Religion, wenn sie das tun, was sie predigen!"
Die teuersten Plätze im Colosseum der Hauptstadt
kosteten am Abend des Weltmeister-Kampfes pro Sitz
umgerechnet 875 Mark. Der Verkauf der Eintrittskarten
allein brachte fünf Millionen Mark.
Wir waren rechtzeitig zum Kampf aus dem Norden wieder
nach Manila zurückgekehrt. Das Fernsehen übertrug die
Schau direkt in 68 Länder der Welt.
Wir guckten im Hotel auf die Mattscheibe. Da sah ich
vierzehn Runden lang die beiden aufeinander eindreschen,
und in den dreizehn Pausen dazwischen rollten schnittige
Autos über den Bildschirm - eine japanische Autofirma
hatte vom philippinischen Fernsehen die gesamte Sendezeit
der Box-Übertragung gekauft. Auf diese Weise bekamen wir
zum Schluß leider nicht mit, wie Ali zum Sieger erklärt
wurde - die Auto-Werbung war zu spät ausgeblendet
worden!
In den Zeitungen stand hinterher, 700 Millionen Menschen
hätten bei der weltweiten Fernseh-Übertragung
zugeschaut.
"Haben die auch die Auto-Werbung gesehen?"
wollte ich wissen.
"Die war nur im philippinischen Fernsehen,"
wußte Klaus. Er hatte noch einmal mit Deutschland
telefoniert, wo man den Kampf in der Nacht auch direkt
hatte verfolgen können.
"Aber vorher gab es einen Film über die
Philippinen. Der war überall in der Welt zu sehen, und
das war's, was mit der Schau erreicht werden sollte: Eine
weltweite Werbung für ein Land, in dem Ruhe und Ordnung
herrscht, in dem genügsame, aber arbeitsame Menschen
leben, das dem Unternehmergeist Tür und Tore öffnet -
mit anderen Worten: in dem man noch ordentlich was
verdienen kann! Beim 'Knülla in Manila' war das Boxen
eigentlich Nebensache."
DIE MORO-REBELLEN
Wir kamen noch einmal auf Mohammed Ali zu sprechen, als
wir in den Süden flogen - zu den Moslems auf Mindanao.
"Das ist nicht bloß ein Tick von diesem
Boxer," sagte Klaus. "Er ist tatsächlich so
etwas wie ein Botschafter seiner Religion, und er ist ein
sehr überzeugter Moslem. Er hat es abgelehnt, im Krieg
der Amerikaner gegen das vietnamesische Volk zu kämpfen
- er hat den Wehrdienst verweigert, trotz
Gefängnisdrohung und Aberkennung seines
Weltmeister-Titels. Es wundert mich, daß er hier gar
nichts zum Schicksal seiner Glaubensbrüder auf Mindanao
gesagt hat."
"Die Spanier waren hier," begann ich
aufzuzählen, "die Amerikaner und die Japaner. Wo
kommen denn jetzt auch noch die Moslems her? Sind das
denn nicht Araber?"
"Das ist frühe Kolonialgeschichte. Die beginnt noch
vor den spanischen Eroberungszügen rund um die
Welt."
Klaus nahm ein rotes Kärtchen vom Tablett, das gerade
die Stewardess vor ihm absetzte. Auf der einen Seite war
das Bild eines Schweines durchgekreuzt. Auf der anderen
Seite war in fünf Sprachen aufgedruckt:
"Dieses Gericht enthält kein Schweinefleisch."
"Solche Hinweise werden uns in Südost-Asien noch
häufiger begegnen," sagte Klaus und steckte das
Kärtchen in seine Brieftasche, "und auch arabische
Schriftzeichen, obwohl die Moslems, die heute in vielen
Ländern Südost-Asiens großen Einfluß haben, längst
keine Araber mehr sind. Es ist die Schrift des Koran -
wenn du so willst, die Bibel der Moslems, oder der
Mohammedaner, oder der Moros - wie sie in der Gegend
heißen, in die wir jetzt fliegen."
