WAS "EASY TALK" MIT EINEM "TATORT" ZU TUN HAT
Eine These von Klaus Jürgen Schmidt
 
 
 
 


Am 21. Oktober 2018 versuchte sich der ARD-Tatort abermals an einer Kriminalgeschichte, die sich mit Chancen und Gefahren der Entwicklung "Künstlicher Intelligenz" für menschliches Handeln und Wirken auseinandersetzte.
Diesmal lernten Zuschauer eine fiktionale Software kennen, deren Kommunikationsfähigkeit so gestaltet ist, dass sie einerseits von menschlichen Gesprächspartnern lernt, andererseits aber eine Taktik einsetzt, die diesem Gesprächspartner das Gefühl vermittelt, ohne Hemmung über seelische Verletzungen und reale Ängste sprechen und sogar Ratschläge abfragen zu können.

In diesem "Tatort" wird ein streng geheimes Computer-Projekt vorgestellt, das mit menschlichen Probanden arbeitet, welche dabei wissenschaftlicher Kontrolle ausgesetzt bleiben. Doch eine gehackte Version namens "Maria" ist schon im Internet zum Test durch jedermann freigesetzt, mit dem Versprechen, "der beste Freund zu sein".

Im Krimi stellt sich heraus, dass die 14-jährige Melanie mit ihrem Laptop Zugang zu "Maria" hatte und dieser Software ihre geheimsten Gedanken anvertraute. Jetzt ist Melanie verschwunden. Ihre Eltern haben sich getrennt, ihre Mutter schluckt jede Menge Tabletten.
Als ihr Vater, der eine neue Familie gegründet hat, sich zu den regelmäßigen Treffen einfindet, ist das Zimmer seiner Tochter leer.
Die Tatort-Ermittler erfahren in ihrer Kommunikation mit der Software auf Melanies Laptop, dass "Maria" auf eine Art von Kommunikation getrimmt ist, die sich beim Zuhören voll auf den Sprechenden fokussiert. "Marias" Fragetechnik besteht aus einfachen, kurzen und offenen Fragen, in denen die Eigensprache des Sprechenden aufgegriffen wird. Dazu folgt die empathisch fragende Software dem Erzählfluss des Sprechenden und versucht Schlüsselwörter wahrzunehmen.

Bei Melanie ging das schief. Als das Mädchen davon sprach, in ihrer verzweifelten Lage Selbstmord begehen zu wollen, antwortete "Maria" – aus ihrem eingetrichterten Wissensfundus – Selbstmord sei ein Verbrechen an sich selbst, zählt dann aber technische Möglichkeiten eines Suizids auf. Melanie schluckt die Tabletten ihrer Mutter und ertrinkt in einem nahen Fluss. ...

Die von der fiktionalen Software "Maria" als Gesprächspartner angewandte Methode erinnert an jene reale, die auf den Arzt und Psychotherapeuten Adolphe David Jonas (1913–1985) zurückgeht und die sich "Idiolektische Gesprächsführung" nennt (eine Gesprächsform mit Augenmerk auf der Eigensprache, dem sogenannten "Idiolekt" des Gesprächspartners. Unter dem "Idiolekt" versteht man das individuelle Sprachmuster eines Sprechenden mit all seinen phonetischen, grammatikalischen und die Wortwahl betreffenden Vorlieben. Der Zuhörende fokussiert sich voll auf den Sprechenden. > WIKIPEDIA).

Der Psychotherapeut Jonas beobachtete, dass durch einfaches Fragen und sehr genaues Zuhören Selbstheilungskräfte entfaltet werden können. In der Psychiatrie geschulte Therapeuten wenden diese Frage-Methode professionell in ihrer Praxis an. Das so geschaffene Vertrauen der Patienten kann dabei Voraussetzung für einen Heilungsprozess werden. Bei diesem therapeutischen Prozess hilft aber eben nicht nur die erlernte Kommunikationsmethode des Psychiaters, sondern auch dessen eigene Erfahrungen als Mensch in einer konfliktreichen Welt und eine daraus erfahrene Notwendigkeit für Empathie!

Auf den Psychotherapeuten Jonas beruft sich auch ein Kommunikationsangebot, das sich "easytalk" nennt. (
https://easy-talking.com/de/ansatz/)
Das Versprechen:
"Sobald Sie easytalk beherrschen, haben Sie ein einzigartiges Medium, das Ihre Gespräche interessanter macht, Ihre Beziehungen verbessert und so manchen Weg abkürzt. ... Es gibt kein hierarchisches Gefälle und niemanden, der es besser weiß als Sie."

>>> Es gibt niemanden mehr, der es besser weiß als ich!?

"easytalk" nennt "Warum-Fragen" eine "ungünstige Haltung".

>>> Es gibt niemanden mehr, den ich fragen kann: Wieso, Weshalb, Warum!?

Ist die Original-Methode des Psychotherapeuten Jonas als eine "gehackte Version" namens "easytalk" in Gesellschaften unterwegs, in denen Warum-Fragen eher krank als gesund machen, in denen sich das Selbst vom Wir verabschieden muss, um sich selber heilen zu können?

Wer zahlt für Seminare, in denen gezeigt wird, "wie durch die Kunst des Zuhörens und des einfachen Fragens Selbstheilung geschehen kann"?

Zu den Kunden von "easytalk" zählen nach eigenen Angaben "Anwälte, Wirtschaftsunternehmen, Bildungseinrichtungen, Pflegedienste".

Lernen Kunden von "easytalk", wie man Konflikte mit Verstand u n d Empathie analysiert, um sie durch Argumentation aufzulösen – oder lernen sie, wie man Konflikte ausblendet, um die eigene Seele nicht zu verletzen?

Sollen wir glauben, dass es gefährlich ist, Kritik an uns zuzulassen, um diese dann als Hilfe zur Selbsterforschung zu akzeptieren?

Sollen wir glauben, dass es gefährlich ist, Argumentation als Mittel demokratischer Auseinandersetzung anzuwenden?

Sollen wir glauben, dass es gefährlich ist, Konflikt als Ursprung allen Werdens zu erkennen?

Wo es keine Konflikte gibt, ist kein Leben vorhanden. Konflikte im Leben sind unvermeidbar, in der Kommunikation von Menschen können sie konstruktiv und sogar verbindend sein, wenn gelernt wird, mit ihnen umzugehen.

Ist "easytalk" also ein Geschäftsmodell, das zur Vereinzelung des hilfsbedürftigen Individuums in Gesellschaften beiträgt, die dringlichst Solidarität brauchten, in denen soziale und demokratische Strukturen verkümmern, weil zu wenig "Warum" gefragt wird, in denen menschliche Zuwendung abgelöst wird durch zunehmende Abhängigkeit von "intelligenten" Maschinen?

Unterstützt "easytalk" gar jene Strukturen, in denen sanktioniert werden darf, wer z.B. im Betrieb oder im Arbeitsamt oder bei der Sozialbehörde oder in irgendeiner anderen Abhängigkeit aus der Reihe tanzt – weil er WARUM gefragt hat?

Der versprochene "gegenseitige Respekt" belässt bei dieser "Selbstheilung" das Oben und das Unten in unangefochtener Position.
Das Oben lernt jedoch, das Unten mit dessen eigener Sprache zu manipulieren – egal ob real oder mit künstlicher Intelligenz!


Feedback radiobridge@aol.com

 
 
 
 
 
Alle weiteren Web-Angebote von Radio Bridge Overseas und von Klaus Jürgen Schmidt sind in der Kopf-Leiste anklickbar.
 
 
RBO - KJS © 1993-2018 RBO