"Moros?" Elsa kramte in ihren spanischen
Sprachkenntnissen. "In der Nähe der spanischen
Stadt Granada gibt es in den Bergen einen Felsvorsprung,
der heißt 'El Ultimo Sospiro del Moro', das bedeutet
'Der letzte Seufzer des Mauren'. Und die Mauren - das
waren Araber aus Nordafrika, und der da geseufzt hatte,
das war der letzte maurische Fürst, der Ende des
Fünfzehnten Jahrhunderts Granada an die spanischen
Herrscher zurückgeben mußte, womit fast 800 Jahre
arabische Herrschaft über einen Teil Spaniens zu Ende
ging."
Klaus fuhr fort: "Das war genau die Zeit, als
arabische Händler hierher nach Südost-Asien kamen und
den östlichsten Vorposten des Islam bildeten. Und nun
müßt ihr euch die Überraschung der Spanier vorstellen,
als sie nach einer Reise um die halbe Welt und ein halbes
Jahrhundert später im Süden dieser Inselgruppe wieder
auf Moros trafen, die ihnen ihre Eroberung streitig
machten! Der Kampf zwischen Christen und Moslems
entbrannte erneut, aber - wie wir in der zweiten Hälfte
des Zwanzigsten Jahrhunderts sehen: Die Spanier haben
alle Eingeborenen kleingekriegt und sie zu ihrem Glauben
bekehrt - bloß die Moros nicht! Die kämpfen noch
heute!"
Klaus langte die Mappe aus seiner Tasche, in der er
Zeitungsausschnitte sammelte.
"Fast täglich stehen sogar in den Zeitungen von
Manila Berichte über Aktionen der 'Moro National
Liberation Front' - das ist die Befreiungsorganisation
der Moros. Von Zeit zu Zeit dürfen Fremde gar nicht nach
Mindanao - dann wird dort geschossen, oder die Rebellen
haben gerade wieder einmal einen Ausländer gefangen
genommen, um die Regierung in Manila unter Druck zu
setzen."
Na, das waren ja schöne Aussichten!
Das erste, was wir nach unserer Ankunft im Süden der
Insel Mindanao hörten, das waren dann aber doch nicht
Schüsse, sondern die langgezogenen Gebetsrufe eines
Muezzin.
Der ersetzt bei den Moslems die Kirchenglocken. Jedesmal,
wenn ihre Stunde des Gebetes naht - und das ist fünfmal
am Tag - ruft die Stimme vom Minarett, dem schmalen Turm.
Und dann eilen die Gläubigen zur Moschee, ihrer Kirche.
Die hat meistens eine halbrunde Kuppel, auf der ganz oben
die Form einer Mondsichel steckt. Innen ist es angenehm
kühl, aber hinein darf man nur barfuß oder auf Socken,
die Schuhe bleiben draußen. So war das jedenfalls in den
meisten Moscheen, die wir später besuchten.
Als wir aber diesen ersten Muezzin-Rufen folgten, war
alles ganz anders. In einem Prospekt für Touristen
hatten Elsa und Klaus den Namen einer Moslem-Siedlung in
der Nähe von Davao, unserer ersten Station auf Mindanao,
gefunden: Die Moslem-Siedlung des Dorfes Ilang.
"Wir müssen unbedingt heute noch hin," hatte
Klaus schon kurz nach unserer Ankunft gedrängt.
"Heute ist 'HARI-RAYA', ein hohes Moslem-Fest: Der
erste Tag nach dem Fastenmonat 'Ramadan' - heute können
alle Moslems zum ersten Mal wieder nach vierwöchigem
Fasten zulangen und essen, soviel sie wollen."
"Auch Schweinefleisch?" Ich erinnerte mich an
das Kärtchen mit dem durchgestrichenen Schwein im
Flugzeug.
"Nie! Das hat ihnen ihr Prophet Mohammed verboten -
genau wie den Alkohol." "Aber warum denn?"
"Für die meisten Mohammedaner ist das wohl ein
Verbot, das gehört eben zur Religion, und darüber wird
nicht diskutiert: Mohammed hat es so gesagt!"
antwortete Klaus. "Aber vielleicht war der Prophet
nicht bloß religiös, sondern auch praktisch veranlagt.
Da gibt es zum Beispiel eine schwere Krankheit, die durch
Würmer im Schweinefleisch entstehen kann. Diese winzigen
Schmarotzer sind mit bloßen Augen kaum zu erkennen. Sie
heißen Trichinen, und wenn man sie mit dem
Schweinefleisch abbekommt, dann kann das den Tod
bedeuten! Durchfall, Fieber, die Muskeln werden starr,
man kann nicht mehr atmen - Schluß!"
"Aber wir essen doch dauernd Schweinefleisch!"
Der Schreck fuhr mir durch die Glieder, denn im Flugzeug
hatte ich von einem Tablett gegessen, das nicht mit einer
roten Karte als schweinfleischlos gekennzeichnet war.
"Heute ist das auch kein Problem mehr. Bei uns zum
Beispiel gibt es die amtliche Fleischbeschau,"
beruhigte Klaus, "und wenn das Fleisch durchgebraten
oder gekocht ist, gibt es darin auch keine Trichinen
mehr. Aber woher sollte Mohammed das vor über
tausenddreihundert Jahren wissen, als vielleicht die
Trichinen-Plage mal besonders groß war, und man immerhin
feststellen konnte, daß die tödliche Krankheit vom
Schweinefleisch-Essen kam? Na ja, und daß der Alkohol
nicht gerade segensreich wirkt, das sieht man ja bei uns
zu Hause, wo die Krankenkassen neuerdings auch die
Behandlung von immer mehr Alkoholsüchtigen bezahlen
müssen. Übrigens findet man solche Vorschriften in
anderen Formen auch im Christentum: Denk nur an
überzeugte Katholiken bei uns zu Hause, die essen noch
heute freitags kein Fleisch - bloß Fisch!"
Die Moslems im Dorf Ilang sind Fischer. Ihre
Hauptmahlzeit ist Fisch. Das fanden wir heraus, als wir
den Muezzin-Rufen folgten. Die klangen sehr schrill. Sie
dröhnten aus einem verbeulten Lautsprecher am Eingang
eines Gebäudes, dessen Wände keinen Putz hatten und
dessen Dach aus rostigem Wellblech bestand.
Das war die Mos
bedeuten! Durchfall, Fieber, die Muskeln werden starr,
man kann nicht mehr atmen - Schluß!"
"Aber wir essen doch dauernd Schweinefleisch!"
Der Schreck fuhr mir durch die Glieder, denn im Flugzeug
hatte ich von einem Tablett gegessen, das nicht mit einer
roten Karte als schweinfleischlos gekennzeichnet war.
"Heute ist das auch kein Problem mehr. Bei uns zum
Beispiel gibt es die amtliche Fleischbeschau,"
beruhigte Klaus, "und wenn das Fleisch durchgebraten
oder gekocht ist, gibt es darin auch keine Trichinen
mehr. Aber woher sollte Mohammed das vor über
tausenddreihundert Jahren wissen, als vielleicht die
Trichinen-Plage mal besonders groß war, und man immerhin
feststellen konnte, daß die tödliche Krankheit vom
Schweinefleisch-Essen kam? Na ja, und daß der Alkohol
nicht gerade segensreich wirkt, das sieht man ja bei uns
zu Hause, wo die Krankenkassen neuerdings auch die
Behandlung von immer mehr Alkoholsüchtigen bezahlen
müssen. Übrigens findet man solche Vorschriften in
anderen Formen auch im Christentum: Denk nur an
überzeugte Katholiken bei uns zu Hause, die essen noch
heute freitags kein Fleisch - bloß Fisch!"
Die Moslems im Dorf Ilang sind Fischer. Ihre
Hauptmahlzeit ist Fisch. Das fanden wir heraus, als wir
den Muezzin-Rufen folgten. Die klangen sehr schrill. Sie
dröhnten aus einem verbeulten Lautsprecher am Eingang
eines Gebäudes, dessen Wände keinen Putz hatten und
dessen Dach aus rostigem Wellblech bestand.
Das war die Mosc
bedeuten! Durchfall, Fieber, die Muskeln werden starr,
man kann nicht mehr atmen - Schluß!"
"Aber wir essen doch dauernd Schweinefleisch!"
Der Schreck fuhr mir durch die Glieder, denn im Flugzeug
hatte ich von einem Tablett gegessen, das nicht mit einer
roten Karte als schweinfleischlos gekennzeichnet war.
"Heute ist das auch kein Problem mehr. Bei uns zum
Beispiel gibt es die amtliche Fleischbeschau,"
beruhigte Klaus, "und wenn das Fleisch durchgebraten
oder gekocht ist, gibt es darin auch keine Trichinen
mehr. Aber woher sollte Mohammed das vor über
tausenddreihundert Jahren wissen, als vielleicht die
Trichinen-Plage mal besonders groß war, und man immerhin
feststellen konnte, daß die tödliche Krankheit vom
Schweinefleisch-Essen kam? Na ja, und daß der Alkohol
nicht gerade segensreich wirkt, das sieht man ja bei uns
zu Hause, wo die Krankenkassen neuerdings auch die
Behandlung von immer mehr Alkoholsüchtigen bezahlen
müssen. Übrigens findet man solche Vorschriften in
anderen Formen auch im Christentum: Denk nur an
überzeugte Katholiken bei uns zu Hause, die essen noch
heute freitags kein Fleisch - bloß Fisch!"
Die Moslems im Dorf Ilang sind Fischer. Ihre
Hauptmahlzeit ist Fisch. Das fanden wir heraus, als wir
den Muezzin-Rufen folgten. Die klangen sehr schrill. Sie
dröhnten aus einem verbeulten Lautsprecher am Eingang
eines Gebäudes, dessen Wände keinen Putz hatten und
dessen Dach aus rostigem Wellblech bestand.
Das war die Moschee der Moslems von Ilang, und sie waren
traurig, daß sie keine bessere hatten.
Nach ihrem Gebet saßen wir draußen unter dem Vordach.
Der Steinbau stand so ziemlich als einziges Gebäude auf
festem Land, alle Hütten waren auf Pfählen ins Meer
gebaut und untereinander mit Holzstegen verbunden.
"Wir haben kein Land, auf dem wir etwas anbauen
könnten," sagten sie, "Sogar der Boden, auf
dem unsere Hütten halb im Wasser stehen, ist privates
Land."
Die Moslem-Siedlung lag in einer Gegend, in der die
philippinischen Christen das Sagen haben.
"Oh, wir kommen viel besser miteinander aus, als
früher," beeilte sich der Siedlungschef, zu
versichern.
Klaus hatte wieder sein kleines Tonbandgerät
herausgeholt.
"Ist das ein Religionskrieg zwischen Moslems und
Christen hier auf Mindanao?"
"Die Lehren des Koran," so antwortete der alte
Moslem, "bringen uns manchmal Probleme, weil die
Gesetze für die Philippinen von Christen gemacht sind.
Nach dem Koran zum Beispiel kann jeder Mann bis zu vier
Frauen heiraten, das macht nach unserer Vorstellung einen
besseren Sinn, als daß man - wie es die katholische
Kirche verlangt - auf ewig aneinandergekettet bleibt,
auch wenn sich Mann und Frau nicht mehr verstehen. Aber
die philippinischen Gesetze erlauben uns nicht dieses
Recht, das der Koran uns gibt. Unsere Priester tun ihren
Dienst seit jeher freiwillig und ohne Lohn. Neuerdings
brauchen sie aber eine Erlaubnis vom Staat. Das sind ein
paar der Schwierigkeiten, die wir haben."
Klaus hatte sich ein Empfehlungsschreiben für den Mann
besorgt, der sich im Auftrag des Präsidenten um die
Entwicklung der Moslem-Gebiete zu kümmern hatte.
"Sie können sich selber davon überzeugen, wie gut
es der Präsident mit den Moros meint," sagte der
hohe Beamte. "Kommen Sie heute nachmittag mit. Ich
treffe mich mit den Führern von drei Moslem-Siedlungen,
die wir jetzt völlig erneuern können. Der Präsident
hat dafür gerade dreieinhalb Millionen Pesos
bewilligt!" (Knapp 1,2 Millionen Mark)
Und als am Nachmittag die Dorfführer zusammensaßen,
holte der Beamte den Scheck aus der Brieftasche und ließ
ihn gönnerhaft von Hand zu Hand gehen. Aber da erhob
sich ein alter Mann.
"Ich spreche englisch, damit auch unsere Gäste
verstehen, worum es uns geht: Keiner von uns allen hier
ist zu dem Plan gehört worden. Ich habe nichts davon
erfahren, selbst als Maschinen kamen und die ersten
Häuser einrissen, wußte ich nicht, worum es ging!"
Es ging um die Umsiedlung der Moslems in
eintausendvierhundert neue Häuser. Auf den Plänen waren
lange Straßenreihen zu sehen, ganz anders als es die Art
der alten Moslem-Dörfer ist. Dafür war ein uraltes,
verwinkeltes Wohngebiet auf der Karte schon wegradiert.
An seiner Stelle konnte man die Skizze eines großen
Parks erkennen.
"Das ist die typische Planung am 'grünen
Tisch'," meinte Klaus. "Wenn Planer aus der
Großstadt Manila sich Dorfleben vorstellen, wird daraus
rasch ein Klein-Manila!"
Ein Offizier stand auf, der bis dahin schweigend
zugehört hatte.
"Der Präsident," so sagte er, "hat
angeordnet, daß nur das geschehen soll, was die Leute
wirklich wollen! Und das wird geschehen - und wenn der
ganze Plan in die Binsen geht!"
Es wurde beschlossen, jetzt eine Befragung zu
organisieren. Die betroffenen Familien sollten erklären,
ob sie ein neues Dorf nach ihren Vorstellungen haben
wollten, oder ob sie bloß Verbesserungen in ihren alten
Siedlungen brauchten.
"Aufruf zum Ungehorsam!" Klaus war verblüfft.
"Und das vom Militär!"
Später traf er sich mit dem Offizier. Der hatte in
seinem Büro Bilder vom Krieg in Vietnam hängen, an dem
auf Seiten der Amerikaner auch philippinische Soldaten
teilgenommen hatten. Darunter war zu lesen: "LESSON
- LEARNED IN VIETNAM" ("Lektion - gelernt in
Vietnam") Und weiter: "Eine Armee wird niemals
durch Gewalt Frieden und Ordnung erreichen, wenn den
Bedrängten nicht geholfen wird!"
Klaus flog ein paar Tage später zusammen mit Georg auf
die Insel Jolo noch weiter im Süden. Dorthin darf man
nur mit einer Sonder-Erlaubnis des philippinischen
Militärs, weil die Moro-Rebellen keine Ruhe geben.
Beide wurden vom Gouverneur eingeladen, mit einem
Hubschrauber über die Insel zu fliegen. Klaus erzählte
hinterher, er hätte nicht genau feststellen können, wer
mehr geschwitzt habe vor Angst, er und Georg, oder die
beiden Soldaten, die links und rechts ihre
Maschinen-Gewehre schußbereit gehalten hätten.
An einer abgelegenen Ecke des Hafens von Zamboanga - das
ist eine Stadt am westlichen Zipfel von Mindanao - traf
sich Klaus später mit einem Führer der Moro-Rebellen.
Der war sogar einmal in Hamburg gewesen und hatte dort
gearbeitet. Klaus machte ein Interview mit ihm - das
letzte auf den Philippinen:
"Die Philippinen haben drei Kolonialherren
erlebt," erklärte der junge Mann, mit einem Tuch um
den Kopf wie ein Turban. "Die Spanier, die
Amerikaner und die Japaner. Darüberhinaus haben fremde
Volksgruppen bei uns immer großen Einfluß gehabt, zum
Beispiel die Chinesen, die Inder, die Araber. Wir sind
nie in der Lage gewesen, unsere Kultur ungestört durch
fremde Einflüsse zu entwickeln. Sehen Sie, wenn Sie mich
fragen - was ist ein Filippino, oder was ist
philippinische Kultur? - ich kann es Ihnen nicht sagen.
Es müßte erst wiederentdeckt werden, was vor der
Ankunft der Spanier vor vielen hundert Jahren existierte.
Und es muß daran erinnert werden, daß die Moslems jene
Gruppe waren, die sich ihre Gesellschaftsform am besten
erhalten hat. Manila war ja einmal Moslem-Stadt! So ist
auch unser Problem hier zu verstehen: Wir Moslems haben
uns einen unabhängigen Geist erhalten. Wir glauben bis
heute, daß es keiner fremden Macht gelingen wird, uns zu
unterwerfen! Das kann nicht jeder Filippino sagen. Die
Moslems sind das einzige Volk auf den Philippinen, das
nie kolonisiert wurde - warum sollte es heute?"
Klaus hat später gesagt: "Er weiß noch nicht, daß
ausländische Öl-Gesellschaften da draußen im Meer
gefunden haben, wonach sie suchten!"
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